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Bearbeiter: Rocco Beck

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 428/97, Urteil v. 12.02.1998, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 4 StR 428/97 - Urteil vom 12. Februar 1998 (LG Paderborn)

BGHSt 44, 34; gesetzlicher Richter (Zuständigkeit des Landgerichts wegen der besonderen Bedeutung des Falls); Tatbestandsmerkmal der Beschädigung einer Sache bei der Sachbeschädigung; Gewaltbegriff und Verwerflichkeit bei der Nötigung (Blockaden von Gleisanlagen); Mittäterschaft; Versammlungsfreiheit.

§ 24 Abs. 1 Nr. 3 GVG; § 74 Abs. 1 S. 2 GVG; § 240 StGB; § 303 StGB; Art. 101 GG; Art. 8 GG; § 25 Abs. 2 StGB

Leitsätze

1. Wer in der Absicht, die Benutzung eines Schienenwegs zu unterbinden, auf den Gleisen ein Hindernis anbringt, das mit diesen fest verbunden und nur mit erheblichem Aufwand zu entfernen ist, macht sich wegen Sachbeschädigung und wegen (versuchter oder vollendeter) Nötigung strafbar. (BGHSt)

2. Nach der Eröffnung des Hauptverfahrens wird die Frage der besonderen Bedeutung des Falles nicht mehr geprüft (BGH GA 1980, 220). Für das weitere Verfahren (auch für das Revisionsverfahren) ist eine fehlerhafte Bejahung der besonderen Bedeutung nur dann erheblich, wenn sie auf Willkür beruht. Ein Verstoß gegen das Willkürverbot setzt voraus, dass die Annahme sachlicher Zuständigkeit auf unsachlichen, sich von den gesetzlichen Maßstäben völlig entfernenden Erwägungen beruht und unter keinem Gesichtspunkt mehr vertretbar erscheint (BGHSt 40, 120, 122). (Bearbeiter)

3. Es ist zumindest vertretbar, wenn Staatsanwaltschaft und eröffnendes Gericht das große Interesse der Medien und der Öffentlichkeit am Fall bei der Prüfung der besonderen Bedeutung berücksichtigen. (Bearbeiter)

4. Der Begriff der Beschädigung einer Sache verlangt keine Verletzung ihrer Substanz. Es genügt, dass durch körperliche Einwirkung auf die Sache die bestimmungsgemäße (technische) Brauchbarkeit nachhaltig gemindert wird (BGHSt 29, 129, 131 f. Der Gebrauch einer Sache kann auch durch Hinzufügen eines Gegenstandes beeinträchtigt werden (BGH NStZ 1988, 178). (Bearbeiter)

5. Behinderungen und Zwangswirkungen werden grundsätzlich nur dann durch Art. 8 GG gerechtfertigt, wenn sie als sozialadäquate Nebenfolge mit rechtmäßigen Demonstrationen verbunden sind (BVerfGE 73, 206, 250). Bei einer zielbewussten Anwendung unmittelbaren Zwangs gegenüber einem bestimmten Rechtsgut eines Dritten ist dem Täter hingegen in der Regel die Berufung auf die Versammlungsfreiheit verwehrt (BVerfGE 73, 206, 250; 82, 236, 264; BGHSt 23, 46, 56 f.). Dieses Grundrecht ist - ebenso wie die in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Meinungsfreiheit - darauf angelegt, die (kollektive) Kundgabe von Standpunkten in dem der demokratischen Gesellschaft immanenten Kampf der Meinungen mit geistigen Mitteln zu gewährleisten. Das Recht der Versammlungsfreiheit deckt hingegen grundsätzlich nicht Maßnahmen, die nicht zur Überzeugung der Gegenseite im Meinungskampf, sondern dazu führen sollen, daß sich die andere Seite ohne Möglichkeit zu eigener Willensentscheidung einem auf sie ausgeübten Zwang beugt. (Bearbeiter)

Entscheidungstenor

1. Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Paderborn vom 4. März 1997 werden verworfen.

2. Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten B. wegen versuchter Nötigung in Tateinheit mit Sachbeschädigung zu einer Geldstrafe von 75 Tagessätzen und die Angeklagte G. wegen Beihilfe zur versuchten Nötigung in Tateinheit mit Sachbeschädigung zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen verurteilt; ferner hat es verschiedene Gegenstände eingezogen.

Gegen dieses Urteil wenden sich die Angeklagten mit ihren Revisionen, mit denen sie das Verfahren beanstanden und die Verletzung materiellen Rechts rügen. Die Rechtsmittel haben keinen Erfolg.

I. Nach den Feststellungen waren die Angeklagten Mitarbeiter der Organisation Greenpeace e.V. Diese wandte sich mit einer "Castorcampagne" gegen den Transport abgebrannter Brennelemente aus Kernkraftwerken in die Wiederaufbereitungsanlage La Hague in Frankreich. Als Greenpeace bekannt wurde, daß "Anfang Mai" 1996 ein weiterer Bahntransport vor, dem stillgelegten Kernkraftwerk Würgassen nach La Hague vorgesehen war, beschloß man in der Zentrale der Organisation in Hamburg, das im Eigentum der Kraftwerksbetreiberin, der Preussen Elektra AG, stehende Verbindungsgleis zwischen dem Werksgelände und den Gleisen der Deutschen Bahn AG zu blockieren, um das Ausfahren eines Transports auf unbestimmte Zeit zu verhindern.

In Ausführung dieses Plans brachten Mitglieder von Greenpeace am Morgen des 29. April 1996 auf einer Schiene im Bereich dieses Verbindungsgeleises einen etwa 1,5 m langen kastenförmigen Stahlkörper an. Dies geschah mit Hilfe einer ausgeklügelten - in ihrer Funktionsweise von außen nicht erkennbaren - Klammerapparatur, die - ohne einen Eingriff in die Substanz der Schiene - bewirkte, daß ein Verschieben der Konstruktion oder ein Abheben von der Schiene nicht mehr möglich war. Während der gesamten weiteren Blockade steckten jeweils vier Teilnehmer in wechselnder Besetzung einen Arm in zwei dafür vorgesehene Öffnungen auf jeder Seite des Stahlkastens; ob sie sich im Innenraum anketteten, konnte die Strafkammer nicht feststellen.

In den ersten Tagen der Blockade griff die Polizei nicht ein. In dieser Zeit wollte die Preussen Elektra AG auch keinen Transport durchführen. Erst als die Teilnehmer am 10. Mai 1996 die Aktion erweiterten, beendete die Polizei die Blockade. Dabei mußte der Teil der Schiene, auf dem der Stahlkasten angebracht war, mit einer Schneidemaschine herausgetrennt und einschließlich der Schwellen ersetzt werden. Hierdurch entstanden Kosten von über 25.000 DM. Angesichts der ständigen Anwesenheit der "Aktivisten", die auch während dieser Maßnahme ihre Arme in den Stahlkasten hielten und möglicherweise angekettet waren, war dies die einzige Möglichkeit, die Blockade aufzuheben und die Eigentümerin in die Lage zu versetzen, das Verbindungsgleis zur Durchführung der genehmigten Castortransporte zu nutzen.

Der Angeklagte B., der sich nicht selbst im Stahlkasten ankettete, leitete die Aktion vor Ort. Der Angeklagten G., die auch mit der Vorbereitung der Maßnahme befaßt gewesen war, oblag neben der Unterstützung der "Aktivisten" vor allem die mediengerechte Darstellung der Aktion.

II. Mit ihren Verfahrensrügen beanstanden die Beschwerdeführer übereinstimmend, daß das Landgericht seine Zuständigkeit für das Verfahren, das vor das Amtsgericht gehört habe, fehlerhaft und objektiv willkürlich bejaht habe. Die Rügen sind unbegründet.

Dabei kann dahingestellt bleiben, ob - wie der Generalbundesanwalt meint und wofür viel spricht - die Staatsanwaltschaft die Sache wegen ihrer besonderen Bedeutung gemäß §§ 24 Abs. 1 Nr. 3, 79 Abs. 1 Satz 2 GVG zu Recht beim Landgericht angeklagt hat. Nach der Eröffnung des Hauptverfahrens wird die Frage der besonderen Bedeutung des Falles nicht mehr geprüft (BGH GA 1980, 220; Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 43. Aufl. § 24 GVG Rdn. 8; Treffer in KK/StPO 3. Aufl. § 209 Rdn. 17). Für das weitere Verfahren (auch für das Revisionsverfahren) ist eine fehlerhafte Bejahung der besonderen Bedeutung nur dann erheblich, wenn sie auf Willkür beruht.

Jedenfalls eine objektiv willkürliche Annahme seiner Zuständigkeit durch das Landgericht, die der Senat auch ohne entsprechende Verfahrensrügen hätte von Amts wegen beachten müssen (BGHSt 90, 120; StV 1995, 620; Beschlüsse vom 3. August 1995 - 4 StR 420/95 und 4 StR 416/95 - sowie vom 16. April 1996 - 9 StR 80/96; a.A. - jeweils obiter dicta BGH NJW 1997, 2689, zum Andruck in BGHSt 43, 54 vorgesehen; BGH NJW 1993, 1600), liegt nicht vor. Ein Verstoß gegen das Willkürverbot setzt voraus, daß die Annahme sachlicher Zuständigkeit auf unsachlichen, sich von den gesetzlichen Maßstäben völlig entfernenden Erwägungen beruht und unter keinem Gesichtspunkt mehr vertretbar erscheint (BGHSt 40, 120, 122; Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO § 16 GVG Rdn. 6, je m.w.N.). Davon kann hier keine Rede sein.

a) Es ist zumindest vertretbar, wenn Staatsanwaltschaft und eröffnendes Gericht das große Interesse der Medien und der Öffentlichkeit an der Blockade berücksichtigt haben (OLG Düsseldorf NStE Nr. 3 zu § 24 GVG; OLG Celle NdsRpfl. 1982, 97; Katholnigg Strafgerichtsverfassungsrecht 2. Aufl. § 24 GVG Rdn. 5; Kissel GVG 2. Aufl. § 24 Rdn. 14). Dieser Umstand hebt den Fall deutlich aus der Masse der Strafverfahren heraus, die dieselben Tatbestände betreffen (BVerfGE 9, 223, 230; BGHR GVG § 24 Abs. 1 Bedeutung 1). Die Vielzahl der Presseartikel, die der Angeklagte B. vorgelegt hat, belegt die erhebliche Wirkung des Geschehens in der Öffentlichkeit. Der Einwand der Beschwerdeführer, der Berücksichtigung dieses Gesichtspunkts seien Grenzen gesetzt, weil die Bestimmung des gesetzlichen Richters nicht dem Interesse der Medien oder der "Sensationslust" der Öffentlichkeit überantwortet werden dürfe, kommt jedenfalls dann nicht zum Tragen, wenn das Medieninteresse nur eine ohnehin vorhandene besondere Bedeutung für die Allgemeinheit widerspiegelt und die Erregung dieses Interesses gerade das Ziel war, das die Angeklagten mit der Begehung der in Frage stehenden Straftaten erreichen wollten.

b) Mit der Öffentlichkeitswirkung zusammenhängend, aber zugleich darüber hinausgehend, haben Staatsanwaltschaft und Gericht in vertretbarer Weise das Ausmaß der Rechtsverletzung berücksichtigt (OLG Stuttgart MDR 1975, 1042; Kissel in KK/StPO 3. Aufl. § 29 GVG Rdn. 6). Die Blockade erstreckte sich auf einen erheblichen Zeitraum, wurde sorgfältig geplant und mit hohem organisatorischen und technischen Aufwand durchgeführt (OLG Köln NJW 1970, 260, 261). Auch ein Gesamtschaden von über 400.000 DM durfte - als nicht unverschuldete Tatfolge (Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO § 24 GVG Rdn. 6) - berücksichtigt werden. Diese Zahlenangabe entbehrt nicht, wie die Revision vorträgt, jeder Grundlage; vielmehr hat die Staatsanwaltschaft mit ihr auf eine Auskunft der Kriminalpolizeibehörde Höxter vom 9. Oktober 1996 Bezug genommen. Daß sich das Urteil auf die Feststellung des durch den Austausch des Schienenstücks entstandenen Schadens beschränkt, ist demgegenüber ohne Belang (BGH NJW 1997, 2689, 2690, zum Abdruck in BGHSt 43, 54, 59 f. vorgesehen).

III. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge hat weder zum Schuldspruch noch zum Rechtsfolgenausspruch einen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten B. auf gedeckt.

1. Die Strafkammer hat den Angeklagten zu Recht wegen Sachbeschädigung verurteilt.

a) Der Tatbestand des § 303 Abs. 1 StGB ist schon - was das Landgericht offengelassen hat - mit der Befestigung des Stahlkastens auf der Schiene erfüllt. Der Begriff der Beschädigung einer Sache verlangt keine Verletzung ihrer Substanz. Es genügt, daß durch körperliche Einwirkung auf die Sache die bestimmungsgemäße (technische) Brauchbarkeit nachhaltig gemindert wird (BGHSt 29, 129, 131 f.; BGH NJW 1980, 602, 603 [insoweit in BGHSt 29,159 nicht abgedruckt]; BGH NStZ 1982, 508, 509; Stree in Schönke/Schröder StGB 25. Aufl. § 303 Rdn. 8 b und 10; Tröndle StGB 48. Aufl. § 303 Rdn. 5; a.A. Kargl JZ 1997, 283, 289). Der Gebrauch einer Sache kann auch durch Hinzufügen eines Gegenstandes beeinträchtigt werden (BGH NStZ 1988, 178; RGSt 20, 182, 185; Wolff in LK StGB 11. Aufl. § 303 Rdn. 9).

So verhält es sich hier: Das Verbindungsgleis konnte nach Anbringen des Stahlkastens nicht mehr bestimmungsgemäß benutzt werden. Diese Beeinträchtigung beschränkte sich auch weder auf eine ganz kurze Zeitspanne noch war deren Beseitigung ohne größeren Aufwand möglich (vgl. BGHSt 29, 129, 133; OLG Düsseldorf NJW 1993, 869). Daß die Preussen Elektra AG das Verbindungsgleis während der Dauer der - auf unbestimmte Zeit angelegten - Blockade nicht benutzen wollte, steht der Annahme einer Sachbeschädigung unter dem Gesichtspunkt der Funktionsbeeinträchtigung nicht entgegen (vgl. Stree JuS 1988, 187, 190).

Die Einwirkung auf die Sache stellt sich entgegen dem Revisionsvorbringen nicht als bloße Sachentziehung dar. Eine solche - nach dem Wortlaut des § 303 StGB ("Beschädigen") und aus systematischen Erwägungen, insbesondere mit Blick auf die Beschränkungen der Strafbarkeit in den §§ 242, 246 StGB (durch das Tatbestandsmerkmal der Zueignung oder der Zueignungsabsicht) - straflose Sachentziehung ist dadurch gekennzeichnet, daß die Sache durch Veränderung ihres Aufenthaltsortes oder durch die Verhinderung des Zugangs zu ihr der Verfügungsgewalt des Berechtigten entzogen wird, davon abgesehen aber von ihm (oder anderen) bestimmungsgemäß genutzt werden könnte. Davon unterscheidet sich der hier zu beurteilende Sachverhalt grundlegend: Die Schiene befand sich während der gesamten Dauer der Blockade unverändert in der Verfügungsgewalt der Berechtigten. Die an der Sache vorgenommene Einwirkung (durch Anbringen eines Stahlkörpers mittels einer festen Verbindung) schloß aber ihre bestimmungsgemäße Verwendung aus. Sie läßt sich ohne weiteres - ohne Verletzung der Wortlautgrenzen und ohne Verstoß gegen die Systematik der Eigentumsdelikte - unter den Begriff der Beschädigung fassen.

b) Zu Recht hat das Landgericht den Angeklagten wegen (mit-)täterschaftlicher Begehung verurteilt. Mittäter ist gemäß § 25 Abs. 2 StGB, wer aufgrund gemeinschaftlichen Tatentschlusses seinen Beitrag als Teil der Tätigkeit des anderen und denjenigen des anderen als Ergänzung seines Tatanteils will (BGHSt 37, 289, 291; 40, 299, 301). Die Annahme von Mittäterschaft ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in wertender Betrachtung der festgestellten Tatsachen zu prüfen. Dafür sind der Grad des eigenen Interesses an der Tat, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille zu ihr maßgeblich (BGH NStZ 1982, 243; 1990, 130; BGHR StGB § 25 Abs. 2 Mittäter 26).

Die Annahme dieser Voraussetzungen wird von den Feststellungen getragen. Der Angeklagte B. leitete die Aktion vor Ort und rief die - an der Blockade eigenhändig beteiligten - "Aktivisten", mit denen er in ständigem Kontakt stand, bei Bedarf zu Entscheidungen zusammen. Gegenüber der Polizei trat er - im beiderseitigen Interesse - als Ansprechpartner auf. Damit ist zugleich das wechselseitige Einverständnis mit den "Aktivisten" ausreichend belegt (BGHR StGB § 25 Abs. 2 Mittäter 21). Der Einwand der Revision, die Feststellung, der Angeklagte habe die Aktion geleitet, beruhe "allein" auf seinem Beschäftigungsverhältnis mit Greenpeace, ist somit nicht berechtigt.

c) Ob der Angeklagte B. sich der Sachbeschädigung auch im Hinblick darauf schuldig gemacht hat, daß die Polizei zur Beendigung der Aktion einen Teil der Schiene (mit dem Stahlkasten) aus dem Gleis heraustrennen und ersetzen ließ, bedarf demnach keiner Entscheidung. Allerdings hätte der Senat keine Bedenken, auch insoweit eine Sachbeschädigung anzunehmen, wenn der Vorsatz des Angeklagten diese Entwicklung umfaßt hätte, was zwar nicht fernliegt, wozu es aber weiterer Feststellungen bedürfte.

2. Der Angeklagte B. hat sich ferner tateinheitlich einer versuchten Nötigung schuldig gemacht.

a) Nach seinem Tatentschluß sollte das Ausfahren eines Castortransports aus dem Gelände des Kernkraftwerks auf unbestimmte Zeit verhindert werden. Das Anbringen des Stahlkörpers auf den Schienen, das diesem Ziel diente, stellt sich als Ausübung von Gewalt im Sinne des § 240 StGB dar. Allerdings darf - wie das Bundesverfassungsgericht bezogen auf die strafrechtliche Bewertung von Sitzdemonstrationen entschieden hat - der Gewaltbegriff gemäß Art. 103 Abs. 2 GG nicht so weit ausgedehnt werden, daß auch Fälle erfaßt sind, in denen das Verhalten des Täters "lediglich in körperlicher Anwesenheit besteht und die Zwangswirkung auf den Genötigten nur psychischer Natur ist" (BVerfGE 92, 1, 18; vgl. dazu BGHSt 41, 231, 240 f.). Das trifft jedoch hier nicht zu:

Das Verhalten des Angeklagten und seiner Mittäter beschränkte sich nicht auf bloße Anwesenheit. Vielmehr haben sie einen Stahlkasten mit einer von außen nicht sichtbaren technischen Einrichtung auf der Schiene befestigt, wobei sie - dem bewußt herbeigeführten äußeren Anschein nach zudem angekettet - ein Auf- oder Abschneiden des Kastens verhinderten. Auch ging von dem Stahlkasten nicht nur eine psychische Zwangswirkung aus. Vielmehr wirkten die Täter auf die Entschlußfreiheit der Verantwortlichen der Preussen Elektra AG - jedenfalls auch - durch die Errichtung eines physischen Hindernisses ein, das, wie sie wußten, entweder nicht oder allenfalls unter Inkaufnahme erheblicher Schäden überwunden werden konnte (BGH NJW 1995, 3131, 3133; OLG Karlsruhe NJW 1996, 1551; Hoyer JuS 1996, 200, 202; Tröndle aaO § 240 Rdn. 5, 12; Lackner/Kühl StGB 22. Aufl. § 240 Rdn. 8). Die Verantwortlichen der Kraftwerksbetreiberin hätten infolge des physischen Hindernisses den Transport nicht ausführen lassen können, selbst wenn psychischer Zwang sie nicht beeindruckt hätte (BGHSt 41, 182, 184 ff.; BGH NJW 1995, 2862; BGH NStZ-RR 1997, 196, 197; Bay0bLG NStZ-RR 1996, 101, 102; OLG Düsseldorf NZV 1996, 458 mit Anm. Seier und Rohlfs; Herzberg GA 1997, 251, 272).

b) Entgegen der Auffassung der Revision hatte der Angeklagte zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar angesetzt (§ 22 StGB). Das Versuchsstadium erstreckt sich auf Handlungen des Täters, die nach seinem Tatplan in ungestörtem Fortgang unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung führen sollen oder die im unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit ihr stehen (st. Rspr., vgl. BGHSt 26, 201, 203; 37, 294, 296; 40, 257, 268; BGH NStZ 1996, 38).

Der Angeklagte hatte mit dem ihm zuzurechnenden Anbringen des Stahlkörpers auf der Schiene bereits das Tatbestandsmerkmal der Gewalt verwirklicht und zugleich alles getan, was nach seiner Vorstellung von der Tat zur Herbeiführung des Nötigungserfolges - und damit zur Tatvollendung - erforderlich war. Der beabsichtigte Nötigungserfolg wäre eingetreten, wenn die Verantwortlichen der Kraftwerksbetreiberin einen Castortransport wegen der Blockade unterlassen oder verschoben hätten. Nach dem zugrundeliegenden Tatplan war mit dem nächsten Transport "Anfang Mai" zu rechnen. Damit stand der Eintritt des Nötigungserfolges bereits bei Beginn der Aktion am 29. April 1996 zeitlich unmittelbar bevor. Demgegenüber ist unerheblich, daß sich der Angeklagte, der eine Blockade "auf unbestimmte Zeit" durchführen wollte, damit zugleich die alternative Möglichkeit vorgestellt hatte, zur Vollendung noch weiterhandeln zu müssen (Lackner aaO § 24 Rdn. 4). Eines neuen Willensimpulses bedurfte es nicht (BGH NStZ 1993, 398).

Unter den gegebenen Umständen bedarf es keiner Entscheidung, ob es beim beendeten Versuch in Fällen notwendiger Mitwirkung des Opfers darauf ankommt, daß nach dem Tatplan des Täters das Erscheinen des Opfers im Wirkungskreis des Tatmittels feststeht (so BGH, Urteil vom 12. August 1997 - 1 StR 234/97 - zum Abdruck in BGHSt 43, 177 bestimmt; a.A. Roxin JuS 1979, 1, 9 f.; Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, Allgem. Teil, 5. Aufl. 5 49 IV 5; Wessels, Strafrecht, Allgem. Teil, 25. Aufl. Rdn. 601; Rudolphi in SK StGB § 22 Rdn. 19).

c) Der Versuch der Nötigung war rechtswidrig.

aa) Zur Rechtfertigung seines Verhaltens kann sich der Angeklagte nicht auf das Recht der Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) berufen. Behinderungen und Zwangswirkungen werden grundsätzlich nur dann durch Art. 8 GG gerechtfertigt, wenn sie als sozialadäquate Nebenfolge mit rechtmäßigen Demonstrationen verbunden sind (BVerfGE 73, 206, 250). Bei einer zielbewußten Anwendung unmittelbaren Zwangs gegenüber einem bestimmten Rechtsgut eines Dritten ist dem Täter hingegen in der Regel die Berufung auf die Versammlungsfreiheit verwehrt (BVerfGE 73, 206, 250; 82, 236, 264; BGHSt 23, 46, 56 f.). Dieses Grundrecht ist - ebenso wie die in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Meinungsfreiheit - darauf angelegt, die (kollektive) Kundgabe von Standpunkten in dem der demokratischen Gesellschaft immanenten Kampf der Meinungen mit geistigen Mitteln zu gewährleisten. Das Recht der Versammlungsfreiheit deckt hingegen grundsätzlich nicht Maßnahmen, die nicht zur Überzeugung der Gegenseite im Meinungskampf, sondern dazu führen sollen, daß sich die andere Seite ohne Möglichkeit zu eigener Willensentscheidung einem auf sie ausgeübten Zwang beugt (BGHZ 59, 30, 35 f.; Lackner/Kühl aaO § 290 Rdn. 22).

So verhält es sich hier: Durch gezielte Ausübung von Gewalt wollten der Angeklagte und die weiteren an der Blockade Beteiligten der Preussen Elektra AG auf unbestimmte Zeit die Möglichkeit nehmen, rechtmäßige Castortransporte im Rahmen ihrer zulässigen Gewerbeausübung durchzuführen (vgl. auch BGH, Urteil vom 4. November 1997 - VI ZR 348/96 -, zum Abdruck in BGHZ bestimmt: Verhinderung des Einsatzes von Baumaschinen auf die Dauer von zwei Arbeitstagen).

bb) Das Verhalten des Angeklagten - die Gewaltausübung durch Anbringen des Stahlkastens - war, wie das Landgericht mit seinen allerdings knappen Ausführungen im Ergebnis zu Recht annimmt, im Hinblick auf den angestrebten Zweck im Sinne des § 240 Abs. 2 StGB verwerflich (vgl. BGHSt 17, 328, 331; 18, 389, 391; 19, 263, 268; 39, 133, 137). Das gilt auch unter Berücksichtigung der grundrechtssichernden Funktion der Verwerflichkeitsklausel (BVerfG NJW 1991, 971). Im Rahmen der erforderlichen Abwägung aller Umstände (BVerfGE 73, 206, 255 f., 260; BVerfG NJW 1991, 971 f.) ist neben den unter aa) aufgeführten Gesichtspunkten zu beachten, daß das angewandte Nötigungsmittel der Gewalt (BVerfGE 73, 206, 252 ff.; BGHSt 34, 71, 77 f.; Tröndle aaO § 240 Rdn. 24 b, 25) für sich bereits eine strafbare Handlung nach § 303 StGB darstellt. Ferner indiziert die mit der Blockade erstrebte Behinderung die Verwerflichkeit. Zwar ist dem Angeklagten nicht abzusprechen, sich ernsthaft um ein gewichtiges Anliegen der Allgemeinheit zu bemühen (vgl. zur Berücksichtigung von Fernzielen BVerfGE 73, 206, 257 ff.; Lackner/Kühl aaO § 240 Rdn. 28 a m.w.N.). Jedoch steht die hier zu beurteilende Beeinträchtigung fremder Willens- und Handlungsfreiheit nicht mehr in angemessener Relation zum Zweck der Aktion: Die Blockade war auf unbestimmte Zeit angelegt und wurde erst am zwölften Tag durch einen Polizeieinsatz beendet (vgl. BVerfGE 82, 236, 264; BayObLG NJW 1993, 212, 213; 213, 214; OLG Stuttgart NJW 1992, 2713; 2719; Eser in Schönke/Schröder aaO § 240 Rdn. 29).

3. Auch der Rechtsfolgenausspruch hält rechtlicher Nachprüfung stand.

Daraus, daß die Strafkammer den Tatbestand der Sachbeschädigung - abweichend von den Ausführungen zu III. 1. a) - nicht in der Funktionsbeeinträchtigung, sondern in dem Auswechseln des Schienenstücks gesehen hat, ergeben sich keine durchgreifenden Bedenken gegen den Strafausspruch. Der für die Strafzumessung maßgebliche Schuldumfang wird dadurch im Ergebnis nicht berührt. Das von der Strafkammer berücksichtigte Ausmaß des durch den Austausch des Gleisstücks verursachten Schadens durfte nämlich jedenfalls als verschuldete Auswirkung der Tat gemäß § 46 Abs. 2 StGB dem Angeklagten angelastet werden. Das Ersetzen des Schienenstücks ist geeignet, das Tatbild zu prägen und die Bewertung der Schuldschwere zu beeinflussen; zudem handelt es sich um eine Folge, die in den Schutzbereich der verletzten Norm - § 303 StGB schützt auch den Gebrauchswert (Lackner/Kühl aaO § 303 Rdn. 1) - fällt (BGH NStZ 1993, 337).

In diesem Zusammenhang braucht nicht entschieden zu werden, inwieweit eigenverantwortliches Verhalten des Opfers nach der Tat, das zu einer Schadensausweitung führt, zu Lasten des Täters berücksichtigt werden kann (vgl. Stree in Schönke/Schröder aaO § 46 Rdn. 24). Durch die technische Konstruktion des Stahlkastens und die Anwesenheit der - zumindest scheinbar angeketteten - "Aktivisten" machte es auch der Angeklagte der Gleiseigentümerin und der Polizei (vorwerfbar) unmöglich, das Hindernis auf einem anderen Wege zu beseitigen. Insbesondere schied die Anwendung von Gewalt gegen die "Aktivisten" oder der Einsatz von Schneidemaschinen und Schneidbrennern in bezug auf den Stahlkasten aus.

IV. Die Revision der Angeklagten G. deckt mit der Sachrüge weder zum Schuldspruch noch zum Rechtsfolgenausspruch einen Rechtsfehler zu ihrem Nachteil auf. Die - allerdings nicht unbedenkliche - Auffassung der Strafkammer, die Angeklagte habe sich nicht als Mittäterin, sondern (lediglich) als Gehilfin gemäß § 27 StGB schuldig gemacht, beschwert sie nicht.

Externe Fundstellen: BGHSt 44, 34; NJW 1998, 2149; NStZ 1998, 513; StV 1998, 372

Bearbeiter: Rocco Beck