HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 565
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 457/20, Beschluss v. 04.02.2021, HRRS 2021 Nr. 565
1. Auf die Revision des Angeklagten Y. S. wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 2. März 2020, soweit es ihn betrifft, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte in den Fällen II. 3.a bis o der Urteilsgründe verurteilt worden ist,
b) im gesamten Strafausspruch sowie
c) im Ausspruch über die Einziehung.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 13 Fällen sowie wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit einem tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt und die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 42.329,10 € angeordnet. Dagegen wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
1. Soweit der Angeklagte in den Fällen II. 3. a bis o der Urteilsgründe wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 13 Fällen gemäß § 30a Abs. 1 BtMG verurteilt worden ist, halten die Schuldsprüche revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand, da die diesen Taten zugrunde liegende Beweiswürdigung rechtsfehlerhaft ist.
a) Nach den insoweit getroffenen Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte Mitglied einer aus sieben Personen bestehenden Gruppierung, die gewinnbringend Kokain und Marihuana an Endkonsumenten verkaufte. In der Zeit vom 31. Juli 2018 bis 2. März 2019 bestellte er an einzelnen Tagen mindestens jeweils 50 bis 65 Gramm Kokain zu 40 € bzw. 41 € pro Gramm. Das Kokain holte entweder der Angeklagte selbst oder ein Mitglied der Gruppierung bei den Verkäufern ab, worauf es gewinnbringend von Mitgliedern der Gruppierung an verschiedene Abnehmer weiterverkauft wurde.
b) Die diesen Feststellungen zugrunde liegende Beweiswürdigung weist durchgreifende Mängel auf.
Die Urteilsgründe müssen klar, geschlossen, erschöpfend und aus sich heraus verständlich sein (BGH, Beschluss vom 22. August 2012 - 1 StR 317/12, NStZ 2013, 410; Beschluss vom 8. Dezember 2005 - 4 StR 198/05, StV 2006, 118; Beschluss vom 5. April 2000 - 3 StR 58/00, NStZ-RR 2000, 304; Urteil vom 13. Oktober 1981 - 1 StR 471/81, BGHSt 30, 225, 227). Von den Sonderfällen des § 267 Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 2 StPO abgesehen sind Verweisungen oder Bezugnahmen auf Schriftstücke oder andere Erkenntnisquellen außerhalb des Urteils unzulässig, sofern dadurch die gebotene eigene Sachdarstellung ersetzt werden soll (BGH, Beschluss vom 30. Juni 2015 - 3 StR 179/15).
Diesen Anforderungen wird das Urteil nicht gerecht. Die zum Kokainhandel überwiegend geständige Einlassung des Angeklagten hat das Landgericht bereits deshalb nicht von der Pflicht zur sorgfältigen Beweiswürdigung entbunden, weil der Angeklagte die Bandenmitgliedschaft in Abrede gestellt hat.
Seine Überzeugung von der Handelstätigkeit des Angeklagten aus einer Gruppenstruktur heraus hat das Landgericht maßgeblich auf die Aussage des Zeugen D. gestützt, die es insbesondere durch „korrespondierende Gesprächsprotokolle der Telefonüberwachung“ und durch Lichtbilder aus der Observation bestätigt gesehen hat. Darüber hinaus hat das Landgericht zum Nachweis der hervorgehobenen Stellung des Angeklagten in der Gruppierung auf die Auswertung eines Ringbuches und der sich hieraus ergebenden „Buchführung“ des Angeklagten verwiesen.
Davon abgesehen, dass es bereits an einer geschlossenen Darstellung der Aussage des Zeugen D. zu seinen Erkenntnissen einer Bandentätigkeit fehlt, die die pauschale Wertung des Landgerichts, der Zeuge habe glaubhaft bekundet, welche Rolle dem Angeklagten, dem Mitangeklagten und weiteren Personen „innerhalb der Gruppierung“ zukam, nachvollziehbar machen würde, erschöpfen sich die Ausführungen des Landgerichts zum Nachweis einer Bandenstruktur in weiten Teilen in der Bezugnahme auf verlesene Protokolle aus der Telefonüberwachung, ohne deren wesentlichen Inhalte mitzuteilen. Der Hinweis auf die Aktenfundstellen dieser Beweismittel ist im Rahmen der Beweiswürdigung in einem Urteil ebenso unbehelflich wie überflüssig. Auch hinsichtlich des Ringbuchs mit der „Buchführung“ des Angeklagten findet sich nur der Hinweis auf die Fundstelle in den Akten. Die Mitteilung des Inhalts, das die Wertung des Landgerichts zur hervorgehobenen Stellung des Angeklagten in der Gruppierung stützen soll, findet sich im Urteil nicht.
Die Mängel in der Darstellung der Beweiswürdigung, die sich auch bei der Würdigung der Einzeltaten, soweit sie vom Angeklagten bestritten wurden, in gleicher Wiese finden, sind durchgreifend. Die vom Landgericht gezogenen Schlüsse sind insbesondere zum Bandenhandel in wesentlichen Teilen nicht nachvollziehbar.
2. Die Aufhebung der Schuldsprüche zu den Taten II. 3. a bis o zieht die Aufhebung der Einziehungsentscheidung nach sich. Die rechtsfehlerfrei begründete Nichtanordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ist von der Aufhebung des Schuldspruchs hingegen nicht berührt.
3. Aufgrund der Aufhebung der Einzelstrafen zu den Taten II. 3. a bis o erstreckt der Senat die Aufhebung des Strafausspruchs auch auf die rechtsfehlerfrei festgestellte und belegte Tat II. 3. p, um dem neuen Tatrichter eine ausgewogene Strafzumessung zu ermöglichen, zumal das Landgericht bei der Bemessung dieser Einzelstrafe eine Vorstrafe als einschlägig berücksichtigt hat, obwohl dieser Umstand nur für die Taten II. 3. a bis o bestimmend ist.
HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 565
Externe Fundstellen: NStZ 2022, 474
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner