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Bearbeiter: Rocco Beck

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 638/92, Urteil v. 21.01.1993, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 4 StR 638/92 - Urteil vom 21. Januar 1993 (LG Zweibrücken)

BGHSt 39, 128; Folgen eines strafbefreienden Rücktritts vom Versuch der Brandstiftung oder der Annahme der tätigen Reue für die Straftat der Herbeiführung einer Brandgefahr; Konkurrenzverhältnis zwischen der Herbeiführung einer Brandgefahr und der Sachbeschädigung (Erfolgsdelikte und Gefährdungsdelikte).

§ 303 Abs. 1 StGB; § 310 StGB; § 310a StGB; § 24 Abs. 1 StGB

Leitsatz

Der Rücktritt vom Versuch der Brandstiftung bewirkt ebensowenig wie tätige Reue (§ 310 StGB) Straffreiheit für das gleichzeitig verwirklichte Delikt des Herbeiführens einer Brandgefahr. (BGHSt)

Entscheidungstenor

I. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Zweibrücken vom 29. September 1992

1. im Schuldspruch dahin geändert, daß der Angeklagte der Herbeiführung einer Brandgefahr in Tateinheit mit Sachbeschädigung schuldig ist;

2. im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.

II. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat gegen den Angeklagten wegen Sachbeschädigung eine Freiheitsstrafe von neun Monaten verhängt. Mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten Revision, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung materiellen Rechts. Mit Erfolg beanstandet sie, daß der Angeklagte nicht wegen des Herbeiführens einer Brandgefahr (§ 310a StGB) in Tateinheit mit Sachbeschädigung verurteilt worden sei.

I.

1. Nach den Feststellungen setzte der Angeklagte in einem Viehstall auf dem Boden liegende Strohballen in Brand und entfernte sich. Der Brand wurde alsbald von dem Landwirt F. entdeckt. Während dieser noch damit beschäftigt war, das brennende Stroh aus dem Stall zu entfernen, kehrte der Angeklagte, "um größeren Schaden zu verhindern", zurück. Er half dem Bauern, das Feuer, das sich noch nicht über die Strohballen hinaus ausgebreitet hatte, zu löschen.

2. Das Landgericht geht davon aus, daß der Angeklagte vom (beendeten) Versuch der Brandstiftung mit strafbefreiender Wirkung zurückgetreten sei. Hilfsweise führt es aus, daß er Straffreiheit selbst dann erlangt hätte, wenn das Inbrandsetzen der Strohballen als vollendete Brandstiftung gewertet würde, weil der Angeklagte tätige Reue im Sinne des § 310 StGB geübt habe. Auch eine Bestrafung wegen Herbeiführens einer Brandgefahr komme nicht in Betracht. Dies folge schon daraus, daß sich der Strafaufhebungsgrund der tätigen Reue auch auf den Tatbestand des Herbeiführens einer Brandgefahr erstrecke. Dadurch entstehe keine "Regelungslücke", weil der den Brand löschende Täter nicht straflos bleibe, sondern wegen Sachbeschädigung bestraft werde. Einer darüber hinausgehenden Bestrafung nach der Vorschrift des § 310a StGB, mit der der historische Gesetzgeber den Brandschutz "wegen der damaligen Not der deutschen Volkswirtschaft" auf wichtige feuergefährdete Anlagen und Betriebe ausgedehnt habe, bedürfe es nicht. Der Angeklagte könne auch deshalb nicht wegen des Herbeiführens einer Brandgefahr bestraft werden, weil diese Vorschrift in Fällen, in denen es - wie hier - zu einem Brand gekommen sei, als Gefährdungsdelikt nicht nur gegenüber den Verletzungsdelikten der §§ 306 ff StGB, sondern auch gegenüber der Sachbeschädigung zurücktrete.

II.

Während die Annahme eines strafbefreienden Rücktritts vom Versuch der Brandstiftung nicht zu beanstanden ist, begegnet die Rechtsauffassung des Landgerichts zum Anwendungsbereich des § 310a StGB in mehrfacher Hinsicht rechtlichen Bedenken.

1. Der Tatbestand des Herbeiführens einer Brandgefahr stellt ein konkretes Gefährdungsdelikt dar, dessen Schutzobjekte sich weitgehend, wenn auch nicht vollständig (vgl. Wolff in LK 10. Aufl.§ 310 a Rdn. 5; a.A. Otto Jura 1986, 52, 53) mit denen der Verletzungsdelikte der §§ 306 bis 309 StGB decken. Kommt es zur Vollendung eines der genannten, dem Schutz desselben Rechtsguts dienenden Verletzungsdelikte, so tritt § 310 a StGB nach einhelliger Auffassung als subsidiär zurück (vgl. BGH NJW 1951, 726).

Umstritten ist dagegen, ob die Strafbarkeit nach § 310a StGB wieder auflebt, wenn der Täter durch Rücktritt vom Versuch oder tätige Reue Straffreiheit von dem Brandstiftungsdelikt erlangt. Entgegen einer in der Literatur weithin vertretenen Meinung (vgl. Cramer in Schönke/Schröder StGB 24. Aufl. § 310 Rdn. 9, § 310 a Rdn. 4; Eser in Schönke/Schröder § 24 Rdn. 110; Horn in SK StGB § 310 a Rdn. 9; Rudolphi in SK StGB § 24 Rdn. 44; Vogler in Bockelmann-Festschrift S. 715, 728; ders. in LK § 24 Rdn. 198; Bottke, Strafrechtswissenschaftliche Methodik bei der Lehre vom strafbefreienden und strafmildernden Täterverhalten 1979, S. 625; Bruch, Vorsätzliche Brandstiftungen 1983 S. 229 Fn. 118; Geppert Jura 1989, 473, 481; Otto aaO S. 53) ist dies zu bejahen (ebenso BGH aaO; OLG Schleswig SchlHA 1955, 99, 100; Dreher/Tröndle StGB 45. Aufl. § 310 Rdn. 5; § 310 a Rdn. 3; Wolff aaO § 310 Rdn. 1, § 310 a Rdn. 7; zweifelnd Lackner StGB 18. Auf. § 310 Anm. 1).

a) Bei einem "qualifizierten" Versuch, bei dem der Täter mit dem Versuch eines schwereren Delikts zugleich ein leichteres vollendet, tritt Straffreiheit nur für den Versuch des schwereren Delikts ein. Soweit in der Literatur die Auffassung vertreten wird, die Rücktrittswirkung erfasse ausnahmsweise auch das vollendete leichtere Delikt, wenn dieser Tatbestand - bezüglich desselben Rechtsguts - im Verhältnis von konkretem Gefährdungsdelikt zu Verletzungsdelikt stehe (Eser aaO Rdn. 24; Vogler in LK aaO), so kann dem im Grundsatz nicht gefolgt werden; denn das zur strafrechtlichen Bewertung des qualifizierten Versuchs herangezogene Argument, der Täter einer vollendeten Straftat könne nicht deshalb straffrei ausgehen, weil er eine schwerere beabsichtigt habe (vgl. Vogler in LK § 24 Rdn. 195), trifft auch auf konkrete Gefährdungsdelikte zu, die eine Vorstufe zu Verletzungsdelikten bilden.

Neben diesen Erwägungen sprechen auch gesetzessystematische Überlegungen gegen die Auffassung, daß die im Versuch liegende Gefährdung dem Täter ungeachtet etwaiger Sondertatbestände nicht mehr angelastet werden dürfe (a.A. Bottke aaO; differenzierend nach konkreten und abstrakten Gefährdungsdelikten Eser aaO; Rudolphi aaO). Mit der Vorverlagerung strafrechtlicher Haftung durch die Schaffung abstrakter oder konkreter Gefährdungsdelikte hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, daß er bereits in der Gefährdung bestimmter besonders schützenswerter Rechtsgüter unabhängig von einem Schadenseintritt ein eigenständiges Unrecht sieht. Ist dieses Unrecht aber losgelöst von einem auf einen weiteren Verletzungserfolg gerichteten Willen, so wird es durch die Aufgabe eines etwa bestehenden derartigen Willens und Verhinderung der Rechtsgutverletzung auch nicht beseitigt. Die an einen vom Täter angestrebten Verletzungserfolg anknüpfende Regelung des Rücktritts vom Versuch kann daher in derartigen Fällen für gleichzeitig mit dem Versuch verwirklichte Gefährdungsdelikte auch dann keine Anwendung finden, wenn diese - ähnlich wie der Versuch - eine Vorstufe für die dem Schutz desselben Rechtsguts dienenden Verletzungsdelikte bilden. Der Rücktritt vom Versuch der Brandstiftung bewirkt daher nicht gleichzeitig Straffreiheit für das Delikt des Herbeiführens einer Brandgefahr.

b) Für den persönlichen Strafaufhebungsgrund der tätigen Reue, der ebenfalls auf die Verhinderung des Verletzungserfolges abstellt, gelten die dargelegten Grundsätze entsprechend. Zu Recht wird gegen eine Erstreckung der nach § 310 StGB erlangten Straffreiheit auf die in § 310 a StGB unter Strafe gestellten Handlungen in der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 21. Mai 1951 (aaO) eingewandt, "es würde der Gerechtigkeit widersprechen, wenn der Brandstifter straflos bliebe, falls es ihm gelingt, den Brand alsbald wieder zu löschen, während derjenige, der nur eine Brandgefahr herbeiführt, ohne daß ein Brand entsteht, nach § 310 a StGB bestraft würde."

Daß eine derartige Auslegung auch dem Willen des Gesetzgebers entspricht, ergibt sich nicht nur aus der systematischen Stellung der §§ 310, 310 a StGB, sondern auch aus der Entstehungsgeschichte dieser Normen. So wurde mit Einführung des § 310 a StGB durch das Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuchs vom 28. Juni 1935 - RGBl. I 839 - der Wortlaut des § 310 StGB gleichzeitig dahin geändert, daß anstelle der früheren Fassung "so tritt Straflosigkeit ein" die Neufassung lautet "so wird er nicht wegen Brandstiftung bestraft". Damit sollte klargestellt werden, daß tätige Reue auf die Strafbarkeit wegen Brandgefährdung ohne Einfluß bleibt (BGH aaO m.w.N. zu den Gesetzesmaterialien; Wolff aaO § 310 Rdn. 1).

c) Zu Unrecht stellt das Landgericht demgegenüber darauf ab, daß bei einer über den Wortlaut des § 310 StGB hinausgehenden Erstreckung dieses persönlichen Strafaufhebungsgrundes auf den Tatbestand der Brandgefährdung keine "Regelungslücke" entstünde. Es kann in diesem Zusammenhang dahingestellt bleiben, ob die durch Gesetz vom 28. Juni 1935 eingeführte, durch Gesetz vom 4. September 1941 - RGBl. I 549 - auf besonders wichtige feuergefährdete Anlagen und Betriebe ausgedehnte Vorschrift des § 310a StGB ausschließlich dem vom Landgericht für nicht mehr zeitgemäß erachteten Schutz der Volks- und Ernährungswirtschaft dient (so wohl Rietzsch in Pfundtner/Neubert Das Deutsche Reichsrecht II c 6 S. 169, 183 Anm. 1; Schmidt-Leichner DR 1941, 2145, 2149 f; vgl. auch Wolff aaO § 310 a Rdn. 1) oder - zumindest auch - der Sicherung der Allgemeinheit vor einer Gemeingefahr (so Cramer in Schönke/Schröder § 310a Rdn. 1). Die Entscheidung über das Fortbestehen eines strafrechtlichen Regelungsbedürfnisses hat jedenfalls nicht der Richter, sondern ausschließlich der Gesetzgeber zu treffen. Dieser ist dabei nicht an die Vorstellungen des historischen Gesetzgebers gebunden. So könnten beispielsweise unter Zurücktreten seinerzeit bestimmender wirtschaftlicher Aspekte, die zwar 1941 an die Kriegsverhältnisse anknüpften, im übrigen aber nicht Ausdruck typisch nationalsozialistischen Gedankenguts sind (vgl. Krumme, Anm. zu BGH LM § 310a StGB Nr. 1), in der heutigen Zeit ökologische Gesichtspunkte für eine Beibehaltung des § 310a StGB sprechen. Daß sich der Gesetzgeber der Bundesrepublik Deutschland bewußt für eine Fortgeltung des § 310a StGB entschieden hat, ergibt sich daraus, daß er bei einer umfangreichen Novellierung des Strafrechts durch das Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch vom 2. März 1974 - BGBl. I 469 - zwar eine Milderung des Strafrahmens und eine sprachliche Umformulierung des § 310a StGB vorgenommen, den Tatbestand im übrigen aber ohne weitere sachliche Änderung aufrechterhalten hat (Art. 19 Nr. 168 EGStGB 1974).

2. Eine Straflosigkeit des Angeklagten wegen des Herbeiführens einer Brandgefahr wird schließlich auch nicht durch das zwischen § 310a und § 303 StGB bestehende Konkurrenzverhältnis ausgeschlossen. Entgegen der Auffassung des Landgerichts stehen diese Vorschriften wegen ihrer unterschiedlichen Schutzgüter zueinander im Verhältnis der Idealkonkurrenz. Subsidiarität des § 310a StGB gegenüber § 303 StGB scheidet deshalb aus, zumal § 310a StGB im Vergleich zu § 303 StGB eine höhere Strafandrohung enthält.

III.

Der Schuldspruch war daher dahin abzuändern, daß der Angeklagte der Herbeiführung einer Brandgefahr in Tateinheit mit Sachbeschädigung schuldig ist. § 265 StPO steht dem nicht entgegen, weil dem Angeklagten in der Hauptverhandlung ein entsprechender rechtlicher Hinweis erteilt worden ist.

Die Änderung des Schuldspruchs zieht die Änderung des Strafausspruchs nach sich. Der Senat vermag nicht auszuschließen, daß sich die rechtlich fehlerhafte Beurteilung durch die Strafkammer bei der Strafzumessung zugunsten des Angeklagten ausgewirkt hat.

Externe Fundstellen: BGHSt 39, 128; NJW 1993, 942; NStZ 1993, 284; StV 1994, 18

Bearbeiter: Rocco Beck