HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 79
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 270/15, Beschluss v. 01.12.2015, HRRS 2016 Nr. 79
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 12. September 2014 wird
a) das Verfahren in den Fällen II. B. 3, 4 und 10.1 der Urteilsgründe eingestellt; insoweit trägt die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten;
b) das vorbezeichnete Urteil dahin geändert, dass der Angeklagte des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr zur Herbeiführung eines Unglücksfalls und zur Ermöglichung einer Straftat in zehn Fällen, davon in neun Fällen in Tateinheit mit Sachbeschädigung und in einem Fall in weiterer Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, des Betruges in zehn Fällen und des versuchten Betruges in Tateinheit mit uneidlicher Falschaussage schuldig ist.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
3. Der Angeklagte hat die weiteren Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr zur Herbeiführung eines Unglücksfalls und zur Ermöglichung einer Straftat in zwölf Fällen, wobei es in einem Fall beim Versuch blieb, davon in zehn Fällen tateinheitlich mit Sachbeschädigung und in einem Fall tateinheitlich mit gefährlicher Körperverletzung, sowie wegen Betruges in elf Fällen, wobei es in einem Fall beim Versuch blieb, wegen falscher Verdächtigung und wegen uneidlicher Falschaussage zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt, wovon ein Jahr als vollstreckt gilt. Im Übrigen hat es ihn freigesprochen. Gegen die Verurteilung richtet sich die auf Verfahrensrügen und sachlich-rechtliche Beanstandungen gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel führt zu einer Verfahrensbeschränkung gemäß § 154 Abs. 2 StPO und zu einer Änderung und Neufassung des Schuldspruchs; im Übrigen hat es keinen Erfolg.
1. Auf Antrag des Generalbundesanwalts stellt der Senat das Verfahren in den Fällen II. B. 3, 4 und 10.1 der Urteilsgründe gemäß § 154 Abs. 2 StPO ein, weil Bedenken bestehen, ob die bisher getroffenen Feststellungen die Tatvorwürfe des versuchten bzw. vollendeten gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr sowie der falschen Verdächtigung tragen und der Angeklagte im Fall II. B. 3 zudem zu Recht rügt, auf den veränderten rechtlichen Gesichtspunkt der versuchten Straftat nicht hingewiesen worden zu sein.
2. Die Rüge, Rechtsanwältin M. sei trotz eines gravierenden Interessenkonflikts zur Pflichtverteidigerin bestellt worden, greift im Ergebnis nicht durch.
a) Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zu Grunde: Die Anklage vom 26. Juli 2010 legte dem Angeklagten zur Last, in neun Fällen über Rechtsanwalt K. betrügerisch zivilrechtliche Ansprüche im Zusammenhang mit von ihm absichtlich herbeigeführten Verkehrsunfällen geltend gemacht zu haben. Die Strafkammer regte nach Eingang der Anklage gegenüber der Staatsanwaltschaft an, zu überprüfen, ob gegen Rechtsanwalt K. ein Ermittlungsverfahren einzuleiten sei, was daraufhin am 18. August 2010 geschah. Der Angeklagte hatte am 7. Juli 2009 Rechtsanwältin M. mit seiner Verteidigung beauftragt, welche ihre Tätigkeit in Sozietät mit Rechtsanwalt K. ausübt und die den Angeklagten in einem weiteren Fall der Anklage, der später vom Gericht gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt wurde, zivilrechtlich vertreten hatte. Im Termin zur Verkündung des Haftbefehls am 19. August 2010 stellte Rechtsanwältin M. den Antrag, als Pflichtverteidigerin beigeordnet zu werden. Die Staatsanwaltschaft äußerte keine Bedenken. Mit Verfügung des Vorsitzenden der Strafkammer vom 30. August 2010 wurde Rechtsanwältin M. zur Verteidigerin bestellt.
b) Die Revision ist der Auffassung, dass in der Person der Pflichtverteidigerin ein Interessenkonflikt vorgelegen habe. Als Mitglied der Sozietät“ M. & K. Rechtsanwälte“ hafte sie persönlich für Schäden, die von ihrem Sozius im Rahmen seiner anwaltlichen Tätigkeit verursacht worden seien. Das zum Schadensersatz verpflichtende Handeln des Mitgesellschafters sei der Sozietät als BGB-Gesellschaft gemäß § 31 BGB zuzurechnen. Im Hinblick auf die Summe der Schäden in den Fällen, in denen Rechtsanwalt K. für den Angeklagten tätig geworden sei, habe ein ganz erhebliches eigenes wirtschaftliches Interesse der Pflichtverteidigerin an dem Ergebnis der Beweisaufnahme bestanden. Sie habe den Angeklagten nicht mehr unabhängig und unbeeinflusst etwa über die Möglichkeit und den Inhalt eines frühen und umfassenden Geständnisses beraten können.
c) Es trifft zwar zu, dass ein konkret manifestierter Interessenkonflikt ein Grund ist, von der Verteidigerbestellung abzusehen oder eine bereits bestehende Bestellung aufzuheben (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Januar 2003 - 5 StR 251/02, BGHSt 48, 170, 173; Urteil vom 11. Juni 2014 - 2 StR 489/13, BGHR StPO § 24 Abs. 2 Verteidigerbestellung 1), zumindest ist der Angeklagte zu einem möglichen Interessenkonflikt anzuhören (vgl. BGH, Beschluss vom 15. November 2005 - 3 StR 327/05, BGHR StPO § 142 Abs. 1 Auswahl 10). Ob ein solcher Interessenkonflikt hier die Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung geboten hätte, kann dahinstehen. Denn der Senat kann im vorliegenden Fall ausschließen, dass das Urteil auf diesem Verfahrensfehler beruhen würde. Die Hauptverhandlung hat an 33 Tagen stattgefunden; ab dem 10. Hauptverhandlungstag war der Angeklagte zusätzlich durch die Wahlverteidigerin S. verteidigt. Ein Antrag auf Entpflichtung der Verteidigerin M. ist nicht gestellt worden, auch nicht von der Wahlverteidigerin S. Anhaltspunkte für eine unzureichende Verteidigung bestehen nicht, zumal die Pflichtverteidigerin M. schon vor dem Auftreten der Wahlverteidigerin ein Geständnis des Angeklagten bei einer zur Bewährung ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe in Aussicht gestellt hatte, wie der Vermerk des Vorsitzenden über das Verständigungsgespräch vom 8. Januar 2014 ausweist.
3. Die weiteren Verfahrensrügen greifen aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 25. Juni 2015 nicht durch.
4. Die Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge führt in zwei Fällen zu einer Änderung des Schuldspruchs. Im Übrigen hat die Überprüfung des Urteils aus den vom Generalbundesanwalt in der Antragsschrift vom 25. Juni 2015 dargelegten Gründen keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
a) In den Fällen II. B. 16a und 16b der Urteilsgründe hält die Annahme zweier selbständiger Taten des versuchten Betruges und der falschen uneidlichen Aussage aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 25. Juni 2015 der rechtlichen Prüfung nicht stand. Der Senat hat den Schuldspruch entsprechend geändert; die Einzelstrafe von zehn Monaten im Fall 16a der Urteilsgründe entfällt.
b) Zu Fall II. B. 18 der Urteilsgründe hat der Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift zutreffend ausgeführt:
„Eine Körperverletzung mittels eines anderen gefährlichen Werkzeugs nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB begeht, wer sein Opfer durch ein von außen unmittelbar auf den Körper wirkendes gefährliches Tatmittel körperlich misshandelt oder an der Gesundheit beschädigt (st. Rspr., vgl. nur Senat, Beschluss vom 30. Juli 2013 - 4 StR 275/13). Vorliegend wurden die Schmerzen des Geschädigten aber erst durch den infolge des Anstoßes ausgelösten Schleudervorgang und den anschließenden frontalen Aufprall auf einen Mast verursacht (UA S. 58), sind demnach nicht auf den unmittelbaren Kontakt zwischen Kraftfahrzeug und Körper zurückzuführen und können daher die Beurteilung als gefährliche Körperverletzung nicht tragen (st. Rspr.; vgl. Senat, Beschluss vom 20. Dezember 2012 - 4 StR 292/12 - mwN).“ Der Senat hat den Schuldspruch entsprechend geändert. Die Einzelstrafe im Fall II. B. 18 kann bestehen bleiben, denn der Tatrichter hat nicht strafschärfend berücksichtigt, dass die Körperverletzung mittels eines gefährlichen Werkzeugs begangen worden ist.
5. Der Senat schließt aus, dass die von der Strafkammer verhängte Gesamtfreiheitsstrafe angesichts der verbleibenden Einsatzstrafe von zwei Jahren und drei Monaten und der weiteren zwanzig Einzelstrafen von zwei Jahren, einem Jahr und zehn Monaten, einem Jahr und neun Monaten, zwei Mal einem Jahr und acht Monaten, vier Mal einem Jahr und sechs Monaten, einem Jahr und vier Monaten, vier Mal einem Jahr und drei Monaten, einem Jahr, zwei Mal zehn Monaten, neun Monaten sowie zwei Mal sechs Monaten ohne die infolge der Verfahrensbeschränkung und der Schuldspruchänderung entfallenen Einzelstrafen von einem Jahr und vier Monaten, zehn Monaten, acht Monaten sowie 90 Tagessätzen geringer ausgefallen wäre.
Der Schriftsatz des Verteidigers vom 18. November 2015 hat dem Senat vorgelegen.
HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 79
Externe Fundstellen: NStZ 2016, 115; NStZ-RR 2016, 53
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede