HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 842
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 205/16, Beschluss v. 24.06.2016, HRRS 2016 Nr. 842
1. Auf die Revision der Angeklagten M. wird das Urteil des Landgerichts Paderborn vom 23. September 2015, soweit es sie betrifft, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat die Angeklagte M. wegen Strafvereitelung unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus zwei rechtskräftigen Urteilen nach Auflösung der dort gebildeten Gesamtstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Ihre Revision hat Erfolg.
Nach den Feststellungen suchte der in Po. lebende Mitangeklagte G. am Nachmittag des 21. März 2011 die Angeklagte M. auf deren Bitte hin in der Familienwohnung in L. auf, um mit ihrem Ehemann, dem späteren Tatopfer D. M., über Eheprobleme zu sprechen. Zu diesem Zeitpunkt war D. M. noch an seiner Arbeitsstelle. Kurz vor seiner erwarteten Heimkehr kamen die Angeklagte M. und der Mitangeklagte G. überein, dass dieser das anstehende Gespräch mit D. M. in der Garage führen sollte, damit die Kinder der Eheleute M. eine befürchtete lautstarke Auseinandersetzung nicht mitbekämen. Als D. M. in die Garage einfuhr, stand der Mitangeklagte G. an der Seite der Garage in einem Nebenraum. Dabei trug er eine Trainingsjacke mit über den Kopf gezogener Kapuze. D. M. konnte ihn beim Hereinfahren nicht sehen. Nachdem D. M. aus seinem Fahrzeug ausgestiegen war, sprach ihn der Mitangeklagte G. an und erklärte ihm, dass er gekommen sei, um mit ihm zu sprechen. Anschließend betätigte er den Schließmechanismus der Garagentür und redete weiter auf D. M. ein. Dabei gewann der Mitangeklagte G. den Eindruck, dass sich D. M. annähere. Er wich zurück und wurde aggressiv. Als D. M. eine Bewegung in Richtung des Angeklagten G. machte, ergriff dieser einen Gummihammer und schlug damit mindestens zwölfmal kräftig auf den Kopf von D. M. ein, wobei er dessen Tod billigend in Kauf nahm. Infolge der Schläge kam es bei D. M. zu schwerwiegenden Kopfverletzungen, die zu seinem Tod führten.
Der Mitangeklagte G. ging blutverschmiert zurück zum Haus, wo ihm die Angeklagte M. öffnete. Nachdem er sich die Hände gewaschen hatte, begaben sich beide in die Garage, wo der zwischenzeitlich verstorbene D. M. auf dem Boden lag. Sie kamen überein, die Leiche mit dem Auto der Familie M. „zu entsorgen“. In der Folge verbrachte der Mitangeklagte G. die Leiche in das Fahrzeug. Dabei verwendete Müllsäcke und Klebeband stellte ihm die Angeklagte M. zur Verfügung. Anschließend reinigte sie das Badezimmer. Am frühen Morgen des 22. März 2011 fuhr der Mitangeklagte G. mit dem Pkw, in dem sich die Leiche befand, nach E. Die Angeklagte M. reinigte den Tatort und wusch die dabei verwendeten Lappen sowie ihre Kleidung. Gegenüber ihren Kindern gab sie an, dass ihr Vater am Vorabend allein mit dem Auto weggefahren sei, um ein Holzgeschäft abzuschließen. Gleiches erzählte sie in der Nachbarschaft. Am Mittag des 22. März 2011 kam der Mitangeklagte G. nochmals nach L. und erhielt von der Angeklagten M. 500 Euro als „Reisespesen“. Am Nachmittag des 22. März 2011 erstattete die Angeklagte M. bei der Polizei in P. eine Vermisstenanzeige. Dabei erklärte sie, ihr Ehemann sei am 21. März 2011 nach der Spätschicht nach Hause gekommen und mit einem größeren Bargeldbetrag wieder weggefahren, um ein Holzgeschäft zu tätigen. Am 24. März 2011 reiste der Mitangeklagte G. zurück nach Po. Nachdem die Polizei am 25. März 2011 im Haus und in der Garage der Familie M. diverse Blutspuren gesichert hatte, wurde die Angeklagte noch am selben Tag erstmals als Beschuldigte vernommen. Nach zunächst abweichenden Angaben benannte sie am 26. März 2011 den Mitangeklagten G. und machte Angaben zum Tatgeschehen.
Das Landgericht hat sich von einer Beteiligung der Angeklagten M. an der Tötung ihres Ehemanns durch den Mitangeklagten G. nicht zu überzeugen vermocht. Es ist jedoch der Auffassung, dass sich die Angeklagte M. der Strafvereitelung schuldig gemacht habe, indem sie den Mitangeklagten G. bei der Beseitigung der Leiche unterstützte, die Tatspuren beseitigte und unrichtige Angaben über den Verbleib ihres Ehemannes machte. Ohne diese Handlungen wäre der Mitangeklagte G. noch vor seiner Ausreise nach Po. verhaftet worden, weil die Tat dann früher angezeigt und der Mitangeklagte G. noch vor seiner Ausreise von der Angeklagten M. bei einer zeugenschaftlichen Vernehmung benannt worden wäre (UA 46). Bei alldem sei es der Angeklagten M. darauf angekommen, ihm die Flucht nach Po. zu ermöglichen und seine Bestrafung zu verhindern.
Entgegen der Auffassung der Revision ist die abgeurteilte Tat Gegenstand der unverändert zugelassenen Anklage der Staatsanwaltschaft P. vom 16. April 2015. Zwar wird der Angeklagten M. darin lediglich eine Anstiftung des Mitangeklagten G. zur Tötung des D. M. zur Last gelegt. Im Anklagesatz (§ 201 Abs. 1 Satz 1 StPO) sind aber nach der Darstellung der Anstiftungshandlung und der Tötung auch die sich anschließenden Vereitelungshandlungen der Angeklagten M. im Einzelnen aufgeführt. Im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen heißt es dazu weiter, dass dieses Verhalten als Strafvereitelung „strafbar wäre“. Damit hat die Staatsanwaltschaft ihren Willen zum Ausdruck gebracht, auch das Nachtatverhalten zur Aburteilung zu bringen, sofern nicht § 258 Abs. 5 StGB entgegensteht (vgl. BGH, Urteil vom 20. Mai 1998 - 2 StR 76/98, NStZ-RR 1999, 48).
Die Revision der Angeklagten M. hat Erfolg.
1. Die Verurteilung der Angeklagten M. wegen (vollendeter) Strafvereitelung gemäß § 258 Abs. 1 StGB leidet an einem durchgreifenden Erörterungsmangel, weil sich das Landgericht trotz entsprechender tatsächlicher Anhaltspunkte nicht mit der Frage auseinandergesetzt hat, ob der Strafausschließungsgrund des § 258 Abs. 5 StGB zu ihren Gunsten eingreift.
a) Nach § 258 Abs. 5 StGB wird nicht wegen Strafvereitelung bestraft, wer durch die Tat ganz oder zum Teil vereiteln will, dass er selbst bestraft wird. Dabei ist entscheidend, wie der Täter seine Situation selbst einschätzt. Die Selbstbegünstigung ist daher auch dann straflos, wenn die Befürchtung eigener Strafverfolgung unbegründet ist (BGH, Urteil vom 23. März 2016 - 2 StR 223/15, Rn. 7; Beschluss vom 3. April 2002 - 2 StR 66/02, NStZ-RR 2002, 215; Urteil vom 20. Mai 1952 - 1 StR 748/51, BGHSt 2, 375, 378; Stree in: Schönke/ Schröder, StGB, 29. Aufl., § 258 Rn. 37 mwN).
b) Danach hätte das Landgericht erörtern müssen, ob die Angeklagte M. mit den ihr zur Last gelegten Vereitelungshandlungen zu Gunsten des Mitangeklagten G. (Übereinkunft zur Beseitigung der Leiche, Beseitigung der Tatspuren, falsche Angaben zum Verbleib des Tatopfers gegenüber den Kindern, den Nachbarn und der Polizei) nicht jedenfalls auch das Ziel verfolgt hat, sich selbst vor Strafverfolgung zu schützen. Dies war hier nach den Feststellungen schon deshalb nicht fernliegend, weil die Tat in ihrem Wohnumfeld begangen wurde, sie mit dem Tatopfer in einer spannungsreichen Ehe lebte und der Mitangeklagte G. allein auf ihre Veranlassung hin den zur Vortat führenden Kontakt mit dem Getöteten aufgenommen hatte. Aus Sicht der Angeklagten M. könnte daher die Befürchtung entstanden sein, die Tötung ihres Ehemannes durch den Mitangeklagten G. würde auch ihr zugerechnet oder sie sei sonst strafrechtlich (mit-)verantwortlich.
2. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Dies gilt auch in Bezug auf eine mögliche Beteiligung der Angeklagten M. an der Vortat und diese selbst. Die Frage, ob sich die Angeklagte M. hinsichtlich des Mitangeklagten G. wegen Strafvereitelung gemäß § 258 Abs. 1 StGB strafbar gemacht hat oder ob insoweit der Strafausschließungsgrund des § 258 Abs. 5 StGB eingreift, hängt maßgeblich von den Feststellungen zur Vortat und einer (möglichen) Beteiligung der Angeklagten M. an dieser Tat ab. Die Geschehnisse sind dabei auf das Engste miteinander verbunden und können unter den hier gegebenen Umständen nur auf der Grundlage einer einheitlichen Bewertung des Prozessstoffs festgestellt werden. Mit Rücksicht auf die Forderung nach innerer Einheit des tatrichterlichen Erkenntnisses ist es daher nicht angezeigt, die Aufhebung auf die Verurteilung wegen Strafvereitelung zu beschränken und den neuen Tatrichter damit an die Feststellungen zur Vortat und zur nicht erweislichen Beteiligung der Angeklagten M. daran zu binden (vgl. BGH, Urteil vom 5. Februar 1986 - 2 StR 578/85, NJW 1986, 1820, 1821; Urteil vom 6. Mai 1980 - 1 StR 89/80, NJW 1980, 1807).
3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf das Folgende hin:
a) Eine Verurteilung wegen vollendeter Strafvereitelung gemäß § 258 Abs. 1 StGB setzt voraus, dass der Täter die Bestrafung des Vortäters ganz oder zum Teil vereitelt. Dabei ist es nicht erforderlich, dass die Strafverfolgung oder die Anordnung einer Maßnahme völlig und endgültig unmöglich gemacht wird; es genügt, dass der Vortäter zumindest geraume Zeit der Bestrafung oder der Anordnung einer Maßnahme entzogen wird (vgl. BGH, Urteil vom 21. Dezember 1994 - 2 StR 455/94, wistra 1995, 143; Urteil vom 4. August 1983 - 4 StR 378/83, NJW 1984, 135; Urteil vom 29. September 1982 - 2 StR 214/82). Für diesen Vereitelungserfolg muss die Tathandlung ursächlich gewesen sein. Dazu bedarf es des Nachweises, dass ohne das Eingreifen des Täters eine frühere Bestrafung des Vortäters mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erfolgt wäre (Stree in: Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 258 Rn. 18; NK-StGB/Altenhain, 3. Aufl., § 258 Rn. 53; Ferber, Strafvereitelung, 1997, S. 35, 54). Soweit dabei hypothetische Verläufe in die Betrachtung einbezogen werden, muss sich der Tatrichter auch mit alternativen Geschehensabläufen auseinandersetzen, sofern sich diese nach dem Beweisergebnis aufdrängen (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Februar 2010 - 3 StR 564/09, NStZ-RR 2010, 183, 184). Der neue Tatrichter wird daher für den Fall, dass er eine Verurteilung wegen vollendeter Strafvereitelung auf die Annahme stützen will, die Angeklagte M. hätte auch im Fall einer früheren Vernehmung den Mitangeklagten G. als Täter benannt, die Frage erörtern müssen, ob die Angeklagte M. nicht stattdessen von einem ihr zustehenden Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hätte.
b) Bei einer erneuten nachträglichen Gesamtstrafenbildung mit den Einzelstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Paderborn vom 14. Mai 2012 wird der neue Tatrichter zu beachten haben, dass die dort abgeurteilten Taten Nr. 1 bis 3 (Tatzeiten: 25. Februar 2011, 1./2. April 2011 und 1. Mai 2011) und 18 (Tatzeit: 14. März 2011) vor dem Urteil des Amtsgerichts Paderborn vom 17. August 2011 begangen worden sind. Sollte die nach den Feststellungen im Ersturteil erledigte Gesamtgeldstrafe aus dem Urteil vom 17. August 2011 im Zeitpunkt des Urteils vom 14. Mai 2012 noch nicht vollstreckt gewesen sein, wofür die dort erfolgte Sachbehandlung nach § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB spricht, käme dem Urteil vom 17. August 2011 in Bezug auf die Einzelstrafen für die Taten Nr. 1 bis 3 und 18 aus dem Urteil vom 14. Mai 2012 noch eine Zäsurwirkung zu, da diese Strafen noch nicht erledigt sind und deshalb ein Nachtragsverfahren nach § 460 StPO noch möglich ist (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Juni 2014 - 4 StR 150/14, Rn. 5; Beschluss vom 17. Juli 2007 - 4 StR 266/07, NStZ-RR 2007, 369; Bringewat, Die Bildung der Gesamtstrafe, 1987, Rn. 346; Nestler, JA 2011, 248, 253). Dann aber stünden diese Strafen für eine Gesamtstrafenbildung im vorliegenden Verfahren nicht mehr zur Verfügung. Dass die Geldstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Paderborn vom 17. August 2011 im Urteil vom 14. Mai 2012 nach § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB behandelt worden sind, lässt die Zäsurwirkung des Urteils vom 17. August 2011 nicht entfallen (BGH, Beschluss vom 22. Juli 2015 - 2 StR 105/15, NStZ-RR 2015, 306; Beschluss vom 8. September 2010 - 2 StR 423/10, StraFo 2011, 61 f.).
HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 842
Externe Fundstellen: NJW 2016, 3110; NStZ-RR 2016, 310; StV 2019, 672
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede