HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 995
Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 137/21, Beschluss v. 19.08.2021, HRRS 2021 Nr. 995
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bochum vom 3. Dezember 2020 im Schuldspruch dahingehend geändert, dass die Angeklagte in den Fällen III.12 und III.13 der Urteilsgründe des Diebstahls in Tateinheit mit Urkundenfälschung schuldig ist.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
3. Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung, versuchter gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen, vorsätzlicher Körperverletzung in zwei Fällen jeweils in Tateinheit mit Beleidigung, wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in sechs Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Betrug und in einem weiteren Fall in Tateinheit mit Urkundenfälschung, wegen Sachbeschädigung in drei Fällen, Diebstahls, Urkundenfälschung und Beleidigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Ferner hat es die Unterbringung der Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet, eine Sperre von zwei Jahren für die Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis bestimmt und die Einziehung eines näher bezeichneten Kraftfahrzeugs angeordnet. Hiergegen richtet sich die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision der Angeklagten. Das Rechtsmittel hat die Änderung des Schuldspruchs in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang und den Wegfall der Einzelstrafe im Fall III.12 der Urteilsgründe zur Folge. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Verfahrensrügen haben aus den Gründen der Zuschrift des Generalbundesanwalts keinen Erfolg. Bei den als Inbegriffsrüge gemäß § 261 StPO geltend gemachten Beanstandungen handelt es sich tatsächlich um sachlich-rechtliche Angriffe gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts.
2. Soweit das Landgericht im Fall III.1 der Urteilsgründe (insoweit im Sicherungsverfahren) davon ausgegangen ist, dass die Beschuldigte im Zustand nicht ausschließbar aufgehobener Einsichtsfähigkeit neben der versuchten gefährlichen Körperverletzung tateinheitlich ein unerlaubtes Entfernen vom Unfallort begangen habe (§ 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB), ist ein Unfall im Straßenverkehr nicht festgestellt.
Unter dem Begriff des Unfalls im Straßenverkehr ist jedes mit dem Straßenverkehr ursächlich zusammenhängende Ereignis zu verstehen, durch das ein Mensch zu Schaden kommt oder ein nicht ganz belangloser Sachschaden verursacht wird (vgl. BGH, Urteil vom 27. Juli 1972 - 4 StR 287/72, BGHSt 24, 382, 383). Vorliegend fehlt es jedoch an einem Personenschaden. Nach den Feststellungen fuhr die Beschuldigte zwar mit der Stoßstange ihres Kraftfahrzeugs gegen das Knie des Zeugen. Jedoch erlitt dieser weder Verletzungen noch Schmerzen.
Der Senat schließt aus, dass die Anordnung der Maßregeln auf diesem Rechtsfehler beruht. Das Landgericht hat weder die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB noch die Anordnung der isolierten Sperrfrist gemäß § 69a Abs. 1 Satz 3 StGB auf den Tatbestand des § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB gestützt.
3. In den Fällen III.12 und III.13 der Urteilsgründe hält die konkurrenzrechtliche Bewertung des Diebstahls eines fremden Fahrzeugkennzeichens (Fall III.12) und der Urkundenfälschung durch das Anbringen des amtlichen Kennzeichens am Kraftfahrzeug der Angeklagten (Fall III.13) als tatmehrheitlich begangene Taten der sachlich-rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
a) Der Diebstahl des Kennzeichens und dessen Anbringen am eigenen Fahrzeug der Angeklagten stellen eine natürliche Handlungseinheit dar, wenn ein unmittelbarer räumlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht und das gesamte Tätigwerden bei natürlicher Betrachtungsweise als ein einheitliches Tun erscheint (vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. Januar 2014 - 4 StR 528/13; vom 15. Februar 2017 - 4 StR 629/16).
So liegt der Fall hier. Das Landgericht hat nicht bedacht, dass das als Urkundenfälschung gewertete Anbringen der Kennzeichen (Fall III.13) in zeitlichem Zusammenhang mit dem in der Nacht zuvor ausgeführten Diebstahl des Kennzeichens (Fall III.12) erfolgte und die Taten deshalb als tateinheitliches Geschehen zu werten sind.
b) Der Senat hat den Schuldspruch entsprechend geändert. Dadurch entfällt die Einzelstrafe im Fall III.12.
c) Der Gesamtstrafenausspruch wird von der Änderung im Schuldspruch nicht berührt. Der Senat schließt angesichts der Einsatzstrafe von einem Jahr und drei Monaten und jeweils mehreren Einzelstrafen von einem Jahr, zehn Monaten und acht Monaten Freiheitsstrafe aus, dass das Landgericht ohne die weggefallene Einzelstrafe von acht Monaten auf eine mildere Gesamtstrafe erkannt hätte.
4. Die Anordnung der Unterbringung der Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Nachprüfung stand.
Zwar hat das Landgericht als Anlasstat auch die versuchte gefährliche Körperverletzung aus der Tat III.1 der Urteilsgründe herangezogen, obwohl es hierzu lediglich festgestellt hat, dass die Einsichtsfähigkeit der Beschuldigten sicher erheblich vermindert und nicht ausschließbar aufgehoben war. Eine erheblich verminderte Einsichtsfähigkeit ist strafrechtlich indes erst dann von Bedeutung, wenn sie das Fehlen der Einsicht zur Folge hat, während die Schuld eines Beschuldigten nicht gemildert wird, wenn er ungeachtet seiner erheblich verminderten Einsichtsfähigkeit das Unrecht seines Tuns zum Tatzeitpunkt tatsächlich eingesehen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 2. August 2012 - 3 StR 259/12 Rn. 5). Dazu verhält sich das Urteil nicht. Allein durch den Hinweis auf die zumindest erheblich verminderte Einsichtsfähigkeit sind die Voraussetzungen von § 21 StGB nicht positiv festgestellt. Damit ist nicht belegt, dass diese Tat symptomatisch für die psychische Erkrankung der Beschuldigten war.
Jedoch kann der Senat angesichts der weiteren erheblichen Straftaten, für die das Landgericht rechtsfehlerfrei eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit aufgrund der psychischen Erkrankung der Angeklagten festgestellt hat, ausschließen, dass sich die unzureichende Beurteilung von Tat III.1 der Urteilsgründe auf die Gefährlichkeitsprognose ausgewirkt hat.
5. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen der Angeklagten nachteiligen Rechtsfehler ergeben.
6. Angesichts des geringen Teilerfolgs der Revision ist es nicht unbillig, die Angeklagte mit den gesamte Kosten ihres Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO).
HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 995
Externe Fundstellen: StV 2022, 12
Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß