HRRS-Nummer: HRRS 2005 Nr. 62
Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 331/04, Beschluss v. 08.12.2004, HRRS 2005 Nr. 62
Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 8. April 2004 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Steuerhinterziehung in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt. Die Revision der Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.
Nach den Feststellungen des Landgerichts gründete die Angeklagte - eine geschäftsunerfahrene Hausfrau - im Jahr 1998 eine Handelsagentur für Spirituosen und setzte damit die Handelstätigkeit ihres verstorbenen Ehemannes fort. Für die Jahre 1998 bis 2000 gab sie inhaltlich falsche Umsatzsteuerjahreserklärungen ab, indem sie Vorsteuern aus innergemeinschaftlichen Lieferungen geltend machte, obwohl diese umsatzsteuerfrei erfolgt waren. Für 2001 gab die Angeklagte keine Umsatzsteuerjahreserklärung ab. Die Beweiswürdigung des Landgerichts hält sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand.
1. Allerdings ist es grundsätzlich Sache des Tatrichters, die Beweise zu würdigen. Das Revisionsgericht kann die tatrichterliche Beweiswürdigung auf die Sachbeschwerde nur unter dem Gesichtspunkt überprüfen, ob sie Rechtsfehler enthält. Dies ist dann der Fall, wenn die im Urteil mitgeteilten Erwägungen des Tatrichters in sich widersprüchlich, lückenhaft oder unklar sind oder wenn sie gegen Denkgesetze oder anerkannte Erfahrungssätze verstoßen (st. Rspr.; vgl. nur BGH NStZ 2002, 48; BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 2; jeweils m.w.N.).
2. Hier erweist sich die Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils als teilweise widersprüchlich und lückenhaft.
a) Die Angeklagte hat sich vor dem Landgericht dahin eingelassen, sie habe hinsichtlich der Umsatzsteuer "das System ihres Mannes übernommen". Sie hat sich dabei auf einen Terminplaner ihres Mannes aus dem Jahr 1997 berufen, in den dieser Preise für Spirituosen eingetragen hatte. Nach einem Vergleich der dortigen Eintragungen mit den Angebotslisten der ausländischen Lieferanten sei für sie schlüssig gewesen, daß die niedrigeren Preise im Terminplaner - im Gegensatz zu den Angebotslisten - keine Umsatzsteuer enthalten hätten. Das Landgericht ist der Überzeugung, daß dieser von der Angeklagten behauptete Vergleich ihr nicht die Gewißheit verschafft haben könne, sich umsatzsteuerrechtlich korrekt zu verhalten; die Angeklagte habe nicht einschätzen können, ob die Preise für Spirituosen zwischen dem Zeitpunkt der Eintragungen im Terminplaner (1997) und den Angebotslisten (Juli 1998) annähernd gleich geblieben seien. Darüber hinaus hält es der Tatrichter auch für denkbar, "daß ihr Mann einen günstigen (Netto) Preis durch Einräumung eines Rabatts erlangt hatte" (UA S. 12).
Diese Erwägungen beruhen auf bloßen Vermutungen des Landgerichts, die nicht durch Tatsachen belegt sind. Ausweislich der Urteilsgründe wurden weder die maßgeblichen Spirituosenpreise für 1997 und 1998 festgestellt, noch wurde Beweis darüber erhoben, ob - anders als der Angeklagten selbst - ihrem Ehemann tatsächlich auch noch bis 1997 Rabatte von den Lieferanten eingeräumt worden waren. Letzteres erscheint schon deshalb fernliegend, weil dessen Geschäftstätigkeit nach einem schweren Unfall im Jahr 1993 erheblich abgenommen hatte (UA S. 3). Ohne tragfähige Tatsachengrundlage durfte das Landgericht aber solche Vermutungen nicht zur Widerlegung der Einlassungen der Angeklagten heranziehen (vgl. BGHR StPO § 261 Vermutung 3, 10, 11).
Darüber hinaus teilt das Landgericht keinerlei Einzelheiten zu den Eintragungen im Terminplaner und zu den Angebotslisten - etwa Preise für bestimmte Spirituosen - sowie zu den sich ergebenden Differenzen mit. Ergäbe der Vergleich beider Listen eine durchschnittliche Differenz der Preise in Höhe der Umsatzsteuer, könnte dies für die Einlassung der Angeklagten sprechen, ein System ihres verstorbenen Ehemannes übernommen zu haben. Läßt sich jedoch kein solcher Zusammenhang feststellen, könnte dies für die Auffassung des Landgerichts sprechen, daß der Vergleich beider Listen der Angeklagten nicht die Gewißheit verschafft haben könne, sich steuerrechtlich korrekt zu verhalten. Mangels näherer Darlegung ist es dem Revisionsgericht nicht möglich, die Erklärungen des Landgerichts zu den Differenzen zwischen beiden Listen nachzuvollziehen.
b) Nach den Feststellungen des Landgerichts erkundigte sich die Angeklagte bei den ehemaligen Geschäftspartnern ihres Mannes, ob diese die Geschäftsverbindung mit ihr fortsetzen würden, was ihr sowohl von den Lieferanten als auch von den Abnehmern zugesagt wurde (UA S. 4 f.). Ihrer Einlassung zufolge hat die Angeklagte dagegen "auf Zuraten der Lieferanten ihres Mannes … die Geschäfte weitergeführt" (UA S. 9).
Mit dieser Einlassung hat sich das Landgericht nicht auseinandergesetzt. Dies wäre hier aber erforderlich gewesen. Denn wenn die Initiative zur Fortführung der Handelsagentur nicht von ihr, sondern von den Geschäftspartnern ausging, könnte dies zu einer abweichenden Beurteilung der Tatbeiträge der Angeklagten - auch im Hinblick auf die wirtschaftlichen Vorteile der beteiligten Personen - führen. Insbesondere vor dem Hintergrund eines von der Angeklagten behaupteten "umsatzsteuerlichen Systems" ihres verstorbenen Mannes und mit Blick auf die Tatsache, daß die Angeklagte gemessen an dem Betrag der hinterzogenen Steuern einen nicht übermäßig großen Vorteil aus der Tat gezogen hat, hätte es deshalb weiterer Aufklärung und Erörterung bedurft. Denn Nutznießer der Geschäftstätigkeit der Angeklagten waren offenkundig ihre Abnehmer, denen sie die Ware aufgrund einer wirtschaftlich schon im Ansatz verfehlten Preiskalkulation unter dem Marktpreis angeboten hatte (UA S. 29). Angesichts der Besonderheiten des vorliegenden Falles wäre eine etwaige Verstrickung der Geschäftspartner für die der Angeklagten zur Last gelegten steuerstrafrechtlichen Vorwürfe von erheblicher Bedeutung; jedenfalls bei der Strafzumessung wäre solches zu berücksichtigen.
3. Der neue Tatrichter wird in Betracht zu ziehen haben, ob die Angeklagte etwa nur leichtfertig oder aber angesichts der Höhe der hinterzogenen Steuern, des Tatzeitraums und der Tatmodalitäten vielmehr sogar mit direktem Vorsatz gehandelt hat. Zudem wird zu prüfen sein, ob - abhängig von den neu zu treffenden Feststellungen - angesichts der Besonderheiten des Falles und trotz des verursachten Steuerschadens die Verhängung einer aussetzungsfähigen Strafe in Betracht kommt.
HRRS-Nummer: HRRS 2005 Nr. 62
Bearbeiter: Karsten Gaede