HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 1148
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 274/18, Urteil v. 11.10.2018, HRRS 2018 Nr. 1148
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 21. November 2017 wird verworfen.
2. Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unter Mitsichführung eines Gegenstandes, der seiner Art nach zur Verletzung von Personen geeignet und bestimmt ist“ (zur Tenorierung bei einer Verurteilung nach § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG vgl. BGH, Urteil vom 19. Januar 2017 - 4 StR 334/16, NStZ-RR 2017, 117; Beschluss vom 3. Februar 2015 - 3 StR 632/14, NStZ-RR 2015, 144 [Ls]) in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten und auf die Sachrüge gestützten Revision wendet sich die Staatsanwaltschaft gegen den Strafausspruch, insbesondere gegen die Annahme minder schwerer Fälle nach § 30a Abs. 3 BtMG durch das Landgericht. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
1. Gegenstand der Verurteilung sind sieben Taten des bewaffneten Handeltreibens mit Amphetamin durch den Angeklagten im Zeitraum zwischen Anfang 2015 und dem 12. Juni 2016. Im Fall B. I. der Urteilsgründe handelte der Angeklagte in 29 Teilakten mit insgesamt 6.500 Gramm Amphetamin mit einer Wirkstoffmenge von 455 Gramm Amphetaminbase, in den Fällen B. II. bis VII. jeweils mit 200 Gramm Amphetamin mit Wirkstoffmengen zwischen 14 und 24,2 Gramm Amphetaminbase. In sämtlichen Fällen verbrachte der Angeklagte das Amphetamin nach dessen Ankauf in die von ihm mitbenutzte Wohnung des früheren Mitangeklagten M., portionierte es dort und verkaufte es anschließend gewinnbringend weiter. In dieser Wohnung befanden sich griffbereit unter anderem ein Baseballschläger, zwei Macheten und diverse Messer, die jeweils im Eigentum des M. standen, sowie ein dem Angeklagten selbst gehörendes Messer. Der Angeklagte, der an multipler Sklerose leidet, veräußerte das Amphetamin in sämtlichen Fällen außerhalb der Wohnung.
Das Landgericht hat bei allen sieben Taten den Strafrahmen eines minder schweren Falles des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln gemäß § 30a Abs. 3 BtMG angewandt und auf Einzelfreiheitsstrafen von jeweils zehn Monaten (Fälle B. II. bis VII.) sowie - unter Berücksichtigung der Sperrwirkung des § 29a Abs. 1 BtMG - von einem Jahr und acht Monaten (Fall B. I.) erkannt.
2. Das wirksam auf den Strafausspruch beschränkte Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft deckt keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Vor- oder Nachteil des Angeklagten (§ 301 StPO) auf.
a) Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatgerichts. Es ist seine Aufgabe, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den es in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des Täters gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. Ein Eingriff des Revisionsgerichts in diese Einzelakte der Strafzumessung ist in der Regel nur möglich, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, wenn das Tatgericht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstößt oder wenn sich die verhängte Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein. Eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle ist ausgeschlossen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 10. April 1987 - GSSt 1/86, BGHSt 34, 345, 349). Diese Maßstäbe gelten auch für die dem Tatgericht obliegende Prüfung, ob ein minder schwerer Fall vorliegt. Bei der dabei gebotenen Gesamtwürdigung obliegt es dem pflichtgemäßen Ermessen des Tatgerichts, welches Gewicht es den einzelnen Milderungsgründen im Verhältnis zu den Erschwerungsgründen beimisst; seine Wertung ist vom Revisionsgericht nur begrenzt nachprüfbar (vgl. BGH, Urteile vom 29. August 2001 - 2 StR 276/01, StV 2002, 20; vom 14. Dezember 2016 - 2 StR 338/16, Rn. 8).
b) Hieran gemessen halten sowohl die Strafrahmenwahl als auch die konkrete Strafzumessung des Landgerichts rechtlicher Nachprüfung stand. Die Einwände der Staatsanwaltschaft dringen nicht durch.
aa) Soweit das Landgericht bei der Strafzumessung das vom Angeklagten gehandelte Amphetamin als eine „sogenannte weiche Droge mit einem nicht so erheblichen Missbrauchspotential“ bezeichnet hat (UA S. 15), schließt der Senat aus, dass die Strafzumessung auf einer rechtlich bedenklichen Gefährlichkeitseinstufung von Amphetamin beruht (zum Stufenverhältnis von sogenannten harten Drogen wie Heroin, Fentanyl, Kokain und Crack über Amphetamin, das auf der Gefährlichkeitsskala einen mittleren Platz einnimmt, bis hin zu sogenannten weichen Drogen wie Cannabis vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 14. Juni 2017 - 3 StR 97/17, Rn. 13 [insofern nicht abgedruckt in NStZ-RR 2017, 310]; vom 15. Juni 2016 - 1 StR 72/16, NStZ 2016, 614, 615; vom 26. März 2014 - 2 StR 202/13, Rn. 20).
Abgesehen davon, dass die von der Beschwerdeführerin beanstandete Erwägung für das von Amphetamin ausgehende Suchtpotential bereits für sich genommen eine Relativierung enthält, da dessen Beschreibung als „nicht so erheblich“ ersichtlich die Abgrenzung zu sogenannten harten Drogen zum Ausdruck bringen sollte, das Landgericht das Amphetamin demnach schon nicht uneingeschränkt unter den Begriff „weiche Droge“ eingeordnet und überdies in diesem Zusammenhang dessen geringe Qualität hervorgehoben hat, hat es sowohl bei der Begründung der Strafrahmenwahl als auch bei der Zumessung der Strafen im engeren Sinne eine Vielzahl gewichtiger Strafmilderungsgesichtspunkte, unter anderem die bisherige Unbestraftheit des Angeklagten, sein umfassendes Geständnis, den Umstand, dass der Betäubungsmittelhandel stets außerhalb der Wohnung und damit ohne Zugriffsmöglichkeit auf die dort befindlichen gefährlichen Gegenstände stattfand, sowie seine schwere Erkrankung in Ansatz gebracht. Es hat zudem deutlich gemacht, dass insbesondere das vom Angeklagten abgelegte Geständnis, seine Unbestraftheit und - in Bezug auf § 30a Abs. 3 BtMG - die Tatsache, dass sämtliche An- und Verkaufsgeschäfte außerhalb der Wohnung stattfanden, mithin hinsichtlich eines Waffeneinsatzes nur eine abstrakte, nicht aber eine konkrete Gefahr bestand, für die jeweilige Strafrahmenwahl sowie die Bemessung der Einzelstrafen und der Gesamtstrafe von Bedeutung waren. In Ansehung dieser Umstände liegt es fern, dass sich die von der Beschwerdeführerin beanstandete Erwägung bei der Strafzumessung zum Vorteil des Angeklagten ausgewirkt hat.
bb) Der Senat schließt ferner aus, dass das Landgericht bei der Strafzumessung die gehandelte Gesamtmenge - insbesondere im Fall B. I. der Urteilsgründe die in 29 Teilakten an- und verkaufte Menge von insgesamt 6.500 Gramm Amphetamin - aus dem Blick verloren hat. Dies ergibt sich schon daraus, dass es die jeweiligen Wirkstoffmengen unter Zugrundelegung der jeweils gehandelten Menge errechnet und diese sodann ins Verhältnis zum Grenzwert der nicht geringen Menge, der im Fall von Amphetamin bei zehn Gramm Amphetaminbase liegt, gesetzt hat.
cc) Nicht zu beanstanden ist schließlich, dass das Landgericht dem festgestellten gewerbsmäßigen Handeln des Angeklagten im Sinne des § 29 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BtMG bei der Strafzumessung kein bestimmendes Gewicht beigemessen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 17. September 1993 - 4 StR 509/93, NStZ 1994, 39).
HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 1148
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner