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Bearbeiter: Rocco Beck

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 33/93, Urteil v. 24.06.1993, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 4 StR 33/93 - Urteil vom 24. Juni 1993 (LG Dortmund)

BGHSt 39, 244; Rücktritt vom Versuch der Vergewaltigung bei irrtümlicher Annahme einer Einwilligung durch das Opfer ("fehlgeschlagener" Versuch aufgrund rechtlicher Unmöglichkeit; Aufgeben der Tat).

§ 22 StGB; § 24 Abs. 1 StGB; § 177 StGB

Leitsatz

1. Zum Rücktritt vom Versuch der Vergewaltigung bei irrtümlicher Annahme der Einwilligung der Verletzten nach Versuchsbeginn. (BGHSt)

2. Beim fehlgeschlagenen Versuch sind die Fälle "rechtlicher Unmöglichkeit" der Tatverwirklichung nicht den Fällen der tatsächlichen Unmöglichkeit gleich zu stellen. (Bearbeiter)

Entscheidungstenor

I. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 12. Oktober 1992

1. im Schuldspruch dahin abgeändert, daß der Angeklagte der versuchten Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung schuldig ist,
2. im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.

II. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, hat mit der Sachrüge Erfolg. Die Beschwerdeführerin beanstandet zu Recht, daß der Angeklagte nicht anstelle von Nötigung wegen versuchter Vergewaltigung verurteilt worden ist.

I. 1. In den späten Abendstunden bemerkte der Angeklagte die 44jährige B. L., die sich auf dem Heimweg von ihrer Arbeitsstelle befand. Er faßte den Entschluß, sie zu vergewaltigen, sprang sie von hinten an und riß sie zu Boden, wobei er sie geringfügig verletzte. Als die Frau die sexuellen Absichten des Angeklagten erkannte und ihr klar wurde, daß sie von Dritten keine Hilfe gegen den ihr körperlich überlegenen Angeklagten erwarten konnte, spiegelte sie ihm aus Angst vor weiteren Mißhandlungen ihr Einverständnis mit dem von ihm beabsichtigten Geschlechtsverkehr vor. Sie erklärte ihm, daß er "ihr wie gerufen komme", da sie geschieden sei und schon lange keine sexuelle Begegnung mit einem Mann mehr gehabt habe. Der Angeklagte glaubte dies und ging nunmehr davon aus, daß die frühere Gewaltanwendung nicht mehr fortwirkte, sondern die Frau freiwillig zu sexuellem Kontakt bereit sei. Ihren Vorschlag, "alles auf den nächsten Tag zu verschieben, da man es gemeinsam im Bett angenehmer habe", lehnte er jedoch ab; vielmehr drängte er, nachdem beide einen nur schwach erleuchteten Parkplatz erreicht hatten, auf sofortigen Vollzug des Beischlafs. Scheinbar bereitwillig, unter Vorspiegelung sexueller Erregung kam die Frau diesem Verlangen nach, erreichte jedoch, daß der Geschlechtsverkehr nicht, wie von dem Angeklagten ursprünglich beabsichtigt, auf dem schmutzigen Boden, sondern im Stehen vollzogen wurde. Als der Angeklagte zu einem von B. L. für den nächsten Abend vorgeschlagenen Treffen erschien und sie mit einem Kuß begrüßte, wurde er durch die von der Frau zuvor benachrichtigte Polizei festgenommen.

2. Die Strafkammer hat die Tat als versuchte Vergewaltigung gewertet, von der der Angeklagte strafbefreiend zurückgetreten sei. Er habe eine weitere Gewaltanwendung nicht deshalb aufgegeben, "weil ihm quasi ein zwingendes Hindernis wie bei einem fehlgeschlagenen Versuch" entgegengestanden habe; vielmehr habe er angenommen, nach dem vermeintlichen Einverständnis der Frau auch ohne weitere, grundsätzlich aber noch mögliche Gewaltanwendung zu seinem Ziel kommen zu können.

II. 1. Soweit das Landgericht nicht von einer vollendeten, sondern lediglich von einer versuchten Vergewaltigung ausgeht, ist dies rechtlich nicht zu beanstanden. Der Tatbestand des § 177 StGB setzt einen entgegenstehenden Willen des Opfers noch während des Beischlafs voraus. Nach der Überzeugungsbildung der Strafkammer, die - angesichts der außergewöhnlichen schauspielerischen Leistung des Opfers und dem Erscheinen des Angeklagten zu einem freiwilligen Wiedersehen am nächsten Tag - trotz der bei derartigen Fallgestaltungen gebotenen besonders sorgfältigen Prüfung der inneren Tatseite (BGH bei Dallinger MDR 1973, 191) hier nachvollziehbar ist, war dem Angeklagten nicht zu widerlegen, daß er bereits bei Beginn des Beischlafs an ein Einverständnis der Frau glaubte; damit handelte er bei Vollendung der Tat in einem den Vorsatz ausschließenden Tatbestandsirrtum gemäß § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB (vgl. BGH NStZ 1982, 26).

2. Von dem Versuch der Vergewaltigung ist der Angeklagte jedoch nicht mit strafbefreiender Wirkung zurückgetreten.

a) Dies folgt allerdings - wie das Landgericht insoweit zutreffend ausgeführt hat - nicht schon daraus, daß der Versuch einer Vergewaltigung "fehlgeschlagen" wäre.

Die Abgrenzung der von Rechtsprechung und Rechtswissenschaft entwickelten eigenständigen Fallgruppe des fehlgeschlagenen Versuchs für Tatbestandsverwirklichungen, in denen dem Täter die Möglichkeit eines strafbefreienden Rücktritts versagt ist, ist bislang nicht abschließend geklärt (vgl. BGHSt 34, 53, 55 m.zahlr.N.). Anerkannt ist allerdings, daß ein Versuch jedenfalls dann fehlgeschlagen ist, wenn es dem Täter erkanntermaßen unmöglich ist, im unmittelbaren Fortgang des Geschehens den Erfolg noch herbeizuführen, weil die Vollendung der Tat entweder objektiv unmöglich ist oder der Täter aus subjektiven Gründen die hierfür erforderlichen Mittel nicht anwenden kann (BGH aaO; vgl. auch Beschluß vom 19. Mai 1993 - GSSt 1/93).

Dieser "tatsächlichen Unmöglichkeit" wird von einem Teil der Lehre die "rechtliche Unmöglichkeit" gleichgestellt. Diese soll jeweils dann vorliegen, wenn bei Tatbeständen, deren Erfüllung ein Handeln gegen den Willen des Rechtsgutträgers voraussetzt (z.B. Vergewaltigung, Raub, Nötigung), das Tatopfer sein Einverständnis erteilt (Bottke, Strafrechtswissenschaftliche Methodik und Systematik bei der Lehre vom strafbefreienden und strafmildernden Täterverhalten, 1979 S. 355, 356; Eser in Schönke/Schröder StGB 24. Aufl. § 24 Rdn. 9; Ulsenheimer, Grundfragen des Rücktritts vom Versuch in Theorie und Praxis, 1976 S. 328; vgl. auch Herzberg in Festschrift für Blau, 1985 S. 97, 99). Entsprechendes wird angenommen, wenn die Einwilligung des Rechtsgutträgers - wie hier - nur vorgetäuscht ist, der Täter die entsprechende Erklärung aber für ernstgemeint hält (Ulsenheimer aaO; Bottke aaO). In beiden Fällen soll dem Täter - unabhängig von seinem weiteren Verhalten - die Möglichkeit strafbefreienden Rücktritts verwehrt sein (Ulsenheimer aaO).

Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Zwar ist der Unmöglichkeit aus tatsächlichen wie aus rechtlichen Gründen im Ergebnis gemeinsam, daß der Täter eine Tatbestandsverwirklichung nicht mehr erreichen kann. Gleichwohl wird die Behandlung beider Fallgruppen als fehlgeschlagener Versuch den Unterschieden nicht gerecht, die sich aus der Art des jeweiligen Hindernisses ergeben. Während für den Täter bei Hindernissen im tatsächlichen Bereich eine in § 24 StGB vorausgesetzte Wahlmöglichkeit, die Tat mit Aussicht auf den angestrebten Erfolg weiter auszuführen oder sie aufzugeben, nicht besteht, ist dies bei rechtlichen Hindernissen durchaus der Fall. Erklärt sich das Opfer eines Vergewaltigungsversuchs ernsthaft oder zum Schein mit dem vom Täter beabsichtigten Geschlechtsverkehr einverstanden, so kann dieser - unbeeinflußt durch die Einwilligung - sein Handlungsziel weiterverfolgen und den Beischlaf - gegebenenfalls sogar begleitet von weiteren, vorsorglich angewendeten Zwangsmitteln - durchführen. Bereits vom Wortsinn her erscheint es befremdlich, ein solches Tatgeschehen als "fehlgeschlagenen" Versuch zu bezeichnen (kritisch auch Walter, Der Rücktritt vom Versuch als Ausdruck des Bewährungsgedankens im zurechnenden Strafrecht, 1980 S. 106). Der Täter kann jedoch seinen Tatplan auch aus Gründen, die mit der Einwilligung in keinem Zusammenhang stehen, etwa aus Scham oder Reue über sein bisheriges Verhalten, aufgeben. Ihm unter derartigen Umständen die Möglichkeit strafbefreienden Rücktritts abzuschneiden, obwohl er auf den Boden der Rechtstreue zurückgekehrt ist, stünde mit der kriminalpolitischen Zielsetzung des § 24 StGB nicht in Einklang.

b) Abzustellen ist vielmehr darauf, ob der Täter die weitere Deliktsverwirklichung aufgibt und, wenn dies zu bejahen ist, ob er dabei freiwillig handelt.

Hier fehlt es bereits an einer Aufgabe der geplanten Tatausführung. Zwar hat der Angeklagte vom Einsatz weiterer Zwangsmittel abgesehen, weil dieser ihm wegen des erklärten Einverständnisses seines Opfers überflüssig erschien; im übrigen hat er jedoch an seinem Tatplan festgehalten und darauf bestanden, den Geschlechtsverkehr sofort an Ort und Stelle genau so durchzuführen, wie er dies unabhängig von der Einwilligung der Frau L. von Anfang an vorhatte. Eine Distanzierung von seinem Vorhaben, den Geschlechtsverkehr notfalls zu erzwingen, ist nicht ersichtlich (ebenso BGH bei Dallinger MDR 1973, 191 im Anschluß an RG JW 1934, 2335).

Damit unterscheidet sich der hier zu beurteilende Fall in einem wesentlichen Punkt von den Sachverhalten, die den Entscheidungen des Senats vom 14. April 1955 (BGHSt 7, 296 m. zust. Anm. Jeschek MDR 1955, 563) und vom 22. Februar 1983 - 4 StR 38/83 - sowie seinem Urteil vom 15. September 1988 (NStZ 1988, 550), auf das sich das Landgericht für seine Rechtsauffassung beruft, zugrunde lagen. Dort war es nach dem vom Opfer erklärten Einverständnis zu einem Geschlechtsverkehr "hic et nunc" gerade nicht gekommen. Vielmehr hatte der Täter - zumindest nicht ausschließbar - seinen ursprünglichen Tatplan endgültig und ohne Vorbehalte aufgegeben. Daß er dabei in der Hoffnung handelte, die Frau werde sich ihm zu einem späteren Zeitpunkt hingeben, die Erreichung seines Ziels ihm also "wie eine reife Frucht in den Schoß fallen" (BGHSt 7, 296, 299), steht dem nicht entgegen. Zwar hat der Täter auch bei derartigen Fallgestaltungen sein Handlungsziel nicht vollständig aus den Augen verloren. Gleichwohl gibt er im Sinne des § 24 Abs. 1 Satz 1 StGB die weitere Ausführung der Tat auf, wenn sich der von ihm vorgestellte spätere Geschlechtsverkehr nach den Gesamtumständen, insbesondere den zeitlichen und örtlichen Gegebenheiten, so sehr von seinem ursprünglichen Plan unterscheidet, daß er nicht mehr als dasselbe mit der vorangegangenen Tathandlung verknüpfte Geschehen gewertet werden kann (vgl. Schröder MDR 1956, 321, 323). Dies wird beispielsweise immer dann der Fall sein, wenn der Täter die Frau zwischenzeitlich aus seinem Einflußbereich entläßt. Auf die sittliche oder ethische Bewertung der Rücktrittsmotive kommt es weder bei dem Akt der Aufgabe weiterer Tatausführung noch bei der Beurteilung der Freiwilligkeit an (BGH, Beschluß vom 19. Mai 1993 - GSSt 1/93).

Im Gegensatz dazu hat der Angeklagte im vorliegenden Fall nicht einmal vorübergehend in der Ausführung seines Tatplans innegehalten, sondern diesen, unbeirrt durch Einwendungen der Frau L. betreffend Ort und Zeit des von ihr angeblich gebilligten Geschlechtsverkehrs, zielstrebig ausgeführt. Daß er infolge der vermeintlichen Einwilligung seines Opfers "von der Rechtmäßigkeit seines weiteren Tuns überrascht" wurde (Walter aaO S. 106), vermag ihn daher nicht zu entlasten.

3. Der Senat hat den Schuldspruch, wie aus dem Urteilstenor ersichtlich, umgestellt. § 265 StPO steht nicht entgegen, da dem Angeklagten in der Hauptverhandlung ein entsprechender rechtlicher Hinweis erteilt worden ist. Die Änderung des Schuldspruchs zieht die Aufhebung des Strafausspruchs nach sich.

Externe Fundstellen: BGHSt 39, 244; NJW 1993, 2188; NStZ 1993, 581

Bearbeiter: Rocco Beck