HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 1227
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 14/20, Urteil v. 10.09.2020, HRRS 2020 Nr. 1227
1.Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 7. August 2019 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2.Die Revision des Angeklagten wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt und die Einziehung „eines Betrages“ von 2.800 Euro angeordnet. Hiergegen wenden sich die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte mit ihren Revisionen. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Die Revision des Angeklagten ist unbegründet.
1. Nach den Feststellungen begaben sich der Angeklagte und der anderweitig verfolgte M. am 18. Oktober 2018 zum Haus des Geschädigten, um dort einen Einbruch zu begehen. Nachdem der anderweitig verfolgte M. an der Eingangstür geklingelt hatte, aber nicht eingelassen worden war, gelangten sie ins Haus, indem der Angeklagte die angekippte Terrassentür entriegelte. Einen „näheren“ gemeinsamen Tatplan gab es zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Besprochen war lediglich, dass der Geschädigte während der Tatbegehung von einem Täter „bewacht“ werden sollte, damit er nicht die Polizei alarmieren konnte.
Der Angeklagte und der gesondert verfolgte M. trafen im Wohnzimmer auf den Geschädigten. Der Angeklagte brachte den Geschädigten durch einen Schlag auf den Rücken zu Boden, um erwarteten Widerstand zu brechen. Anschließend wurde der Geschädigte am Boden liegend von dem anderweitig verfolgten M. bewacht. Der Angeklagte verließ das Wohnzimmer und durchsuchte die Wohnung. Währenddessen fesselte der gesondert verfolgte M. den Geschädigten mit einer Kordel, ohne dass dies zuvor mit dem Angeklagten abgestimmt, von diesem gebilligt oder Teil des gemeinsamen Tatplans gewesen wäre. Nach einigen Minuten hatte der Angeklagte die Wohnung durchsucht und dabei 2.800 Euro sowie eine Uhr „erbeutet“. Zurückgekehrt ins Wohnzimmer bemerkte der Angeklagte erstmals, dass M. den Geschädigten gefesselt hatte. Ferner hörte er, wie M. den am Boden liegenden Geschädigten fragte: „Wo Geld?“. Eine ergänzende Drohung „…sonst Du tot“, die der gesondert verfolgte M. möglicherweise abgegeben hatte, hörte er nicht. Der Angeklagte informierte nunmehr den anderweitig verfolgten M. über seine Beutefunde, worauf beide das Haus verließen. Den gefesselten Geschädigten ließen sie im Wohnzimmer zurück und verriegelten noch die Tür zwischen Wohnzimmer und Diele. Die Fesselung „war nicht besonders wirkungsvoll“, sodass sich der Geschädigte befreien und eine Nachbarin verständigen konnte.
2. Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg, weil das Landgericht bei seiner rechtlichen Wertung in Bezug auf eine Strafbarkeit gemäß § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB das Vorliegen einer sukzessiven Mittäterschaft nicht erörtert hat.
a) Die Annahme des Landgerichts, ein gemeinschaftlich begangener schwerer Raub im Sinne des § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB liege nicht vor, weil nicht habe festgestellt werden können, dass der Angeklagte von dem Einsatz der Kordel als Fesselungswerkzeug Kenntnis gehabt und deren Verwendung gebilligt habe, schöpft die Feststellungen nicht aus. Danach bemerkte der Angeklagte, als er mit der Beute in das Wohnzimmer zurückkehrte, dass der gesondert verfolgte M. den Geschädigten gefesselt hatte.
b) Durch die zu diesem Zeitpunkt erlangte Kenntnis und sein nachfolgendes Verhalten kann der Angeklagte auch noch sukzessiver Mittäter eines schweren Raubes gemäß § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB geworden sein, dessen Tatbestand der anderweitig verfolgte M. durch den Einsatz eines ihm zur Verfügung stehenden Fesselungswerkzeuges (Kordel) verwirklicht hat (vgl. dazu BGH, Urteil vom 4. August 2016 - 4 StR 195/16, NStZ-RR 2016, 339, 340 mwN).
aa) Sukzessive Mittäterschaft, die sich auch auf die Verwirklichung von qualifizierenden Merkmalen (vgl. BGH, Urteil vom 24. April 1952 ? 3 StR 48/52, BGHSt 2, 344 [zu § 243 Abs. 1 Satz 2 StGB a.F.]; weitere Nachweise bei Heine/Weißer in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 25 Rn. 96) beziehen kann, liegt vor, wenn in Kenntnis und mit Billigung des bisher Geschehenen - auch wenn dies von dem ursprünglichen gemeinsamen Tatplan abweicht - in eine bereits begonnene Ausführungshandlung als Mittäter eingetreten wird. Das Einverständnis bezieht sich dann auf die Gesamttat mit der Folge, dass diese strafrechtlich zugerechnet wird. Nur für das, was vollständig abgeschlossen vorliegt, vermag das Einverständnis die strafrechtliche Verantwortlichkeit nicht zu begründen, selbst wenn die hinzutretende Person dessen Folgen kennt, billigt und ausnutzt (vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 2019 ? 2 StR 594/18, NStZ 2019, 513 Rn. 6; Urteil vom 25. April 2017 - 5 StR 433/16, NStZ-RR 2017, 221 f.; Beschluss vom 7. März 2016 ? 2 StR 123/15, NStZ 2016, 524, 525; Urteil vom 18. Dezember 2007 - 1 StR 301/07, NStZ 2008, 280, 281; Urteil vom 16. Dezember 1980 - 1 StR 580/80, JZ 1981, 596; Urteil vom 24. April 1952 ? 3 StR 48/52, BGHSt 2, 344, 346 mwN). Ein die Mittäterschaft begründender Eintritt kann vor der Vollendung der Tat erfolgen, etwa indem eine auf die Vollendung der geplanten Tat abzielende Handlung in Kenntnis des bisher Geschehenen vorgenommen oder fortgesetzt wird (vgl. BGH, Urteil vom 25. April 2017 - 5 StR 433/16, NStZ-RR 2017, 221 f. [Wegnahme nach planwidrigem Messereinsatz der Mittäter beim Raub]; Urteil vom 18. Dezember 2007 - 1 StR 301/07, NStZ 2008, 280, 281 mwN [Wegnahme nach planwidrigem tödlichen Angriff des Mittäters auf das Raubopfer]). Sie ist aber auch noch nach der strafrechtlichen Tatvollendung möglich, solange der zunächst allein Handelnde die Tat noch nicht beendet hat (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Juli 2000 ? 5 StR 245/00, NStZ 2000, 594; Urteil vom 16. Dezember 1980 - 1 StR 580/80, JZ 1981, 596; krit. dazu Murmann in: SSW-StGB, 4. Aufl., § 25 Rn. 39 f. mwN). Deshalb kann die Zurechnung einer vom ursprünglichen Tatplan nicht umfassten Erfüllung eines Qualifikationsmerkmals auch dann noch erfolgen, wenn der qualifizierende Umstand nach der Tatvollendung noch vorliegt und von dem Hinzutretenden in dessen Kenntnis und unter Ausnutzung des Erschwerungsgrundes noch auf die Sicherung des Taterfolges gerichtete Handlungen vorgenommen werden.
b) Nach den Feststellungen dauerte die in der Fesselung mit der Kordel liegende Gewaltanwendung durch den anderweitig verfolgten M. im Zeitpunkt der Kenntniserlangung durch den Angeklagten noch an. Dem Urteil lässt sich bereits nicht entnehmen, ob die beabsichtigte Wegnahme zu diesem Zeitpunkt bereits vollendet war oder erst durch das Verlassen des Hauses mit der Beute vollendet wurde (vgl. BGH, Urteil vom 18. Februar 2010 - 3 StR 556/09, NStZ 2011, 158 Rn. 10 f.; Urteil vom 6. November 1974 - 3 StR 200/74, NJW 1975, 320 jew. mwN), der Angeklagte also in Kenntnis und unter Billigung des qualifizierenden Umstands gemeinsam mit seinem Mittäter die Wegnahme abschloss. Aber selbst wenn von einer Vollendung des Raubes auszugehen wäre, hätte die Strafkammer erörtern müssen, ob sich der Angeklagte mit dem Einsatz des Fesselungswerkzeuges durch den anderweitig verfolgten M. nachträglich konkludent einverstanden erklärte, als er sich zusammen mit diesem aus der Wohnung des Geschädigten unter Mitnahme der noch nicht endgültig gesicherten Beute zurückzog und zusätzlich die Tür zum Wohnzimmer verriegelte.
c) Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung.
aa) Sollte der neue Tatrichter wieder feststellen, dass der Angeklagte und sein Mittäter den gefesselten Geschädigten im Wohnzimmer seines Hauses zurückließen und die Tür zwischen Diele und Wohnzimmer verriegelten, wird er auch zu prüfen haben, ob dadurch der Tatbestand der Freiheitsberaubung (§ 239 Abs. 1 StGB) in der Variante des Einsperrens verwirklicht worden ist (vgl. dazu BGH, Urteil vom 22. Januar 2015 ? 3 StR 410/14, NStZ 2015, 338, 339; Wieck-Noodt in: Münch.Komm.z.StGB, 3. Aufl., § 239 Rn. 21 ff. mwN). Eine Freiheitsberaubung tritt im Wege der Gesetzeskonkurrenz hinter einen Raub nur insoweit zurück, als sie das tatbestandsmäßige Mittel zu dessen Begehung ist (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Februar 1995 - 1 StR 1/95, StV 1995, 462).
bb) Im Fall einer erneuten Einziehungsentscheidung nach § 73c Satz 1 StGB wird zu beachten sein, dass der Wert des Erlangten nach § 73d Abs. 2 StGB - hier bei erneuter Feststellung der Entwendung einer Uhr - geschätzt werden kann (vgl. Heine in: SSW-StGB, 4. Aufl., § 73d Rn. 20 ff.). Die Urteilsformel hat insoweit auf „Einziehung des Wertes von Taterträgen“ zu lauten.
3. Die Revision des Angeklagten bleibt ohne Erfolg (§ 349 Abs. 2 StPO).
Der Umstand, dass die Strafkammer dem Angeklagten bei der Strafzumessung angelastet hat, dass er zur Tatzeit unter laufender Bewährung in anderer Sache stand, obgleich die Feststellungen dies nicht belegen, stellt den Strafausspruch unter den hier gegebenen Umständen nicht in Frage. Die Urteilsgründe ergeben zwar, dass der Angeklagte am 19. September 2018 vom Amtsgericht Burgwedel wegen versuchten Wohnungseinbruchdiebstahls zu einer für die Dauer von drei Jahren zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Dass dieses Urteil im Zeitpunkt der verfahrensgegenständlichen Tat (18. Oktober 2018) bereits rechtskräftig war und die Bewährungszeit deshalb im Tatzeitpunkt lief (§ 56a Abs. 2 Satz 1 StGB), kann dem Urteil jedoch nicht entnommen werden. Der Senat vermag aber auszuschließen, dass der Strafausspruch hierauf beruht. Sollte das durch den Bundeszentralregisterauszug nachgewiesene Urteil des Amtsgerichts Burgwedel vom 19. September 2018 zur Tatzeit am 18. Oktober 2018 noch nicht rechtskräftig gewesen sein, wäre die Tat jedenfalls in der sog. Vorlaufzeit zwischen der (letzten) tatrichterlichen Aussetzungsentscheidung und dem Beginn der Bewährungszeit begangen worden. Eine in diesem Zeitraum verübte Straftat steht nach § 56f Abs. 1 Satz 2 StGB unter dem Gesichtspunkt des Bewährungswiderrufs einer Straftat in der Bewährungszeit gleich und entfaltet eine vergleichbare Warnfunktion. Denn der Angeklagte hätte bereits Anlass zu der Annahme gehabt, dass er sich in der Zukunft bewähren muss (vgl. OLG Hamburg, Beschluss vom 19. Februar 2007 ? 2 Ws 31/07, NStZ-RR 2007, 198 mwN), sodass auch in diesem Fall ein erheblicher Straferschwernisgrund gegeben gewesen wäre.
HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 1227
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2020, 348; StV 2021, 94; StV 2022, 8
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner