HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 184
Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 314/21, Beschluss v. 08.12.2021, HRRS 2022 Nr. 184
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Arnsberg vom 25. März 2021 mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte wegen Totschlags verurteilt worden ist, sowie
b) im Gesamtstrafenausspruch.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts Hagen zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags und vorsätzlicher Körperverletzung zu der Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Nach den Feststellungen wohnten der Angeklagte, der später Getötete P. sowie die Zeugen G. und W. gemeinsam mit weiteren Arbeitskollegen in einem von ihrem Arbeitgeber als Unterkunft zur Verfügung gestellten ehemaligen Gasthof in M. .
Am Tattag hielten sich der Angeklagte, das Tatopfer und die beiden Zeugen zusammen mit einem weiteren Mitbewohner ab etwa 18.00 Uhr in dem als Aufenthaltsraum und Küche genutzten früheren Schankraum auf, aßen zu Abend und tranken Wodka. Gegen 22.00 Uhr gingen der Mitbewohner und der Zeuge W. zu Bett, während die drei anderen im Aufenthaltsraum sitzen blieben und weiter Wodka konsumierten. In der Folgezeit kam es aus einem nicht mehr feststellbaren Anlass zu einem Streit zwischen dem Zeugen G. und dem Tatopfer. Es entwickelte sich eine Schlägerei, bei der sich beide Männer wechselseitig mehrfach mit Fäusten schlugen und in deren Verlauf sie in die Glasscheibe einer Schiebetür fielen, ohne deshalb voneinander abzulassen. Das Tatopfer nahm schließlich einen Topf und schlug diesen dem Zeugen G. so wuchtig auf den Kopf, dass der Zeuge eine Platzwunde am Hinterkopf erlitt und kurzzeitig bewusstlos zu Boden ging.
Im weiteren Verlauf des in den Einzelheiten nicht mehr aufklärbaren Geschehens kam es nunmehr zu einer Auseinandersetzung zwischen dem Tatopfer und dem Angeklagten, die sich in den Hausflurbereich des Gebäudes verlagerte. Der Angeklagte, der sich mit einem wie ein Axtstiel geformten Holzstück bewaffnet hatte, schlug das Tatopfer mit dem Holzstück vor der Eingangstür zu Boden, wobei er zumindest die Möglichkeit erkannte, dass seine wuchtig geführten Schläge in das Gesicht des unbewaffneten und schließlich vollkommen wehrlosen Opfers dessen Tod herbeiführen könnten. Den möglichen Eintritt des Todes nahm er billigend in Kauf. Als der wieder zu sich gekommene Zeuge G. sich dem Geschehen im Flurbereich näherte, sah er das Opfer blutverschmiert und vollkommen reglos an einem Heizkörper angelehnt sitzen, während der seitlich vor ihm stehende Angeklagte mindestens dreimal mit dem Holzstück fest auf den Gesichtsbereich des Opfers einschlug. Sodann ließ der Angeklagte, der annahm, er habe alles Erforderliche zur Tötung des P. getan, von dem Tatopfer ab und holte hilfesuchend den Zeugen W. aus dessen im Obergeschoss gelegenen Zimmer, da er nicht wusste, was er nun mit der nach seiner Vorstellung im Flur befindlichen Leiche tun sollte. Nachdem der Angeklagte und der Zeuge W. gemeinsam die Treppe heruntergekommen waren und ein Röcheln des Tatopfers wahrgenommen hatten, nahm der Zeuge W. das vom Angeklagten angereichte Holzstück und schlug - entsprechend einer mit dem Angeklagten jedenfalls konkludent getroffenen Verständigung - mit dem Holz weitere zwei- bis dreimal in das Gesicht des Opfers, um es - wie von beiden gewollt - zu töten.
Durch die mit dem Holzstück geführten Schläge trug das Opfer zahlreiche Knochenbrüche im Kopf- und Gesichtsbereich davon. P. verstarb schließlich zeitnah an den Folgen eines stumpfen Schädel-Hirn-Traumas, das auf mindestens zwei mit erheblicher Wucht ausgeführte Schläge zurückzuführen war. Welche der dem Opfer beigebrachten Schlageinwirkungen dessen Tod verursachten, hat nicht festgestellt werden können.
Auf Aufforderung des Angeklagten erklärte sich der Zeuge G. bereit, beim Verbergen der Leiche zu helfen. Der Angeklagte und die Zeugen G. und W. trugen die Leiche des Tatopfers in den Garten des Anwesens und versteckten sie dort. Am Folgetag beteiligten sich alle drei Männer an der Beseitigung von Blutspuren. Nachdem der Zeuge W. die Fahrzeugschlüssel eines Arbeitskollegen an sich gebracht hatte, transportierten der Angeklagte und die Zeugen G. und W. die Leiche in dem Fahrzeug des Arbeitskollegen zu einem in der Nähe der Unterkunft gelegenen Maisfeld, wo sie einige Tage später aufgefunden wurde.
2. Das Landgericht hat seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten maßgeblich auf die als glaubhaft bewerteten Bekundungen des Zeugen G. gestützt, der in dem gegen ihn geführten Verfahren vom Vorwurf einer Beteiligung an der Tötung des Tatopfers rechtskräftig freigesprochen worden ist.
Ob ein am Tatort in einer Abstellkammer aufgefundener Vorschlaghammer, der Blutanhaftungen sowie auf das Tatopfer und den Zeugen G. als Spurenverursacher hindeutende DNA-Spuren aufwies, bei der Tötung des Opfers als Tatwerkzeug Verwendung fand, hat die Strafkammer nicht klären können.
Die Verurteilung des Angeklagten wegen Totschlags hat keinen Bestand, weil die Beweiswürdigung des Landgerichts zur Täterschaft des Angeklagten unter Berücksichtigung des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 7. Juni 1979 - 4 StR 441/78, BGHSt 29, 18, 20 f. mwN; Franke in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 337 Rn. 117 ff. mwN) durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet. Die Beweiserwägungen, auf welche die Strafkammer ihre Überzeugung von der Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen G. gestützt hat, erweisen sich in mehrfacher Hinsicht als unvollständig.
1. Als Indiz für die Glaubhaftigkeit der Bekundungen des Zeugen G. hat die Strafkammer die Qualität seiner Aussage herangezogen und für einen Erlebnisbezug seiner Angaben angeführt, dass der Zeuge einen mit verschiedenen Örtlichkeiten und handelnden Personen verknüpften komplexen Geschehensablauf geschildert und sein Bericht eine Reihe ausgefallener Details beinhaltet habe. Der Zeuge habe auch ungewöhnliche Umschreibungen verwendet und Handlungskomplikationen geschildert, die zu einer Selbstentlastung nicht erforderlich gewesen seien. Bei dieser Würdigung der inhaltlichen Qualität der Aussage hat das Landgericht aber nicht in Bedacht genommen, dass die jeweils der Bewertung zugrunde gelegten Aussageinhalte ? mit Ausnahme der vom Zeugen geschilderten Tatbeteiligung des Zeugen W. ? lediglich das Vor- und Nachtatgeschehen betreffen und keinen näheren Zusammenhang zu den Angaben des Zeugen zur eigentlichen Tatausführung aufweisen. Für die Glaubhaftigkeit der Schilderungen des Zeugen zur Tatbeteiligung des Angeklagten kommt diesen Aussageinhalten daher nur eine eingeschränkte Bedeutung zu.
Soweit es die Strafkammer angesichts der inhaltlichen Qualität und Komplexität der Schilderung für äußerst unwahrscheinlich erachtet hat, dass der Zeuge G. die Kompetenz habe, eine solche Aussage als Falschbelastung zu konstruieren, hat sie zudem übersehen, dass eine bewusste Falschaussage auch darin bestehen kann, einen tatsächlich erlebten Geschehensablauf in wenigen Einzelpunkten - hier hinsichtlich der Identität der Handelnden - zu verändern.
2. Bei ihrer im Rahmen der Glaubhaftigkeitsbeurteilung vorgenommenen Motivationsanalyse hat die Strafkammer zwar berücksichtigt, dass der Zeuge G., gegen den zunächst ebenfalls der Vorwurf einer Beteiligung an der Tötung des Tatopfers erhoben worden war, ein erhebliches Eigeninteresse an einer Falschbezichtigung des Angeklagten haben könnte, um sich selbst zu entlasten. Dieses Falschbelastungsmotiv sei allerdings durch den zwischenzeitlich erfolgten rechtskräftigen Freispruch des Zeugen in den Hintergrund gerückt. Diese Bewertung lässt außer Acht, dass dem Zeugen wegen der sich aus § 362 Nr. 4 StPO ergebenden Möglichkeit einer Wiederaufnahme zu Ungunsten eines Freigesprochenen im Falle selbstbelastender Angaben vor Gericht nach wie vor eine strafrechtliche Verfolgung droht. Der rechtskräftige Freispruch ist daher entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht geeignet, ein mögliches Selbstentlastungsmotiv des Zeugen zu relativieren.
3. Schließlich hat das Landgericht bei der Beweiswürdigung zum angenommenen bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten als vorsatzkritischen Gesichtspunkt in seine Überlegungen einbezogen, dass ein Motiv des Angeklagten zur Tötung des Tatopfers nicht erkennbar ist und zwischenmenschliche Probleme zwischen beiden nicht bekannt geworden sind. Das Fehlen eines erkennbaren Tatmotivs hätte aber nicht erst in die Bewertung der subjektiven Tatseite, sondern bereits in die Würdigung der Glaubhaftigkeit der Aussage des Zeugen G. und die hinsichtlich der Täterschaft vorzunehmende Gesamtbetrachtung aller Beweisanzeichen eingestellt werden müssen. In diesem Zusammenhang wäre auch die von der Strafkammer nicht erörterte Frage nach den möglichen Beweggründen des Zeugen W. für dessen vom Zeugen G. geschilderte Tatbeteiligung in den Blick zu nehmen gewesen.
4. Der gegen den Angeklagten erhobene Vorwurf des Totschlags zum Nachteil des P. bedarf daher einer neuen tatrichterlichen Verhandlung und Entscheidung. Der Senat macht von der Möglichkeit des § 354 Abs. 2 Satz 1 2. Alt. StPO Gebrauch und verweist die Sache an eine Schwurgerichtskammer des Landgerichts Hagen zurück.
Der neue Tatrichter wird Anlass haben, sich eingehender als bisher geschehen mit einem möglichen Einsatz des aufgefundenen Vorschlaghammers als Tatwerkzeug bei der Tötung des Tatopfers zu befassen. Ferner wird eine Entscheidung über den Anrechnungsmaßstab für die vom Angeklagten in Polen erlittene Auslieferungshaft zu treffen sein.
HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 184
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2022, 86
Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß