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HRRS-Nummer: HRRS 2005 Nr. 59

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 220/04, Urteil v. 24.11.2004, HRRS 2005 Nr. 59


BGH 5 StR 220/04 - Urteil vom 24. November 2004 (LG Berlin)

Abgrenzung von Betrug und Steuerhinterziehung bei der bloßen Anmeldung von Scheinfirmen; Konkurrenzen bei Steuerstraftaten (fehlerhafte Annahme von Tateinheit).

§ 370 AO; § 263 StGB; § 22 StGB

Entscheidungstenor

1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 4. Dezember 2003

a) in den Schuldsprüchen dahin abgeändert, daß die Angeklagten der Steuerhinterziehung in Tateinheit mit Urkundenfälschung sowie der versuchten Steuerhinterziehung in 455 Fällen jeweils in Tateinheit mit Urkundenfälschung schuldig sind,

b) in den Strafaussprüchen mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

2. Die Revision des Angeklagten R F wird verworfen.

Dieser Angeklagte trägt die durch sein Rechtsmittel entstandenen Kosten.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die insoweit entstanden Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen versuchter Steuerhinterziehung in Tateinheit mit Urkundenfälschung schuldig gesprochen und gegen die Angeklagten N F, R F und E eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten sowie gegen den Angeklagten D eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verhängt. Die - vom Generalbundesanwalt vertretenen - Revisionen der Staatsanwaltschaft führen zu einer Änderung der Schuldsprüche und zur Aufhebung der Strafaussprüche. Die Revision des Angeklagten R F ist unbegründet.

I.

Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:

Die Angeklagten wollten ihre schlechte finanzielle Situation durch Erschleichung von unberechtigten Vorsteuererstattungen aufbessern. Der Angeklagte E, der aufgrund einer abgebrochenen Ausbildung zum Finanzbeamten steuerrechtliche Kenntnisse hatte, erklärte den übrigen Angeklagten das System der Umsatzsteuervoranmeldungen. Die Angeklagten verabredeten daraufhin, eine große Anzahl von Voranmeldungen an zahlreiche Finanzämter in Deutschland gleichzeitig abzusenden und die von ihnen erwarteten Vorsteuererstattungen untereinander gleichmäßig aufzuteilen. Zur Vorbereitung besorgten sich die Angeklagten zunächst gefälschte Personaldokumente.

Anschließend meldeten sich die Angeklagten D und N F unter falschen Personalien in Berlin beim Landeseinwohneramt an. "Danach meldeten sie unter Verwendung der falschen Personalien ein Gewerbe an und hängten an zwei unterschiedlichen, für sie fremden Adressen jeweils einen Briefkasten auf, um mögliche Postsendungen für die eingerichtete Scheinfirma in Empfang nehmen zu können." Ferner eröffneten sie unter falschem Namen Konten und besorgten sich mehrere Mobiltelefone, um für etwaige Rückfragen der Finanzämter erreichbar zu sein.

Anfang Dezember 2001 trafen sich die Angeklagten D sowie N und R F in Berlin und füllten in telefonischer Absprache mit dem Angeklagten E insgesamt 456 Antragsformulare mit frei erfundenen Umsätzen und Vorsteuern aus, die sie jeweils mit einem falschen Namen unterschrieben. Anschließend übersandten sie die Voranmeldungen zusammen mit einem formlosen Anschreiben und einer Anzeige der Betriebsaufnahme an die entsprechenden Betriebsfinanzämter. Aufgrund der Vielzahl von Anträgen mußten die Angeklagten in der Tatnacht zwei Fahrten zu einem Postbriefkasten in Berlin-Kreuzberg unternehmen, um die Briefe abzusenden. Die Summe der beantragten Vorsteuererstattungsbeträge belief sich auf sieben Millionen DM. Die Anträge gingen bei den Finanzämtern zwischen dem 12. Dezember und dem 17. Dezember 2001 ein. Zu einer Auszahlung der beantragten Erstattung kam es jedoch nur in einem Fall. Den Betrag von 15.713 DM konnten die Angeklagten allerdings nicht abheben, da die Staatsanwaltschaft bereits vor Eingang des Geldes das Konto gepfändet hatte.

Das Landgericht ist der Auffassung, das Geschehen sei als eine Tat im Sinne natürlicher Handlungseinheit zu werten, da sämtliche Anträge in einer Nacht zur Post gebracht worden seien.

II.

Die Revisionen der Staatsanwaltschaft sind begründet. Die rechtliche Würdigung des Landgerichts, der festgestellte Sachverhalt sei als eine versuchte Steuerhinterziehung in Tateinheit mit Urkundenfälschung zu werten, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Zutreffend geht das Landgericht allerdings davon aus, daß Fälle, in denen für Scheinfirmen ohne Bezug auf reale Vorgänge fingierte Umsätze angemeldet und Vorsteuererstattungen begehrt werden, als Steuerhinterziehung und nicht als Betrug zu beurteilen sind (vgl. BGHSt 40, 109; BGH wistra 2004, 309, 310). Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen haben sich die Angeklagten jedoch wegen (vollendeter) Steuerhinterziehung in Tateinheit mit Urkundenfälschung sowie wegen versuchter Steuerhinterziehung in 455 Fällen jeweils in Tateinheit mit Urkundenfälschung schuldig gemacht.

Bei der Beurteilung des Konkurrenzverhältnisses von Steuerstraftaten gilt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs folgendes: Die Abgabe jeder einzelnen unrichtigen Steuererklärung ist grundsätzlich als selbständige Tat im Sinne von § 53 StGB zu werten. Von Tatmehrheit ist also dann auszugehen, wenn die abgegebenen Steuererklärungen verschiedene Steuerarten, verschiedene Besteuerungszeiträume oder verschiedene Steuerpflichtige betreffen. Ausnahmsweise kann Tateinheit vorliegen, wenn die Hinterziehungen durch dieselbe Erklärung bewirkt werden oder wenn mehrere Steuererklärungen durch eine körperliche Handlung gleichzeitig abgegeben werden. Entscheidend dabei ist, daß die Abgabe der Steuererklärungen im äußeren Vorgang zusammenfällt und überdies in den Erklärungen übereinstimmende unrichtige Angaben über die Besteuerungsgrundlagen enthalten sind (vgl. BGHSt 33, 163; BGH, Urteil vom 28. Oktober 2004 - 5 StR 276/04; jew. m.w.Nachw.). Übereinstimmende unrichtige Angaben im Sinne dieser Rechtsprechung können beispielsweise im Verhältnis von Körperschaftsteuerhinterziehung und Umsatzsteuerhinterziehung (vgl. BGHSt 33, 163, 166; BGH wistra 1996, 62) oder im Verhältnis von Einkommensteuer-, Gewerbesteuer- und Umsatzsteuerhinterziehung (vgl. BGH wistra 1996, 231) vorliegen. In solchen Fällen werden übereinstimmende unrichtige Angaben regelmäßig deshalb abgegeben, weil der Täter sich bei unterschiedlichen Angaben über die steuerlich erheblichen Tatsachen in den verschiedenen Steuererklärungen, die letztlich jeweils denselben Lebenssachverhalt betreffen, einem erhöhten Entdeckungsrisiko aussetzen würde.

Indes reicht es für die Annahme übereinstimmender unrichtiger Angaben nicht aus, wenn der Täter - wie im vorliegenden Fall - gegenüber verschiedenen Finanzämtern für vorgetäuschte Unternehmen gleichartige Vorsteuererstattungsansprüche behauptet. Die von den Angeklagten in den Umsatzsteuervoranmeldungen gegenüber 456 unterschiedlichen Finanzämtern mitgeteilten falschen Angaben betrafen jeweils völlig verschiedene frei erfundene Steuerschuldverhältnisse. Die den einzelnen Voranmeldungen jeweils zugrundeliegenden Angaben sollten gerade nicht in die Prüfung der anderen Steuerschuldverhältnisse einfließen, da anderenfalls das strafbare Verhalten (noch) durchschaubarer gewesen wäre. Dies wird auch dadurch deutlich, daß die Angeklagten Vorsteuererstattungen in unterschiedlicher Höhe - zwischen 15.023,44 DM und 16.153,44 DM - geltend machten.

Der Umstand, daß alle 456 Umsatzsteuervoranmeldungen in derselben Nacht in den gleichen Briefkasten geworfen und zur Versendung gebracht wurden, ändert an der konkurrenzrechtlichen Beurteilung im Sinne von Tatmehrheit nichts. Insbesondere führt dies nicht zur Annahme von natürlicher Handlungseinheit. Soweit in einem Fall die beantragte Vorsteuererstattung durch das Finanzamt ausgezahlt wurde, liegt eine vollendete Steuerhinterziehung vor. Ist - wie bei der Umsatzsteuer - eine Fälligkeitssteuer anzumelden, so kann bereits eine falsche Steueranmeldung zur vollendeten Steuerverkürzung führen, weil sich eine besondere Steuerfestsetzung erübrigt (§ 167 AO); die Steueranmeldung steht dann einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleich (§ 168 Satz 1, § 370 Abs. 4 Satz 1 AO). Dies gilt jedoch nicht, wenn - wie hier - die Steueranmeldung zu einer Steuervergütung führen soll. In einem solchen Fall gilt nach § 168 Satz 2 AO die Steueranmeldung erst dann als Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung, wenn die Finanzbehörde zustimmt; somit ist die Tat mit der Zustimmung der Finanzbehörde vollendet (vgl. BGHR AO § 370 Abs. 1 Vollendung 2). Von der Zustimmung der Finanzbehörde, die keiner Form bedarf (§ 168 Satz 3 AO), kann spätestens ausgegangen werden, wenn der Erstattungsbetrag ausgezahlt wird. Im Fall der Auszahlung der beantragten Vorsteuererstattung ändert sich die rechtliche Bewertung als vollendete Steuerhinterziehung auch nicht dadurch, daß die Staatsanwaltschaft das Konto der Angeklagten, auf das die Auszahlung erfolgte, bereits gepfändet hatte, so daß den Angeklagten der Zugriff auf den Erstattungsbetrag verwehrt wurde. Der Umstand, daß die Abhebung des Geldes durch das schnelle Eingreifen der Ermittlungsbehörden verhindert und die Rückzahlung des Geldes an den Fiskus sichergestellt werden konnte, ist jedoch bei der Strafzumessung von Bedeutung.

Der Senat ändert die Schuldsprüche selbst. Die Vorschrift des § 265 StPO steht dem nicht entgegen, da sich die Angeklagten nicht wirksamer als geschehen hätten verteidigen können. Die Schuldspruchänderungen führen zur Aufhebung der jeweils verhängten Strafaussprüche. Auf die Einzelbeanstandungen der Staatsanwaltschaft gegen die Strafzumessung des Landgerichts kommt es daher nicht mehr an.

III.

Die umfassende Nachprüfung des Urteils aufgrund der vom Angeklagten R F erhobenen Sachrüge hat keinen ihn beschwerenden Rechtsfehler aufgedeckt.

HRRS-Nummer: HRRS 2005 Nr. 59

Externe Fundstellen: NStZ 2005, 516; StV 2005, 212

Bearbeiter: Karsten Gaede