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HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 979

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 197/16, Beschluss v. 31.08.2016, HRRS 2016 Nr. 979


BGH 4 StR 197/16 - Beschluss vom 31. August 2016 (LG Essen)

Nachstellen (Begriff der Beharrlichkeit: subjektives Element der Uneinsichtigkeit und Rechtsfeindlichkeit, erforderliche Gesamtbetrachtung, Bedeutung besonders intensiver Eingriffe in die Recht des Opfers).

§ 238 Abs. 1 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Dem Begriff der Beharrlichkeit im Sinne des § 238 Abs. 1 StGB wohnen objektive Momente der Zeit sowie subjektive und normative Elemente der Uneinsichtigkeit und Rechtsfeindlichkeit inne; er ist nicht bereits bei bloßer Wiederholung erfüllt. Erforderlich ist vielmehr, dass der Täter aus Missachtung des entgegenstehenden Willens oder aus Gleichgültigkeit gegenüber den Wünschen des Opfers mit der Absicht handelt, sich auch in Zukunft immer wieder entsprechend zu verhalten. Der Beharrlichkeit ist immanent, dass der Täter uneinsichtig auf seinem Standpunkt besteht und zäh an seinem Entschluss festhält, obwohl ihm die entgegenstehenden Interessen des Opfers bekannt sind. Die erforderliche ablehnende Haltung und gesteigerte Gleichgültigkeit gegenüber dem gesetzlichen Verbot manifestieren sich darin, dass der Täter den vom Opfer ausdrücklich oder schlüssig geäußerten entgegenstehenden Willen bewusst übergeht (vgl. BGHSt 54, 189, 194 f.).

2. Dabei ergibt sich die Beharrlichkeit aus einer Gesamtwürdigung der verschiedenen Handlungen, bei der insbesondere der zeitliche Abstand zwischen den Angriffen und deren innerer Zusammenhang von Bedeutung sind (vgl. BGHSt 54, 189, 194 f.).

3. Greift der Täter mit seinen Handlungen besonders intensiv in die Rechte des Opfers ein, so mögen bereits wenige Vorfälle, unter Umständen auch eine einzige Wiederholung, das erforderliche Maß an rechtsfeindlicher Gesinnung und Hartnäckigkeit zu belegen. Voraussetzung ist aber auch dann, dass die einzelnen Handlungen des Täters einen ausreichenden räumlichen und zeitlichen Zusammenhang aufweisen und von einem fortbestehenden einheitlichen Willen des Täters getragen sind.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 18. Dezember 2015 mit den Feststellungen aufgehoben,

a) soweit der Angeklagte wegen Nachstellung in Tateinheit mit Körperverletzung, mit Nötigung, mit versuchter Nötigung und mit Sachbeschädigung verurteilt wurde (Taten II. 1., 3. und 4. der Urteilsgründe) sowie

b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe und soweit die Strafkammer es unterlassen hat, für die im Fall II. 2. der Urteilsgründe verhängte Geldstrafe von 90 Tagessätzen die Tagessatzhöhe festzusetzen.

2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Nachstellung in Tateinheit mit Körperverletzung, mit Nötigung, mit versuchter Nötigung und mit Sachbeschädigung sowie wegen Bedrohung in Tateinheit mit Beleidigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sieben Monaten verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen. Gegen die Verurteilung richtet sich seine auf Verfahrensrügen und sachlichrechtliche Beanstandungen gestützte Revision. Das Rechtsmittel hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet.

1. Das Landgericht hat hinsichtlich der Nachstellung und der tateinheitlich mit dieser abgeurteilten Straftatbestände im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen.

Im Oktober 2014 trennte sich die Nebenklägerin vom Angeklagten und beendete die im Mai diesen Jahres zu ihm begonnene Beziehung.

In der Nacht vom 17. zum 18. April 2015 stieg der Angeklagte auf das Dach des Hauses, in dem die Nebenklägerin wohnte, deckte dieses teilweise ab und schnitt in die Dachfolie ein Loch, durch das er ein Dachfenster öffnete. Anschließend stieg er in das Haus ein, begab sich in das Schlafzimmer der Nebenklägerin, setzte sich auf sie und fragte, welche Männerkontakte sie habe. Auf ihre Antwort, sie habe keine solchen Kontakte, schlug der Angeklagte mehrfach auf sie ein und forderte die „Freischaltung“ ihres Handys. Nachdem die Nebenklägerin die PIN ihres Handys eingegeben und der Angeklagte dieses „durchforstet“ hatte, schlug er erneut mehrfach auf sie ein. Schließlich drohte er, sie umzubringen, falls sie die Polizei anrufe und er „in den Knast müsse“.

Am 25. April 2015 sandte der Angeklagte an den Arbeitgeber der Nebenklägerin eine E-Mail, in der er bewusst wahrheitswidrig behauptete, die Nebenklägerin würde sich auf dessen Kosten „privat selbst bereichern“.

Zwischen dem 18. April und dem 4. Mai 2015 sicherte die Nebenklägerin aus Angst, der Angeklagte werde erneut in ihre Wohnung eindringen, unter anderem die Wohnungstür mit einer Eisenstange und die Fenster mit Schlüsseln und einer Alarmanlage. Ferner beschaffte sie sich ein Pfefferspray und eine Schreckschusspistole und installierte auf ihrem Handy einen Notfallalarm.

Am 4. Mai 2015 verschaffte sich der Angeklagte erneut über das Dach Zugang zur Wohnung der Nebenklägerin, wobei er wiederum Dachziegel abdeckte, ein Loch in die Dachfolie schnitt, hierdurch in das Haus einstieg und schließlich die Wohnungstür der Nebenklägerin eintrat. Daraufhin gab die Nebenklägerin drei Schüsse aus der Schreckschusspistole ab, woraufhin der Angeklagte „zusammensackte“, ihr seine Liebe schwor und mitteilte, dass er eigentlich vorgehabt habe, sie dazu zu bringen, dass sie sich die Pulsadern aufschneide.

Aufgrund des Verhaltens des Angeklagten hielt sich die Nebenklägerin „längere Zeit“ nicht zu Hause auf, zog zu Bekannten und betrat ihre Wohnung „zunächst“ nur noch in Begleitung.

Am 25. September 2015 heiratete sie den Angeklagten.

2. Das Rechtsmittel des Angeklagten hat Erfolg, soweit es sich gegen die Verurteilung wegen Nachstellung in Tateinheit mit Körperverletzung, mit Nötigung, mit versuchter Nötigung und mit Sachbeschädigung richtet. Dies hat die Aufhebung der gegen den Angeklagten verhängten Gesamtfreiheitsstrafe zur Folge. Ferner hat es das Landgericht unterlassen, für die im Fall II. 2. der Urteilsgründe verhängte Geldstrafe von 90 Tagessätzen die Tagessatzhöhe festzusetzen.

a) Die vom Angeklagten erhobenen Verfahrensrügen sind - auch soweit auf Seite 4 der Revisionsbegründungsschrift eine Aufklärungsrüge erhoben ist - unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO; vgl. zu den Beweisantragsrügen die Ausführungen des Generalbundesanwalts in der Antragsschrift vom 5. August 2016).

Ferner ist sein Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO), soweit es sich gegen den Schuldspruch im Fall II. 2. der Urteilsgründe (Bedrohung in Tateinheit mit Beleidigung zum Nachteil des Zeugen B.) richtet. Hinsichtlich dieser Tat begegnet auch die Verhängung der Einzelstrafe von 90 Tagessätzen keinen Bedenken. Jedoch hat die Strafkammer es unterlassen, die auch in Fällen des Aufgehens der Geldstrafe in einer Gesamtfreiheitsstrafe notwendige Festsetzung der Tagessatzhöhe vorzunehmen (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 23. Juni 2015 - 4 StR 552/15; Fischer, StGB, 63. Aufl., § 40 Rn. 4 aE mwN). Dies wird der neue Tatrichter nachzuholen haben.

b) Die Verurteilung des Angeklagten wegen Nachstellung in Tateinheit mit Körperverletzung, mit Nötigung, mit versuchter Nötigung und mit Sachbeschädigung begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Denn die vom Landgericht getroffenen Feststellungen tragen nicht den Schuldspruch wegen des von der Strafkammer angenommenen § 238 Abs. 1 Nr. 1 und 5 StGB.

aa) Tathandlung des § 238 Abs. 1 StGB ist das unbefugte Nachstellen durch beharrliche unmittelbare und mittelbare Annäherungshandlungen an das Opfer oder näher bestimmte Drohungen im Sinne des § 238 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 StGB. Dabei wohnen dem Begriff der Beharrlichkeit objektive Momente der Zeit sowie subjektive und normative Elemente der Uneinsichtigkeit und Rechtsfeindlichkeit inne; er ist nicht bereits bei bloßer Wiederholung erfüllt. Erforderlich ist vielmehr, dass der Täter aus Missachtung des entgegenstehenden Willens oder aus Gleichgültigkeit gegenüber den Wünschen des Opfers mit der Absicht handelt, sich auch in Zukunft immer wieder entsprechend zu verhalten. Der Beharrlichkeit ist immanent, dass der Täter uneinsichtig auf seinem Standpunkt besteht und zäh an seinem Entschluss festhält, obwohl ihm die entgegenstehenden Interessen des Opfers bekannt sind. Die erforderliche ablehnende Haltung und gesteigerte Gleichgültigkeit gegenüber dem gesetzlichen Verbot manifestieren sich darin, dass der Täter den vom Opfer ausdrücklich oder schlüssig geäußerten entgegenstehenden Willen bewusst übergeht. Dabei ergibt sich die Beharrlichkeit aus einer Gesamtwürdigung der verschiedenen Handlungen, bei der insbesondere der zeitliche Abstand zwischen den Angriffen und deren innerer Zusammenhang von Bedeutung sind (zum Ganzen: BGH, Beschluss vom 19. November 2009 - 3 StR 244/09, BGHSt 54, 189, 194 f. mwN).

bb) Dies zugrunde gelegt, belegen die von der Strafkammer getroffenen Feststellungen die Annahme, der Angeklagte habe beharrlich im Sinne des § 238 Abs. 1 StGB gehandelt, nicht hinreichend.

(1) Greift der Täter mit seinen Handlungen besonders intensiv in die Rechte des Opfers ein, so mögen bereits wenige Vorfälle, unter Umständen auch eine einzige Wiederholung, das erforderliche Maß an rechtsfeindlicher Gesinnung und Hartnäckigkeit zu belegen. Voraussetzung ist aber auch dann, dass die einzelnen Handlungen des Täters einen ausreichenden räumlichen und zeitlichen Zusammenhang aufweisen und von einem fortbestehenden einheitlichen Willen des Täters getragen sind (vgl. BGH aaO).

(2) Einen solchen fortbestehenden einheitlichen Willen des Angeklagten hat die Strafkammer indes nicht festgestellt. Sie verweist zwar darauf, dass der Angeklagte gehandelt habe, um die Nebenklägerin „zur Wiederaufnahme der Beziehung zu bringen“ (UA S. 7). Allein diesem Bestreben lassen sich indes die der Beharrlichkeit immanenten subjektiven Elemente der Uneinsichtigkeit und Rechtsfeindlichkeit sowie eine besondere Hartnäckigkeit und gesteigerte Gleichgültigkeit gegenüber den Wünschen des Opfers nicht entnehmen. Mit diesen Merkmalen der Beharrlichkeit befasst sich das Landgericht weder in den Feststellungen noch in der Beweiswürdigung oder der - ohne Subsumtion vorgenommenen - rechtlichen Würdigung. Vielmehr teilt die Strafkammer am Ende der Sachverhaltsdarstellung sogar ausdrücklich mit, dass sie weitere Feststellungen nicht treffen konnte (UA S. 9).

(3) Der Senat kann den für das Tatbestandsmerkmal der Beharrlichkeit erforderlichen inneren Zusammenhang zwischen den Handlungen des Angeklagten und deren subjektiven Elemente angesichts der Besonderheiten des Falles auch dem Gesamtzusammenhang nicht hinreichend sicher entnehmen.

Um die Nebenklägerin „zur Wiederaufnahme der Beziehung zu bringen“ (UA S. 7) nahm der Angeklagte schon vom 7. bis zum 14. April 2015 mehrfach per E-Mail oder Brief Kontakt zu ihr auf, versicherte ihr seine Liebe und erklärte, an der Beziehung festhalten zu wollen (UA S. 9). Nach dem Geschehen vom 17./18. April 2015 übernachtete der Angeklagte - ersichtlich mit deren Zustimmung - bei der Nebenklägerin und es kam zum Geschlechtsverkehr, bei dem die Kammer „nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit feststellen konnte, ob der Geschlechtsverkehr in beiden Fällen tatsächlich ... gegen ihren Willen durchgeführt worden ist“ (UA S. 15), so dass zugunsten des Angeklagten von dessen einvernehmlicher Vornahme auszugehen war. Auch gab die Nebenklägerin selbst an, dass es noch nach der von ihr am 8. Dezember 2014 erwirkten Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz jedenfalls bis zum 26. Mai 2015 zu häufigeren einvernehmlichen Kontakten und auch einvernehmlichem Geschlechtsverkehr mit dem Angeklagten gekommen sei (UA S. 14). Schließlich könne - so die Strafkammer - auch hinsichtlich der E-Mails und des Briefs von Anfang/Mitte April 2015 (also kurz vor der 1. Tat) „nicht nachgewiesen werden, dass der Angeklagte in Kenntnis dessen, dass er unbefugt Kontakt zu der Nebenklägerin aufgenommen hat, tätig geworden ist. Denn aufgrund der zwischenzeitlichen einvernehmlichen Kontakte, die die Nebenklägerin eingeräumt hat, konnte der Angeklagte nicht davon ausgehen, dass er ihr keine Nachrichten zukommen lassen darf, in denen er ihr - wie geschehen - seine Liebe versichert und erklärt, er wolle an der Beziehung festhalten“ (UA S. 25).

Vor diesem Hintergrund lässt sich den Feststellungen nicht hinreichend entnehmen, dass der Angeklagte mit einem fortbestehenden einheitlichen - nicht durch Aussöhnungen unterbrochenem und anschließend neu gefasstem - Willen handelte und uneinsichtig an einem von Anfang an eingenommenen Standpunkt und gefassten Entschluss festhielt, obwohl ihm die entgegenstehenden Interessen des Opfers bekannt waren.

(4) Da es somit schon an tragfähigen Feststellungen zum Schuldspruch wegen Nachstellung mangelt, bedarf keiner Ausführungen, ob die Strafkammer rechtsfehlerfrei - ohne dies näher zu erörtern - ein insgesamt vorsätzliches Handeln des Angeklagten angenommen und rechtsfehlerfrei auch die - zu wesentlichen Punkten widersprüchlichen und nicht konstanten - Angaben der Nebenklägerin dem Schuldspruch wegen Nachstellung zugrunde gelegt hat.

c) Die Aufhebung des Schuldspruchs wegen Nachstellung hat die Aufhebung auch der tateinheitlich abgeurteilten Straftatbestände sowie der von der Strafkammer verhängten Gesamtstrafe zur Folge.

HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 979

Externe Fundstellen: NStZ 2016, 724 ; StV 2018, 242

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede