HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 1334
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 488/19, Beschluss v. 23.10.2019, HRRS 2019 Nr. 1334
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Halle vom 28. Mai 2019 im Gesamtstrafenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Amtsgericht - Strafrichter - Halle zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Diebstahls in zwei Fällen unter Einbeziehung der Geldstrafen aus Entscheidungen des Amtsgerichts Halle vom 15. November 2018, 19. November 2018 und 18. Dezember 2018 unter Auflösung der mit Beschluss des Amtsgerichts Halle vom 26. März 2019 gebildeten (nachträglichen) Gesamtstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt und die in diesem Beschluss „genannte Einziehung der durch die Tat erlangten und beschlagnahmten Gegenstände“ aufrecht erhalten. Seine hiergegen gerichtete Revision hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.
1. Die Überprüfung des Schuldspruchs, des Ausspruchs über die Einzelstrafen und der Nichtanordnung einer Unterbringung nach § 64 StGB hat keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
2. Die Gesamtstrafenbildung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand, weil die Urteilsgründe nicht ergeben, dass in Bezug auf die einbezogene Geldstrafe aus der Entscheidung des Amtsgerichts Halle vom 18. Dezember 2018 die nach § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB erforderlichen Voraussetzungen vorliegen.
a) Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass mit der Strafe aus der Entscheidung des Amtsgerichts Halle vom 15. November 2018 als erster noch nicht erledigter Vorverurteilung nach den am 25. Juni 2018 begangenen verfahrensgegenständlichen Taten eine Gesamtstrafe zu bilden ist und dieser Entscheidung eine Zäsurwirkung zukommt (vgl. BGH, Beschluss vom 12. September 2019 - 4 StR 40/19, Rn. 8 und 11; Beschluss vom 14. November 2003 - 2 StR 394/03, NStZ-RR 2004, 137, 138; Beschluss vom 27. April 1993 - 1 StR 131/93, MDR 1993, 1039 bei Holtz; Urteil vom 6. Juli 1956 - 2 StR 87/55, BGHSt 9, 370, 383 f.; von Heintschel-Heinegg in: MünchKomm - StGB, 3. Aufl., § 55 Rn. 13). Es hat danach - insoweit entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts - auch zurecht die Geldstrafe aus der ebenfalls noch nicht erledigten Entscheidung des Amtsgerichts Halle vom 19. November 2018 für einbeziehungsfähig erachtet, denn die dort festgestellte Tat wurde am 9. Oktober 2018 und damit ebenfalls vor dem 15. November 2018 begangen, sodass auch insoweit die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB vorliegen (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Dezember 2012 - 4 StR 444/12; Beschluss vom 13. Oktober 1995 - 3 StR 431/95, NJW 1996, 668).
b) Dass - wie geschehen - auch die Geldstrafe aus der Entscheidung des Amtsgerichts Halle vom 18. Dezember 2018 einzubeziehen war, ergeben die Urteilsgründe dagegen nicht. Denn insoweit wird lediglich mitgeteilt, dass die zugrunde liegende Tat am 15. November 2018 begangen wurde. Da dies auch der Tag ist, an dem die Zäsur bildende Entscheidung ergangen ist, hätte es an dieser Stelle ausnahmsweise näherer Angaben (Uhrzeit) sowohl zum Zeitpunkt der richterlichen Entscheidung als auch zum Tatzeitpunkt bedurft (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 17. Juli 2007 - 4 StR 266/07, NStZ-RR 2007, 369), um überprüfen zu können, ob die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB tatsächlich vorliegen.
c) Durch eine möglicherweise zu Unrecht erfolgte Einbeziehung der Geldstrafe in eine zu vollstreckende Freiheitsstrafe kann der Angeklagte auch beschwert sein, denn der Senat vermag nicht auszuschließen, dass die Strafkammer ohne die Einbeziehung dieser Strafe auf eine niedrigere Gesamtfreiheitsstrafe erkannt und der Angeklagte die Geldstrafe durch Bezahlung erledigt hätte. Die Gesamtstrafe kann daher nicht bestehen bleiben. Damit verliert auch die - in den Urteilsgründen nicht näher dargelegte - Entscheidung nach § 55 Abs. 2 StGB ihre Grundlage.
d) Der neue Tatrichter wird zu beachten haben, dass im Fall der Unaufklärbarkeit der für § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB bedeutsamen zeitlichen Verhältnisse nach dem Zweifelsgrundsatz zu entscheiden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 27. April 1993 - 1 StR 131/93, MDR 1993, 1038, 1039 bei Holtz; Sternberg-Lieben/Bosch in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 55 Rn. 13). Dabei wird es darauf ankommen, was für den Täter in der konkreten Situation günstiger ist (vgl. von Heintschel-Heinegg in: MünchKomm - StGB, 3. Aufl., § 55 Rn. 9). Zudem wird auch das Schlechterstellungsverbot (§ 358 Abs. 2 StPO) in den Blick zu nehmen sein (vgl. BGH, Beschluss vom 20. September 2012 - 3 StR 220/12, NStZ-RR 2013, 6; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 8. Februar 1993 - 2 Ss 389/92, NJW 1994, 1016).
3. Der Senat verweist die Sache gemäß § 354 Abs. 3 StPO an das Amtsgericht - Strafrichter - Halle.
HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 1334
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner