HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 942
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 320/17, Beschluss v. 16.08.2017, HRRS 2017 Nr. 942
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Paderborn vom 31. März 2017
a) mit den Feststellungen aufgehoben,
aa) im Fall II.4 der Urteilsgründe; das Verfahren wird insoweit eingestellt. Im Umfang der Einstellung werden die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse auferlegt,
bb) im Ausspruch über die Einzelstrafe im Fall II.1 der Urteilsgründe,
cc) im Ausspruch über die Gesamtstrafe und
dd) insoweit, als das Landgericht von der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen hat,
b) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der Brandstiftung und der Beleidigung in zwei Fällen schuldig ist.
2. Im Umfang der Aufhebung gemäß Ziffer 1. Buchst. a), bb), cc) und dd) wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten mit Urteil vom 31. März 2017 (nicht: 2016, wie im Eingang des schriftlichen Urteils versehentlich angeführt) wegen Brandstiftung und Beleidigung in drei Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Nach den Feststellungen bewohnte der Angeklagte eine als Obdachlosenunterkunft genutzte Einliegerwohnung in der Stadthalle B. Die ehemalige Hausmeisterwohnung ist baulich vollständig in das Gebäude der Stadthalle integriert und besteht aus zwei getrennt nutzbaren und möblierten Räumen, einer Küche und einem Bad. Die Räumlichkeiten sind über einen gemeinsamen Flur verbunden. Als zur Tatzeit „einziger aktiver Bewohner“ besaß der Angeklagte sowohl einen Haustür- als auch einen Zimmerschlüssel für seinen Raum. Am 19. August 2016 zwischen 13.15 Uhr und 13.34 Uhr stellte der Angeklagte brennbares Mobiliar unmittelbar in dem Bereich hinter der Zimmertür seines Raumes zusammen und entzündete es sodann. In dem von ihm benutzten Raum entwickelte sich ein Vollbrand; nur umfangreiche Löscharbeiten konnten verhindern, dass sich das Feuer auf die gesamte Stadthalle ausweitete. Allerdings entstanden in dem Saal „Bever“ starke Rußanhaftungen an der Decke, so dass dieser Saal und das Foyer der Stadthalle „in der Folgezeit“ nicht nutzbar waren. Der von dem Angeklagten benutzte Raum in der Einliegerwohnung brannte vollständig aus.
Bei seiner Festnahme (Fall II.2 der Urteilsgründe), auf der Polizeiwache in H. (Fall II.3) und bei der Durchführung der zweiten Blutentnahme (Fall II.4) beleidigte der Angeklagte verschiedene mit dem Fall befasste Polizeibeamte. Die dem Angeklagten am Tattag gegen 17.25 Uhr und 17.55 Uhr entnommenen Blutproben ergaben eine Blutalkoholkonzentration im Mittelwert von 0,96 Promille bzw. 0,86 Promille.
1. Das Verfahren ist im Fall II.4 der Urteilsgründe gemäß § 206a Abs. 1 StPO einzustellen, weil ein Verfahrenshindernis vorliegt.
Diesen Fall hatte die Staatsanwaltschaft in der Anklageschrift vom 27. Oktober 2016 dem Angeklagten unter Ziffer 7 zur Last gelegt. Das Landgericht hat u.a. diese Tat auf Antrag der Staatsanwaltschaft in der Hauptverhandlung vom 31. März 2017 vorläufig gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt. Eine Wiederaufnahme des Verfahrens ist nicht erfolgt.
Daher steht der erfolgten Verurteilung im Fall II.4 der Urteilsgründe die vorläufige Einstellung nach § 154 Abs. 2 StPO entgegen. Dies führt zur Teileinstellung des dem Beschluss vom 31. März 2017 nachfolgenden Verfahrens gemäß § 206a Abs. 1 StPO (vgl. Senat, Beschluss vom 4. Juni 2013 - 4 StR 192/13, BGHR StPO § 260 Abs. 3 Revisionsinstanz 3 mwN).
2. Im Übrigen begegnen die gegen den Angeklagten ergangenen Schuldsprüche keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das gilt auch für die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe sich einer vollendeten Brandstiftung gemäß § 306 Abs. 1 Nr. 1 StGB schuldig gemacht.
Dahinstehen kann, ob im angefochtenen Urteil, wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 17. Juli 2017 meint, ein vollendetes Inbrandsetzen hinreichend belegt ist. Der Senat kann den vom Landgericht getroffenen Feststellungen jedenfalls noch entnehmen, dass der Angeklagte ein fremdes Gebäude - nämlich die Stadthalle von B. - durch seine Brandlegung teilweise zerstört hat.
Eine teilweise Zerstörung, bei der es sich um eine solche von Gewicht handeln muss (BGH, Urteile vom 12. September 2002 - 4 StR 165/02, BGHSt 48, 14, 20, und vom 17. November 2010 - 2 StR 399/10, BGHSt 56, 94, 96 zu § 306a Abs. 2, § 306 Abs. 1 Nr. 1 StGB: Verrußung von Kellerräumen in einem Wohnblock) ist gegeben, wenn einzelne wesentliche Teile eines Objekts, die seiner tatbestandlich geschützten Zweckbestimmung entsprechen, unbrauchbar geworden sind oder eine von mehreren tatbestandlich geschützten Zweckbestimmungen brandbedingt aufgehoben ist (BGH, Beschlüsse vom 20. Oktober 2011 - 4 StR 344/11, BGHSt 57, 50, 51 f., und vom 14. Januar 2014 - 1 StR 628/13, NJW 2014, 1123, 1124). Für die Unbrauchbarkeit genügt grundsätzlich die Beeinträchtigung der bestimmungsgemäßen Nutzbarkeit für eine „nicht nur unerhebliche Zeit“ (BGH, Urteil vom 12. September 2002 - 4 StR 165/02, BGHSt 48, 14, 20 f.).
Bei der Stadthalle handelt es sich um ein gemischt, nämlich einerseits zu Wohnzwecken und andererseits zu öffentlichen Zwecken, genutztes Gebäude. Jedenfalls eine teilweise Zerstörung des Gebäudes, soweit es als Stadthalle genutzt wird, ist durch die Feststellungen hinreichend belegt. Das Landgericht hat festgestellt, dass infolge starker Rußanhaftungen sowohl der Saal „Bever“ als auch das Foyer der Stadthalle in der Folgezeit nicht nutzbar waren. Dies genügt für den Begriff der teilweisen Zerstörung. Der Wendung „in der Folgezeit nicht nutzbar“ (UA 6) entnimmt der Senat nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe, dass die bestimmungsgemäße Nutzbarkeit für eine nicht nur unerhebliche Zeit beeinträchtigt war.
3. Während das Landgericht die Einzelstrafen für die beiden verbleibenden Fälle der Beleidigung rechtsfehlerfrei zugemessen hat, kann der Einzelstrafausspruch wegen Brandstiftung im Fall II.1 der Urteilsgründe nicht bestehen bleiben. Insoweit hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift das Folgende ausgeführt:
„Überdies weist die Einzelstrafe im Fall II.1 der Urteilsgründe einen Rechtsfehler auf, der zur Aufhebung dieser Einzelstrafe führt. Sieht das Gesetz einen minder schweren Fall vor und ist - wie hier nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB - auch ein gesetzlich vertypter Milderungsgrund gegeben, muss bei der Strafrahmenwahl zunächst vorrangig geprüft werden, ob ein minder schwerer Fall vorliegt. Dabei ist im Rahmen einer Gesamtwürdigung zuerst auf die allgemeinen Milderungsgründe abzustellen. Vermögen sie die Annahme eines minder schweren Falls allein zu tragen, stehen die den gesetzlich vertypten Milderungsgrund verwirklichenden Umstände noch für eine (weitere) Strafrahmenmilderung nach § 49 Abs. 1 StGB zur Verfügung. Ist nach einer Abwägung aller allgemeinen Strafzumessungsumstände das Vorliegen eines minder schweren Falls abzulehnen, sind auch die den gesetzlich vertypten Strafmilderungsgrund verwirklichenden Umstände in die Bewertung einzubeziehen. Erst wenn das Tatgericht danach weiterhin keinen minder schweren Fall für gerechtfertigt hält, darf es seiner konkreten Strafzumessung den (allein) wegen des gegebenen gesetzlich vertypten Milderungsgrundes gemilderten Regelstrafrahmen zugrunde legen (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschluss vom 28. Februar 2013 - 4 StR 430/12, NStZ-RR 2013, 168).
Das Landgericht hat es versäumt, in seine Bewertung, ob ein minder schwerer Fall gemäß § 306 Abs. 2 StGB vorliegt, die den gesetzlich vertypten Milderungsgrund des § 21 StGB erfüllenden Umstände einzubeziehen (UA S. 15).“ Dem kann sich der Senat - ungeachtet der strafrechtlichen Vorbelastung des Angeklagten - nicht verschließen.
4. Der Wegfall der Einsatzstrafe führt zur Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs.
5. Durchgreifenden Bedenken begegnet auch, dass das Landgericht von der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB abgesehen hat.
Das Landgericht hat entgegen dem in der Hauptverhandlung gehörten Sachverständigen, der einen jedenfalls auf eine Alkoholabhängigkeit des Angeklagten gestützten Hang bejaht hat, einen solchen nicht mit hinreichender Sicherheit festzustellen vermocht. Nach ständiger Rechtsprechung genügt für einen Hang bereits eine eingewurzelte, auf psychischer Disposition beruhende oder durch Übung erworbene intensive Neigung, immer wieder Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen, wobei noch keine physische Abhängigkeit bestehen muss (BGH, Beschluss vom 19. April 2016 - 3 StR 566/15 mwN). Unabhängig davon, ob das Landgericht die Abweichung von dem Gutachten des Sachverständigen ausreichend begründet hat, hat es sich für seine Zweifel am Vorliegen eines Hanges auf die für den Tattag ermittelten „Messwerte“ bezogen (UA 18). Die Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit wird auf UA 17 im Wege der Rückrechnung mit „ca. 1,4 Promille“ angegeben. Dies trifft jedoch nicht zu. Bei korrekter Rückrechnung ergibt sich ein deutlich höherer Wert von ca. 1,9 Promille. Das Landgericht hat somit einen Hang auf unzutreffender Tatsachengrundlage verneint. Bereits dies bedingt die Aufhebung der Nichtanordnung der Unterbringung nach § 64 StGB.
HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 942
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede