HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 988
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 87/19, Beschluss v. 29.01.2020, HRRS 2020 Nr. 988
1. Auf die Revision des Angeklagten K. wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 8. Mai 2018 - soweit es ihn betrifft - mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit er in den Fällen II. 3. und II. 5. der Urteilsgründe verurteilt worden ist;
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weiter gehende Revision des Angeklagten K. und die Revision der Angeklagten B. werden verworfen.
3. Die Angeklagte B. hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten K. wegen Zuhälterei in drei Fällen und gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Gegen die Angeklagte B. hat es wegen gefährlicher Körperverletzung eine Freiheitsstrafe von neun Monaten festgesetzt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die Revision des Angeklagten K. hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Die Revision der Angeklagten B. ist unbegründet.
Das Landgericht hat zu den Fällen II. 3. und 5. der Urteilgründe die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen:
1. Der Angeklagte K. war als Zuhälter im Bereich der Straßenprostitution tätig. Ende September/Anfang Oktober 2012 begann die Nebenklägerin I. für den Angeklagten als Prostituierte zu arbeiten. Sie war zuvor bereits in D. der Prostitution nachgegangen und hatte nach der Inhaftierung ihres Zuhälters im August 2012 keine Unterkunft mehr. In der Folge war sie im Einverständnis mit dem Angeklagten in eine von diesem finanzierte Wohnung eingezogen, in der zu diesem Zeitpunkt auch noch die Nebenklägerin F. lebte, die ebenfalls für den Angeklagten der Prostitution nachging. Als Gegenleistung verlangte der Angeklagte von der Nebenklägerin I., dass sie für ihn als Prostituierte arbeiten und 100 % ihrer Einnahmen an ihn abgeben solle. Hiermit erklärte sich die Nebenklägerin I. ausdrücklich einverstanden. In der Folge war sie bis zum 14. Februar 2017 für den Angeklagten vornehmlich auf dem Straßenstrich als Prostituierte tätig und gab durchgehend ihre Einnahmen vollständig ab. Über anderweitige Einnahmen verfügte sie nicht. Der Angeklagte fuhr die Nebenklägerin regelmäßig zu ihrem Einsatzort und zurück. Ihre Arbeitszeiten wurden allein von ihm bestimmt. Auch hielt sich der Angeklagte entweder in unmittelbarer Nähe zum Straßenstrich auf, wo er das Anbahnungsverhalten der Nebenklägerin und die Anzahl ihrer Geschäfte beobachtete oder er wartete in einer Teestube in der Nähe. Am Ende eines jeden Tages nahm er sämtliche Einnahmen an sich und bestritt hiermit seinen Lebensunterhalt und den seiner Familie. Die Zusammenarbeit zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin I. erfolgte auch hinsichtlich der Konditionen auf freiwilliger Basis.
2. Im Frühjahr 2016 fragte der nicht revidierende Mitangeklagte L. den Angeklagten K., ob er bereit sei, ihn und seine Lebensgefährtin T., „mit auf den H. Straßenstrich zu nehmen“, damit diese dort als Prostituierte arbeiten könne. Der Angeklagte K. erklärte sich zu einer Zusammenarbeit bereit und verlangte eine Beteiligung an den Einnahmen in Höhe von 30 %. In der Folgezeit fuhren der Angeklagte K., die Nebenklägerin I. sowie der frühere Mitangeklagte L. und die Zeugin T. täglich zum H. Straßenstrich, wo beide Frauen als Prostituierte arbeiteten. Nachdem es zu einem Streit zwischen dem Angeklagten K. und L. gekommen war, erhöhte der Angeklagte seine „Umsatzbeteiligung“ auf 50 %. Dies wurde von L. akzeptiert. Dieser kontrollierte die Zeugin T. während ihrer Tätigkeit „engmaschig“, war stets anwesend und unterhielt eine Telefonverbindung zu der Zeugin, wenn sie mit potentiellen Freiern Preisverhandlungen führte. Alle nicht an den Angeklagten K. abgeführten Einnahmen behielt er für sich.
Das Landgericht ist ohne nähere Subsumtion davon ausgegangen, dass sich der Angeklagte K. in Bezug auf die Nebenklägerin I. und die Zeugin T. der Zuhälterei gemäß § 181a Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB schuldig gemacht hat.
Die Verurteilung des Angeklagten K. wegen einer täterschaftlich begangenen Zuhälterei im Fall II. 5. der Urteilsgründe hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Dies hat auch eine Aufhebung der Verurteilung im Fall II. 3. der Urteilsgründe zur Folge, weil insoweit eine tateinheitliche Verbindung in Betracht kommt.
1. Die Verurteilung wegen Zuhälterei in beiden Tatbestandsvarianten des § 181a Abs. 1 StGB im Fall II. 5. der Urteilsgründe kann nicht bestehen bleiben, weil die Feststellungen eine täterschaftliche Begehungsweise nicht belegen.
a) Eine Ausbeutung im Sinne des § 181a Abs. 1 Nr. 1 StGB liegt vor, wenn dem Opfer in objektiver Hinsicht ein erheblicher Teil der Einnahmen entzogen wird und dies bei ihm zu einer gravierenden Beschränkung der persönlichen und wirtschaftlichen Bewegungs- und Entscheidungsfreiheit führt, die geeignet ist, die Lösung aus der Prostitution zu erschweren (vgl. BGH, Urteil vom 9. Oktober 2013 ? 2 StR 297/13, NStZ 2014, 453 Rn. 15; Beschluss vom 9. April 2002 ? 4 StR 66/02, NStZ-RR 2002, 232, 233). Der Tatbestand der dirigierenden Zuhälterei nach § 181a Abs. 1 Nr. 2 StGB setzt in allen Begehungsvarianten eine bestimmende Einflussnahme auf die Prostitutionsausübung voraus. Erforderlich ist ein Verhalten des Täters, das geeignet ist, die Prostituierte in Abhängigkeit von ihm zu halten, ihre Selbstbestimmung zu beeinträchtigen, sie zu nachhaltiger Prostitutionsausübung anzuhalten oder ihre Entscheidungsfreiheit in sonstiger Weise nachhaltig zu beeinflussen (vgl. BGH, Urteil vom 12. April 2018 - 4 StR 336/17, NStZ-RR 2018, 375, 377; Beschluss vom 1. August 2003 ? 2 StR 186/03, BGHSt 48, 314, 317 mwN). Im Hinblick auf die Tathandlungen muss der Täter Beziehungen zu der Prostituierten unterhalten, die über den Einzelfall hinausgehen (vgl. Fischer, StGB, 67. Aufl., § 181a Rn. 21; Renzikowski in: MünchKomm zum StGB, 3. Aufl., § 181a Rn. 31; Wolters in: Systemat.Komm.z.StGB, 9. Aufl., § 181a Rn. 6).
Grundsätzlich gelten auch bei § 181a Abs. 1 StGB für die Bestimmung von Täterschaft und Teilnahme die allgemeinen Regeln (vgl. Renzikowski in: MünchKomm zum StGB, 3. Aufl., § 181a Rn. 63; Eisele in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., Rn. 23). Nach § 25 Abs. 1 Fall 1 StGB ist unmittelbarer Täter einer Straftat nur, wer alle Tatbestandsmerkmale in eigener Person verwirklicht (vgl. BGH, Urteil vom 12. August 1998 - 3 StR 160/98; Fischer, StGB, 67. Aufl., § 25 Rn. 3 mwN). Dies setzt voraus, dass der Täter auch selbst die besonderen Beziehungen zu der Prostituierten unterhält (vgl. Wolters in: SSW-StGB, 4. Aufl., § 181a Rn. 6 und 15; Fischer, StGB, 67. Aufl., § 181a Rn. 26). Als Mittäter gemäß § 25 Abs. 2 StGB handelt, wer seinen eigenen Tatbeitrag so in die Tat einfügt, dass er als Teil der Handlung eines anderen Beteiligten und umgekehrt dessen Handeln als Ergänzung des eigenen Tatanteils erscheint. Ob danach Mittäterschaft anzunehmen ist, hat der Tatrichter auf Grund einer wertenden Gesamtbetrachtung aller festgestellten Umstände zu prüfen; maßgebliche Kriterien sind der Grad des eigenen Interesses an der Tat, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille dazu, so dass die Durchführung und der Ausgang der Tat maßgeblich auch vom Willen des Betreffenden abhängen (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 6. August 2019 - 3 StR 189/19, NStZ 2020, 22 Rn. 4 f. mwN). Eine mittäterschaftlich begangene Zuhälterei kann vorliegen, wenn mehrere Täter arbeitsteilig ein „Regime“ errichten, mit dem sie auf eine oder mehrere Prostituierte einen Einfluss im Sinne des § 181a Abs. 1 Nr. 2 StGB ausüben (vgl. BGH, Urteil vom 10. Februar 2010 - 5 StR 328/09, NStZ 2010, 274 Rn. 13) oder diese gemäß § 181a Abs. 1 Nr. 1 StGB ausbeuten.
b) Daran gemessen belegen die Feststellungen nicht, dass sich der Angeklagte K. in Bezug auf die Prostitutionsausübung durch die Zeugin T. einer ausbeuterischen Zuhälterei nach § 181a Abs. 1 Nr. 1 StGB oder einer dirigierenden Zuhälterei gemäß § 181a Abs. 1 Nr. 2 StGB schuldig gemacht hat.
Eine alleintäterschaftlich begangene Zuhälterei scheidet in beiden Varianten schon deshalb aus, weil sich den Urteilsgründen nicht entnehmen lässt, dass der Angeklagte K. im Hinblick auf die Prostitutionsausübung eine besondere Beziehung zu der Zeugin T. unterhielt.
Auch eine - von der Strafkammer nicht ausdrücklich geprüfte - mittäterschaftlich begangene Zuhälterei im Sinne des § 181a Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 StGB kann den Feststellungen nicht entnommen werden. Die „Umsatzbeteiligung“ des Angeklagten vermag für sich genommen eine gemeinschaftliche Ausbeutung noch nicht zu belegen. Auch eine dirigierende Zuhälterei in einer der Begehungsvarianten des § 181a Abs. 1 Nr. 2 StGB findet in den Urteilsgründen keine ausreichende Stütze. Denn diese ergeben weder eine auf einem gemeinsamen Tatplan beruhende Mitgestaltung der Prostitutionsausübung der Zeugin T. durch den Angeklagten K., noch ein hierauf bezogenes arbeitsteiliges Handeln. Vielmehr wurde die Zeugin allein von dem früheren Mitangeklagten L. überwacht, der auch die konkreten Preisverhandlungen wesentlich mitgestaltete.
2. Die Aufhebung der Verurteilung des Angeklagten K. im Fall II. 5. der Urteilsgründe zieht die Aufhebung der Verurteilung wegen Zuhälterei im Fall II. 3. der Urteilsgründe nach sich. Denn angesichts der zumindest teilweisen Identität der Ausführungshandlungen in Bezug auf die Prostitutionsausübung der Nebenklägerin I. und der Zeugin T. in den Fällen II. 5. und II. 3. der Urteilsgründe, kommt insoweit eine Tateinheit im Sinne des § 52 StGB in Betracht (vgl. BGH, Urteil vom 15. Juli 2005 - 2 StR 131/05, NStZ-RR 2007, 46, 47; weitere Nachweise bei Fischer, StGB, 67. Aufl., § 181a Rn. 27). Durch die Aufhebung verliert auch die Gesamtstrafe ihre Grundlage.
3. Im Übrigen hat die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten K. ergeben.
4. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf das Folgende hin:
Bei der Prüfung, ob eine dirigierende Zuhälterei im Sinne des § 181a Abs. 1 Nr. 2 StGB gegeben ist, wird der neue Tatrichter genauer als bisher auf die einzelnen Begehungsvarianten einzugehen haben. Beim Überwachen gemäß § 181a Abs. 1 Nr. 2 2. Alt. StGB geht es um eine andauernde Kontrolle der Geldeinnahmen, der Buchführung und der Preisgestaltung für die sexuellen Dienstleistungen, die eine wirtschaftliche Abhängigkeit der Prostituierten bewirken kann, welche ihr eine Lösung aus der Prostitution erschwert. Das Bestimmen der Umstände der Prostitution muss zur Erfüllung des Tatbestands des § 181a Abs. 1 Nr. 2 2. Alt. StGB in einer Weise erfolgen, dass sich die Prostituierte den Weisungen nicht entziehen kann. Freiwilliges Akzeptieren von Bedingungen schließt dirigierende Zuhälterei in diesem Sinne aus. Die 3. Alternative des § 181a Abs. 1 Nr. 2 StGB liegt vor, wenn der Täter um des eigenen Vermögensvorteils willen Maßnahmen ergreift, welche das Opfer davon abhalten sollen, die Prostitution aufzugeben. Erfasst werden hiervon nur Vorkehrungen, die das Opfer in seiner Entscheidungsfreiheit zu beeinträchtigen geeignet und darauf gerichtet sind, ihm den Weg aus der Prostitution zu verbauen (vgl. BGH, Urteil vom 12. April 2018 - 4 StR 336/17, NStZ-RR 2018, 375, 377; Beschluss vom 9. Juni 2015 - 2 StR 75/15, NStZ 2015, 638; Beschluss vom 1. August 2003 - 2 StR 186/03, NStZ 2004, 262 Rn. 2 [zu § 181a Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2]).
Die im Fall II. 3. der Urteilsgründe hierzu bisher getroffenen Feststellungen reichen für die Annahme eines Überwachens in dem oben dargestellten Sinn nicht aus. Auch ein Bestimmen der Umstände der Prostitution ist mit Rücksicht auf die Tatsache, dass die Zusammenarbeit zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin I. auch hinsichtlich der Konditionen auf freiwilliger Basis erfolgte, nicht belegt. Schließlich lässt sich den bisher getroffenen Feststellungen nicht entnehmen, dass der Angeklagte Vorkehrungen getroffen hatte, um die Nebenklägerin an einem Ausstieg aus der Prostitution zu hindern.
Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung der Angeklagten B. hat keinen sie beschwerenden Rechtsfehler ergeben (§ 349 Abs. 2 StGB).
HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 988
Externe Fundstellen: NStZ 2021, 538
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner