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Bearbeiter: Rocco Beck

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 506/91, Beschluss v. 12.12.1991, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 4 StR 506/91 - Beschluss vom 12. Dezember 1991 (LG Münster)

BGHSt 38, 172; unzulässige Verbindung eines Berufungsverfahrens vor dem Landgericht mit einem erstinstanzlichen Verfahren, für das eine Zuständigkeit des Landgerichts nicht gegeben ist.

§ 4 Abs. 1 StPO; § 6 StPO; § 24 GVG; § 74 Abs. 1 GVG

Leitsatz

Die Erhebung einer Anklage beim Landgericht zum Zwecke der Verbindung dieses Verfahrens mit einem dort anhängigen Berufungsverfahren ist unzulässig, wenn eine Zuständigkeit des Landgerichts nach § 74 GVG nicht gegeben ist. (BGHSt)

Entscheidungstenor

I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Münster vom 17. Juni 1991 dahin ergänzt, dass er von dem Vorwurf der uneidlichen Falschaussage in Tateinheit mit Strafvereitelung freigesprochen wird; die insoweit entstandenen Kosten des Verfahrens und notwendigen Auslagen des Angeklagten werden der Staatskasse auferlegt.

II. Im Übrigen ist der Bundesgerichtshof zur Entscheidung über die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil nicht zuständig. Zuständig ist das Oberlandesgericht Hamm.

Gründe

1. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen falscher Verdächtigung zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu 150,-- DM verurteilt. Das Urteil des Amtsgerichts - Schöffengerichts - Warendorf vom 26. April 1990 hat es für gegenstandslos erklärt. Einen (teilweisen) Freispruch des Angeklagten hat es für nicht erforderlich erachtet. Dem liegt folgendes prozessuales Geschehen zugrunde:

Der Angeklagte wurde am 26. April 1990 vom Amtsgericht - Schöffengericht - Warendorf wegen falscher Verdächtigung zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu 100,-- DM verurteilt. Gegen dieses Urteil legten der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft Berufung ein; die Staatsanwaltschaft beschränkte ihre Berufung auf den Strafausspruch. Sodann wurde am 22. Februar 1991 von der Staatsanwaltschaft gegen den Angeklagten zum Landgericht Münster, bei dem das Berufungsverfahren anhängig war, eine Anklage wegen uneidlicher Falschaussage in Tateinheit mit Strafvereitelung erhoben. Dies geschah ersichtlich deshalb, weil es der Staatsanwaltschaft nunmehr zweifelhaft erschien, ob der Angeklagte am 9. Dezember 1988 dadurch, daß er behauptet hatte, er habe das Arzneimittel "Clenbuterol" unerlaubt an einige Kälberaufzüchter abgegeben, sich einer falschen Verdächtigung schuldig gemacht hatte oder ob er uneidlich falsch ausgesagt (und zugleich eine Strafvereitelung begangen) habe, als er am 28. August 1989 bei seiner Vernehmung als Zeuge durch das Amtsgericht Warendorf erklärt hatte, er habe das Mittel "Clenbuterol" nicht an diese Personen weitergegeben.

Das Landgericht Münster ließ die Anklage wegen falscher uneidlicher Aussage in Tateinheit mit Strafvereitelung zur Hauptverhandlung zu. Mit Beschluß vom 21. März 1991 hat es das Verfahren mit dem bei ihm anhängigen Berufungsverfahren gemäß § 4 StPO zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und den Angeklagten darauf hingewiesen, daß "eine Verurteilung wegen falscher Verdächtigung oder wegen uneidlicher Falschaussage in Betracht kommt". In der Ladung zur Hauptverhandlung hat es erklärt: "Das Verfahren wird insgesamt nach erstinstanzlichen Grundsätzen durchgeführt werden (vgl. BGHSt 36, 348)".

Gegen das - eingangs wiedergegebene - Urteil des Landgerichts Münster vom 17. Juni 1991 hat der Angeklagte Revision eingelegt, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.

2. Der Senat ergänzt das Urteil um den vom Landgericht rechtsfehlerhaft unterlassenen (teilweisen) Freispruch. Diese Ergänzung ist ohne Rücksicht darauf, ob der Bundesgerichtshof für die Entscheidung über die Revision in der bei ihm anhängig gewordenen Sache zuständig ist, notwendig und zulässig:

Gegen den Angeklagten ist Anklage zur großen Strafkammer beim Landgericht wegen falscher uneidlicher Aussage in Tateinheit mit Strafvereitelung erhoben worden. Die Strafkammer ist nach durchgeführter erstinstanzlicher Hauptverhandlung zu dem Ergebnis gelangt, daß der Angeklagte sich insoweit nicht schuldig gemacht hat. Dann hätte sie den Angeklagten aber auch von diesem Vorwurf freisprechen müssen. Daß zwischen der angeblich falschen uneidlichen Aussage (in Tateinheit mit Strafvereitelung) und der falschen Verdächtigung ein Alternativverhältnis bestand, ändert daran - entgegen der Auffassung der Strafkammer - nichts. Jede der beiden Alternativtaten ist eine selbständige Tat im Sinne des § 264 StPO; unabhängig davon, ob eine eindeutige Verurteilung wegen einer dieser Taten oder eine mehrdeutige Verurteilung im Wege einer - hier zulässigen - Wahlfeststellung erfolgen soll, bedarf es einer Anklage hinsichtlich beider Alternativtaten (BGHSt 32, 146). Das bedeutet aber andererseits, daß dann, wenn der Angeklagte nur einer der beiden Alternativtaten schuldig gesprochen wird, er vom Vorwurf der anderen Tat freigesprochen werden muß. Denn da der Tatbegriff des § 264 StPO derselbe wie in Art. 103 Abs. 3 GG ist (BVerfGE 45, 434; BGH aaO S. 150; vgl. auch Schlüchter JZ 1991, 1057, 1059), muß durch einen Freispruch klargestellt werden, daß die Strafklage hinsichtlich des Vorwurfs der uneidlichen Falschaussage in Tateinheit mit Strafvereitelung (Tat vom 28. August 1989) verbraucht und ein neues Verfahren bezüglich dieser "Tat" nicht mehr zulässig ist (vgl. auch Hürxthal in KK-StPO 2. Aufl. Rdn. 21 und Kleinknecht/Meyer StPO 40. Aufl. Rdn. 13, je zu § 260).

Den somit notwendigen - vom Landgericht aber unterlassenen - Freispruch holt der Senat nach. Dies ist erforderlich, weil der Freispruch mangels Beschwer des Angeklagten nicht Gegenstand des weiter durchzuführenden Revisionsverfahrens ist (vgl. Kleinknecht/Meyer aaO vor § 296 Rdn. 13).

3. Zur Entscheidung über die Revision gegen das Urteil des Landgerichts ist der Bundesgerichtshof im übrigen nicht zuständig.

Zwar hat das Landgericht (insgesamt) ein erstinstanzliches Verfahren durchführen wollen. Dafür, ob eine große Strafkammer beim Landgericht als Berufungs- oder als erstinstanzliches Gericht entschieden hat, ist aber nicht der Wille oder die Erklärung der Strafkammer, sondern allein die verfahrensrechtliche Situation maßgebend (BGHSt 34, 159, 164). Hier war jedoch die Verbindung des Berufungsverfahrens mit dem erstinstanzlichen Verfahren entsprechend § 4 Abs. 1 StPO und die dadurch erfolgende Umwandlung des zweitinstanzlichen Verfahrens in ein erstinstanzliches Verfahren nicht zulässig:

Die Staatsanwaltschaft hätte wegen des Vorwurfs der falschen uneidlichen Aussage in Tateinheit mit Strafvereitelung nicht Anklage zum Landgericht erheben, das Landgericht hätte diese Anklage nicht zur Hauptverhandlung vor sich zulassen dürfen. Die Zuständigkeit des Landgerichts war nämlich weder nach § 74 Abs. 1 Satz 1 GVG (vgl. § 12 Abs. 1 und 2 StGB) noch nach dessen Satz 2 gegeben; eine höhere Strafe als drei Jahre Freiheitsstrafe war hier offenkundig nicht zu erwarten, eine besondere Bedeutung des Falles lag nicht vor und wurde von der Staatsanwaltschaft in der Anklageschrift auch nicht behauptet. Der Senat hat bereits in seiner Entscheidung vom 24. April 1990 - 4 StR 159/90 - ausgesprochen, daß es eine unzulässige Umgehung des Gesetzes wäre, wenn ein Amtsgericht einem Landgericht nur deswegen ein bei ihm anhängiges Verfahren vorlegen würde, damit dieses dann ein bei ihm anhängiges Berufungsverfahren in ein erstinstanzliches Verfahren überleiten könnte (BGHSt 37, 15, 19/20). Ebenso war es nicht zulässig, daß sich Staatsanwaltschaft und Landgericht allein deshalb, um eine Verbindung mit dem anhängigen Berufungsverfahren zu erreichen, über die zwingenden Zuständigkeitsregeln in §§ 24, 74 GVG hinwegsetzten.

Zwar wäre das Amtsgericht, wenn - wie es §§ 24, 74 GVG entspricht - eine Anklage gegen den Angeklagten wegen uneidlicher Falschaussage in Tateinheit mit Strafvereitelung bei ihm erhoben worden wäre, wegen der entgegenstehenden Rechtshängigkeit hinsichtlich des Vorwurfs der falschen Verdächtigung durch das Berufungsverfahren gehindert gewesen, den Angeklagten im Wege der Wahlfeststellung zu verurteilen. Dies wäre die Folge davon gewesen, daß die Staatsanwaltschaft es versäumt hatte, den Angeklagten sogleich wahlweise wegen falscher Verdächtigung oder uneidlicher Falschaussage (in Tateinheit mit Strafvereitelung) anzuklagen. Wenn das Amtsgericht somit nicht zu einer eindeutigen Verurteilung nach §§ 153, 258, 52 StGB gelangt wäre, hätte es den Angeklagten freisprechen müssen. Dann hätte aber die Staatsanwaltschaft - ebenso wie im Falle der Verurteilung sie und der Angeklagte - Berufung einlegen können. Das Landgericht hätte daraufhin beide bei ihm anhängigen Berufungsverfahren zu einem Berufungsverfahren entsprechend § 4 Abs. 1 StPO verbinden können (vgl. Kleinknecht/Meyer StPO 40. Aufl. § 4 Rdn. 7; Meyer-Goßner NStZ 1989, 297, 299); sowohl eine eindeutige als auch eine mehrdeutige Verurteilung des Angeklagten wäre dann möglich gewesen. Wäre ein Freispruch durch das Amtsgericht wegen Nichtanfechtung seitens der Staatsanwaltschaft hingegen rechtskräftig geworden, hätte das Landgericht im Berufungsverfahren allerdings wegen entgegenstehender Rechtskraft des freisprechenden Urteils den Angeklagten nicht mehr wahldeutig verurteilen können. Wären dem Landgericht - anders als im vorliegenden Fall - Zweifel verblieben, hätte es den Angeklagten dann freisprechen müssen. Diese beiden Freisprüche wegen der Unmöglichkeit einer wahldeutigen Verurteilung sowohl im erstinstanzlichen Verfahren vor dem Amtsgericht als auch im - nur die falsche Verdächtigung betreffenden - Berufungsverfahren vor dem Landgericht wären aber eine unvermeidbare Folge der fehlerhaft eindeutigen - weil nicht wahlweisen - Anklage der Staatsanwaltschaft wegen der falschen Verdächtigung und einer dann ebenso fehlerhaften Nichtanfechtung des Freispruchs vom Vorwurf der falschen uneidlichen Aussage in Tateinheit mit Strafvereitelung durch die Staatsanwaltschaft gewesen. Es wäre allerdings - wie dargelegt - bei einer die gesetzlichen Zuständigkeitsbestimmungen beachtenden Anklage wegen §§ 153, 258, 52 StGB zum Amtsgericht statt zur großen Strafkammer wegen der Möglichkeit der Verbindung beider Berufungsverfahren eine Verurteilung im Wege der Wahlfeststellung an sich noch möglich gewesen.

Das Landgericht hätte somit das Hauptverfahren hinsichtlich der am 22. Februar 1991 erhobenen Anklage beim Amtsgericht - Schöffengericht - Warendorf eröffnen müssen. Es war gemäß §§ 24, 74 GVG zur Verhandlung in erster Instanz nicht zuständig. Das Versäumnis der unterbliebenen wahldeutigen Anklage durfte nicht einfach durch Außerachtlassen der gesetzlichen Zuständigkeitsregelungen behoben werden. Deswegen kam auch eine Verbindung des Berufungsverfahrens mit dem erstinstanzlichen Verfahren nicht in Betracht.

Die fehlende sachliche Zuständigkeit des Landgerichts ist auch in der Revisionsinstanz als Prozeßhindernis von Amts wegen zu beachten (§ 6 StPO; vgl. Kleinknecht/Meyer StPO 40. Aufl. § 338 Rdn. 32), allerdings nur, soweit das Urteil in zulässiger Weise angefochten ist (vgl. BGHSt 16, 115, 117; 22, 213, 216); das ist hier - mangels Beschwer des Angeklagten im übrigen - nur hinsichtlich des Berufungsverfahrens der Fall. Weil das Landgericht überhaupt nicht erstinstanzlich verhandeln durfte, steht auch § 269 StPO der Feststellung der Unzuständigkeit nicht entgegen (vgl. Kleinknecht/Meyer StPO 40. Aufl. § 269 Rdn. 8 mit weit. Nachw.). Das Berufungsverfahren konnte somit nicht wirksam - mittels Verbindung - in ein erstinstanzliches Verfahren übergeleitet werden. Es ist daher ein Berufungsverfahren geblieben.

Über die Revision gegen ein zweitinstanzliches Urteil hat nach § 121 Abs. 1 Nr. 1 c GVG das Oberlandesgericht zu entscheiden. Zuständig ist hier das Oberlandesgericht Hamm. Das hat der Senat gemäß § 348 Abs. 1 und 2 StPO ausgesprochen.

Externe Fundstellen: BGHSt 38, 172; NJW 1992, 1775; NStZ 1992, 342; NStZ 1992, 548; StV 1992, 145

Bearbeiter: Rocco Beck