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HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 141

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 297/20, Beschluss v. 16.12.2020, HRRS 2021 Nr. 141


BGH 4 StR 297/20 - Beschluss vom 16. Dezember 2020 (LG Dortmund)

Beihilfe (Voraussetzungen der Beihilfe; doppelter Gehilfenvorsatz: erforderliche Feststellungen zur konkreten Haupttat); Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung (Würdigung von „Zeugen vom Hörensagen“).

§ 27 Abs. 1 StGB; § 261 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Nach § 27 Abs. 1 StGB wird als Gehilfe bestraft, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet hat. Die Strafbarkeit wegen Beihilfe setzt danach in objektiver Hinsicht eine von einem anderen vorsätzlich begangene rechtswidrige Haupttat sowie deren Förderung durch den Gehilfen voraus.

2. Hinsichtlich der subjektiven Tatseite muss sich der Vorsatz des Gehilfen auf die Haupttat beziehen und sowohl die Verwirklichung der nach ihren wesentlichen Merkmalen oder Grundlagen hinreichend konkretisierten Tat des anderen als auch die Förderung dieser Tat durch einen eigenen Unterstützungsbeitrag umfassen. Schließlich ist auch die konkurrenzrechtliche Beurteilung der vom Gehilfen erbrachten Unterstützungsleistung von den konkreten Gegebenheiten der Haupttat abhängig. So liegt wegen der sich aus der Regelung des § 27 StGB ergebenden Akzessorietät der Beihilfe nur eine einheitliche Beihilfetat vor, wenn der Gehilfe eine Haupttat durch mehrere Hilfeleistungen unterstützt. Fördert der Gehilfe mit einem einzigen Unterstützungsbeitrag mehrere rechtlich selbständige Haupttaten, liegt ebenfalls ein in seiner Person tateinheitlich verknüpftes Beihilfedelikt vor. Aus den dargelegten Gründen ist die Strafbarkeit eines Gehilfen überhaupt nur in Bezug auf eine konkrete Haupttat zu beurteilen. Die Verurteilung wegen einer Beihilfetat setzt daher zwingend Feststellungen zu der vom Gehilfen geförderten Tat des anderen voraus.

3. Auf Aussagen von „Zeugen vom Hörensagen“ können Feststellungen, welche den Schuldspruch tragen, nur gestützt werden, wenn die Bekundungen durch andere gewichtige Beweisanzeichen außerhalb der Aussagen bestätigt worden sind. Sollen Erkenntnisse aus anderen Strafverfahren als Belastungsindizien herangezogen werden, müssen diese in der Hauptverhandlung prozessordnungsgemäß festgestellt und im Urteil beweiswürdigend belegt werden.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 23. Januar 2020 mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben

a) soweit der Angeklagte in den Fällen II. Taten 1 bis 18 der Urteilsgründe verurteilt worden ist,

b) im gesamten Strafausspruch sowie

c) im Ausspruch über die Einziehung, soweit drei Mobiltelefone und der Wert von Taterträgen eingezogen worden sind.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum bandenmäßigen unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 18 Fällen und wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu der Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Des Weiteren hat es 0,31 Gramm Marihuana und drei sichergestellte Mobiltelefone eingezogen und die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 18.000 € angeordnet. Hiergegen richtet sich die auf mehrere Verfahrensbeanstandungen und die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

Nach den Feststellungen schloss sich der Angeklagte spätestens Mitte Mai 2018 mit dem gesondert verfolgten Z. und drei anderen zusammen, um fortan arbeitsteilig gewinnbringend Kokain an verschiedene Abnehmer zu verkaufen. Während Z. nach der in der Gruppierung getroffenen Vereinbarung für die Beschaffung des Kokains, die Telefonkontakte mit den Abnehmern und die Koordination der Läufer zuständig war, sollten die drei anderen als Läufer im Schichtbetrieb die Straßenverkäufe des Kokains abwickeln. Dem Angeklagten oblag es, bei Schichtbeginn die Tagesverkaufsportionen an Kokain sowie das für den Kontakt mit Z. vorgesehene Arbeitshandy an die Läufer zu übergeben, die Läufer im Falle eines vollständigen Abverkaufs des Kokains vor Schichtende mit Nachschub zu versorgen und die Verkaufserlöse von den Läufern nach Schichtende entgegenzunehmen.

Entsprechend dieser zur Aufgabenverteilung getroffenen Abrede übergab der Angeklagte im Zeitraum von Mitte Mai 2018 bis zum 4. Juni 2018 an mindestens 18 nicht näher bestimmbaren Tagen einem der Läufer zu dessen Schichtbeginn jeweils 40 Bubbles zu je 0,4 Gramm Kokain mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 90 %. Der Läufer veräußerte das Kokain anschließend für 25 € pro Bubble an verschiedene Abnehmer weiter, deren Bestellungen zuvor von dem gesondert verfolgten Z. entgegengenommen worden waren. Die vereinnahmten Erlöse gab der Läufer an den Angeklagten weiter.

Am 17. Mai 2019 bewahrte der Angeklagte in seiner Wohnung 0,31 Gramm Marihuana auf, die anlässlich einer Wohnungsdurchsuchung sichergestellt wurden.

II.

Die Verurteilungen des Angeklagten jeweils wegen Beihilfe zum bandenmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in den Fällen II. Taten 1 bis 18 der Urteilsgründe halten einer rechtlichen Prüfung nicht stand, weil sich die Urteilsausführungen nicht zu den vom Angeklagten als Gehilfen geförderten Haupttaten verhalten.

1. Nach § 27 Abs. 1 StGB wird als Gehilfe bestraft, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet hat. Die Strafbarkeit wegen Beihilfe setzt danach in objektiver Hinsicht eine von einem anderen vorsätzlich begangene rechtswidrige Haupttat sowie deren Förderung durch den Gehilfen voraus. Hinsichtlich der subjektiven Tatseite muss sich der Vorsatz des Gehilfen auf die Haupttat beziehen und sowohl die Verwirklichung der nach ihren wesentlichen Merkmalen oder Grundlagen hinreichend konkretisierten Tat des anderen als auch die Förderung dieser Tat durch einen eigenen Unterstützungsbeitrag umfassen. Schließlich ist auch die konkurrenzrechtliche Beurteilung der vom Gehilfen erbrachten Unterstützungsleistung von den konkreten Gegebenheiten der Haupttat abhängig. So liegt wegen der sich aus der Regelung des § 27 StGB ergebenden Akzessorietät der Beihilfe nur eine einheitliche Beihilfetat vor, wenn der Gehilfe eine Haupttat durch mehrere Hilfeleistungen unterstützt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 1. August 2000 ? 5 StR 624/99, BGHSt 46, 107, 116; Beschlüsse vom 2. September 2008 ? 5 StR 356/08, NStZ-RR 2008, 386; vom 21. Januar 2014 ? 1 StR 664/13, NStZ 2014, 465). Fördert der Gehilfe mit einem einzigen Unterstützungsbeitrag mehrere rechtlich selbständige Haupttaten, liegt ebenfalls ein in seiner Person tateinheitlich verknüpftes Beihilfedelikt vor (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 28. Oktober 2004 ? 4 StR 59/04, BGHSt 49, 306, 316; Beschluss vom 7. Oktober 2014 ? 4 StR 371/14, wistra 2015, 56; Urteil vom 22. Juli 2015 ? 1 StR 447/14, NStZ 2016, 39, 40). Aus den dargelegten Gründen ist die Strafbarkeit eines Gehilfen überhaupt nur in Bezug auf eine konkrete Haupttat zu beurteilen. Die Verurteilung wegen einer Beihilfetat setzt daher zwingend Feststellungen zu der vom Gehilfen geförderten Tat des anderen voraus.

2. Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Die Strafkammer hat ihre Würdigung des Verhaltens des Angeklagten als Beihilfe zum bandenmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 18 Fällen ausschließlich darauf gestützt, dass die Tatbeiträge des Angeklagten bei wertender Betrachtung nicht als mittäterschaftliche Beteiligung, sondern als Förderung fremden Tuns zu qualifizieren sind. Mit der Frage, welche als täterschaftliches Handeltreiben mit Betäubungsmitteln zu wertenden Umsatzgeschäfte von Mitgliedern der Bande durch die Unterstützungshandlungen des Angeklagten gefördert wurden, hat sich das Landgericht nicht erkennbar befasst. Tatsächliche Feststellungen zu den vom Angeklagten unterstützten Haupttaten sind weder ausdrücklich getroffen worden, noch lassen sie sich dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe entnehmen. Der Schuldspruch des angefochtenen Urteils wäre allenfalls dann zutreffend, wenn sich die vom Angeklagten geförderten Taten des bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge jeweils in dem Absatz der vom Angeklagten zu Schichtbeginn an den Läufer übergebenen Kokainbubbles erschöpfte. Eine solche Sachverhaltsgestaltung liegt aber angesichts der sonstigen Urteilsausführungen in hohem Maße fern. So hat die Strafkammer zu der innerhalb der Bande vereinbarten Aufgabenverteilung festgestellt, dass es dem Angeklagten oblag, die Läufer bei vollständigem Abverkauf des zunächst als Tagesverkaufsportion übergebenen Kokains mit Nachschub zu versorgen. Den im Urteil mitgeteilten Bekundungen des Hauptbelastungszeugen bei seinen polizeilichen Vernehmungen, die vom Landgericht als uneingeschränkt glaubhaft bewertet worden sind, ist zudem zu entnehmen, dass im Tatzeitraum über die von den Läufern abgewickelten Straßenverkäufe hinaus von Mitgliedern der Bande auch größere Verkäufe von fünf bis 40 Gramm Kokain vorgenommen wurden.

3. Die Verurteilungen des Angeklagten jeweils wegen Beihilfe zum bandenmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in den Fällen II. Taten 1 bis 18 der Urteilsgründe können demnach nicht bestehen bleiben. Die Aufhebung der Verurteilungen entzieht der Gesamtstrafe sowie der angeordneten Einziehung des Wertes von Taterträgen und der drei Mobiltelefone die Grundlage. Es kommt daher nicht mehr darauf an, dass eine Verwendung der Telefone als Tatmittel gerade bei den ausgeurteilten Beihilfetaten bislang nicht festgestellt ist. Wegen des Zusammenhangs, den die Strafkammer bei der Bemessung der im Fall II. Tat 19 der Urteilsgründe verhängten Strafe mit den Verurteilungen in den weiteren Fällen hergestellt hat, hebt der Senat auch diese Strafe auf.

III.

Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

Auf Aussagen von „Zeugen vom Hörensagen“ können Feststellungen, welche den Schuldspruch tragen, nur gestützt werden, wenn die Bekundungen durch andere gewichtige Beweisanzeichen außerhalb der Aussagen bestätigt worden sind (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 1. August 1962 ? 3 StR 28/62, BGHSt 17, 382, 386; vom 29. Juli 1998 ? 1 StR 94/98, BGHSt 44, 153, 158; vom 16. Mai 2002 ? 1 StR 40/02, NStZ 2002, 656, 657; Beschlüsse vom 10. Juni 2013 ? 5 StR 191/13, wistra 2013, 400; vom 7. September 2017 ? 1 StR 329/17, NStZ-RR 2018, 21; vgl. Sander in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 261 Rn. 83a mwN). Sollen Erkenntnisse aus anderen Strafverfahren als Belastungsindizien herangezogen werden, müssen diese in der Hauptverhandlung prozessordnungsgemäß festgestellt und im Urteil beweiswürdigend belegt werden.

HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 141

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2021, 78; StV 2021, 423; StV 2022, 9

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner