HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 178
Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 242/21, Beschluss v. 09.12.2021, HRRS 2022 Nr. 178
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Essen vom 24. März 2021 wird das vorbezeichnete Urteil
a) mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte in den Fällen II. 1) Taten 2 bis 10 der Urteilsgründe wegen sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen in neun Fällen, in den Fällen II. 2) Taten 12 bis 25 der Urteilsgründe wegen sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen in 14 Fällen und im Fall II. 3) Tat 27 der Urteilsgründe wegen Förderung sexueller Handlungen von Minderjährigen verurteilt worden ist; insoweit wird das Verfahren auf Kosten der Staatskasse eingestellt, die auch die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen hat;
b) im Schuldspruch dahingehend geändert, dass der Angeklagte des sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen in sieben Fällen und der Förderung sexueller Handlungen von Minderjährigen schuldig sowie im Übrigen freigesprochen ist;
c) im Gesamtstrafenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung zu Ziffer 1. c) wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen in 30 Fällen und Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Ferner hat es eine Einziehungsentscheidung getroffen. Auf seine Revision war das Urteil teilweise aufzuheben und das Verfahren einzustellen; auch die Gesamtstrafe konnte nicht bestehen bleiben. Im Übrigen war die Revision erfolglos.
1. Soweit das Landgericht den Angeklagten in den in der Beschlussformel bezeichneten Fällen verurteilt hat, fehlt es an der Verfahrensvoraussetzung einer Anklageerhebung und demzufolge auch an der eines Eröffnungsbeschlusses. Das Urteil ist daher insoweit aufzuheben und das Verfahren gemäß § 354 Abs. 1, § 206a Abs. 1 StPO einzustellen.
a) Mit der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage vom 4. Dezember 2020 hatte die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten zur Last gelegt, im Tatzeitraum in seiner Wohnung an den minderjährigen Zeugen W. und D. jeweils einmalig gegen Entgelt sexuelle Handlungen vorgenommen zu haben (Fälle C 13 und B 8). Außerdem soll er es dem Zeugen W. ermöglicht haben, in seiner Wohnung mehrfach der Prostitution nachzugehen (Fälle C 9 bis 12). In den Urteilsgründen werden hierzu für den Tatzeitraum zehn gegen Entgelt vorgenommene sexuelle Handlungen zum Nachteil des Zeugen W. (Fälle II. 1) Taten 1 bis 10 der Urteilsgründe), 15 gegen Entgelt vorgenommene sexuelle Handlungen zum Nachteil des Zeugen D. (Fälle II. 2) Taten 11 bis 25 der Urteilsgründe) sowie die Ermöglichung der mehrfachen Prostitutionsausübung durch die Zeugen W. und D. in der Wohnung des Angeklagten (Fälle II. 3) Taten 26 und 27) festgestellt.
b) Die auf diese Feststellungen gestützten Schuldsprüche haben keinen Bestand, soweit der Angeklagte wegen sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen in neun weiteren Fällen zum Nachteil des Zeugen W. (Fälle II. 1) Taten 2 bis 10 der Urteilsgründe), wegen sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen in 14 weiteren Fällen zum Nachteil des Zeugen D. (Fälle II. 2) Taten 12 bis 25 der Urteilsgründe) und wegen Förderung sexueller Handlungen von Minderjährigen zum Nachteil des Zeugen D. (Fall II. 3) Tat 27 der Urteilsgründe) verurteilt worden ist. Denn diese Taten waren nicht Gegenstand der zugelassenen Anklage. Erscheint ein Angeklagter nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung weiterer Straftaten im Sinne des § 264 StPO hinreichend verdächtig, hat die Staatsanwaltschaft diese ? gegebenenfalls im Wege der Nachtragsanklage (§ 266 StPO) ? (neu) anzuklagen (vgl. dazu BGH, Urteil vom 17. August 2000 ? 4 StR 245/00, NJW 2000, 3293, 3294). Da dies nicht geschehen ist, muss das Urteil insoweit aufgehoben und das Verfahren eingestellt werden.
2. Die Teilaufhebung des Urteils und die sich daran anschließende Teileinstellung des Verfahrens haben eine Änderung des Schuldspruchs und die Aufhebung der Gesamtstrafe zur Folge. Im Übrigen weist das Urteil keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf (§ 349 Abs. 2 StPO).
HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 178
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2022, 87
Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß