HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 462
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 390/15, Beschluss v. 01.12.2015, HRRS 2016 Nr. 462
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 27. März 2015 im Strafausspruch aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten dieses Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weiter gehende Revision des Angeklagten und die Revision des Nebenklägers werden verworfen.
3. Der Nebenkläger hat die Kosten seines Rechtsmittels und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Das Landgericht hatte den Angeklagten im ersten Rechtsgang wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, Angriff auf den Luftverkehr und versuchtem Angriff auf den Luftverkehr mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Auf die Revision des Angeklagten hatte der Senat dieses Urteil mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten nunmehr wegen Angriffs auf den Luftverkehr in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Die Revision des Nebenklägers, die mit der Sachrüge die unterbliebene Verurteilung des Angeklagten wegen eines Tötungsdelikts beanstandet, bleibt insgesamt erfolglos.
Zur Revision des Angeklagten:
1. Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 27. August 2015 zutreffend ausgeführt hat, greift die vom Angeklagten erhobene Verfahrensrüge nicht durch.
2. Zum Schuldspruch hat die Nachprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der Sachrüge einen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler nicht ergeben. Insbesondere war der Angeklagte im vorliegenden Fall als Flugschüler nicht der verantwortliche Luftfahrzeugführer und deshalb auch tauglicher Täter eines Angriffs auf den Luftverkehr im Sinne des § 316c Abs. 1 StGB (vgl. dazu Fischer, StGB, 63. Aufl., § 316c Rn. 10). Denn gemäß § 4 Abs. 4 LuftVG gilt während der Durchführung eines Übungs- und Prüfungsflugs in Begleitung von Fluglehrern dieser, hier also der Nebenkläger, als der verantwortliche Luftfahrzeugführer. Darauf, dass der Nebenkläger nach den Feststellungen die Führung des Flugzeugs vorübergehend auch tatsächlich übernommen hatte, als der Angeklagte mit der Tatausführung begann, kommt es nicht an.
Jedoch hält der Strafausspruch rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1. Das Landgericht hat insoweit folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
a) Der Angeklagte fasste im Rahmen einer in der Flugschule des Nebenklägers begonnenen Ausbildung zum Erwerb der Privatpiloten-Lizenz den Entschluss, den 73 Jahre alten, ihm an Statur und Gewicht unterlegenen Nebenkläger bei Gelegenheit einer Flugstunde durch Schläge mit einem Stein auf den Kopf außer Gefecht zu setzen und dadurch die Kontrolle über das Flugzeug zu erlangen. Am Nachmittag des 21. Juni 2013 befanden sich der Angeklagte und der Nebenkläger in einem viersitzigen, einmotorigen Motorflugzeug vom Typ „Cessna C 172 N“, das auf der linken und der rechten Seite des Cockpits mit einem Steuerhorn ausgerüstet ist, auf einem Ausbildungsflug in etwa 1.500 Metern Höhe. Als der Nebenkläger auf Bitten des Angeklagten die Steuerung der Maschine für einen kurzen Augenblick übernommen hatte und durch einen Blick aus dem rechten Seitenfenster abgelenkt war, schlug ihn der Angeklagte mit einem mitgebrachten, etwa ein Kilogramm schweren Mineralstein dreimal gezielt auf die linke Kopfseite, um ihn handlungsunfähig zu machen. Entgegen der Erwartung des Angeklagten behielt der Nebenkläger, nach den Schlägen aus mehreren Kopfwunden stark blutend, die Kontrolle über das Flugzeug. Erst als der Angeklagte den Kopf des Nebenklägers mit nach innen gedrehten Handflächen umfasste und seine Daumen in dessen Augen zu drücken begann, ließ dieser das Steuerhorn los, um sich gegen den Angriff zur Wehr zu setzen. Während des sich anschließenden Ringens im Cockpit ging das Flugzeug wiederholt in den Sturzflug über, weil der Angeklagte das Steuerhorn vor seinem Sitz durch seine Körperbewegungen - nicht ausschließbar unwillkürlich - nach vorn drückte. Die Maschine stabilisierte sich zwar vorübergehend immer wieder, näherte sich indes mehr und mehr dem Boden. Der Angeklagte bemerkte dies und nahm spätestens jetzt den Tod des Nebenklägers bei einem von ihm infolge des Kampfes als möglich erkannten Absturz des Flugzeugs billigend in Kauf. Um den Absturz zu verhindern, zog der Nebenkläger jedoch am Steuerhorn und fing die Maschine kurz vor Erreichen des Bodens in einer Höhe von etwa 20 Metern ab. Von diesem Moment an bis zum Ende der kurz darauf folgenden Notlandung blieb der Angeklagte untätig in seinem Sitz. Das Landgericht hat nicht ausschließen können, dass er in diesem Handlungsabschnitt davon ausging, den Nebenkläger mit den vorhandenen Mitteln noch ohne Weiteres überwältigen und einen tödlichen Absturz des Flugzeugs herbeiführen zu können, dass er jedoch aus autonomen Motiven von weiteren Handlungen Abstand nahm. Dem Nebenkläger gelang eine Notlandung auf einem Feld, wo sich die Maschine bei verhältnismäßig geringer Geschwindigkeit überschlug und - mit Totalverlust bei einem Zeitwert von 40.000 € - auf dem Dach zu liegen kam. Der Nebenkläger erlitt u.a. zahlreiche Hautverletzungen und Blutergüsse.
b) Der zum Zeitpunkt der Tat strafrechtlich voll verantwortliche Angeklagte habe die Handlungsfähigkeit des Nebenklägers beseitigen und die Herrschaft über das Flugzeug erlangen wollen, um dieses zum Absturz zu bringen oder es an ein von ihm in Aussicht genommenes Ziel zu steuern. Dadurch habe er sich der gefährlichen Körperverletzung im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 3 StGB sowie des Angriffs auf den Luftverkehr gemäß § 316c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a) StGB strafbar gemacht. Von einem versuchten Tötungsdelikt zum Nachteil des Nebenklägers sei er gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 1. Var. StGB strafbefreiend zurückgetreten, da der Versuch nicht fehlgeschlagen sei und er - nicht ausschließbar - aus autonomen Motiven trotz aus seiner Sicht noch fortbestehender Möglichkeiten zur Herbeiführung der Handlungsunfähigkeit des Nebenklägers die weitere Ausführung der Tat aufgegeben habe.
c) Das Landgericht hat die Strafe dem Strafrahmen des § 316c Abs. 1 StGB entnommen; das Vorliegen der Voraussetzungen eines minder schweren Falles im Sinne des § 316c Abs. 2 StGB hat es verneint.
2. Der Strafausspruch kann nicht bestehen bleiben, weil es das Landgericht rechtfehlerhaft unterlassen hat, die Strafmilderungsmöglichkeit wegen tätiger Reue im Sinne von § 320 Abs. 1 StGB zu erörtern. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht die Strafe in den Fällen des § 316c Abs. 1 StGB nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2 StGB), wenn der Täter freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt oder sonst den Erfolg abwendet.
a) Nach den Urteilsfeststellungen sind die Voraussetzungen tätiger Reue im Sinne von § 320 Abs. 1 StGB im vorliegenden Fall erfüllt, der Anwendungsbereich des § 49 Abs. 2 StGB ist also grundsätzlich eröffnet.
Das Landgericht hat zu Gunsten des Angeklagten angenommen, dieser sei trotz fortbestehender Möglichkeiten zur Herbeiführung der Handlungsunfähigkeit des Nebenklägers aus autonomen Motiven untätig geblieben, nachdem es diesem gelungen war, das abstürzende Flugzeug in einer Höhe von etwa 20 Metern abzufangen. Die dazu getroffenen Feststellungen ergeben, ebenfalls in Anwendung des Zweifelssatzes, dass er durch diese Untätigkeit auch die weitere Ausführung des Angriffs auf den Luftverkehr freiwillig aufgegeben und damit die Anforderungen an tätige Reue im Sinne von § 320 Abs. 1 StGB erfüllt hat.
b) Der Senat bejaht die im Schrifttum kontrovers behandelte Frage, ob die Strafmilderungsmöglichkeit nach § 320 Abs. 1 StGB i.V.m. § 49 Abs. 2 StGB auch in dem hier vorliegenden Fall einer Verurteilung nach § 316c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB eröffnet ist und daher vom Tatrichter hätte geprüft werden müssen.
aa) Beim Angriff auf den Luft- und Seeverkehr in der Tatvariante des § 316c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB handelt es sich - auch nach nahezu einhelliger Auffassung in der Literatur (vgl. LK-StGB/König, 12. Aufl., § 316c Rn. 50; SSW-StGB/Ernemann, 2. Aufl., § 316c Rn. 14; Schönke-Schröder/Sternberg-Lieben/ Hecker, StGB, 29. Aufl., § 316c Rn. 34; Fischer, StGB, 63. Aufl., § 316c Rn. 8 [unechtes Unternehmensdelikt]; MüKo-StGB/Wieck-Noodt, 2. Aufl., § 316c Rn. 48; NK-StGB/Zieschang, 4. Aufl., § 316c Rn. 31) - um ein schlichtes Tätigkeitsdelikt. Vollendung tritt danach bereits mit Ausführung der Tathandlung ein, das Merkmal „um dadurch die Herrschaft … zu erlangen oder auf dessen Führung einzuwirken“ beschreibt lediglich ein Handlungsziel im Sinne einer überschießenden Innentendenz, aber keinen tatbestandsmäßigen Erfolg (LK-StGB/ Wolff, 12. Aufl., § 320 Rn. 2). Welche Folgerungen sich aus dieser Tatbestandsstruktur für die Anwendbarkeit des § 320 Abs. 1 StGB auf den Angriff auf den Luftverkehr im Sinne von § 316c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB ergeben, wird im Schrifttum jedoch nicht einhellig beantwortet. So wird einerseits die Ansicht vertreten, eine Strafmilderungsmöglichkeit wegen tätiger Reue sei in Fällen des § 316c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB schon seinem Wortlaut nach nicht gegeben, weil die Vorschrift als schlichtes Tätigkeitsdelikt keinen Erfolg voraussetze, der abgewendet werden könne (Sternberg-Lieben/Hecker aaO; ebenso Fischer aaO, Rn. 19). Es komme allenfalls eine analoge Anwendung der Vorschrift in Betracht, wenn der Täter die Verwirklichung seiner Ziele verhindere oder sich darum bemühe (Sternberg-Lieben/Hecker aaO; ähnlich König aaO; AnwK-StGB/Esser, § 316c Rn. 32). Die Gegenauffassung hält diese Vorschrift in sämtlichen Fällen des § 316c Abs. 1 StGB für anwendbar und insbesondere eine Ausnahme für den Fall des § 316c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB unter Berufung auf den Wortlaut der Bestimmung für nicht geboten (Ernemann aaO, Rn. 17; Renzikowski in Matt/Renzikowski, StGB, § 320 Rn. 3; Zieschang aaO, Rn. 31; wohl einschränkend Wieck-Noodt aaO, Rn. 62). Die Gesetzesfassung („die weitere Ausführung der Tat aufgibt“) zeige, dass auch ein bloßes Abbrechen der tatbestandsmäßigen Handlung die Möglichkeit der Strafmilderung eröffnen solle; eine Erfolgsabwendung müsse anders als bei § 316a Abs. 2 StGB aF zur Aufgabe der weiteren Tatausführung nicht hinzutreten (Wolff aaO).
bb) Der Senat schließt sich der letztgenannten Auffassung an.
(1) Dem Wortlaut von § 320 Abs. 1 StGB, der ohne Einschränkung auf § 316c Abs. 1 StGB verweist („in den Fällen des § 316c Abs. 1“), kann eine Einschränkung auf eine einzelne Tatvariante, etwa auf § 316c Abs. 1 Nr. 2 2. Var. StGB nicht entnommen werden (so aber ausdr. Fischer und Sternberg-Lieben/Hecker, jeweils aaO). Es kommt hinzu, dass der Anwendungsbereich des § 320 Abs. 1 StGB nicht nur eröffnet wird, wenn der Täter „sonst den Erfolg abwendet“, sondern auch dann, wenn er „freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt“. Schon vom Wortsinn her sind damit die Tathandlungen des in § 316c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB geregelten bloßen Tätigkeitsdelikts vom Anwendungsbereich der Vorschrift nicht ausgenommen.
(2) Auch aus der Entstehungsgeschichte der §§ 316c, 320 StGB und dem in ihr zum Ausdruck kommenden gesetzgeberischen Willen ergibt sich kein Anhalt für eine einschränkende Auslegung dahin, dass in Fällen des § 316c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB die Anwendbarkeit der Strafmilderungsmöglichkeit wegen tätiger Reue ausgeschlossen sein soll. Das Gegenteil ist der Fall.
(a) § 316c StGB geht auf den Gesetzentwurf des Bundesrates für ein Elftes Strafrechtsänderungsgesetz zurück (BT-Drucks. VI/1478) und stellte eine gesetzgeberische Reaktion auf die zunehmende Zahl von Flugzeugentführungen und anderen Angriffen auf den Luftverkehr dar. In der ursprünglichen Fassung orientierte sich die Vorschrift an der damaligen Fassung von § 316a StGB und war daher insgesamt als Unternehmensdelikt ausgestaltet (vgl. dazu MüKo-StGB/Wieck-Noodt, 2. Aufl., § 316c Rn. 4 ff.; LK-StGB/König, 12. Aufl., § 316c, Entstehungsgeschichte I; zur Gesetzgebungsgeschichte des § 316a MüKo-StVR/Franke, § 316a, Rn. 2; zum Rücktritt bei § 316a Abs. 1 StGB aF vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 1957 - 2 StR 242/57, BGHSt 10, 320, 322). Als Ausgleich für die weit vorverlagerte Strafbarkeit sah § 316c Abs. 4 StGB in der damaligen Fassung eine (uneingeschränkte) Verweisung auf die damals geltende Vorschrift des Allgemeinen Teils des StGB zur tätigen Reue (§ 83a StGB aF) vor.
(b) Der Sonderausschuss des Deutschen Bundestages für die Strafrechtsreform empfahl nach seinen Beratungen über diesen Entwurf, § 316c Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht als Unternehmensdelikt zu fassen, um dem Täter die Möglichkeit eines strafbefreienden Rücktritts im Interesse des Schutzes übergeordneter Rechtsgüter nicht zu versperren (BT-Drucks. VI/2721, S. 3). Die Möglichkeit, über tätige Reue eine Strafmilderung zu bewirken, sollte für alle Tatmodalitäten des § 316c Abs. 1 StGB nach dem ausdrücklichen Willen des Sonderausschusses dadurch aber nicht ausgeschlossen oder beschnitten werden. Der Ausschuss schlug lediglich vor, die Verweisung auf § 83a StGB aF durch eine § 316a Abs. 2 StGB aF nachgebildete eigene Bestimmung über Strafmilderung bei tätiger Reue zu ersetzen. Auch diese Vorschrift sollte alle Tatvarianten des § 316c Abs. 1 StGB erfassen, ein (vollständiges) Absehen von Strafe sollte indes nur in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 und des Absatzes 3 des § 316c StGB möglich sein (BT-Drucks. VI/2721, S. 4).
(c) § 316c StGB ist dann in der vom Sonderausschuss für die Strafrechtsreform vorgeschlagenen Fassung in Kraft getreten (Elftes Strafrechtsänderungsgesetz vom 16. Dezember 1971, BGBl. I S. 1977). Die Änderungen durch das 6. StrRG vom 26. Januar 1998 (BGBl. I S. 164) waren lediglich redaktioneller Natur und überführten die Regelung zur tätigen Reue in den heute geltenden § 320 StGB.
3. Auch eine Orientierung an Sinn und Zweck der Norm unter maßgeblicher Berücksichtigung der soeben dargelegten, im Gesetzgebungsverfahren deutlich gewordenen Zielrichtung spricht für eine Anwendbarkeit des § 320 Abs. 1 StGB auf alle Tatmodalitäten des § 316c Abs. 1 StGB.
Wie bereits ausgeführt, ist der Tatbestand des § 316c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB als schlichtes Tätigkeitsdelikt bereits dann vollendet, wenn der Täter mit der Ausführung einer der im Tatbestand näher umschriebenen Handlungen beginnt, insbesondere mit der Anwendung von Gewalt. Als Ausgleich für die dadurch bewirkte erhebliche Vorverlagerung des Vollendungszeitpunktes, von dem an auch ein Rücktritt nach § 24 StGB ausgeschlossen ist, stellt die Möglichkeit tätiger Reue einen gewichtigen Anreiz für den Täter dar, sich durch bloßes Nichtweiterhandeln eine Strafmilderung zu verdienen und dient darüber hinaus dem Opferschutz (so auch Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, BT-Drucks. VI/2721, S. 4; zur Bedeutung tätiger Reue für den Opferschutz vgl. SSW-StGB/Schluckebier, 2. Aufl., § 239a Rn. 19).
1. Danach wird der neue Tatrichter entscheiden müssen, ob er von der Strafmilderungsmöglichkeit des § 320 Abs. 1 StGB Gebrauch macht. Er hat diese Entscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung aller maßgebenden Umstände zu treffen und im Urteil revisionsgerichtlich nachprüfbar darzulegen (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 15. Juli 1987 - 2 StR 317/87, BGHR StGB § 49 Abs. 2 Ermessen 1 mwN). Bei seinen Erwägungen wird er der nach den Feststellungen weit fortgeschrittenen Tatausführung besonderes Gewicht beimessen dürfen.
2. Durch den bloßen Wertungsfehler des Landgerichts werden die zum Strafausspruch rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen nicht berührt. Der Senat erhält sie daher aufrecht. Der neue Tatrichter kann ergänzende Feststellungen treffen, die den bisherigen nicht widersprechen.
Da das Rechtsmittel des Angeklagten zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Landgericht führt, ist dessen sofortige Beschwerde gegen die Kosten- und Auslagenentscheidung des angefochtenen Urteils gegenstandslos (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 464 Rn. 20). Der Generalbundesanwalt weist zutreffend darauf hin, dass der Angeklagte mit seiner ersten Revision einen Teilerfolg erzielt hat und dies bei der Verteilung der Kosten und Auslagen gemäß § 473 Abs. 4 StPO zu berücksichtigen ist. Entsprechendes würde im Fall eines weiteren (endgültigen) Erfolges des zweiten Rechtsmittels gelten.
Zur Revision des Nebenklägers:
Die Revision des Nebenklägers, die eine Verurteilung des Angeklagten wegen eines versuchten Tötungsdelikts erstrebt, bleibt erfolglos.
Die Erwägungen, mit denen das Landgericht unter Anwendung des Zweifelssatzes angenommen hat, der Angeklagte sei von einem unbeendeten Tötungsversuch zum Nachteil des Nebenklägers strafbefreiend zurückgetreten, halten rechtlicher Nachprüfung stand. Insoweit nimmt der Senat auf die zutreffenden Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 27. August 2015 Bezug.
HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 462
Externe Fundstellen: BGHSt 61, 76; NJW 2016, 1667 ; NStZ 2017, 417; StV 2017, 256
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede