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Bearbeiter: Rocco Beck

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 648/93, Urteil v. 16.11.1993, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 4 StR 648/93 - Urteil vom 16. November 1993 (LG Magdeburg)

BGHSt 39, 392; Girovertrag mit einem Kreditinstitut; Betrug durch unterlassene Aufklärung über eine Fehlbuchung bei erfolgter Abbuchung des zuviel überwiesenen Betrags.

§ 263 StGB

Leitsatz

Zum Betrug durch Unterlassen der Aufklärung gegenüber der überweisenden Bank, wenn ein Bankkunde - Kontoinhaber - den versehentlich zuviel überwiesenen Betrag abhebt. (BGHSt)

Entscheidungstenor

1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 10. Mai 1993 wird verworfen.

2. Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten u.a. von dem Vorwurf, eine von ihm erkannte "Fehlbuchung" seiner Bank durch betrügerische Abhebung von 500.000 DM ausgenutzt zu haben, aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf diesen Vorwurf beschränkten Revision. Sie beanstandet das Verfahren und rügt die Verletzung sachlichen Rechts.

Das in zulässiger Weise beschränkte Rechtsmittel, das vom Generalbundesanwalt hinsichtlich der Sachrüge vertreten wird, bleibt ohne Erfolg.

I.

Die Verfahrensbeschwerden sind unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

II.

Auch die Sachrüge greift nicht durch.

1. Das Landgericht hat folgendes festgestellt: Die Firma H. M. GmbH M., deren Geschäftsführer der Angeklagte war, unterhielt seit dem 13. Juni 1990 ein Konto bei der D. K.-Bank AG, Hauptfiliale M. (Kreditbank). Das Konto wurde infolge der Währungsunion zum 1. Juli 1990 auf Deutsche Mark umgestellt. In Kundengesprächen wurde dem Angeklagten von dem damaligen Leiter Zahlungsverkehr dieser Bank empfohlen, das bestehende Konto aufzulösen und das Guthaben auf ein Konto bei einer anderen Bank zu überweisen, weil die Banktätigkeit der Kreditbank auslaufe. Der Angeklagte entschloß sich daher, ein neues Konto, und zwar bei der D. Bank, zu eröffnen. Er unterschrieb die hierfür erforderlichen Unterlagen an einem nicht zur Kreditbank gehörenden anderen Schalter in einem anderen Teil des Gebäudes ohne Beteiligung des genannten Bankangestellten. Zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt vor dem 11. Juli 1990 füllte der Angeklagte einen Überweisungsauftrag unter dem Datum vom 7. Juli 1990 auf einem Formular der D. Bank, das ihm von Mitarbeitern der Kreditbank übergeben worden war und das den Stempel "D. K.-Bank AG" trug, aus. Der Angeklagte beabsichtigte, das gesamte Guthaben des Kontos auf das neu eröffnete Konto bei der D. Bank zu überweisen. Zu diesem Zeitpunkt stand jedoch wegen verbleibender Zinsdifferenzen die genaue Guthabenhöhe noch nicht fest. Deshalb setzte der Angeklagte auf dem Überweisungsauftrag den zu überweisenden Betrag nicht ein. Dieser sollte vielmehr von der kontoführenden Bankangestellten der Kreditbank eingetragen werden, sobald die Ausführung des vorab erteilten Überweisungsantrages möglich wurde. Die Bankangestellte bewahrte das Formular bis zum 11. Juli 1990 auf. Am Nachmittag des 10. Juli 1990 benötigte der Angeklagte 500.000 DM Bargeld. Er begab sich deshalb - außerhalb der üblichen Schalteröffnungszeiten - zur Kreditbank und bat den zuständigen Bankangestellten um die sofortige Auszahlung des benötigten Betrages. Nach Prüfung des Kontostandes, der mehr als 500.000 DM aufwies, und nach Gegenzeichnung durch die Leiterin der Abteilung Kontenführung veranlaßte er die Auszahlung; Barabhebungen in dieser Größenordnung waren zu jener Zeit in den neuen Bundesländern nichts Ungewöhnliches.

Die Abhebung des Geldbetrages wurde jedoch in der Saldenliste, die der Kontrolle des Geldverkehrs bis zur Buchung diente, versehentlich nicht vermerkt. Am 11. Juli 1990 führte die kontenführende Bankangestellte den Überweisungsauftrag des Angeklagten aus. Sie prüfte den Kontenstand, wobei sich ein Guthaben von 550.012,50 DM ergab; die Abhebung der 500.000 DM war noch nicht gebucht worden. Auch in der Saldenliste befand sich kein entsprechender Vermerk. Deshalb ging die Kontoführerin irrtümlich von einem um 500.000 DM zu hohen Guthaben zugunsten der H. M. GmbH aus. Sie setzte deshalb den Betrag von 550.012,50 DM auf dem Überweisungsträger ein und gab diesen zwecks Durchführung der Überweisung in den Geschäftsgang. Der Angeklagte ging davon aus, daß lediglich der Restbetrag von 50.012,50 DM überwiesen werde. Der Überweisungsauftrag wurde mit Wertstellung zum 13. Juli 1990 ausgeführt, und die Gutschrift am 17. Juli 1990 auf dem Konto der GmbH bei der D. Bank gebucht. Die Überweisung und die Barabhebung wurden auf dem Konto der Kreditbank einige Tage später ordnungsgemäß verbucht. Infolge der hohen Arbeitsbelastung und der vielen im Soll geführten Konten fiel keinem der Mitarbeiter dieser Bank auf, daß die GmbH zu einer Überziehung in Höhe von 500.000 DM nicht berechtigt war. Das versehentlich zuviel überwiesene Geld wurde deshalb nicht zurückgefordert.

Der Angeklagte verfügte als Geschäftsführer der GmbH über das Guthaben durch zwei Barabhebungen vom 19. Juli 1990 über 250.000 DM und vom 23. Juli 1990 über 210.000 DM sowie durch vier am 19. Juli 1990 begebene Schecks über Beträge von 22.850 DM, 23.850 DM, 24.850 DM und 33.850 DM. Erst im November 1990 fiel der Sollsaldo bei einer Revision der Konten der Kreditbank auf. Der Angeklagte wurde Ende Januar 1991 als Geschäftsführer der GmbH abberufen. Über das Vermögen der Firma ist am 4. Juli 1991 das Gesamtvollstreckungsverfahren eröffnet worden.

Nach Auffassung der Strafkammer ist die Einlassung des Angeklagten, er sei in bezug auf die Überweisung nicht von einer bloßen internen Fehlbuchung, sondern von einer Überweisung zwischen zwei verschiedenen Banken ausgegangen, nicht zu widerlegen; er habe dementsprechend damit gerechnet, daß das Guthaben "rechtlich bestanden" habe. Auf die Frage, ob der Angeklagte bei der Verfügung über das Guthaben wußte, daß der GmbH 500.000 DM zuviel überwiesen worden waren, kommt es nach Auffassung der Strafkammer nicht an. Eine Tatbegehung durch Unterlassen liege nicht vor, da den Angeklagten gegenüber der Kreditbank keine Aufklärungspflicht treffe.

2. Auf die im Juli 1990 - und zwar nach dem 9. Juli 1990 - begangene Tat ist nach Art. 315 Abs. 1 Satz 1 EGStGB (i.d.F. von Anlage I Kapitel III Sachgebiet C Abschnitt II Maßgabe 1 b des Einigungsvertrages - BGBl 1990 II 889, 954) die Regelung des § 2 StGB anzuwenden. Nach dessen Absatz 1 kommt das StGB-DDR in der zur Tatzeit geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 14. Dezember 1988 (GBl I 1989, 33), geändert durch das 6. Strafrechtsänderungsgesetz vom 29. Juni 1990 (GBl I 526), zur Anwendung. Danach entspricht der umgestaltete Betrugstatbestand des § 159 StGB-DDR der Fassung des § 263 Abs. 1 StGB mit dem Unterschied, daß als Sanktion lediglich Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren, Verurteilung auf Bewährung oder Geldstrafe angedroht werden. Da Betrug nach beiden Strafgesetzen unter Strafdrohung steht, kommt nach § 2 Abs. 3 StGB das mildere Gesetz zur Anwendung. Dieses ist jeweils die Regelung, die nach den besonderen Umständen des Einzelfalles die dem Täter günstigste Beurteilung zuläßt (BGHSt 20, 22, 29 f; Gribbohm in LK StGB 11. Aufl. § 2 Rdn. 20 m.w.N.). Das ist hier § 159 StGB-DDR n.F.

3. Ein Betrug zum Nachteil der D. Bank scheidet aus. Soweit das Landgericht davon ausgeht, daß durch die Überweisung - einschließlich der Zuvielüberweisung von 500.000 DM - seitens der Kreditbank auf dem Konto der GmbH bei der D. Bank ein entsprechendes Guthaben entstanden ist, über das der Angeklagte durch Abhebung berechtigterweise verfügen durfte, befindet es sich im Einklang mit der Rechtsprechung zu den Fällen der "Fehlüberweisung".

a) Nach den Feststellungen handelt es sich hier nicht um eine bloße interne Fehlbuchung einer Bank, sondern um eine Fehlüberweisung von Bank zu Bank. Dem Angeklagten war seitens der Kreditbank angeraten worden, sich ein Konto bei einer anderen Bank zu suchen mit dem Hinweis darauf, daß die Geschäftstätigkeit der Kreditbank auslaufe. Dementsprechend eröffnete der Angeklagte das Konto bei der D. Bank. Dies geschah zwar in demselben Gebäude, aber an einem nicht zur Kreditbank gehörenden Schalter. Die Überweisung wurde auf einem Formular der D. Bank vorgenommen. Dieses trug indessen den Stempel der Kreditbank (UA 5); als Empfängerbank wurde die "D. Bank" eingetragen. Selbst wenn infolge der Umstrukturierung im Zusammenhang mit der Währungsunion eine gewisse Zusammenarbeit der beiden Kreditinstitute erfolgt sein sollte, handelte es sich doch - jedenfalls zur Tatzeit - um zwei verschiedene Rechtssubjekte. Hierfür spricht auch die im Gebäude "strikt eingehaltene organisatorische Trennung" (UA 9) beider Institute und die Feststellung, daß die Kreditbank im Dezember 1990 mit der D. Bank AG verschmolzen wurde (aaO). Schließlich ist der überwiesene Betrag der GmbH - wie in anderen Überweisungsfällen auch - gutgebracht worden. Aus den Feststellungen ergibt sich nichts darüber, daß dieser Geldzufluß später seitens der Kreditbank beanstandet worden wäre. Das spricht dafür, daß der Betrag der D. Bank tatsächlich zugeflossen ist.

b) Der von dem Angeklagten vertretenen GmbH stand infolge von Überweisung und Gutschrift gegenüber der kontoführenden D. Bank ein Anspruch auf Auszahlung des Guthabens zu. Im Girovertrag, der als Geschäftsbesorgungsvertrag nach § 675 BGB einzuordnen ist, verspricht die Bank, alle bei ihr für den Kunden eingehenden Einzahlungen und Überweisungen seinem Konto gutzubringen (Anspruch auf Gutschrift), und erkennt an, die dem Konto gutgeschriebenen Beträge abstrakt zu schulden (Anspruch aus der Gutschrift). Der Überweisungsempfänger erlangt mit Vornahme der Gutschrift einen Rechtsanspruch auf Auszahlung gegen die Bank (BGHZ 87, 246, 252), den der Überweisende nicht mehr zu Fall bringen kann (vgl. Kühl JA 1979, 682, 683; Möschel JuS 1972, 297, 298). Die Tatsache, daß die Überweisung in ihrer Höhe irrtümlich erfolgte, führt zwar gegebenenfalls zu einem Anfechtungsrecht und Bereicherungsansprüchen gegen den Empfänger; die Wirksamkeit der Gutschrift im Verhältnis zwischen kontoführender Bank und Kontoinhaber bleibt hiervon jedoch unberührt (Möschel aaO S. 299). Hebt der Kontoinhaber den überwiesenen Betrag ab, fordert er im Verhältnis zur Bank demnach keine nichtgeschuldete Leistung; er macht vielmehr einen ihm zustehenden Anspruch geltend (OLG Stuttgart JR 1979, 471 mit ausführlicher Anmerkung B. Müller aaO S. 472 sowie Anm. Joecks JA 1979, 390). Der Bundesgerichtshof (Urteil vom 21. Februar 1974 - 4 StR 35/74 = MDR 1975, 22 bei Dallinger) hat in einem vergleichbaren Falle, in dem der Angeklagte einen ihm von einem Dritten versehentlich überwiesenen Betrag von 885,75 DM in Kenntnis dessen abgehoben und für sich verbraucht hatte, eine Strafbarkeit wegen Unterschlagung verneint und gleichzeitig hinzugefügt, die Tat sei auch unter keinem anderen Gesichtspunkt strafbar, insbesondere nicht als Untreue nach § 266 StGB; der Betrugstatbestand wird in dieser Entscheidung nicht erwähnt.

c) Eine Stornierung dieser Gutschrift aufgrund der Allgemeinen Geschäftsbedingungen für Banken ist nicht erfolgt. Sie wäre, da von Stornierungen immer nur Gutschriften erfaßt werden können (Möschel aaO S. 304), nur zwischen der D. Bank als Empfängerbank und der GmbH als Kontoinhaberin möglich gewesen. Da die von der D. Bank vorgenommene Gutschrift mit der Überweisung übereinstimmte, war auch für eine Stornierung kein Raum (Möschel aaO).

d) Die Tatsache, daß die vom Angeklagten vertretene GmbH sowohl Überweisender als auch Überweisungsempfänger gewesen ist, ändert an der rechtlichen Beurteilung nichts. Zwar wird in der bankrechtlichen Literatur (vgl. Canaris Bankvertragsrecht 3. Aufl. 1. Teil Rdn. 426) die Auffassung vertreten, daß - mangels eines Verkehrsgeschäftes - die materiellrechtlichen Wirkungen einer Kontogutschrift bei einer Eigenüberweisung nicht eintreten. Dies gilt aber allenfalls, wie auch das von Canaris gewählte Beispiel zeigt, wenn der Überweisende von seinem Konto auf ein anderes ihm zustehendes Konto bei derselben Bank überweist. Das ist hier nicht der Fall. Für die Empfängerbank stellte sich die Überweisung wie eine Drittüberweisung dar; der Umstand, daß der Überweisungsempfänger mit dem Überweisenden identisch war, hatte bei dieser Sachlage keine Bedeutung. Darüber, daß die Kreditbank die Überweisung der D. Bank gegenüber beanstandet hätte, ist den Feststellungen - wie bereits ausgeführt - nichts zu entnehmen. Aus dem Girovertrag bestand für die D. Bank die gleiche Verpflichtung wie bei einer Fremdüberweisung, nämlich für den Kunden eingehende Beträge diesem gutzubringen. Die Einforderung dieses Guthabens von der D. Bank seitens des Angeklagten für die GmbH kann danach eine tatbestandsmäßige Betrugshandlung nicht darstellen.

4. Auch ein Betrug zum Nachteil der Kreditbank liegt nicht vor. Eine Täuschungshandlung durch ausdrückliche Erklärung oder schlüssiges Verhalten ist nicht ersichtlich. Aber auch ein durch Unterlassen begangener Betrug scheidet aus.

Ein betrügerisches Verhalten des Angeklagten könnte darin liegen, daß er es nach Kenntniserlangung von der Zuvielüberweisung entgegen einer ihn treffenden Rechtspflicht unterlassen hätte, die Kreditbank über ihren Fehler aufzuklären, um die GmbH im Besitz des Geldes zu belassen, und dieses Unterlassen bei der Kreditbank zu einem Schaden geführt hätte. Eine solche Erfolgsabwendungspflicht traf ihn jedoch aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt.

Auszugehen ist hierbei von dem Grundsatz, daß es in den Risikobereich des Leistenden gehört, daß die Schuld besteht und die Leistung den Anspruch nicht übersteigt (RGSt 25, 95, 96; OLG Köln JZ 1988, 101 m. Anm. Joerden; Lackner in LK StGB 10. Aufl. § 263 Rdn. 48 m.w.N.; Maaß, Betrug verübt durch Schweigen <1982> S. 41 f., 108). Das bloße Schweigen nach Entgegennahme einer Zuvielleistung stellt in aller Regel als reine Ausnutzung eines bereits vorhandenen Irrtums keine strafbare Handlung dar (vgl. BGHR StGB § 263 I Irrtum 6; OLG Karlsruhe Justiz 1978, 173; OLG Köln NJW 1961, 1735 = JR 1961, 433 m. Anm. Schröder). Strafbar wird ein solches Verhalten - unter Beachtung des § 13 StGB - nur, wenn im Einzelfall eine Garantenpflicht den Betreffenden zur Offenbarung zwingt (OLG Karlsruhe aaO, Schröder JR 1961, 434; Lackner aaO; Ranft Jura 1992, 66, 67), wobei nicht jedes Unterlassen einer Aufklärung strafrechtliche Konsequenzen auslöst (Maaß aaO S. 21 f.). Das "Aufklärungsrisiko" kann nach der Sozialüblichkeit des Geschäftsverkehrs auch beim irrenden Opfer liegen (Ranft aaO). Erforderlich ist, daß der Unterlassende aufgrund einer besonders begründeten Einstandspflicht gerade für die vermögensrechtliche Entscheidungsfreiheit des anderen "auf Posten gestellt" ist (Ranft aaO).

a) Eine gesetzliche Pflicht, wonach der Bankkunde "rechtlich dafür einzustehen hat, daß der Erfolg nicht eintritt" (§ 13 Abs. 1 StGB), ist nicht ersichtlich. Aus den von der Revision herangezogenen, teilweise auf überholten Rechtsansichten (§ 44: "Grundsätze der sozialistischen Moral") fußenden Bestimmungen des ZGB-DDR können sie nicht hergeleitet werden. Nach dem Eintritt der Währungsunion haben diese ihre innere Rechtfertigung verloren. Eine vor dem Beitritt begründete Strafbarkeit ist stets darauf hin zu prüfen, ob und inwieweit sie nach den Regeln des § 2 StGB vor dem neuen Recht Bestand hat (Lackner StGB 20. Aufl. § 2 Rdn. 13).

b) Vertragliche Pflichten aus gegenseitigen Rechtsgeschäften reichen nicht ohne weiteres zur Begründung einer Garantenpflicht aus (Ranft Jura 1992, 66, 67 m.w.N.; a.A. Maurach/Schroeder/Maiwald, Strafrecht, Besonderer Teil, Teilband 1, 7. Aufl. § 41 Rdn. 51 ff.). So begründet die Unterhaltung eines Girokontos in aller Regel noch keine über das bloße Vertragsverhältnis hinausgehende Vertrauensbeziehung gegenüber der Bank (OLG Köln NJW 1961, 1735, 1736 m. Anm. Schröder JR 1961, 434 f.; LG Bremen JZ 1967, 370, 371; Joecks JA 1979, 390, 391).

Im Rahmen der Privatautonomie kann zwar durch ausdrückliche Vereinbarung eine Vertragsbeziehung so ausgestaltet werden, daß - über das allgemeine Vertragsverhältnis hinaus - ein besonderes Vertrauensverhältnis mit Garantenstellung des Vertragspartners geschaffen wird, das dann auch strafrechtlich relevant wird (Maaß aaO S. 94). Während in einem gewöhnlichen Leistungsaustauschverhältnis, wozu auch ein normales Kontokorrentverhältnis im Rahmen eines Girovertrages zählt (Maaß aaO S. 125, 127), der Leistungsempfänger dem Leistenden eine Zuvielzahlung nicht anzuzeigen braucht (vgl. RGSt 25, 95, 96; Lackner in LK StGB 10. Aufl. § 263 Rdn. 48), kann dies anders zu beurteilen sein, wenn etwa im Rahmen einer langjährigen Geschäftspartnerschaft eine auf gegenseitigem Vertrauen basierende kontokorrentartige Geschäftsabwicklung vereinbart ist, wonach zu bestimmten Terminen - auch im Interesse der Gegenseite - eine Überprüfung anhand einer Abrechnung zu erfolgen hat, wobei dann Schweigen als Anerkennung gilt (Herzberg, Die Unterlassung im Strafrecht und das Garantenprinzip <1972> S. 81; Maaß aaO; vgl. für den gegenseitigen Austausch von Waren und Leistungen im Rahmen einer laufenden Geschäftsverbindung BGH wistra 1988, 262, 263). Aber nur dann, wenn auch eine Überprüfung zugunsten der Gegenseite verabredet worden ist, kann ausnahmsweise eine - auch strafrechtlich zu beachtende - Aufklärungspflicht anerkannt werden (Maaß S. 127).

Es kann dahinstehen, ob diese Grundsätze, die für Rechtsbeziehungen zwischen gleichgeordneten Geschäftspartnern entwickelt worden sind, auch im Verhältnis vom Kunden zu seiner Bank Anwendung finden. Jedenfalls ist dem Urteil nicht zu entnehmen, daß im vorliegenden Falle aufgrund der zwischen dem Angeklagten und der von ihm vertretenen GmbH einerseits und der Kreditbank mit ihren Angestellten andererseits bestehenden Vertragsbeziehung seinerzeit ein solches besonderes Vertrauensverhältnis entstanden war und fortwirkte, das auch die Wahrung der Vermögensinteressen der Gegenseite umfaßte. In den Feststellungen klingt zwar an, daß dem Angeklagten bei der Kreditbank gewisse Sondervergünstigungen eingeräumt waren, so daß er beispielsweise außerhalb der Geschäftszeiten große Geldsummen abheben durfte. Auch die Tatsache, daß der Überweisungsbetrag im Überweisungsträger offen bleiben konnte und dessen Eintragung den Bankangestellten überlassen blieb, spricht für ein gewisses gegenseitiges Vertrauen. Diese Umstände belegen aber noch nicht die Begründung eines Vertrauensverhältnisses im dargelegten Sinne, zumal da die Geschäftsverbindung nach den Feststellungen erst wenige Wochen bestand und mit der durch die Überweisung bedingten Auflösung des Kontos ihr Ende fand.

c) Aus der tatsächlichen Herbeiführung einer Gefahrenlage ergibt sich hier ebenfalls keine Erfolgsabwendungspflicht. Der Angeklagte hat zwar durch das Offenlassen des zu überweisenden Betrages im Überweisungsauftrag und die zwischenzeitliche Abhebung des Betrages von 500.000 DM ursächlich an der Entstehung des Fehlers bei der Bank mitgewirkt. Er brauchte aber nach den Gesamtumständen nicht damit zu rechnen, daß dadurch eine Gefahrenlage entsteht. Er durfte vielmehr darauf vertrauen, daß die Abwicklung ordnungsgemäß erfolgt und dementsprechend nur der Restbetrag - abzüglich der abgehobenen 500.000 DM - auf das neue Konto überwiesen wurde.

d) Schließlich kann eine Aufklärungspflicht für den Angeklagten auch nicht aus dem allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) hergeleitet werden. In der Begründung derartiger Aufklärungspflichten ist die Rechtsprechung zunächst verhältnismäßig weit gegangen (vgl. RGSt 66, 58; 69, 284; 70, 151, 155 und 225, 227; BGHSt 6, 198; noch weitergehend die Rechtsprechung in Zivilsachen: BGH NJW 1987, 185). Inzwischen ist der Bundesgerichtshof (wistra 1988, 262, 263) hiervon indessen weitgehend abgerückt. Vorausgesetzt wird auch hier als Grundlage ein besonderes Vertrauensverhältnis (BGH aaO m.w.N.). So ist eine Garantenpflicht verneint worden bei dem Empfänger einer Überzahlung nach Scheckvorlage (OLG Düsseldorf NJW 1969, 623 m. Anm. Deubner) sowie dem Empfänger von Rentenbezügen nach dem Tode des Rentenberechtigten (OLG Köln NJW 1979, 278). Gefordert werden von der Rechtsprechung "besondere Umstände im zwischenmenschlichen Bereich" (OLG Düsseldorf NJW 1987, 853, 854; OLG Frankfurt NJW 1971, 527 m. Anm. Böhm S. 1143; OLG Köln NJW 1980, 2366, 2367; 1984, 1979, 1980; JZ 1988, 101, 102 m. Anm. Joerden), wobei in vergleichbaren Fällen das Schutzbedürfnis der Bank verneint wurde (vgl. schon OLG Köln NJW 1961, 1735, 1736 m. Anm. Schröder JR 1961, 434). Auch im Fall einer Doppelzahlung wurde die Annahme einer strafrechtlich relevanten Aufklärungspflicht gegenüber der Bank abgelehnt (LG Bremen JZ 1967, 370, 371 m. Anm. Naucke).

Schließlich begründet auch die Höhe des drohenden Schadens für sich genommen keine Offenbarungspflicht (OLG Köln NJW 1980, 2366, 2367 m. Bespr. Volk JuS 1981, 880; Maaß aaO S. 147 f.; abw. OLG Hamburg NJW 1969, 335, 336). Denn der "Schadensfaktor" (Eser Strafrecht IV S. 128) wirkt sich auf die Eigenart der zu beurteilenden Rechtsbeziehungen nicht aus; das Verschweigen einer zur Selbstschädigung des anderen führenden Tatsache ist vom Grunde her gleich strafwürdig, ob der Schaden groß oder gering ist (Maaß aaO S. 148). Auch wäre eine Abgrenzung der Garantenpflicht nach der Höhe des drohenden Schadens im Hinblick auf das Bestimmtheitserfordernis des Art. 103 Abs. 2 GG nicht frei von Bedenken (vgl. OLG Köln NJW 1980, 2366, 2367).

5. Soweit die Revisionsführerin die Prüfung der Strafbarkeit des Angeklagten unter dem Gesichtspunkt der Untreue (§ 266 Abs. 1 StGB) zum Nachteil der vom Angeklagten vertretenen GmbH vermißt, geht ihre Beanstandung ins Leere. Ein solcher Sachverhalt wird von der vorliegenden Anklage nicht erfaßt. Es finden sich in ihr dementsprechend auch keine Angaben über das Schicksal der abgehobenen Gelder. Gegebenenfalls wäre insoweit eine neue Anklage zu erheben.

Externe Fundstellen: BGHSt 39, 392; NJW 1994, 950; NStZ 1994, 544; StV 1994, 182

Bearbeiter: Rocco Beck