HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 312
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 227/19, Beschluss v. 22.10.2019, HRRS 2020 Nr. 312
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Halle vom 16. November 2018 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen räuberischer Erpressung und gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt und angeordnet, dass die im Zeitraum vom 11. April 2018 bis zum 19. August 2018 sowie vom 22. August 2018 bis zum 21. September 2018 erlittene Untersuchungshaft nicht auf die Strafe angerechnet wird. Hiergegen richtet sich die auf Verfahrensbeanstandungen und sachlich-rechtliche Einwendungen gestützte Revision des Angeklagten, die mit der Sachrüge Erfolg hat.
Der gesondert verfolgte E. forderte von dem Zeugen B., mit dem er „in der Vergangenheit gemeinsam in den Handel mit Betäubungsmitteln verstrickt“ war, ein „Strafgeld“ in Höhe von 1.000 €. Hintergrund dieser Forderung war zunächst die Vorstellung E. s, dass B., dem er angeboten hatte, ihm bei der Eintreibung von Schulden gegen eine hälftige Beteiligung behilflich zu sein, einen Geldbetrag in dieser Höhe als „entgangenen Gewinn“ schulde, weil B. sein Angebot nicht angenommen hatte. Nachdem der Zeuge B. trotz des Umstands, dass E. die Zahlung „energisch“ einforderte, jede Geldzahlung abgelehnt hatte, forderte E. von B. schließlich ein „Strafgeld“ in Höhe von 1.000 € ein, weil er sich nach einem Anruf der Ehefrau des Zeugen B. bei seiner Verlobten von dem Zeugen „angeschwärzt“ fühlte. Trotz seiner Furcht vor dem gesondert verfolgten E. weigerte sich der Zeuge B., die unberechtigte Geldforderung zu begleichen, und floh mit seiner Familie aus Furcht vor dem gesondert verfolgten E. .
Am 9. April 2018 ließ sich E., der nicht über eine Fahrerlaubnis verfügte, von dem Angeklagten zu einem Grundstück fahren, auf dem sich der Zeuge B. gemeinsam mit seinem Schwager, dem Zeugen S. und dem Zeugen K. aufhielt. E. wollte das geforderte „Strafgeld“ in Höhe von 1.000 € endgültig, notfalls unter Zuhilfenahme von Gewalt und Bedrohung eintreiben. Der Angeklagte war in den Tatplan seines Freundes eingeweiht. Es war „die gemeinsame Absicht“ vorhanden, den Zeugen erforderlichenfalls durch Drohung oder körperliche Gewalt zur Zahlung des Geldbetrags zu bewegen, auf den - wie auch der Angeklagte wusste - der gesondert verfolgte E. keinen Anspruch hatte. Dem Angeklagten kam nach dem gemeinsamen Tatplan die Aufgabe zu, bei Bedarf auf den Zeugen mittels körperlicher Gewalt einzuwirken, um so die notwendige Zahlungsbereitschaft herbeizuführen. Der Angeklagte sollte „anteilig einen Betrag von mindestens 300 € erhalten, denn ohne sein Zutun wäre E. nicht zu dem Zeugen gefahren.“ Angesichts dieser Beutebeteiligung sah sich der Angeklagte „nicht als den bloßen Handlanger seines Freundes an, sondern beide waren nach der gemeinsamen Abrede die Partner in diesem 'Geschäft'“.
Der gesondert verfolgte E. forderte den Zeugen B. erneut zur Zahlung eines „Strafgelds“ in Höhe von 1.000 € auf. Nachdem dieser sich erneut geweigert hatte, die geforderte Summe zu zahlen, schlug der Angeklagte auf eine Geste des E. hin dem überraschten und deshalb zu einer Gegenwehr nicht fähigen Zeugen B. zweimal mit dem Ellenbogen ins Gesicht. Anschließend ergriff er einen „handgroßen“ Ziegelstein und schlug damit etwa fünf bis sechs Mal gezielt auf den Kopf seines Opfers, um ihn zur Zahlung des geforderten „Strafgelds“ zu bewegen. Als der Zeuge S. nach einem Vorschlaghammer griff, um seinem bereits erheblich verletzten Schwager zu helfen, wandte sich der gesondert verfolgte E. zu S. um und warnte ihn, in das Geschehen einzugreifen, da er anderenfalls „der Nächste“ sei. Nunmehr wandte sich der gesondert verfolgte E. dem Zeugen S. zu, „weil das eigentliche Opfer nicht zahlen wollte und der Schwager es gewagt hatte, eingreifen zu wollen“ und forderte ihn auf, ein erhöhtes Strafgeld von 2.000 € zu zahlen. Dabei brachte E. konkludent zum Ausdruck, dass die Gewaltanwendung gegen B. fortgesetzt werde, bis er - S. - den geforderten Geldbetrag zahle. Der Angeklagte nahm diese Tatplanänderung wahr, billigte sie, drückte den Zeugen B. fest an eine Hauswand und fixierte ihn so. Der Zeuge S. erklärte sich schließlich mit dem Hinweis, dass er nur über einen Geldbetrag von 1.000 € verfüge, aus Furcht um sich und seinen Schwager zur Zahlung bereit. Nachdem S. das Bargeld geholt und an E., der sich mit 1.000 € zufrieden gab, ausgehändigt hatte, ließ der Angeklagte auf einen Wink E. s den Zeugen B. los. Beide entfernten sich und teilten das Bargeld entsprechend der zuvor getroffenen Abrede untereinander auf.
Das Landgericht hat angenommen, dass der Angeklagte sich einer gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil des Zeugen B. (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 4 StGB) und einer hierzu im Verhältnis der Tatmehrheit stehenden räuberischen Erpressung zum Nachteil des Zeugen S. (§§ 253, 255, 249 Abs. 1 StGB) schuldig gemacht hat. Der Angeklagte sei Mittäter und nicht lediglich Gehilfe der räuberischen Erpressung, weil er mit der Gewaltanwendung „nicht eine fremde Tat, sondern seinen eigenen Tatbeitrag“ habe „fördern“ wollen; dies gelte umso mehr, als von vornherein eine Beteiligung an der Beute angestrebt gewesen sei.
1. Der Schuldspruch wegen räuberischer Erpressung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Mittäterschaft im Sinne des § 25 Abs. 2 StGB ist nicht tragfähig belegt.
Bei der Beteiligung mehrerer Personen ist Mittäter im Sinne des § 25 Abs. 2 StGB, wer auf der Grundlage eines gemeinsamen Tatentschlusses seinen eigenen Tatbeitrag so in die Tat einfügt, dass dieser als Teil der Handlung eines anderen Beteiligten und umgekehrt dessen Handeln als Ergänzung des eigenen Tatanteils erscheint. Mittäterschaft erfordert dabei nicht notwendig eine eigene Mitwirkung am Kerngeschehen; ausreichen kann auch ein die Tatbestandsverwirklichung fördernder Beitrag, der sich auf eine Vorbereitungs- oder Unterstützungshandlung beschränkt. Stets muss sich diese Mitwirkung aber nach der Willensrichtung des sich Beteiligenden als Teil der Tätigkeit aller darstellen. Ob ein Tatbeteiligter ein solch enges Verhältnis zur Tat hat, ist nach den gesamten Umständen, die von seiner Vorstellung umfasst sind, in wertender Betrachtung zu beurteilen. Wesentliche Anhaltspunkte für diese Beurteilung können der Grad des eigenen Interesses am Taterfolg, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille zur Tatherrschaft sein, so dass Durchführung und Ausgang der Tat maßgeblich auch vom Willen des Tatbeteiligten abhängen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 15. Januar 1991 - 5 StR 492/90, BGHSt 37, 289, 291; Beschlüsse vom 7. März 2018 - 2 StR 559/17 und vom 15. Mai 2018 - 1 StR 651/17).
Das Landgericht hat bei der erforderlichen wertenden Gesamtbetrachtung maßgeblich auf das eigene Tatinteresse des Angeklagten abgestellt und insoweit ausgeführt, dass „von vornherein eine Beteiligung an der Beute angestrebt“ gewesen sei. Zwar ist festgestellt, dass der Angeklagte in Höhe eines Betrages von 300 € an der erstrebten Beute in Höhe von 1.000 € beteiligt sein sollte. Diese Feststellung ist aber beweiswürdigend nicht tragfähig belegt. Darüber hinaus fehlt es an der Würdigung aller wesentlichen, für und gegen die Mittäterschaft des Angeklagten sprechenden Umstände.
a) Dass der Angeklagte für seine Beteiligung an der Tat entlohnt werden sollte, hat das Landgericht lediglich wie folgt begründet:
„Für die Kammer ist auch plausibel, dass der Angeklagte in die Pläne seines Freundes eingeweiht war und seine Hilfe nicht unentgeltlich erfolgen sollte, zumal auch E. für eine vergleichbare Handlung entgeltlich für den Zeugen B. auftreten sollte […]. Zudem bekundete der Angeklagte selbst, dass er seinen Freund chauffierte. Folgerichtig erwartete er auch für sein Tun eine Gegenleistung.“ Diese Beweiserwägungen halten auch unter Zugrundelegung des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 7. Juni 1979 - 4 StR 441/78, BGHSt 29, 18, 20 f. mwN) rechtlicher Überprüfung nicht stand; sie sind lückenhaft.
aa) Das Landgericht hat nicht erkennbar bedacht, dass zwischen dem Angeklagten und dem gesondert verfolgten E. ein freundschaftliches Verhältnis bestand. Zu den „Freundschaftsdiensten“ gehörte nach den Feststellungen zur Tatvorgeschichte auch, dass der Angeklagte Fahrerdienste für E. erbrachte. Vor dem Hintergrund dieser Umstände versteht es sich ohne nähere Erläuterung nicht von selbst, dass der Angeklagte entgegen seiner Einlassung, den gesondert verfolgten E. aus „Gefälligkeit“ gefahren zu haben, ein Entgelt für seine Mitwirkung erhalten sollte. Gleiches gilt für die ohne jede Begründung in den Raum gestellte Erwägung des Landgerichts, der Umstand, dass der Angeklagte eingeräumt habe, „seinen Freund zu chauffieren“ belege, dass er für sein Tun eine Gegenleistung erwartete.
bb) Soweit das Landgericht seine Auffassung, dass der Angeklagte die festgestellten Tatbeiträge nicht ohne eine finanzielle Beteiligung erbracht haben würde, auch darauf stützt, dass der gesondert verfolgte E. von dem Zeugen B. ebenfalls eine finanzielle Beteiligung für eine vergleichbare Handlung, nämlich die angebotene Hilfe bei der Schuldeneintreibung gefordert hatte, ist dieser Schluss ebenso wenig nachvollziehbar, wie der Hinweis, dass das Ausmaß der Tatbeiträge des Angeklagten nur den Schluss zulasse, dass diese entgeltlich erfolgt seien. Ein allgemeiner Erfahrungssatz des Inhalts, dass entsprechende Handlungen nur entgeltlich erbracht zu werden pflegen, existiert nicht.
b) Darüber hinaus sind wesentliche Gesichtspunkte, die gegen die Annahme von Mittäterschaft sprechen können, nicht in die erforderliche Gesamtwürdigung aller Umstände eingestellt worden. So hat das Landgericht nicht berücksichtigt, dass der Tatplan ebenso wie die Tatplanänderung unter Einbeziehung des Zeugen S. in das Geschehen ausschließlich von dem gesondert verfolgten E. entwickelt worden ist. Das Landgericht hat außerdem nicht bedacht, dass der gesondert verfolgte E. dem Angeklagten jeweils ein Zeichen gab, auf das hin er körperliche Gewalt gegen den Zeugen B. einsetzte, die Einwirkung auf diesen aufrecht erhielt und schließlich auf ein Zeichen E. s von ihm abließ. Diese Feststellungen hätte bei Prüfung der Frage, ob der Angeklagte neben E. Tatherrschaft oder jedenfalls den Willen zur Tatherrschaft hatte, in den Blick genommen werden müssen.
2. Auch der Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil des Zeugen B. hat keinen Bestand.
a) Die Beweiserwägungen zur Verwendung eines Ziegelsteins als Tatmittel (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB) halten rechtlicher Überprüfung nicht stand. Sie sind widersprüchlich.
Das Landgericht hat im Rahmen der Beweiswürdigung angeführt, der Umstand, dass an einem der am Tatort aufgefundenen Ziegelsteine keine Spuren des Angeklagten aufgefunden worden seien, spreche nicht gegen die Annahme, dass der Angeklagte einen Ziegelstein als Schlagwerkzeug eingesetzt habe. Denn es sei nicht sicher, dass es sich bei dem von den Ermittlungsbehörden sichergestellten Ziegelstein, der fotografiert und anschließend zusätzlich auf DNA-Spuren untersucht worden sei, tatsächlich um das Tatwerkzeug gehandelt habe; an dem Ziegelstein seien keine Blutspuren vorhanden gewesen, so dass davon ausgegangen werden könne, dass es sich nicht um das Tatwerkzeug handele. An späterer Stelle ist demgegenüber ausgeführt, dass an dem von den Ermittlungsbehörden als vermeintliches Tatwerkzeug sichergestellten Ziegelstein Blutanhaftungen festgestellt worden seien, die von dem Zeugen B. stammten. Hinweise darauf, dass die Ermittlungsbehörden nicht nur einen, sondern einen weiteren Ziegelstein als mögliches Tatwerkzeug sichergestellt und kriminaltechnisch untersucht haben, lassen sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. Diese Beweiserwägungen sind nicht miteinander in Einklang zu bringen; das Landgericht löst diesen Widerspruch nicht auf. Ungeachtet der sonstigen Beweislage vermag der Senat nicht gänzlich auszuschließen, dass das Urteil auf dem aufgezeigten Rechtsfehler beruht.
b) Der Senat lässt offen, ob die Feststellungen und Beweiserwägungen jedenfalls die ? naheliegende ? Annahme gemeinschaftlicher Tatbegehung im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB tragen, und hebt auch den Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung auf, um dem neu zur Entscheidung berufenen Tatgericht widerspruchsfreie und in sich stimmige Feststellungen zu dem eng verflochtenen Gesamtgeschehen auch mit Blick auf die konkurrenzrechtliche Bewertung zu ermöglichen.
Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
Die Begründung, mit der das Landgericht die ? teilweise ? Anrechnung der im Verfahren erlittenen Untersuchungshaft versagt hat, hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Gemäß § 51 Abs. 1 Satz 2 StGB kann das Tatgericht - ausnahmsweise (vgl. BGH, Urteil vom 23. Juli 1970 - 4 StR 241/70, BGHSt 23, 307) ? anordnen, dass die Anrechnung der Untersuchungshaft auf die verhängte Strafe ganz oder teilweise unterbleibt, wenn sie im Hinblick auf das Verhalten des Verurteilten nach der Tat nicht gerechtfertigt ist. Eine Versagung der Anrechnung der Untersuchungshaft kann durch ein Verhalten des Verurteilten nach der Tat gerechtfertigt sein, das nicht seiner Verteidigung dient und entweder gerade darauf abzielt, die (angeordnete) Untersuchungshaft zu verlängern, um sich durch deren spätere Anrechnung ungerechtfertigte Vorteile im Rahmen der Strafvollstreckung zu verschaffen, oder den Zweck verfolgt, das Verfahren aus anderen Gründen böswillig zu verschleppen (vgl. BGH, aaO, S. 308). Zwar können auch Fluchtvorbereitungen oder ein Fluchtversuch einen Grund für die Versagung der Anrechnung darstellen. Dabei ist jedoch zu beachten, dass solche Handlungen, die selbst Haftgrund sind und dem Täter allein durch seine (erneute) Inhaftierung Nachteile erbringen, nicht zugleich eine Versagung der Anfechtung der erst durch sie veranlassten Untersuchungshaft zu rechtfertigen vermögen. Nur wenn das Verhalten des Verurteilten zu einer Verschleppung des Verfahrens geführt hat, soll dem Täter die dadurch veranlasste oder verlängerte Untersuchungshaft nicht im Wege der Anrechnung zugutekommen (BGH, aaO; Beschluss vom 23. Februar 1999 - 4 StR 49/99, NStZ 1999, 347, 348). Gleiches gilt für Verdunkelungshandlungen (vgl. SSW/Eschelbach, StGB, § 51 Rn. 19), die - wie hier die vom Landgericht festgestellte und nach seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft erfolgte Einwirkung des Angeklagten auf den Zeugen W. ? zu einer Wiederinvollzugsetzung des Haftbefehls führen. Dass die festgestellten Verdunkelungshandlungen des Angeklagten auf eine Verlängerung der Untersuchungshaft oder eine Wiederinvollzugsetzung des Haftbefehls abzielten oder den Zweck verfolgten, das Verfahren zu verschleppen, ist weder festgestellt noch naheliegend.
HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 312
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2020, 135; StV 2021, 95
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner