HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 388
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 526/15, Beschluss v. 16.02.2016, HRRS 2016 Nr. 388
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 21. Juli 2015 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich seine auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
1. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen hatten sich der Angeklagte und die damals 16-jährige Nebenklägerin im Jahr 2008 kennengelernt und eine Beziehung zueinander aufgenommen. Nach der Geburt der gemeinsamen Tochter trennten die beiden sich im Jahr 2011, jedoch bestand auch in der Folgezeit Kontakt zwischen ihnen und es kam mehrmals zum Geschlechtsverkehr.
Am Abend des 15. November 2013 suchte der Angeklagte die Nebenklägerin in deren Wohnung auf. Sie rauchten gemeinsam einen Joint und der Angeklagte, der der Nebenklägerin vorhielt, dass sie und die gemeinsame Tochter alles seien, was er habe, begann zu weinen. Der Bitte der Nebenklägerin, der das Verhalten des Angeklagten unangenehm war, die Wohnung zu verlassen, kam der Angeklagte nicht nach. Vielmehr zog er plötzlich die Hose herunter, begann die Nebenklägerin zu schlagen und drang schließlich trotz deren Gegenwehr von hinten in die Vagina der Nebenklägerin ein. Nach einiger Zeit hörte der Angeklagte „plötzlich“ auf, zog sich an und verließ die Wohnung.
2. Die Feststellungen stützt die Kammer insbesondere auf die Angaben der Nebenklägerin und ein hierzu eingeholtes Glaubhaftigkeitsgutachten, ferner auf eine SMS des eine Vergewaltigung bestreitenden Angeklagten, in der dieser sich bei der Nebenklägerin „entschuldigt“, die Ergebnisse eines molekulargenetischen Sachverständigengutachtens, wonach im Rahmen von Vaginalabstrichen gesicherte DNA mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 zu mehr als 100 Milliarden vom Angeklagten herrührt sowie eine ärztliche Bescheinigung zu Verletzungen der Nebenklägerin (Hämatome am Ellenbogen und Oberarm).
Die Beweiswürdigung hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.
1. Sie leidet schon an einem für den Senat nicht auflösbaren Widerspruch.
Nach den Urteilsgründen hatte die Nebenklägerin bei ihrer ersten polizeilichen Vernehmung unter anderem geschildert, dass es während des Tatgeschehens insgesamt zwei Mal zum Anal-, einmal zum vaginalen Geschlechts- und einmal zum Oralverkehr gekommen sei; auch habe der Angeklagte ihr einen Ledergürtel um den Hals gelegt und sie damit gewürgt. Bei ihrer zweiten polizeilichen Vernehmung und gegenüber der Sachverständigen habe sie dagegen angegeben, dass der Oralverkehr misslungen sei, weil sie ihren Mund nicht aufgemacht habe. In der Hauptverhandlung schilderte die Nebenklägerin dagegen nur einen Analverkehr (keinen vaginalen Geschlechtsverkehr), trotz mehrmaliger Nachfrage keinen (versuchten) Oralverkehr und hatte an die Verwendung eines Ledergürtels keine Erinnerung mehr.
Vor diesem Hintergrund ist nicht nachvollziehbar, wie die Strafkammer im Hinblick auf die Angaben der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung zu der Bewertung kommt, diese habe in allen Vernehmungen („stets“) Vaginalverkehr geschildert (UA S. 15). Konstante Angaben zum „letztendlich festgestellten Kerngeschehen“, von denen die Strafkammer ausgeht, kann der Senat diesen Ausführungen vielmehr gerade nicht entnehmen.
2. Der Senat vermag nicht auszuschließen, dass das Urteil hierauf beruht.
Denn das Landgericht stützt seine Überzeugung vom Tathergang wesentlich auf die Aussage der Nebenklägerin. Zwar sprechen gegen den Angeklagten eine Reihe weiterer gewichtiger Indizien. Jedoch finden etwa die bei der Nebenklägerin festgestellten Verletzungen in dem mitgeteilten Tatgeschehen nicht ohne weiteres eine hinreichende Erklärung. Das Ergebnis der molekulargenetischen Untersuchung belegt lediglich den - vom Angeklagten ersichtlich nicht bestrittenen - Geschlechtsverkehr.
3. Hinzu kommt, dass die Strafkammer zwar darauf hinweist, dass die Sachverständige in dem in der Hauptverhandlung erstatteten Glaubhaftigkeitsgutachten „nicht unerheblich“ von ihrem schriftlichen Gutachten abgewichen sei, sie dies aber im Urteil nicht näher erläutert. Widerspricht jedoch das mündlich erstattete Gutachten dem vorbereitenden - schriftlichen - Gutachten in entscheidenden Punkten, so muss sich das Gericht mit diesen Widersprüchen auseinandersetzen und nachvollziehbar darlegen, warum es das eine Ergebnis für zutreffend, das andere für unzutreffend erachtet (BGH, Beschluss vom 13. Juli 2004 - 4 StR 120/04, NStZ 2005, 161; weiter differenzierend: BGH, Beschluss vom 23. August 2012 - 1 StR 389/12, NStZ 2013, 98 f.).
HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 388
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede