Bearbeiter: Rocco Beck
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 729/94, Urteil v. 16.02.1995, HRRS-Datenbank, Rn. X
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 9. Juni 1994 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen "unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmittelimitaten und in vier Fällen wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge," zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt.
Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat keinen Erfolg.
Das - im übrigen im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO unbegründete - Rechtsmittel gibt nur insofern Anlaß zu näherer Erörterung, als der Beschwerdeführer die Verwertung der Erkenntnisse einer Telefonüberwachung beanstandet.
In einem Ermittlungsverfahren gegen den Gastwirt K. ordnete die Staatsanwaltschaft am 5. Oktober 1992 gemäß §§ 100a, 100b StPO die Überwachung und Aufzeichnung des Fernmeldeverkehrs für dessen Anschluß an. Mit Beschluß vom 9. Oktober 1992 bestätigte das Amtsgericht diese Maßnahme und verfügte zugleich ihre Aufrechterhaltung für die Dauer von drei Monaten.
In der Hauptverhandlung gegen den Beschwerdeführer hat die Strafkammer trotz ausdrücklichen Widerspruchs seines Verteidigers die ihn belastenden Ergebnisse der Telefonüberwachung in das Verfahren eingeführt. Ihre Überzeugung von der Beteiligung des Angeklagten an den angeklagten Taten hat sie auch auf diese Erkenntnisse gestützt.
Die Revision beanstandet diese Verfahrensweise. Sie ist der Auffassung, es bestehe ein Verwertungsverbot, da der Amtsrichter die Voraussetzungen für die Anordnung der Telefonüberwachung nicht hinreichend geprüft habe und diese tatsächlich nicht vorgelegen hätten. Es habe - wie in der Revisionsrechtfertigung näher dargelegt ist - an einem auf konkrete Tatsachen gestützten Verdacht einer Katalogtat gegen den Anschlußinhaber K. gefehlt; ferner habe die Maßnahme auch den Subsidiaritätsgrundsatz verletzt, wonach sie nur angeordnet werden darf, wenn die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthalts des Beschuldigten auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre.
Der Rüge muß der Erfolg versagt bleiben.
1. a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dürfen mit Blick auf die Grundsätze eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens die aus einer rechtswidrig angeordneten Telefonüberwachung gewonnenen Erkenntnisse nicht als Beweismittel verwendet werden (BGHSt 31, 304, 308, 309; 32, 68, 70). Das gilt insbesondere für Fälle, in denen es an einer wesentlichen sachlichen Voraussetzung für die Anordnung der Maßnahme nach § 100a StPO gefehlt hat. Dementsprechend hat es etwa die Unverwertbarkeit zur Folge, wenn der Verdacht einer Katalogtat von vornherein nicht bestanden hat (BGHSt 31, 304, 309; ebenso Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 41. Aufl. § 100a Rdn. 21; Rudolphi SK/StPO § 100a Rdn. 26; Alsberg/Nüse/Meyer, Der Beweisantrag im Strafprozeß, 5. Aufl. S. 523; Schlüchter, Das Strafverfahren, 2. Aufl. Rdn. 351). Nicht anders ist es zu beurteilen, wenn die Anordnung unter Mißachtung des Subsidiaritätsgrundsatzes ergangen ist (Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO; Alsberg/Nüse/Meyer aaO).
b) Noch nicht abschließend geklärt ist in der Rechtsprechung bislang, wie weit sich die Nachprüfung durch den Revisionsrichter zu erstrecken hat, wenn mit dem Rechtsmittel beanstandet wird, die Voraussetzungen für eine Anordnung nach § 100a StPO hätten nicht vorgelegen. Insofern neigt der 3. Strafsenat zu der Auffassung, "daß die Maßnahme grundsätzlich nicht auf den zur Zeit ihrer Anordnung vorliegenden Grad des Verdachts einer Katalogtat geprüft werden könne, der Revisionsrichter aber erkennbare Willkür zu beachten habe" (BGHSt 28, 122, 124; so auch Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO § 100a Rdn. 24; Schäfer aaO § 100a Rdn. 50; im Ergebnis ebenso Nack in KK/StPO 3. Aufl. § 100a Rdn. 17). Dagegen haben der 1. und der 2. Strafsenat erwogen (wenn auch letztlich offengelassen), ob nicht der Umstand, daß der gemäß § 100a StPO ergehende Beschluß der an sich zulässigen Beschwerde faktisch entzogen ist (§§ 33 Abs. 4, 101 Abs. 1 StPO; vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner § 100b Rdn. 10), zu einer weitergehenden Prüfung des Revisionsgerichts führen müsse (BGHSt 33, 217, 222, 223; BGHR StPO § 100a Verwertungsverbot 4).
c) Nach Auffassung des Senats ist die Frage nach dem Prüfungsumfang zu eng gestellt, wenn sie nur für das Revisionsgericht aufgeworfen wird. Dürfen - wie dargestellt - die Ergebnisse einer wegen Fehlens wesentlicher sachlicher Voraussetzungen rechtswidrigen Telefonüberwachung nicht verwertet werden, so bedarf es zunächst der Klärung, wie weit die Verpflichtung des Tatrichters reicht, die Entscheidung des Ermittlungsrichters (§ 100b Abs. 1 Satz 1 StPO) oder der Staatsanwaltschaft (§ 100b Abs. 1 Satz 2 StPO) auf ihre Rechtmäßigkeit zu prüfen. Das Revisionsgericht hat - auf eine zulässige Verfahrensrüge hin - zu untersuchen, ob der Tatrichter durch die Verwertung der Aufzeichnungen das Verfahrensrecht verletzt hat. Damit folgt die Verpflichtung des Revisionsgerichts zur Nachprüfung der Anordnungsvoraussetzungen in ihrer Reichweite der des Tatrichters. Engere Grenzen sind ihr nur durch § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO gesetzt. Davon abgesehen bleibt sie hinter jener aber nicht zurück.
d) Was den mithin für Tatrichter und Revisionsgericht gleichen Umfang der Nachprüfung anbelangt, sind keine Gründe dafür ersichtlich, daß diese anders als bei anderen Verwertungsverboten - etwa dem aus § 136a StPO - grundsätzlich nur in beschränktem Umfang stattfinden könne. Im Gegenteil: Das Gewicht des mit der Telefonüberwachung verbundenen Eingriffs, der auch die Grundrechte unbeteiligter Dritter berührt, sowie der Umstand, daß eine Beschwerde gegen die Anordnung der Maßnahme faktisch nicht möglich ist, sprechen bei gegebenem Anlaß für eine möglichst gründliche und umfassende Überprüfung der Anordnung gemäß § 100a StPO.
Das gilt im Grundsatz auch für die Voraussetzung des sich aus bestimmten Tatsachen ergebenden Tatverdachts sowie die der Aussichtslosigkeit oder Schwierigkeit anderer Ermittlungen.
Insofern läßt sich eine Beschränkung des Prüfungsumfangs nicht damit begründen, daß sich zum Zeitpunkt der Entscheidung des Tatrichters (und erst recht des Revisionsrichters) die Situation im Ermittlungsverfahren, die zur Anordnung der Maßnahme führte, kaum verläßlich rekonstruieren lasse (vgl. Schäfer aaO § 100a Rdn. 41, 50). Die - sich aus den Ermittlungsakten ergebenden - Untersuchungen und Verhandlungen der Polizei und der Staatsanwaltschaft, die Grundlage für die Anordnung der Telefonüberwachung durch den Ermittlungsrichter waren, stehen auch dem Tatrichter und - bei ordnungsgemäßer Verfahrensrüge - ebenso dem Revisionsrichter zur Verfügung.
Eine Herabsetzung der Prüfungsanforderungen läßt sich auch nicht damit begründen, daß von einem mangelnden Verdacht nicht gesprochen werden könne, weil in den interessierenden Fällen die Begründetheit eines Verdachts gerade durch das Ergebnis der Überwachung bestätigt werde (vgl. Schumacher, Die Überwachung des Fernmeldeverkehrs im Strafverfahren, Diss. Hamburg 1976, S. 292). Ob ein Verdacht begründet war, ist bezogen auf den Zeitpunkt der Anordnung der Telefonüberwachung und auf der Grundlage des damaligen Ermittlungsstandes zu prüfen. Spätere Erkenntnisse, insbesondere solche aus der Telefonüberwachung, haben außer Betracht zu bleiben.
Zu berücksichtigen ist aber, daß das Gesetz, soweit es einen auf bestimmte Tatsachen gegründeten Verdacht voraussetzt und zusätzlich verlangt, daß "die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsorts des Beschuldigten auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre", dem zur Entscheidung berufenen Ermittlungsrichter oder Staatsanwalt einen Beurteilungsspielraum einräumt. Es versteht sich von selbst, daß gerade im vorbereitenden Verfahren, abhängig unter anderem von der kriminalistischen Erfahrung des zur Entscheidung Berufenen, unterschiedlich beurteilt werden kann, ob bestimmte Tatsachen einen Verdacht begründen (vgl. BVerfG MDR 1984, 284) und ob dieser - wie erforderlich ist, auch wenn das Gesetz keinen bestimmten Verdachtsgrad verlangt - mehr als nur unerheblich ist (Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO § 100a Rdn. 6; Rudolphi in Festschrift für Schaffstein, 1975, S. 433, 436). Für die Prüfung, ob die Subsidiaritätsklausel der Anordnung der Maßnahme entgegensteht, gilt nichts anderes. Das ergibt sich auch daraus, daß der Gesetzgeber die Subsidiaritätsklausel in den §§ 98a, 100a, 100c, 110a StPO unterschiedlich gefaßt hat, indem er teils genügen läßt, daß die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise weniger erfolgversprechend oder erschwert wäre (§ 100c Abs. 1 Nr. 1b StPO), teils verlangt, daß diese erheblich weniger erfolgversprechend oder wesentlich erschwert wäre (§ 98a, Abs. 1 Satz 2, § 100c Abs. 2 Satz 2 StPO), teils fordert, daß sie aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre (§ 100a Satz 1, § 100c Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 3; § 110a Abs. 1 Satz 3 StPO). Danach stellt sich das gesetzliche System der Subsidiaritätsklauseln als derart fein abgestimmt dar, daß die Übergänge notwendigerweise fließend und eindeutige - von den subjektiven Einschätzungen und Wertungen des zur Entscheidung Berufenen unabhängige - Grenzziehungen nicht möglich sind.
e) Daraus folgt für die Prüfung eines etwaigen Verwertungsverbotes durch den Tatrichter und das Revisionsgericht: Die Anordnung der Telefonüberwachung ist zwar, auch soweit es die Voraussetzungen des Tatverdachts und des Fehlens anderer Ermittlungsmöglichkeiten betrifft, nicht jeder Nachprüfung entzogen. Die Nachprüfung ist aber beschränkt. Es kommt nicht darauf an, wie Tatrichter und Revisionsrichter auf der Grundlage des im Zeitpunkt der Anordnung gegebenen Ermittlungsstandes den Tatverdacht und die Möglichkeiten anderweitiger Erforschung des Sachverhalts beurteilen würden. Als rechtswidrig (mit der Folge eines Verwertungsverbots) stellt sich die von dem Ermittlungsrichter oder dem Staatsanwalt angeordnete Telefonüberwachung nur dann dar, wenn deren Entscheidung - was im Ergebnis auf eine Kontrolle nach dem Maßstab (objektiver) Willkür oder grober Fehlbeurteilung hinauslaufen mag - nicht mehr vertretbar ist. Anderenfalls ist im Verfahren vor dem Tatrichter wie auch im Revisionsverfahren von der Rechtmäßigkeit der getroffenen Maßnahme und damit von der Verwertbarkeit der gewonnenen Erkenntnisse auszugehen.
2. Im Hinblick auf diesen Prüfungsmaßstab erweist sich die Verfahrensrüge des Angeklagten als (zulässig, aber) unbegründet, soweit der Beschwerdeführer beanstandet, der Ermittlungsrichter habe verkannt, daß die Anordnung der Telefonüberwachung einen auf konkrete Tatsachen gestützten, nicht nur unerheblichen Verdacht voraussetzt und nur nach Maßgabe des Subsidiaritätsgrundsatzes zulässig ist. Die - allerdings sehr knappe - Begründung des Anordnungsbeschlusses vom 9. Oktober 1992 läßt in Verbindung mit den Gründen der von ihm bestätigten staatsanwaltschaftlichen Anordnung vom 5. Oktober 1992 noch hinreichend deutlich erkennen, daß der Amtsrichter diese Anordnungsvoraussetzungen geprüft und an ihr Vorliegen nicht unvertretbar geringe Anforderungen gestellt hat: Danach war der Gastwirt K., gegen den sich die Telefonüberwachung richtete, "aufgrund der Angaben einer Person, der von der Staatsanwaltschaft Vertraulichkeit zugesichert wurde, ... dringend verdächtig, gewerbsmäßig mit Heroin und Kokain im Kilogrammbereich Handel zu treiben". Weiter heißt es, daß, nachdem alle anderen Maßnahmen zur Aufklärung des Sachverhalts, selbst der Einsatz der V-Person erfolglos geblieben waren, "andere Ermittlungsmaßnahmen keinen Erfolg" versprachen; nach der jedenfalls vertretbaren Einschätzung des Ermittlungsrichters war, wie § 100a StPO es voraussetzt, eine Aufklärung auf andere Weise also aussichtslos und nicht nur weniger oder erheblich weniger erfolgversprechend.
3. Soweit der Beschwerdeführer ein Verwertungsverbot damit begründet, daß die Angaben der V-Person, aus denen sich Anhaltspunkte für Straftaten des Zeugen K. ergaben, bei der Entscheidung über die Telefonüberwachung nicht hätten berücksichtigt werden dürfen, weil der gezielte Einsatz der V-Person seinerseits rechtswidrig gewesen sei, ist seine Rüge unzulässig. Wie sich aus dem - von der Revision mitgeteilten - in der Hauptverhandlung angebrachten Widerspruch des Verteidigers gegen die Verwertung der Ergebnisse der Telefonüberwachung ergibt, lag der Maßnahme ein Vermerk der Kriminalpolizei vom 5. Oktober 1992 zugrunde. Zum Inhalt dieses Vermerks heißt es in der Widerspruchsschrift (vom 3. Januar 1994, Blatt 3) wörtlich: "Dem Vermerk der Kripo vom 5.10.1992 ist zu entnehmen, daß mit dem Zeugen K. und in dessen Bistro ein Scheingeschäft werde abgewickelt werden können. Bisher seien alle anderen Maßnahmen zur Aufklärung des Sachverhalts, selbst der Einsatz einer VP, negativ verlaufen". Den genauen Inhalt des Vermerks der Kriminalpolizei teilt die Revision nicht mit. Dessen (wie auch der Mitteilung des genauen Inhalts der dem Vermerk zugrunde liegenden Quellenvernehmungen) hätte es aber bedurft, um dem Senat die Überprüfung des von der Revision - mit dieser Begründung der Rüge - behaupteten Sachverhalts zu ermöglichen.
4. Aus denselben Gründen ist die Rüge der Verwertung der Erkenntnisse aus der Telefonüberwachung auch insoweit unzulässig, als der Beschwerdeführer geltend macht, die Maßnahme habe gegen den Subsidiaritätsgrundsatz verstoßen, weil der Gastwirt K. statt durch Überwachung seines Telefonanschlusses durch den Einsatz eines Verdeckten Ermittlers und die Abwicklung eines Scheingeschäftes hätte überführt werden können. Mangels zulässiger Rüge bedarf es hier nicht der Entscheidung, in welchem Verhältnis die in den §§ 100a, 110a StPO geregelten Maßnahmen mit Blick auf den für sie jeweils geltenden Subsidiaritätsgrundsatz zueinander stehen. Insofern läge es aber eher fern, den Einsatz eines Verdeckten Ermittlers - entsprechend der Auffassung der Revision - als eine gegenüber der Telefonüberwachung grundsätzlich mildere und deswegen stets vorgreifliche Maßnahme anzusehen.
Externe Fundstellen: BGHSt 41, 30; NJW 1995, 1974; NStZ 1995, 510; StV 1995, 226
Bearbeiter: Rocco Beck