HRRS-Nummer: HRRS 2004 Nr. 714
Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 85/04, Beschluss v. 22.07.2004, HRRS 2004 Nr. 714
I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 15. Oktober 2003 nach § 349 Abs. 4 StPO
1. im Schuldspruch dahin geändert, daß der Angeklagte in den Fällen II 6, 20, 37 und 50 der Urteilsgründe jeweils der Beihilfe zur Steuerhinterziehung und im Fall II 24 der Urteilsgründe - unter Beschränkung der Verfolgung nach § 154a Abs. 1 und Abs. 2 StPO - der Steuerhinterziehung schuldig ist;
2. im Strafausspruch in den Fällen II 6, 20, 24, 37 und 50 der Urteilsgründe sowie im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.
II. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
III. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gewerbsmäßiger Steuerhinterziehung, wegen Steuerhinterziehung in 52 Fällen und wegen Betruges in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt. Seine auf die Sachrüge gestützte Revision hat den aus dem Tenor ersichtlichen Teilerfolg; im übrigen ist die Revision unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
Nach den Feststellungen verkürzte der Angeklagte in den Jahren 1996 bis 2002 in erheblichem Umfang Umsatzsteuern, indem er (Bruch-)Gold ohne Rechnung ankaufte und dieses offiziell an Scheideanstalten weiterverkaufte. Da er im Geschäftsverkehr nicht selbst in Erscheinung treten wollte, weihte er mehrere andere Personen in seine Pläne ein. Soweit diese Personen noch keinen Gewerbebetrieb führten, veranlaßte er, daß sie einen solchen anmeldeten. Für diese Unternehmen übernahm der Angeklagte sodann die Buchführung. Die unter dem Namen der jeweiligen Gewerbebetriebe abgewickelten Goldverkäufe an die Scheideanstalten erfolgten jeweils mit Rechnungen, in denen die Umsatzsteuer offen ausgewiesen war. In der Buchführung deckte der Angeklagte diese Lieferungen mit entsprechenden Scheineinkaufsrechnungen ab, in denen der angeblich gezahlte Steuerbetrag ebenfalls gesondert ausgewiesen war. Bis auf solche Fälle, in denen keine Umsatzsteueranmeldungen abgegeben wurden (Fälle 6, 20, 37, 50), machten die jeweiligen Firmeninhaber in ihren Umsatzsteuervoranmeldungen und Umsatzsteuerjahreserklärungen die angebliche Vorsteuer aus den Abdeckrechnungen geltend. Die zu Unrecht erstatteten Vorsteuern sowie die nicht erklärten Umsatzsteuern wurden zwischen den Beteiligten als "Gewinn" aufgeteilt.
Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge führt aus folgenden Gründen zu einem Teilerfolg:
1. Soweit das Landgericht den Angeklagten im Fall 24 der Urteilsgründe wegen gewerbsmäßiger Steuerhinterziehung nach § 370a AO verurteilt hat, ist die Verfolgung mit Zustimmung des Generalbundesanwalts nach § 154a Abs. 1 und 2 StPO auf den Grundtatbestand des § 370 AO beschränkt worden.
a) Nach den Feststellungen hatte die Lebensgefährtin des Angeklagten, die ein Schmuckstudio betrieb, sich seit 1998 an den geschilderten Goldgeschäften beteiligt, um eigene Verluste auszugleichen. Unter anderem verkürzte sie zusammen mit dem Angeklagten auf diese Weise durch Abgabe einer unrichtigen Umsatzsteuererklärung für das Jahr 2001 am 5. Juni 2002 Umsatzsteuern in Höhe von 654.650 DM (= 334.717 €). Das Landgericht hat diese Tat als ein Verbrechen der gewerbsmäßigen Steuerhinterziehung nach § 370a Satz 1 Nr. 1 AO gewertet. Es hat das Gesetz in der Fassung des 5. Gesetzes zur Änderung des Steuerbeamten-Ausbildungsgesetzes und zur Änderung von Steuergesetzen vom 23. Juli 2002 (BGBl I 2715) als milderes Gesetz (§ 2 Abs. 3 StGB) zugrunde gelegt und die (Einsatz-)Strafe von zwei Jahren und neun Monaten dem gemilderten Strafrahmen des minder schweren Falles nach § 370a Satz 2 AO entnommen.
Dabei hat es auf der Grundlage der bisherigen gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Gewerbsmäßigkeit des Handelns bejaht und darüber hinaus ohne weitere Begründung ausgeführt, das Verbrechensmerkmal der Steuerhinterziehung "in großem Ausmaß" sei erfüllt, weil die Grenze insoweit bei 250.000 € anzusetzen sein.
b) Der Senat hat das Verfahren im Hinblick auf die gewerbsmäßige Steuerhinterziehung nach § 154a Abs. 1 und 2 StPO beschränkt, weil die Strafnorm des § 370a AO erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet.
Die durch das Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz (StVBG) vom 18. Dezember 2001 (BGBl I 3922) eingeführte und durch das 5. Gesetz zur Änderung des Steuerbeamten-Ausbildungsgesetzes und zur Änderung von Steuergesetzen (StBAG) vom 23. Juli 2002 (BGBl I 2715) novellierte Vorschrift qualifiziert die Steuerhinterziehung nach § 370 AO als Verbrechen, wenn sie gewerbs- oder bandenmäßig begangen wird und dadurch jeweils Steuern "in großem Ausmaß" verkürzt werden. Eine strafbefreiende Selbstanzeige ist ausgeschlossen; Angaben, die den Anforderungen an eine wirksame Selbstanzeige im Sinne von § 371 AO genügen, führen lediglich zur Verschiebung des Strafrahmens durch die gebotene Annahme eines minder schweren Falles gemäß § 370a Satz 2 AO.
Abgesehen davon, daß innerhalb des damit neu geschaffenen Normengefüges der §§ 370 ff. AO die jeweiligen Konkurrenzverhältnisse völlig ungeklärt und die Strafrahmen so wenig aufeinander abgestimmt sind, daß erhebliche Wertungswidersprüche entstehen (vgl. BGH NJW 2003, 3068; Reiß Die Steuerberatung - Stbg - 2004, 113, 115 f.), ist nicht ersichtlich, wie der Verbrechenstatbestand des § 370a AO verfassungskonform ausgelegt werden kann. Das Steuerstrafrecht ist im Rahmen der Blankettnorm des § 370 AO aufgrund der durch das Steuerrecht vorgegebenen regelmäßigen Erklärungspflichten - monatlich, vierteljährlich oder jährlich - geprägt durch eine serielle Begehungsweise. Deliktstypisch zieht sich ein einmal begonnenes steuerunehrliches Verhalten über längere Zeiträume hin, ist folglich auf Wiederholung angelegt; zudem sind ebenso regelmäßig mehrere Personen in ein komplexes Hinterziehungsgeschehen eingebunden. Auf der Grundlage der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind die Tatbestandsmerkmale der "Gewerbsmäßigkeit" (vgl. BGHSt 42, 219, 225; BGH wistra 1994, 230, 232) und der "bandenmäßigen Begehung" (BGHSt 46, 321) festgeschrieben und über § 369 AO auch im Steuerstrafrecht zugrunde zu legen. Eine davon abweichende Auslegung im Rahmen der Abgabenordnung im Sinne einer teleologischen Reduktion, wie sie in der Literatur vielfach befürwortet wird (vgl. nur Kemper in Dietz/Cratz/Rolletschke/Kemper, Steuerverfehlungen - Stand: Juni 2003 - § 370a Rdn. 26 ff., 35 ff. m.w.N.; kritisch Kohlmann, Steuerstrafrecht 7. Aufl. - Stand: Juni 2003 - § 370a AO Rdn. 4, 11, 15 und Reiß aaO) war vom Gesetzgeber ersichtlich nicht gewollt. Denn die im StVBG enthaltenen Tatbestandsmerkmale des § 370a AO wurden bei der Novellierung durch das StBAG unverändert beibehalten, obwohl die öffentliche Kritik sich unter anderem gerade daran entzündet hatte, daß im Hinblick auf die Auslegung dieser Tatbestandsmerkmale durch die Rechtsprechung im Zusammenwirken mit den im Steuerrecht vorgegebenen Strukturen eine Vielzahl von steuerunehrlichen Bürgern vom Verbrechenstatbestand des § 370a AO erfaßt werden würden (vgl. dazu: Harms in FS für Günter Kohlmann, 2003, S. 413, 421 ff.). Demnach ist eine Eingrenzung über diese Tatbestandsmerkmale nicht zu erreichen.
Das danach entscheidende Verbrechensmerkmal der Steuerverkürzung "in großem Ausmaß" erscheint indes unter Bedacht auf Art. 103 Abs. 2 GG nicht ausreichend bestimmt (vgl. dazu nur: Park wistra 2003, 328 ff.; Reiß Stbg 2004, 113 ff.; Kohlmann aaO Rdn. 12; Seer BB 2002, 1677, 1680; Langrock wistra 2004, 241 ff.; Harms aaO S. 419 ff.; alle m.w.N. sowie Stellungnahme der "Arbeitsgemeinschaft Klimatagung" in WPK-Mitteilungen 2003, 130 ff.). Es läßt sich nicht erkennen, unter welchen Voraussetzungen dieses Tatbestandsmerkmal erfüllt ist, welche Anknüpfungspunkte maßgeblich sein sollen und ob es auf den jeweiligen Einzelfall ankommt oder ob bei einer Vielzahl von Hinterziehungstaten - wie etwa bei der monatlich anzumeldenden Lohnsteuer - eine Gesamtbetrachtung des Tatbildes entscheidend sein soll; bei diesem Befund ist nicht ersichtlich, wie der Normadressat - der dem Gesetz unterworfene Steuerbürger - durch Auslegung Tragweite und Anwendungsbereich des Verbrechenstatbestandes ermitteln und konkretisieren soll (vgl. zu diesen Anforderungen an einen Straftatbestand: BVerfGE 105, 135, 152 ff. m.w.N.).
Eine Anlehnung an die Rechtsprechung zur Strafzumessungsregel gemäß § 370 Abs. 3 Nr. 1 AO im Hinblick auf das für die Straffindung relevante Merkmal der Steuerverkürzung "aus grobem Eigennutz in großem Ausmaß" führt nicht weiter (so auch Langrock aaO S. 242 f.; a.A. Hunsmann DStR 2004, 1154, 1155 f.). Denn die im Strafzumessungsrecht gebotene Gesamtwürdigung aller die Tat prägenden und begleitenden Umstände läßt dem Richter bei der Rechtsfolgenbestimmung einen weiten Spielraum. Dementsprechend weit gefächert ist das in der Rechtsprechung zum Steuerstrafrecht anzutreffende Spektrum von Fällen, die entweder trotz hoher Verkürzungsbeträge noch dem Normalstrafrahmen zugeordnet worden sind oder die ungeachtet eines vergleichsweise geringen Hinterziehungsumfangs nach Auffassung des Tatrichters schon vom erhöhten Strafrahmen des § 370 Abs. 3 Nr. 1 AO erfaßt sein sollten. Die im Strafzumessungsrecht noch vertretbare Unbestimmtheit des Merkmals im Regeltatbestand (vgl. dazu auch BGH wistra 2004, 22 ff. - zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt - zum "großen Ausmaß" im Sinne von § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StGB) ist, wenn das Merkmal zum maßgeblichen Kriterium bei der Abgrenzung von Vergehen und Verbrechen im Rahmen der §§ 370, 370a AO wird, auf der tatbestandlichen Ebene nicht mehr hinnehmbar. Denn die derzeitige Gesetzesfassung überläßt die Auslegung dem jeweiligen Rechtsanwender, der gezwungen ist, die Grenze zum Verbrechenstatbestand - wie vorliegend - je nach seinem wirtschaftlichen Vorverständnis und dem von ihm herangezogenen rechtlichen Anknüpfungspunkt bei einem gegriffenen Hinterziehungsbetrag zu ziehen (vgl.: Meyer DStR 2002, 879, 881: 50.000 €; angefochtenes Urteil 250.000 €; Hunsmann aaO: 500.000 €). Sie genügt damit nicht der Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts, wonach eine Strafnorm um so präziser sein muß, je schwerer die angedrohte Strafe ist (BVerfGE 105, 135, 155 f.). Die Nachbesserung eines unbestimmten Gesetzes ist dem Strafrichter versagt (BVerfG aaO S. 153).
Da das angefochtene Urteil auch im übrigen Rechtsfehler aufweist und schon deshalb keinen Bestand haben kann, hat der Senat von einer Vorlegung nach Art. 100 Abs. 1 GG abgesehen und stattdessen den verfassungsrechtlich bedenklichen Schuldspruch nach § 370a AO in der Weise beschränkt, daß der Teilvorwurf wegen gewerbsmäßiger Steuerhinterziehung entfällt und die Tat als Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO zu bewerten ist. Dies führt zur Aufhebung der im Fall 24 der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafe und der Gesamtstrafe.
2. Darüber hinaus hat der Schuldspruch wegen Steuerhinterziehung in den Fällen 6, 20, 37 und 50 der Urteilsgründe keinen Bestand. Insoweit hat das Landgericht nicht ausreichend bedacht, daß - anders als in den Fällen des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO - eine in Mittäterschaft begangene Steuerhinterziehung durch Unterlassen nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO nur dann in Betracht kommt, wenn eine Rechtspflicht zur Offenbarung steuerlich erheblicher Tatsachen verletzt wird. Nach den Feststellungen traf den Angeklagten indes eine solche Pflicht nicht. Denn er war weder Steuerpflichtiger noch war er in den von Dritten geführten Unternehmen in einer Stellung tätig, in der ihm die Wahrnehmung steuerlicher Pflichten übertragen war; es ging ihm vielmehr darum, nicht nach außen in Erscheinung zu treten und nur intern die Buchführung zu übernehmen. Die Erklärungspflichten trafen die jeweiligen Unternehmer.
Bei dieser Sachlage kommt in den vom Landgericht ausgeurteilten Fällen insoweit nur eine Beihilfe zur Steuerhinterziehung der erklärungspflichtigen Firmeninhaber in Betracht. Dies gilt auch im Fall 6, in dem ersichtlich auf die unterlassene Jahreserklärung 2001 statt auf die monatlichen abgegebenen Voranmeldungen abgestellt worden ist (vgl. BGH wistra 1996, 105).
Der Senat hat den Schuldspruch in den genannten Fällen umgestellt. § 265 StPO steht dem nicht entgegen, da der Angeklagte sich insoweit nicht anders als geschehen hätte verteidigen können. Die Änderung des Schuldspruchs führt zur Aufhebung der in diesen Fällen verhängten Einzelstrafen.
Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge hat darüber hinaus keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler zum Schuld- und Strafausspruch ergeben. Insbesondere können die weiteren Einzelstrafen bestehenbleiben. Es ist auszuschließen, daß die dargelegten Gründe, die zur Aufhebung der genannten Einzelstrafen und der Gesamtstrafe führen, die Strafzumessung in den übrigen Fällen beeinflußt haben.
HRRS-Nummer: HRRS 2004 Nr. 714
Externe Fundstellen: NJW 2004, 2990; NStZ 2005, 105; StV 2004, 543
Bearbeiter: Karsten Gaede