HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 1037
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 591/17, Beschluss v. 10.10.2018, HRRS 2018 Nr. 1037
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Essen vom 6. Juli 2017 wird verworfen; jedoch wird der Strafausspruch dahin klargestellt, dass der Angeklagte in den Fällen II. 7 und II. 8 der Urteilsgründe jeweils zu einer Einzelfreiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt ist.
2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels, die insoweit im Adhäsionsverfahren entstandenen besonderen Kosten und die der Adhäsionsklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „gemeinschaftlichen“ Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, wegen Wohnungseinbruchdiebstahls, wegen Diebstahls in zwölf Fällen, „davon in einem Fall gemeinschaftlich“, in zwei weiteren Fällen „im Versuch“, davon in einem Fall in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln, wegen wahlweise Betruges oder Computerbetruges in sechs Fällen und wegen Sachbeschädigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt. Ferner hat es die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet und einen Vorwegvollzug von vier Monaten und zwei Wochen Freiheitsstrafe bestimmt. Außerdem hat es eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Die auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Lediglich der Strafausspruch bedarf der aus der Beschlussformel ersichtlichen Klarstellung.
Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils hat einen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler nicht ergeben. Der Erörterung bedarf nur das Folgende:
1. Die Verurteilung wegen Diebstahls im Fall II. 1 der Urteilsgründe ist im Ergebnis aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
a) Nach den Feststellungen des Landgerichts gelangte der Angeklagte durch ein Loch in einem Zaun auf das Gelände eines Getränkehandels in M. Dort entwendete er unter Mitwirkung eines gesondert verfolgten Bekannten zahlreiche, zumeist nach Abgabe durch die Verbraucher bereits zusammengepresste Plastikpfandflaschen sowie einen Kasten mit Glaspfandflaschen; der Pfandwert betrug insgesamt 325 Euro. Beide beabsichtigten, die gepressten Plastikpfandflaschen auszubeulen und das gesamte Pfandleergut nochmals abzugeben, um dafür Pfand zu erhalten.
b) Das Landgericht hat sowohl den objektiven als auch den subjektiven Tatbestand des Diebstahls im Sinne des § 242 StGB jedenfalls hinsichtlich der Plastikflaschen hinreichend belegt.
aa) Das entwendete Pfandleergut war insgesamt für den Angeklagten nach den insoweit maßgeblichen Bestimmungen des Bürgerlichen Rechts (vgl. BGH, Urteil vom 7. Mai 1953 - 3 StR 485/52, BGHSt 6, 377, 378; Lackner/Kühl, StGB, 29. Aufl., § 242 Rn. 4) fremd.
(1) Für die Eigentumsverhältnisse an der jeweiligen Pfandflasche (nicht an ihrem Inhalt) auf den verschiedenen Vertriebsstufen des Pfandsystems bis hin zum Endverbraucher ist deren konkrete Beschaffenheit maßgeblich. Ist die Flasche mit einer besonderen, dauerhaften Kennzeichnung versehen, die sie als Eigentum eines bestimmten Herstellers/Abfüllers ausweist (sog. Individualflasche), verbleibt das Eigentum an ihr, unabhängig vom Eigentumsübergang an dem veräußerten Getränk, beim Hersteller/Abfüller. Mangels zivilrechtlicher Einigung findet deshalb ein Eigentumsübergang an den jeweiligen Flaschen auf den einzelnen Handelsstufen nicht statt (BGH, Urteil vom 9. Juli 2007 - II ZR 233/05, NJW 2007, 2913, 2914). Weist die Flasche solche individuellen Merkmale nicht auf, wird sie vielmehr von unbestimmt vielen Herstellern verwendet (sog. Einheitsflasche), geht nicht nur das Eigentum am Inhalt, sondern auch dasjenige an der Flasche selbst auf allen Vertriebsstufen auf den jeweils nächsten Erwerber über (BGH, Urteil vom 9. Juli 2007, aaO; ebenso Kretschmer in Leipold/Tsambikakis/Zöller, AnwK StGB, 2. Aufl., § 242 Rn. 52; zur im Ergebnis umstrittenen rechtlichen Einordnung des sog. Flaschenpfandes vgl. auch Staudinger/Wiegand, BGB, Neubearb. 2009, § 1204 Rn. 59; juris-PKBGB/Protz, 8. Aufl., § 1204 Rn. 4, jeweils mwN).
(2) Danach waren die entwendeten Flaschen für den Angeklagten fremd. Denn das hier in Rede stehende Pfandleergut stand entweder nach wie vor im Eigentum des Herstellers/Abfüllers oder - soweit sog. Einheitheitsleergut betroffen war - im Eigentum des letzten Erwerbers.
bb) Dass das Landgericht ferner ohne nähere Erörterung davon ausgegangen ist, dass der Angeklagte in der Absicht handelte, sich das Pfandleergut rechtswidrig zuzueignen, ist aus Rechtsgründen im Ergebnis - jedenfalls in Bezug auf die Plastikflaschen - ebenfalls nicht zu beanstanden.
(1) Zum Vorliegen von Zueignungsabsicht im Fall der Entwendung von Pfandleergut zum Zweck der Rückgabe gegen Erstattung des Pfandgeldes gilt das Folgende:
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die der sog. Vereinigungstheorie des Reichsgerichts folgt (vgl. dazu RGSt 61, 228, 233), setzt Zueignung voraus, dass entweder die Sache selbst oder der in ihr verkörperte Wert dem Vermögen des Berechtigten dauerhaft entzogen und dem des Nichtberechtigten zumindest vorübergehend einverleibt wird (BGH, Urteil vom 23. April 1953 - 3 StR 219/52, BGHSt 4, 236, 238; Beschluss vom 16. Dezember 1987 - 3 StR 209/87, BGHSt 35, 152, 156 f.; vgl. auch SSW-StGB/Kudlich, 3. Aufl., § 242 Rn. 41, 43; Fischer, StGB, 65. Aufl., § 242 Rn. 35, jeweils mwN). Sachwert im Sinne dieser Theorie ist nur der nach Art und Funktion mit der Sache verbundene Wert, während der erzielbare Veräußerungserlös an der Sache vom Begriff des Sachwerts nicht erfasst wird (vgl. RGSt 55, 59, 60; BGH, Beschluss vom 21. Januar 1964 - 5 StR 514/63, BGHSt 19, 387, 388; Kudlich aaO, Rn. 43 mwN).
Hiervon ausgehend liegt eine Zueignung des Sachwerts nicht vor, wenn der Täter beabsichtigt, das entwendete Pfandgut gegen Entgelt in das Pfandsystem zurückzuführen. Denn das Pfandgeld ist nicht der unmittelbar im Pfandgut verkörperte Wert. Es dient vielmehr lediglich als Anreiz zur Rückgabe der Pfandflaschen und wird erst durch die Verwertung im Pfandsystem erzielt (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 31. Juli 2007 - 4 Ss 208/07, NStZ 2008, 154, 155; Hellmann, JuS 2001, 353, 355; Schmitz/Göckenjahn/Ischebeck, Jura 2006, 821, 825). Diebstahl kommt in diesen Fällen deshalb nur in Betracht, wenn sich der Täter die Sache selbst zueignen will. Dies setzt voraus, dass der Täter die Flaschen unter Leugnung des Eigentumsrechts des wahren Eigentümers in das Pfandsystem, das insoweit einer Rücknahmepflicht unterliegt, zurückgelangen lassen, er sich also eine eigentümerähnliche Stellung an dem Leergut anmaßen will (vgl. Fischer aaO, Rn. 35a; Kudlich aaO, Rn. 46; zur Rücknahmepflicht vgl. BGH, Urteil vom 13. November 2009 - V ZR 255/08, NJWRR 2010, 1432, 1433, Tz. 15 f.).
Hierfür maßgeblich ist die Vorstellung des Täters über die Eigentumsverhältnisse an den entwendeten Pfandflaschen und die Folgen ihrer Rückführung in das Pfandsystem (vgl. Rengier, Strafrecht Besonderer Teil I, 20. Aufl., § 2. Diebstahl, Rn. 134; Leipziger Kommentar zum StGB/Vogel, 12. Aufl., § 242 Rn. 169; MünchKomm-StGB/Schmitz, 3. Aufl., § 242 Rn. 145 mwN; Schmitz/Goeckenjahn/Ischebeck, Jura 2006, 821, 823 ff.; missverständlich bzw. zu eng: OLG Hamm, Beschluss vom 31. Juli 2007 - 4 Ss 208/07, NStZ 2008, 154 f., das nicht auf das Vorstellungsbild des Täters, sondern auf die tatsächliche zivilrechtliche Eigentumslage abstellt, also eine rein objektive Betrachtung vornimmt). Da das Vorstellungsbild des Angeklagten von der tatsächlichen zivilrechtlichen Rechtslage abweichen kann, sind hierzu Feststellungen zu treffen. Es ist wie folgt zu unterscheiden:
(a) Bei der Wegnahme von Einheitsflaschen ist Zueignungsabsicht zu bejahen, wenn der Täter bei zutreffender Einschätzung der Eigentumslage in der Absicht handelt, das dem Eigentümer entwendete Pfandleergut gegen Erstattung des Pfandbetrages in das Pfandsystem zurückzugeben. In diesem Fall beabsichtigt er, sich wie ein Eigentümer des Pfandleerguts zu gerieren und die Eigentümerstellung des wahren Eigentümers zu leugnen. Das gilt selbst dann, wenn er das Pfandleergut dem Händler zurückgeben will, dem er es zuvor entwendet hat. Denn die Rückgabe des Pfandleerguts gegen Entgelt an den Eigentümer schließt die Zueignungsabsicht nicht aus, wenn der Täter dessen Eigentumsrecht leugnet und eine eigene Berechtigung vortäuscht (Fischer aaO, Rn. 35a mwN; Hellmann, JuS 2001, 353, 354; Rengier aaO, Rn. 132 mwN).
(b) Bei Wegnahme von Individualflaschen, die in den Vertrieb gelangt sind, aber gleichwohl im Eigentum des Herstellers/Abfüllers verbleiben, kann es sich anders verhalten. Zueignungsabsicht liegt nicht vor, wenn der Täter - was freilich die Ausnahme sein dürfte - die Eigentumslage richtig einschätzt und durch die Rückgabe der Individualflaschen das Eigentumsrecht des Herstellers/Abfüllers deshalb nicht leugnen will, sondern dieses anerkennt (Rengier aaO, Rn. 134; MünchKomm-StGB/Schmitz aaO; vgl. auch Kudlich aaO; Hellmann, JuS 2001, 353, 355; ebenso für die Rückgabe gegen Finderlohn schon RGSt 55, 59, 60). Das ist anzunehmen, wenn der Täter erkennt, dass Eigentümer der entwendeten Individualflaschen der Hersteller/Abfüller geblieben ist, und er ihm das Pfandleergut über das Pfandsystem wieder zukommen lassen möchte. In diesem Fall maßt er sich weder eine eigentümerähnliche Stellung an noch ist sein Vorsatz darauf gerichtet, den Eigentümer dauerhaft zu enteignen.
(c) Geht der Täter - dies dürfte den Regelfall darstellen - indes davon aus, dass das Eigentum auch bei Individualflaschen im Vertriebsweg auf den jeweiligen Erwerber der Getränke übergeht, handelt er - wie bei der Wegnahme von Einheitsflaschen - mit der für einen Diebstahl erforderlichen Zueignungsabsicht. Nach seiner Vorstellung will er auch in diesem Fall den (vermeintlichen) Eigentümer enteignen und beabsichtigt, durch Rückgabe in das Pfandsystem sich selbst an die Stelle des wahren Eigentümers zu setzen. Damit sind sämtliche Tatbestandsvoraussetzungen des Diebstahls erfüllt. Dies ergibt sich aus Folgendem:
Der Diebstahl ist ein sogenanntes erfolgskupiertes Delikt. In objektiver Hinsicht setzt der Tatbestand lediglich die Wegnahme einer fremden beweglichen Sache voraus. Die Zueignung dieser Sache ist kein Merkmal des objektiven Tatbestands; das Ausbleiben eines Zueignungserfolges hindert deshalb die Verwirklichung des Tatbestandes nicht (sog. überschießende Innentendenz; vgl. Eser/Bosch in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 242 Rn. 46; Hoyer in SK-StGB, 9. Aufl., § 242 Rn. 67 und 111; Fischer, StGB, 65. Aufl., § 242 Rn. 32; Wessels/Hettinger, Strafrecht BT 2, 36. Aufl., Rn. 164; Leipziger Kommentar zum StGB/Vogel, 12. Aufl., § 242 Rn. 169; Küper in FS Gössel, Gläubiger-Eigenmacht, Selbsthilfe und Zueignungsunrecht, 2002, S. 429, 447 f.).
Unerheblich für die Tatbestandsverwirklichung ist daher, dass vom Täter entwendetes und von ihm in das Pfandsystem zurückgeführtes Individualleergut systembedingt wieder an den auf den Flaschen ausgewiesenen Eigentümer zurückgelangt, dieser also objektiv nicht enteignet wird. Ausreichend für eine Tatvollendung ist vielmehr, dass der Täter bei der Wegnahme in der Absicht handelt, über das entwendete Leergut unter Verdrängung des nach seiner Vorstellung wahren Eigentümers selbst wie ein Eigentümer zu verfügen.
(2) Dies zugrunde gelegt tragen die Feststellungen die Verurteilung des Angeklagten wegen Diebstahls. Jedenfalls dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe lässt sich entnehmen, dass die vom Angeklagten mehrheitlich entwendeten, zusammengepressten Plastikflaschen Einheitsflaschen waren und der Angeklagte bei deren Wegnahme Zueignungsabsicht hatte.
Demgegenüber enthält das Urteil keinen Hinweis darauf, ob es sich bei dem entwendeten Kasten mit den Glaspfandflaschen um Einheits- oder Individualflaschen handelte. Insoweit fehlen auch Feststellungen zum Vorstellungsbild des Angeklagten bei deren Wegnahme. Sollte insoweit eine Strafbarkeit des Angeklagten nicht in Betracht kommen, würde sich der Schuldumfang der Tat jedoch nur unmaßgeblich verringern. Der Senat kann daher jedenfalls ausschließen, dass sich dieser Umstand bei Bemessung der Einzel- und Gesamtstrafe zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt hätte.
2. Der Rechtsfolgenausspruch in den Fällen II. 7 und II. 8 der Urteilsgründe bedarf wegen eines offensichtlichen Fassungsversehens der Klarstellung.
Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift vom 7. Dezember 2017 insoweit das Folgende ausgeführt:
„Soweit bei der Festsetzung der Einzelstrafen für die Tat II. 7 (UA S. 7-8) zwei Einzelstrafen von jeweils fünf Monaten - bei der Strafzumessung bezeichnet als ‚Einbruch Arnold - Versuch, allerdings in Tateinheit mit dem Besitz von Amphetaminen‘ und ‚Einbruch Mehrfamilienhaus R. straße‘ (UA S. 30-31) - angeführt sind, hingegen für den Fall II. 8 keine Einzelstrafe angegeben ist, handelt es sich um ein offensichtliches Schreibversehen. Die Kammer hat die im Fall II. 7 verwirklichten Straftatbestände ausdrücklich als tateinheitlich begangen bewertet (UA S. 25, 30), weshalb auszuschließen ist, dass sie hierfür zwei Einzelstrafen festsetzen wollte. Aus der Chronologie und dem Umstand, dass lediglich für die Tat II. 8 keine Einzelstrafe angeführt ist, ergibt sich, dass die Kammer bei der Strafzumessung den dieser Tat zugrunde liegenden Einbruch in das Mehrfamilienhaus in der B. straße (UA S. 8) lediglich versehentlich mit ‚Einbruch Mehrfamilienhaus R. straße‘ bezeichnet hat.“
Dem tritt der Senat bei.
HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 1037
Externe Fundstellen: BGHSt 63, 215; NJW 2018, 3598 ; NStZ-RR 2019, 45 ; StV 2020, 234
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner