hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 303

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 410/18, Beschluss v. 19.12.2018, HRRS 2019 Nr. 303


BGH 4 StR 410/18 - Beschluss vom 19. Dezember 2018 (LG Oldenburg)

Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung (Darlegungsanforderungen bei biostatistischen Wahrscheinlichkeitsberechnungen in Bezug auf DNA-Einzelspuren: allgemein anerkanntes und standardisiertes Verfahren); Ablehnung von Beweisanträgen (Einstellung unter Beweis gestellter Tatsachen in das bisherige Beweisergebnis).

§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO; § 261 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Grundsätzlich hat das Tatgericht in Fällen, in denen es dem Gutachten eines Sachverständigen folgt, dessen wesentliche Anknüpfungstatsachen und Ausführungen so darzulegen, dass das Rechtsmittelgericht prüfen kann, ob die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht und die Schlussfolgerungen nach den Gesetzen der Logik, den Erfahrungssätzen des täglichen Lebens und den Erkenntnissen der Wissenschaft möglich sind. Liegt dem Gutachten jedoch ein allgemein anerkanntes und weithin standardisiertes Verfahren zugrunde, wie dies etwa beim daktyloskopischen Gutachten, der Blutalkoholanalyse oder der Bestimmung von Blutgruppen der Fall ist, so genügt die bloße Mitteilung des erzielten Ergebnisses.

2. Nach diesen Grundsätzen muss nach der neueren Rechtsprechung in den in der Praxis vorkommenden Regelfällen der DNA-Vergleichsuntersuchungen, die sich auf eindeutige Einzelspuren beziehen und keine Besonderheiten in der forensischen Fragestellung aufweisen, lediglich das Gutachtenergebnis in Form der biostatistischen Wahrscheinlichkeitsaussage in numerischer Form mitgeteilt werden.

3. Lehnt das Gericht einen Beweisantrag wegen tatsächlicher Bedeutungslosigkeit der behaupteten Tatsachen ab, hat es die unter Beweis gestellten Tatsachen wie eine erwiesene Tatsache in das bisherige Beweisergebnis einzustellen. Die hypothetische Beweiswürdigung darf keine Abstriche an der Beweisbehauptung vornehmen, sie darf diese nicht entgegen ihrem Sinn auslegen.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 17. April 2018 mit den Feststellungen aufgehoben,

a) soweit der Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Diebstahl verurteilt worden ist,

b) im Ausspruch über die Strafe wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr, im Gesamtstrafenausspruch und im Ausspruch über die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nebst Vorwegvollzug.

2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Diebstahl sowie wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Es hat die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt und den Vorwegvollzug von einem Jahr und sechs Monaten der Freiheitsstrafe sowie Maßregeln gemäß §§ 69, 69a StGB angeordnet. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten mit der Sachrüge und mit Verfahrensrügen. Das Rechtsmittel hat überwiegend Erfolg.

1. Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils schlug und trat der Angeklagte gemeinsam mit einer anderen Person am 20. November 2016 gegen 3.00 Uhr morgens in einer Gaststätte auf den Nebenkläger ein, der dadurch ein schweres Schädel-Hirn-Trauma und zwei Frakturen im Mittelgesicht davontrug. Er nahm außerdem das Smartphone des Nebenklägers an sich und steckte es in seine Jacke.

Der Nebenkläger selbst konnte zum eigentlichen Tatgeschehen keine Angaben machen. Seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten stützt das Landgericht in erster Linie auf die Aussage der damaligen Freundin des Nebenklägers, der Zeugin S., die durch weitere Indizien erhebliche Unterstützung gefunden habe. So habe der Angeklagte bei seiner Festnahme auf einer schwarzen Jacke gelegen, in der sich das Smartphone des Nebenklägers befunden habe. An den Schuhen, die der Angeklagte nach dem Aufstehen angezogen habe, seien Blutantragungen gewesen. Eine molekulargenetische Untersuchung habe ergeben, dass der Nebenkläger als Haupturheber der Blutspuren angesehen werden könne. Der Angeklagte könne als Miturheber von DNA-Spuren an den Einlegesohlen nicht ausgeschlossen werden. Die Strafkammer hat daraus den Schluss gezogen, dass der Angeklagte diese Schuhe bei der Auseinandersetzung mit dem Nebenkläger trug. Bei der Zusammenschau der Angaben der Zeugin S., des bei dem Angeklagten gefundenen Smartphones des Nebenklägers und der von ihm getragenen Schuhe, denen Blut des Nebenklägers anhaftete, ist die Strafkammer zu der Überzeugung gelangt, dass der Angeklagte einer der Täter war.

2. Die Beweiswürdigung des Landgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Das DNA-Gutachten des gehörten Sachverständigen ist in den Urteilsgründen nicht hinreichend dargestellt.

a) Grundsätzlich hat das Tatgericht in Fällen, in denen es dem Gutachten eines Sachverständigen folgt, dessen wesentliche Anknüpfungstatsachen und Ausführungen so darzulegen, dass das Rechtsmittelgericht prüfen kann, ob die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht und die Schlussfolgerungen nach den Gesetzen der Logik, den Erfahrungssätzen des täglichen Lebens und den Erkenntnissen der Wissenschaft möglich sind (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Juli 2013 - 4 StR 270/13, NStZ-RR 2014, 115, 116 mwN). Liegt dem Gutachten jedoch ein allgemein anerkanntes und weithin standardisiertes Verfahren zugrunde, wie dies etwa beim daktyloskopischen Gutachten, der Blutalkoholanalyse oder der Bestimmung von Blutgruppen der Fall ist, so genügt die bloße Mitteilung des erzielten Ergebnisses (vgl. BGH, Beschluss vom 15. September 2010 - 5 StR 345/10, NStZ 2011, 171 mwN).

b) Nach diesen Grundsätzen muss nach der neueren Rechtsprechung in den in der Praxis vorkommenden Regelfällen der DNA-Vergleichsuntersuchungen, die sich auf eindeutige Einzelspuren beziehen und keine Besonderheiten in der forensischen Fragestellung aufweisen, lediglich das Gutachtenergebnis in Form der biostatistischen Wahrscheinlichkeitsaussage in numerischer Form mitgeteilt werden (BGH, Beschluss vom 28. August 2018 - 5 StR 50/17, Rn. 10, zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen).

c) Diesen Anforderungen genügt das Urteil nicht. Es enthält keinerlei Darlegungen zum DNA-Gutachten. Da der Nebenkläger als „Haupturheber“ angesehen und der Angeklagte als „Miturheber“ von DNA-Spuren nicht ausgeschlossen werden kann, lässt sich den Urteilsgründen schon nicht entnehmen, dass ein Regelfall der DNA-Vergleichsuntersuchung in Bezug auf eindeutige Einzelspuren vorliegt.

Selbst die in diesen Fällen zumindest notwendige Darstellung der biostatistischen Wahrscheinlichkeit der Zuordnung der Spuren fehlt vollständig. Die Verurteilung des Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Diebstahl kann danach keinen Bestand haben. Die Strafkammer hat ihre Beweiswürdigung ausdrücklich auf die Gesamtschau aller Indizien gestützt. Das Revisionsgericht ist nicht befugt, eine eigene Beweiswürdigung vorzunehmen und aufgrund des übrigen Beweisergebnisses den DNA-Spuren ihre Bedeutung für die Überzeugungsbildung des Tatrichters abzusprechen.

3. Die Aufhebung des Schuldspruchs wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Diebstahl führt zum Entfallen der hierfür verhängten Einsatzstrafe, der Aufhebung der Gesamtfreiheitsstrafe und der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nebst Anordnung des Vorwegvollzugs von Freiheitsstrafe. Das Landgericht hat die Gefahr erneuter erheblicher rechtswidriger Taten gerade auf das trotz laufender Bewährung unter Alkoholeinfluss begangene Körperverletzungsdelikt gestützt.

4. Da die Revision bereits mit der Sachrüge hinsichtlich der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Diebstahl Erfolg hat, kommt es nicht mehr darauf an, dass auch die Ablehnung eines Beweisantrags, der sich auf diese Tat bezieht, rechtlichen Bedenken begegnet.

a) Die Verteidigung hatte beantragt, rötliche Anhaftungen an den Türen der Damentoilette spurentechnisch zu untersuchen zum Beweis der Tatsache, dass sich aus deren Höhe und Flugrichtung ergebe, dass sie typische Folge einer körperlichen Auseinandersetzung zwischen zwei aufrecht stehenden Personen seien. Daraus ergebe sich weiter, dass der Nebenkläger in der Toilette aufrecht gestanden habe und bei Bewusstsein gewesen sei, was nicht der Schilderung der Zeugin S. entspreche. Das Landgericht hat den Beweisantrag abgelehnt, weil die unter Beweis gestellten Tatsachen für die Entscheidung aus tatsächlichen Gründen ohne Bedeutung seien. Die Strafkammer gehe davon aus, dass sich der Nebenkläger, nachdem die Zeugin S. niedergeschlagen worden sei, in der Damentoilette befunden habe. Hierhin sei er geschleppt worden. Ein eigenständiges Fortbewegen aus freiem Willen sei dem Nebenkläger, den die Zeugin S. bereits beim Heraustreten aus der Damentoilette als bewusstlos angesehen habe, danach nicht mehr möglich gewesen. Möglicherweise habe der Nebenkläger dort weitere Schläge erhalten, während er gestützt oder gehalten worden sei. Sollte der Beweisantrag so zu verstehen sein, dass zwingend bewiesen werden solle, dass der Nebenkläger im Rahmen einer körperlichen Auseinandersetzung aufrecht gestanden habe, wäre er abzulehnen, weil die Strafkammer aus eigener Sachkunde feststellen könne, dass die vereinzelten Blutspuren nicht zu einer solchen Schlussfolgerung zwängen.

b) Lehnt das Gericht einen Beweisantrag wegen tatsächlicher Bedeutungslosigkeit der behaupteten Tatsachen ab, hat es die unter Beweis gestellten Tatsachen wie eine erwiesene Tatsache in das bisherige Beweisergebnis einzustellen. Die hypothetische Beweiswürdigung darf keine Abstriche an der Beweisbehauptung vornehmen, sie darf diese nicht entgegen ihrem Sinn auslegen. Dagegen hat das Landgericht verstoßen, indem es in die hypothetische Beweiswürdigung eingestellt hat, dass der Nebenkläger in die Damentoilette geschleppt und dort gestützt oder gehalten worden sei.

c) Die hilfsweise Ablehnung wegen eigener Sachkunde des Gerichts hält gleichfalls der rechtlichen Nachprüfung nicht stand, weil die Strafkammer die Grundlagen ihrer eigenen Sachkunde nicht dargelegt hat. Der Rückschluss von Blutanhaftungen auf einen Tatablauf übersteigt im Regelfall das Allgemeinwissen, hierfür ist ein Wissen erforderlich, das nur in besonderer Ausbildung oder sonstiger Beschäftigung mit Fragen dieser Art erworben wird. Einen solchen Kenntniserwerb hat die Strafkammer nicht dargetan.

5. Die Annahme von Vorsatz bei der Trunkenheitsfahrt des Angeklagten ist angesichts der einschlägigen Vorstrafen noch ausreichend belegt. Bei der Bemessung der Einzelstrafe für diese Tat (zehn Monate Freiheitsstrafe) hat das Landgericht allerdings einen überhöhten Strafrahmen mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren zugrunde gelegt. Der Strafrahmen des § 316 Abs. 1 StGB sieht als Höchststrafe Freiheitsstrafe von einem Jahr vor. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die konkrete Strafbemessung von der Annahme eines höheren als dem vom Gesetz vorgegebenen Strafrahmen zum Nachteil des Angeklagten beeinflusst worden ist.

Die Maßregeln nach §§ 69, 69a StGB können bestehen bleiben, da der Schuldspruch wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr Bestand hat.

HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 303

Externe Fundstellen: NStZ 2019, 294; StV 2020, 835

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner