HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 456
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 605/19, Beschluss v. 29.01.2020, HRRS 2020 Nr. 456
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 15. Mai 2019, soweit es ihn betrifft, im Strafausspruch dahin abgeändert, dass
a) die Einbeziehung der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Dessau-Roßlau vom 9. Januar 2019 und die hiermit gebildete nachträgliche Gesamtstrafe entfallen;
b) der Angeklagte zu der Freiheitsstrafe von einem Jahr und sieben Monaten verurteilt wird, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird.
2. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten der „tateinheitlich begangenen zweifachen gefährlichen Körperverletzung“ schuldig gesprochen und ihn hier wegen unter Einbeziehung der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Dessau-Roßlau vom 9. Januar 2019 zu der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr, acht Monaten und zwei Wochen verurteilt; die Vollstreckung dieser Strafe hat es zur Bewährung ausgesetzt. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten erzielt den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Die Bildung der nachträglichen Gesamtstrafe gemäß § 55 Abs. 1 StGB begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das Landgericht hat wegen der hier abgeurteilten Tat eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verhängt und unter Einbeziehung der in dem Urteil des Amtsgerichts Dessau-Roßlau vom 9. Januar 2019 verhängten Geldstrafe von 25 Tagessätzen zu je 8 € die von ihm verhängte nachträgliche Gesamtfreiheitsstrafe gebildet. Hierzu hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 25. November 2019 das Folgende ausgeführt:
„Die Kammer weist in den Urteilsgründen zutreffend darauf hin (UA S. 75), dass die Voraussetzungen für die von ihr (versehentlich) vorgenommene nachträgliche Bildung einer Gesamtstrafe gemäß § 55 StGB in Bezug auf die Verurteilung des Angeklagten vom 9. Januar 2019 nicht gegeben waren, weil der vorausgegangenen Verurteilung vom 18. Januar 2018 Zäsurwirkung zukam. Die Bildung einer Gesamtstrafe hinsichtlich der genannten Vorverurteilungen musste demnach dem Verfahren gemäß § 460 StPO überlassen bleiben. Der Angeklagte ist durch die Einbeziehung der Geldstrafe von 25 Tagessätzen auch beschwert, weil die Geldstrafe durch Erhöhung der Freiheitsstrafe in die Gesamtstrafe einbezogen und somit durch eine schwerwiegendere Strafform ersetzt worden ist.
Die notwendige Korrektur des Strafausspruchs kann hier nicht allein durch Verhängung einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten unter Wegfall der Gesamtstrafe erfolgen. Aufgrund des Verschlechterungsverbots des § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO darf dem Angeklagten ein durch die fehlerhafte Anwendung des § 55 StGB erlangter Vorteil nicht mehr genommen werden (vgl. nur BGH, Beschluss vom 8. Juni 2016 ? 4 StR 73/16, NStZ-RR 2016, 275, 276). Dies wäre der Fall, wenn die fehlerhaft einbezogene Geldstrafe in Höhe von 25 Tagessätzen nunmehr neben der Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten Höhe bestehen bliebe, denn hierdurch würde, insbesondere unter Berücksichtigung einer möglichen Vollstreckung der Geldstrafe im Wege der Ersatzfreiheitsstrafe, ein über die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr, acht Monaten und zwei Wochen hinausgehendes Strafübel eintreten (vgl. auch BGH, Beschlüsse vom 7. Mai 2013 ? 4 StR 111/13, BeckRS 2013, 11211; vom 7. April 2016 ? 5 StR 88/16, BeckRS 2016, 7796; Sander, NStZ 2016, 656, 663). Zwar dürfte eine Schlechterstellung des Angeklagten durch die noch zu veranlassende nachträgliche Bildung einer Gesamtgeldstrafe im Verfahren nach § 460 StPO hinsichtlich der Geldstrafen aus den beiden Vorverurteilungen (120 und 25 Tagessätze) vermieden werden; sicher ist dies jedoch nicht (vgl. auch BGH, Beschluss vom 8. Juni 2016 ? 4 StR 73/16, NStZ-RR 2016, 275, 276). Um jede Schlechterstellung des Angeklagten auszuschließen, kann der Senat jedoch selbst in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO für die zweifache gefährliche Körperverletzung eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und sieben Monaten verhängen.“ Dem tritt der Senat bei.
2. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 456
Externe Fundstellen: NJW 2020, 1009; StV 2020, 685
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner