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HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 176

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 73/23, Urteil v. 26.10.2023, HRRS 2024 Nr. 176


BGH 4 StR 73/23 - Urteil vom 26. Oktober 2023 (LG Dortmund)

Beweiswürdigung (Vergewaltigung; beschränkte Revisibilität; Zweifel an der Täterschaft).

§ 261 StPO; § 177 StGB

Entscheidungstenor

Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin gegen das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 9. Mai 2022 werden verworfen.

Die Beschwerdeführer tragen die Kosten ihrer Rechtsmittel. Die im Revisionsverfahren entstandenen gerichtlichen Auslagen tragen die Staatskasse und die Nebenklägerin je zur Hälfte. Die dem Angeklagten durch die Revisionen entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten von den Vorwürfen der Vergewaltigung in zwei Fällen, jeweils tateinheitlich begangen mit Körperverletzung sowie der Nötigung freigesprochen. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer vom Generalbundesanwalt vertretenen und auf die Sachrüge gestützten Revision. Die Nebenklägerin erstrebt mit ihrer auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision die Aufhebung des freisprechenden Urteils und die Verurteilung des Angeklagten wegen der genannten Delikte.

Die Rechtsmittel haben keinen Erfolg.

I.

Die zugelassene Anklage legt dem Angeklagten zur Last, er habe die Nebenklägerin in der Nacht vom 31. Juli auf den 1. August 2020 entkleidet und anschließend gegen ihren Willen den vaginalen Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss durchgeführt. Dabei habe er sie zur Durchsetzung der sexuellen Handlungen gewürgt und mit seinem Gewicht auf einer Couch fixiert.

In der Nacht vom 2. August auf den 3. August 2020 habe der Angeklagte die Nebenklägerin zunächst in den Magen „geboxt“, ihr in die Haare gefasst und sie zu einer Couch verbracht. Dort soll er gegen ihren Willen an ihr verschiedene sexuelle Handlungen (u.a. vaginalen Geschlechtsverkehr und Analverkehr) ausgeführt und sie zur Durchführung des Oralverkehrs an ihm gezwungen haben.

In derselben Nacht soll er der Nebenklägerin sodann gedroht haben, dass sie und ihr Bruder nicht mehr sicher seien, wenn sie ihn wegen der Taten anzeigen würde. Außerdem soll er eine Pistole auf den Oberkörper der Nebenklägerin gerichtet und sie dazu gezwungen haben, ihn unter Vorhalt der Waffe in ein Schnellrestaurant nach D. zu fahren.

II.

Zu den dem Angeklagten zur Last gelegten Taten hat das Landgericht im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

Der Angeklagte und die Nebenklägerin lernten sich 2016 kennen, nachdem der Angeklagte in den offenen Vollzug - er verbüßte eine Haftstrafe wegen Vergewaltigung einer ehemaligen Partnerin - verlegt worden war. Die Nebenklägerin wünschte sich eine gemeinsame Zukunft und die Gründung einer Familie. Der Angeklagte, der gegenüber Frauen ein „auf Täuschung basierendes, manipulatives und narzisstisches Verhaltensmuster an den Tag legte“, spiegelte ihr hingegen nur vor, entsprechende Zukunftspläne mit ihr zu haben, und belog die Nebenklägerin, um sie „emotional an sich zu binden“.

Die Beziehung war auf Seiten der Nebenklägerin zunehmend durch Enttäuschung, Wut und Ohnmachtsgefühle geprägt. Gleichwohl tauschten beide - teilweise auch nach heftigen Streitigkeiten - über zahlreiche Chatnachrichten gegenseitige Liebesbekundungen aus. Allerdings verlieh die Nebenklägerin ihrer zunehmend angestauten Wut und Enttäuschung auch deutlichen Ausdruck, indem sie den Angeklagten im Rahmen von Chatkommunikation beleidigte und zurechtwies, Trennungsgedanken äußerte und ihn verbal bedrohte. Zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt versendete sie ein Foto der Polizeiwache in K. an ihn, um ihm sinngemäß damit zu drohen, ihm „etwas anzuhängen“.

Die Zeit vom 31. Juli bis zum 3. August 2020 verbrachten die Nebenklägerin und der Angeklagte gemeinsam im Haus der Nebenklägerin. In der Nacht vom 31. Juli auf den 1. August 2020 kam es „zum gegenseitigen oralen- und vaginalen Geschlechtsverkehr“, wobei die Kammer in Abweichung zum Vorwurf in der Anklageschrift nicht feststellen konnte, dass „dieser Geschlechtsverkehr nicht einvernehmlich“ erfolgte.

Der Verlauf des 2. August 2020 und der Nacht zum 3. August 2020 war durch ein im Einzelnen nicht aufklärbares, stundenlanges Streitgeschehen zwischen der Nebenklägerin und dem Angeklagten geprägt, wobei es „vorab oder im Zusammenhang mit diesem Streit“ zu „Oral- und Vaginalverkehr zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin“ kam, der abweichend vom Vorwurf in der Anklageschrift einvernehmlich erfolgte. In diesem Zusammenhang offenbarte der Angeklagte der Nebenklägerin, eine weitere Beziehung zu unterhalten, und zeigte ihr eine Aufnahme seiner hieraus hervorgegangenen Tochter. „Daraufhin war sowohl dem Angeklagten als auch der Nebenklägerin bewusst, dass die Beziehung nunmehr endgültig beendet war“.

In den frühen Morgenstunden des 3. August 2020 fuhr die Nebenklägerin den Angeklagten auf dessen Wunsch nach D. zu einem Schnellrestaurant. Auf der Rückfahrt und am Folgetag tauschten sich der Angeklagte und die Nebenklägerin - konfliktfrei und ohne Vorwürfe zu erheben - über Chatnachrichten aus. Gegenstand dieser Kommunikation war u.a. eine akute Magenverstimmung des Angeklagten. Etwaige Streitigkeiten, Übergriffigkeiten oder Sexualdelikte wurden im Rahmen des Chatverlaufs nicht thematisiert.

III.

Die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft hat keinen Erfolg.

1. Spricht der Tatrichter den Angeklagten frei, weil er Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist das durch das Revisionsgericht hinzunehmen, denn die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Ihm obliegt es, sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden. Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hätte. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder an die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten überhöhte Anforderungen stellt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 5. Dezember 2013 - 4 StR 371/13 Rn. 8 f.; weitere Nachweise bei Brause, NStZ-RR 2010, 329, 330 f.). Der Tatrichter ist gehalten, die Gründe für den Freispruch so vollständig und genau zu erörtern, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, anhand der Urteilsgründe zu prüfen, ob der Freispruch auf rechtsfehlerfreien Erwägungen beruht (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 13. Juli 2016 - 1 StR 94/16 Rn. 10; Beschluss vom 25. Februar 2015 - 4 StR 39/15 Rn. 2; Urteil vom 20. November 2013 - 2 StR 460/13, NStZ-RR 2014, 56). Zudem darf der Tatrichter bei der Überzeugungsbildung Zweifeln keinen Raum geben, die lediglich auf einer abstrakt-theoretischen Möglichkeit gründen (vgl. BGH, Urteil vom 29. September 2016 - 4 StR 320/16 Rn. 12; Urteil vom 29. April 1998 - 2 StR 65/98, NStZ-RR 1998, 275 mwN).

2. Daran gemessen hält die Beweiswürdigung des Landgerichts revisionsrechtlicher Überprüfung stand.

a) Der Angeklagte hat sich in der Hauptverhandlung zur Sache eingelassen und einvernehmlichen Geschlechtsverkehr im Sinne der Feststellungen geschildert. Die Strafkammer hat in den Blick genommen, dass der Angeklagte bei der Vergewaltigung, die seiner zum Zeitpunkt des Kennenlernens der Nebenklägerin zu verbüßenden Strafhaft zu Grunde lag, „einen ähnlichen modus operandi an den Tag legte“, wie bei den anklagegegenständlichen Taten. Auch hat sie die die Anklagevorwürfe bestätigenden Schilderungen der Nebenklägerin zum Kerngeschehen als „ausführlich, detailreich, in sich schlüssig sowie unter Wiedergabe innerpsychischen Erlebens“ bewertet und ihr zudem eine „hohe Aussagekonstanz“ bescheinigt.

b) Dennoch hat die Strafkammer insbesondere aufgrund der Berücksichtigung umfangreicher Chatkommunikation zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin Zweifel an der Begehung der angeklagten Taten durch den Angeklagten nicht überwinden können. Dabei ist sie rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass sich die Nebenklägerin im Zeitpunkt der Anzeigenerstattung aufgrund des endgültigen Scheiterns ihrer mehrjährigen Lebensplanung und der Beziehung zu dem Angeklagten in einer Situation befand, die durch große Enttäuschung und aufgestaute Wut auf den Angeklagten geprägt war. Zudem hat sie die frühere, durch die Versendung eines Fotos dokumentierte Drohung der Nebenklägerin herangezogen, dem Angeklagten durch eine Anzeige bei der Polizei „etwas anzuhängen“, und auf dieser Grundlage ein rachebedingtes Falschbelastungsmotiv nicht auszuschließen vermocht.

Zudem hat die Strafkammer nachvollziehbar eine Diskrepanz zwischen den in den Urteilsgründen wiedergegebenen Chatinhalten einerseits und der Schilderung eines jahrelang praktizierten gewalttätigen Sexuallebens durch die Nebenklägerin andererseits festgestellt. Auch hat sie in den Kommunikationsinhalten keine Stütze für die Aussage der Nebenklägerin gefunden, sie habe seit 2018 durchgehend Trennungsabsichten verfolgt, diese aber allein aufgrund körperlichen und psychischen Drucks durch den Angeklagten nicht umgesetzt. Denn die Chatnachrichten zeigen, dass die Nebenklägerin auch noch im Jahr 2020 initiativ und beharrlich die Nähe des Angeklagten suchte und Liebesbekundungen äußerte, während der Angeklagte versuchte, sich dem Kontakt zu entziehen. Möglichen die Glaubhaftigkeit der Aussage der Nebenklägerin nicht tangierenden Erklärungsansätzen für diese Diskrepanzen ist die Strafkammer in ausreichendem Maße nachgegangen, ohne sich hiervon im Ergebnis überzeugen zu können. Hierbei hat sie ebenfalls Chatinhalte herangezogen, die nachvollziehbar belegen, dass die Nebenklägerin anlässlich von ihr empfundenen Fehlverhaltens des Angeklagten im Rahmen der Beziehung grundsätzlich keineswegs Konflikte scheute, den Angeklagten hierbei deutlich zurechtwies, mitunter auch „handfeste Drohungen aussprach“ und ihn in „emotionaler Weise beleidigte“. Darüber hinaus hat sie ohne Rechtsfehler auf Grundlage der verlesenen Chatinhalte weitere Widersprüche zu verschiedenen Punkten des von der Nebenklägerin geschilderten Rahmengeschehens aufgezeigt.

Die Beweiswürdigung der Strafkammer ist somit nicht lückenhaft und beruht auf objektiven Grundlagen. Die von ihr hieraus gezogenen Schlüsse sind durchweg möglich - zwingend brauchen sie nicht zu sein. Auch wurden keine überspannten Anforderungen an die für eine Verurteilung erforderliche Überzeugungsbildung gestellt. Die Beweiswürdigung erweist sich demzufolge im Ergebnis als rechtsfehlerfrei.

IV.

Auch die Revision der Nebenklägerin hat keinen Erfolg. Die Verfahrensrügen versagen aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts. Die sachlich-rechtliche Prüfung des Urteils hat keinen durchgreifenden Rechtsfehler ergeben.

HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 176

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede