HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 1475
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 423/22, Beschluss v. 16.08.2023, HRRS 2023 Nr. 1475
1. Auf die Revision des Angeklagten S. wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 23. März 2022 dahin geändert, dass der Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung in drei tateinheitlichen Fällen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt ist.
2. Auf die Revisionen der Angeklagten N. und No. wird das vorbezeichnete Urteil dahin geändert, dass die Angeklagten N. und No. jeweils wegen Körperverletzung mit Todesfolge tateinheitlich begangen mit zwei Fällen der gefährlichen Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt sind.
3. Die weiter gehenden Revisionen der Angeklagten werden verworfen.
4. Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Das Landgericht hat die Angeklagten N. und No. wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen und wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu Gesamtfreiheitsstrafen von zehn Jahren verurteilt. Im Übrigen hat es die Angeklagten freigesprochen. Den Angeklagten S. hat es, ebenfalls unter Freispruch im Übrigen, wegen gefährlicher Körperverletzung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt. Die jeweils auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten erzielen den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen sind sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
Nach den Feststellungen des Landgerichts standen sich am Tatabend gegen 22 Uhr nach einer vorausgehenden Verabredung auf dem Parkplatz eines Supermarktes in G. die feindlich gesinnten Gruppen um den Angeklagten N. einerseits und den A. andererseits gegenüber. Die Gruppe um den Angeklagten N. bestand ausschließlich aus den drei Angeklagten. Zu der Gruppierung um den A. gehörten fünf weitere Personen, darunter insbesondere die Zeugen Ga. und Sa. .
Die Angeklagten hatten zuvor - nachdem es zwischen dem Angeklagten N. und dem A. insbesondere in den Stunden vor dem Tatgeschehen zu wechselseitigen Provokationen und Beleidigungen gekommen war - den gemeinsamen Entschluss gefasst, vor einer Konfrontation mit dem A. und seinen Begleitern nicht zurückzuweichen, sich vielmehr einer tätlichen Auseinandersetzung gemeinsam zu stellen und ihrerseits körperliche Gewalt gegen ihre Kontrahenten auszuüben, um die auf Seiten des Angeklagten N. erlittenen Herabwürdigungen zu vergelten und als Sieger aus dem Konflikt hervorzugehen. Der Angeklagte No. führte ein Messer mit sich und beabsichtigte, dieses bei dem bevorstehenden Kampfgeschehen einzusetzen. Den Eintritt schwerwiegender, lebensgefährdender Verletzungen bei seinen Gegnern nahm er billigend in Kauf. Ob der Angeklagte N. seinerseits ein Messer mitführte, konnte nicht festgestellt werden. Er hielt es aber für möglich, dass der Angeklagte No. mit einem Messer oder einem ähnlichen gefährlichen Werkzeug bewaffnet war und dieses im Verlauf der Auseinandersetzung zum Einsatz bringen würde. Dies billigte der Angeklagte N. ebenso wie womöglich hierdurch bei seinen Gegnern entstehende lebensgefährliche Verletzungen. Der Angeklagte S. hielt es dagegen nicht für möglich, dass der Angeklagte N. bzw. der Angeklagte No. Messer oder vergleichbare Gegenstände mitführten und bei der Auseinandersetzung zum Einsatz bringen würden. Entsprechende, mittels gefährlicher Werkzeuge begangene Verletzungshandlungen billigte er folglich nicht.
Unmittelbar nach dem Eintreffen auf dem Parkplatz kam es zwischen dem Angeklagten N. und dem A. zu einem kurzen Streitgespräch, woraufhin einer der Begleiter des A. den Ausruf „Bring es zu Ende!“ an den A. richtete. A. führte daraufhin einen ersten Faustschlag in das Gesicht des Angeklagten N. Dies nahmen „die übrigen Beteiligten zum Anlass, ihrerseits aktiv in das Geschehen einzutreten, so dass sich augenblicklich eine tumultartige körperliche Auseinandersetzung zwischen den beiden Gruppen entwickelte“.
Der Angeklagte S. wurde bereits zeitnah nach dem Beginn der Auseinandersetzung mit Schlägen und Tritten traktiert, mit einem Messer am Bauch verletzt und zu Fall gebracht, so dass er im weiteren Verlauf nicht mehr aktiv in das gewalttätige Geschehen eingreifen konnte.
Im Laufe der Auseinandersetzung stach entweder der Angeklagte No. oder der Angeklagte N. mit einem Messer auf den A. ein, ohne dass dies von dem Willen getragen war, einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden. Der A. erlitt hierdurch eine einzelne Messerstichverletzung an der Körpervorderseite mittig, unmittelbar unterhalb des Brustbeins, an deren Folgen er kurze Zeit später in unmittelbarer Tatortnähe verstarb. Zudem stach entweder der Angeklagte No. oder der Angeklagte N. ohne Verteidigungswillen mit einem Messer mit bedingtem Tötungsvorsatz auf den Sa. ein. Dieser erlitt hierdurch eine akut lebensbedrohliche Messerstichverletzung am Oberbauch, die er nach notfallmedizinischer Behandlung schwer verletzt überlebte.
Im weiteren Verlauf kam es dazu, dass der Angeklagte N. den Ga., ohne dass dies von dem Willen getragen war, einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden, von vorne mit einer Hand in den geöffneten Mund fasste und ihn im rechten Mundwinkel festhielt. Daraufhin trat der Angeklagte No. von hinten an den Ga. heran und stach diesem mit einem Messer von oben herab in Verletzungsabsicht und ohne Verteidigungswillen in die linke Schulter. Hierauf versuchte der Ga. sich dem Griff des Angeklagten N. zu entwinden und der Angeklagte No. stach erneut in Verletzungsabsicht und ohne Verteidigungswillen zu und traf die rechte Schulter des Ga. Dieser erlitt durch die Messerstiche je eine Stichverletzung an jeder Schulter, eine Fraktur eines Schulterblattes und eine Schleimhautläsion im rechten Mundwinkel. Weitere Feststellungen zum Verlauf des Kampfgeschehens und der Mitwirkung der einzelnen Angeklagten hieran konnte die Kammer nicht treffen.
Die Strafkammer hat den Angeklagten S. wegen gefährlicher Körperverletzung in drei Fällen gemäß §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 4, 25 Abs. 2, 53 StGB verurteilt. Hinsichtlich des Angeklagten No. und des Angeklagten N. hat sie das festgestellte Geschehen jeweils als Körperverletzung mit Todesfolge und als gefährliche Körperverletzung in zwei Fällen (§§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2, 4 und 5, 227 Abs. 1, 18, 25 Abs. 2, 53 StGB) bewertet.
Die Revisionen der Angeklagten führen lediglich zu einer Abänderung der Schuldsprüche und einem Wegfall der Einzelfreiheitsstrafen. Die Gesamtstrafen bleiben als Strafen bestehen.
1. Die von den Angeklagten No., N. und S. erhobenen Verfahrensrügen versagen aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts.
2. Die Annahme von drei selbständigen, real konkurrierenden Taten der gefährlichen Körperverletzung (Angeklagter S.) bzw. der gefährlichen Körperverletzung in zwei Fällen und der Körperverletzung mit Todesfolge (Angeklagte No. und N.) hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
a) Sind an einer Deliktserie mehrere Personen als Mittäter beteiligt, ist die Frage, ob die einzelnen Taten tateinheitlich oder tatmehrheitlich zusammentreffen, bei jedem Beteiligten gesondert zu prüfen und zu entscheiden. Maßgeblich ist dabei der Umfang des erbrachten Tatbeitrags. Leistet ein Mittäter für alle oder einige Einzeltaten einen individuellen, nur je diese fördernden Tatbeitrag, so sind ihm diese Taten ? soweit keine natürliche Handlungseinheit vorliegt ? als tatmehrheitlich begangen zuzurechnen. Fehlt es an einer solchen individuellen Tatförderung, erbringt der Täter aber im Vorfeld oder während des Laufs der Deliktserie Tatbeiträge, durch die alle oder mehrere Einzeltaten seiner Tatgenossen gleichzeitig gefördert werden, sind ihm die gleichzeitig geförderten einzelnen Straftaten als tateinheitlich begangen zuzurechnen, da sie in seiner Person durch den einheitlichen Tatbeitrag zu einer Handlung im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB verknüpft werden. Ohne Bedeutung ist dabei, ob die Mittäter die einzelnen Delikte tatmehrheitlich begangen haben (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 30. Juli 2013 - 4 StR 29/13, juris Rn. 4; Beschluss vom 22. Dezember 2011 ? 4 StR 514/11, wistra 2012, 146; Urteil vom 17. Juni 2004 ? 3 StR 344/03, BGHSt 49, 177, 182 f.).
b) Die Strafkammer hat individuelle, die Taten zum Nachteil des A., Ga. und Sa. fördernde Beiträge der Angeklagten S., No. und N., die jeweils eine Bewertung als drei real konkurrierende Taten (§ 53 StGB) tragen, nicht festgestellt.
aa) Dies gilt zunächst für den Angeklagten S. Sein - rechtswidriger (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Februar 2013 - 1 StR 585/12, juris Rn. 16, 17 ff.) - Tatbeitrag erschöpfte sich darin, sich kampfbereit gemeinsam mit seinen Mittätern N. und No. aufgrund eines entsprechenden vorher gefassten Tatplans auf den Parkplatz zu begeben und plangemäß in die Auseinandersetzung mit der rivalisierenden Gruppe um den A. durch Aufnahme von Kampfhandlungen einzutreten. Konkurrenzrechtlich liegt daher im Hinblick auf den Angeklagten S. eine Tat der gefährlichen Körperverletzung in drei tateinheitlichen Fällen vor.
bb) Gleichermaßen ist die Annahme der gefährlichen Körperverletzung in zwei Fällen sowie der Körperverletzung mit Todesfolge hinsichtlich der Angeklagten N. und No. rechtsfehlerhaft. Denn die Strafkammer hat konkrete Tatbeiträge sowohl des Angeklagten N. als auch des Angeklagten No. nur im Hinblick auf die Ausführungshandlungen zum Nachteil des Ga. festgestellt. Hinsichtlich des Geschehens zum Nachteil des A. und des Sa. hat sie jeweils auch die Ausführung der festgestellten Verletzungshandlung durch den jeweils anderen (N. bzw. No.) nicht ausgeschlossen. Konkurrenzrechtlich liegt mit Blick auf das eine natürliche Handlungseinheit begründende Kampfgeschehen jeweils eine Tat der Körperverletzung mit Todesfolge, tateinheitlich begangen mit gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen vor.
c) Der Senat ändert die Schuldsprüche entsprechend. § 265 StPO steht nicht entgegen, da sich die Angeklagten gegen den geänderten Schuldvorwurf nicht wirksamer als geschehen hätten verteidigen können.
3. Die Änderung der Schuldsprüche führt zum Wegfall der Einzelstrafen. Die von der Strafkammer festgesetzten Gesamtstrafen können dagegen jeweils in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO als Strafe für eine einheitliche Tat bestehen bleiben. Der Senat kann ausschließen, dass der Tatrichter bei zutreffender Bewertung der Konkurrenzverhältnisse, die den Unrechtsund Schuldgehalt des von dem jeweiligen Angeklagten verwirklichten strafbaren Verhaltens unberührt lässt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 30. Juli 2013 - 4 StR 29/13, NStZ 2013, 641; Beschluss vom 13. Januar 2016 - 4 StR 322/15, NStZ 2016, 420, 421; Beschluss vom 4. November 2010 - 4 StR 374/10, NStZ-RR 2011, 79, 80), auf niedrigere Freiheitsstrafen erkannt hätte.
HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 1475
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede