HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 759
Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 78/22, Beschluss v. 11.05.2022, HRRS 2022 Nr. 759
1. Es wird festgestellt, dass die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 16. November 2021 wirksam zurückgenommen ist.
2. Der Beschluss des Landgerichts Bielefeld vom 27. Januar 2022, durch den die Revision des Angeklagten als unzulässig verworfen wurde, ist gegenstandslos.
3. Der Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das vorbezeichnete Urteil wird verworfen.
4. Der Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittels und die durch das Adhäsionsverfahren entstandenen besonderen Kosten sowie die dem Neben- und Adhäsionskläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten am 16. November 2021 wegen gefährlicher Körperverletzung zu der Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und eine Einziehungs- sowie eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Gegen das Urteil hat der Pflichtverteidiger des Angeklagten am 23. November 2021 Revision eingelegt. In einem am 2. Dezember 2021 dem Landgericht zugegangenen Schreiben hat der Angeklagte erklärt, dass sein Verteidiger „einen Antrag auf Revision“ ohne seine „Erlaubnis“ gestellt habe, und gebeten, „auf den Antrag nicht einzugehen und falls das passiert ist, das ganze bitte einzustellen“. Nach Zustellung des Urteils an den Verteidiger des Angeklagten am 23. Dezember 2021 hat das Landgericht mit Beschluss vom 27. Januar 2022 die Revision gemäß § 346 Abs. 1 StPO als unzulässig verworfen, weil eine Revisionsbegründung bis dahin nicht eingegangen war. Mit Schriftsatz vom 2. Februar 2022 hat ein neuer Wahlverteidiger des Angeklagten die Revision begründet und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
1. Die Revision ist wirksam gemäß § 302 Abs. 1 StPO zurückgenommen.
a) Die Rücknahme einer Revision ist bis zur rechtskräftigen Entscheidung über sie möglich (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Oktober 2010 - 4 StR 388/10 mwN). Vorliegend ist der Verwerfungsbeschluss des Landgerichts erst nach Eingang des Rücknahmeschreibens des Angeklagten am 2. Dezember 2021 ergangen und steht der Rücknahme daher nicht entgegen.
b) Das Schreiben, dessen Herkunft von dem Angeklagten von beiden Verteidigern bestätigt worden ist und insgesamt keinen Zweifeln unterliegt, stellt eine formgerechte Rücknahmeerklärung dar. In ihm kommt eindeutig zum Ausdruck, dass der Angeklagte eine Durchführung des Rechtsmittelverfahrens nicht mehr wollte. Dieses bereits aus dem Wortlaut des Schreibens sich ergebende Verständnis des Erklärungsinhalts wird zusätzlich dadurch bekräftigt, dass der Pflichtverteidiger in einer vom Vorsitzenden der Strafkammer erbetenen Stellungnahme erklärt hat, dass die Revision „ausschließlich“ auf den ausdrücklichen Wunsch der Familie des Angeklagten infolge eines Besprechungstermins in der Kanzlei des Verteidigers eingelegt worden war, mithin offenkundig ohne den Willen des - zum Zeitpunkt des Besprechungstermins inhaftierten - Angeklagten.
c) Die Rücknahmeerklärung ist mit Eingang bei dem Landgericht wirksam geworden, wobei dahinstehen kann, ob sie von dem Angeklagten unmittelbar an dieses adressiert oder an die Staatsanwaltschaft gerichtet und von dieser an die Strafkammer weitergeleitet worden war (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 10. April 1991 - 2 Ws 46/91, JR 1992, 302 f.; Allgayer in MüKo-StPO, § 302 Rn. 21; Jesse in LR-StPO, 26. Aufl., § 302 Rn. 34). Die Rücknahme des Rechtsmittels ist unwiderruflich und unanfechtbar (vgl. BGH, Beschluss vom 20. August 2013 - 1 StR 305/13, NStZ-RR 2013, 381, 382; Beschluss vom 28. Oktober 2010 - 4 StR 388/10 mwN).
2. Da der Verteidiger des Angeklagten die Wirksamkeit der Revisionsrücknahme in Zweifel gezogen hat, stellt der Senat die eingetretene Rechtsfolge durch deklaratorischen Beschluss fest (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2015 - 4 StR 491/15 mwN).
3. Der Verwerfungsbeschluss des Landgerichts vom 27. Januar 2022 ist damit gegenstandslos. Ein Wiedereinsetzungsantrag ist rechtlich ausgeschlossen (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Oktober 2010 - 4 StR 388/10 mwN).
4. Da der Angeklagte die Revision wirksam zurückgenommen hat, hat er die Kosten des Rechtsmittels sowie die dem Nebenkläger hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen (§ 473 Abs. 1 Satz 1 und 2 StPO).
HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 759
Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß