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HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 629

Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 577/14, Urteil v. 21.05.2015, HRRS 2015 Nr. 629


BGH 4 StR 577/14 - Urteil vom 21. Mai 2015 (LG Bielefeld)

Tatrichterliche Beweiswürdigung (revisionsrechtliche Überprüfbarkeit eines Freispruchs; in dubio pro reo); Änderung des Geschäftsverteilungsplans im Laufe des Geschäftsjahres (Recht auf den gesetzlichen Richter; Dokumentationspflichten; revisionsrechtliche Überprüfbarkeit).

Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG; § 261 StPO; § 21e Abs. 3 GVG

Leitsätze des Bearbeiters

1. Gemäß § 21e Abs. 3 GVG kann die Geschäftsverteilung im Laufe des Geschäftsjahres u.a. wegen dauernder Verhinderung einzelner Richter geändert werden (vgl. BGHSt 27, 209, 210). Da jede Umverteilung von Geschäftsaufgaben während des laufenden Geschäftsjahres mit Gefahren für das verfassungsrechtliche Gebot der Gewährleistung des gesetzlichen Richters verbunden ist (vgl. BGHSt 53, 268, 273), ist es geboten, die Gründe, die eine derartige Umverteilung erfordern, zu dokumentieren. Um dem Anschein einer willkürlichen Zuständigkeitsverschiebung entgegenzuwirken (vgl. BVerfG, NJW 2009, 1734, 1735), muss diese Dokumentation umfassend und nachvollziehbar sein.

2. Die revisionsgerichtliche Kontrolle ist diesbezüglich nicht auf eine reine Willkürprüfung beschränkt, sondern erstreckt sich auf die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Änderung des Geschäftsverteilungsplans (BVerfG, NJW 2005, 2689, 2690). Auch deshalb muss die Dokumentation der Gründe für die Änderung des Geschäftsverteilungsplans so detailliert ausgestaltet sein, dass dem Revisionsgericht eine Prüfung der Rechtmäßigkeit möglich ist. Die Dokumentation muss im erforderlichen Umfang grundsätzlich schon im Zeitpunkt der Präsidiumsentscheidung, spätestens aber in dem Zeitpunkt vorhanden sein, in dem über einen Besetzungseinwand zu entscheiden ist (vgl. BGHSt 53, 268, 276 f.).

3. Spricht der Tatrichter den Angeklagten frei, weil er Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist das durch das Revisionsgericht hinzunehmen, denn die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Der Beurteilung durch das Revisionsgericht unterliegt insoweit nur, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder an die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten überzogene Anforderungen stellt (st. Rspr).

4. Sind mehrere einzelne Erkenntnisse angefallen, so ist eine Gesamtwürdigung aller Beweise vorzunehmen. In deren Rahmen darf ein auf einen feststehenden Kern gestütztes Beweisanzeichen, dessen Bedeutung für sich genommen unklar bleibt, nicht vorab isoliert nach dem Zweifelssatz beurteilt werden. Beweisanzeichen können nämlich in einer Gesamtschau wegen ihrer Häufung und gegenseitigen Durchdringung die Überzeugung von der Richtigkeit eines Vorwurfs begründen (st. Rspr).

5. Hat der Angeklagte Angaben gemacht, für deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit es keine (ausreichenden) Beweise gibt, sind diese in die Gesamtwürdigung des Beweisergebnisses einzubeziehen und nicht ohne weiteres als unwiderlegt dem Urteil zu Grunde zu legen. Ihre Zurückweisung erfordert nicht, dass sich das Gegenteil der Behauptung positiv feststellen ließe (st. Rspr). Auch im Übrigen gebietet es der Zweifelssatz nicht, zugunsten des Angeklagten Tatvarianten zu unterstellen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (st. Rspr.).

6. Der Tatrichter ist ferner gehalten, sich mit den von ihm festgestellten Tatsachen unter allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten auseinanderzusetzen, wenn sie geeignet sind, das Beweisergebnis zu beeinflussen. Eine Beweiswürdigung, die über schwerwiegende Verdachtsmomente ohne Erörterung hinweggeht, ist rechtsfehlerhaft (vgl. BGH NStZ 2002, 656, 657).

7. Voraussetzung für die Überzeugung des Tatrichters von einem bestimmten Sachverhalt ist nicht eine absolute, das Gegenteil oder andere Möglichkeiten denknotwendig - „zwingend“ - ausschließende Gewissheit. Vielmehr genügt ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, das vernünftige Zweifel nicht aufkommen lässt.

Entscheidungstenor

Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten S. wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 11. März 2014 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts Dortmund zurückverwiesen.

Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die in dem vorgenannten Urteil getroffene Entschädigungsanordnung ist damit gegenstandslos.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten S. wegen versuchter Anstiftung zum Mord zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Den Angeklagten Y. hat es freigesprochen und eine Entschädigungsentscheidung wegen erlittener Untersuchungshaft getroffen. Gegen dieses Urteil haben die Staatsanwaltschaft zuungunsten beider Angeklagter und der Angeklagte S. Revision eingelegt. Die Staatsanwaltschaft erstrebt mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts eine Verurteilung beider Angeklagter wegen versuchten gemeinschaftlichen Mordes. Mit der sofortigen Beschwerde wendet sie sich gegen die Entschädigungsentscheidung bezüglich des Angeklagten Y. Der Angeklagte S. erhebt eine Verfahrensrüge und die allgemeine Sachrüge. Alle drei Revisionen sind begründet.

I.

1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

Der Angeklagte Y. ist der Sohn des in seiner libanesisch-kurdischen Großfamilie sehr respektierten Angeklagten S. Während einer Hochzeitsfeier am 12. Juni 2011 erstachen zwei Söhne des Nebenklägers C. den ältesten Sohn des Angeklagten S., I. Y. Der Angeklagte S. war über den gewaltsamen Tod seines Sohnes bestürzt und traumatisiert. Innerhalb der Großfamilie S. wurde als Vergeltung für den Tod des I. Y. gefordert, ein hinsichtlich seiner Stellung geeignetes Mitglied der Familie C. zu töten.

Am 8. Februar 2012 fand auf telefonische Veranlassung des Angeklagten S. ein Treffen auf dem Autoplatz der Familie in G. statt, an dem neben den beiden Angeklagten ein weiterer Sohn des Angeklagten S., O. Y., sein Bruder A. F. sowie ein Ad., dessen Identität nicht geklärt werden konnte, teilnahmen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt sprachen die Anwesenden über die Möglichkeit einer Vergeltung für den Tod I. Y. und fassten dabei als potentielles Opfer den Nebenkläger als Oberhaupt der Familie C. ins Auge, dessen Tod nach ihrem Verständnis geeignet war, seiner Familie einen gleichwertigen Verlust zuzufügen. Dass bereits zu diesem Zeitpunkt ein konkreter Tatplan gefasst wurde, einen körperlichen Angriff auf den Nebenkläger zu verüben, konnte die Strafkammer nicht feststellen. Die Anwesenden kamen vielmehr überein, zunächst die Möglichkeit einer Vergeltungsmaßnahme, insbesondere wann und wo sich der Nebenkläger in Freiheit bewegte, aufzuklären. Aus diesem Grund fuhren der Angeklagte Y., der gesondert verfolgte A. F. und der Ad. mit dem PKW nach B. Ihnen war bekannt, dass sich der Nebenkläger im offenen Vollzug in der Justizvollzugsanstalt B. befand und sich zeitweise im Stadtgebiet von B. aufhielt.

In einer Spielhalle erhielten A. F. und Ad. von einer unbekannten Person Hinweise, wo der Nebenkläger üblicherweise anzutreffen war. Der Angeklagte Y. und seine Begleiter begaben sich sodann in die Ba. straße und hielten nach dem Nebenkläger Ausschau, den sie gegen 17.25 Uhr in einem Internet-Café entdeckten. F. entschloss sich nunmehr, die sich bietende Gelegenheit zu nutzen und gemeinsam mit seinen Begleitern den Nebenkläger zu töten. Er fragte deshalb die beiden anderen, ob jemand ein Messer dabei habe, was diese jeweils bejahten, und schlug vor, den Nebenkläger zu „packen“, sobald er aus dem Café komme.

Dem Angeklagten Y. kamen Bedenken wegen eines Anschlags auf den Nebenkläger. Er rief um 17.27 Uhr seinen Vater in der Hoffnung an, dass dieser, der die Ahndung der Tötung seines Sohnes ausdrücklich staatlichen Stellen hatte überlassen wollen, einen Angriff ganz oder jedenfalls zu diesem Zeitpunkt ablehnen würde.

Der Angeklagte S., der über die Mitteilung des Auffindens des Nebenklägers überrascht war, entschloss sich jedoch nunmehr spontan, dem Vergeltungswunsch der Familie nachzugeben und den Nebenkläger töten zu lassen. Ihm war bewusst, dass der Nebenkläger nicht mit einem Angriff auf seine körperliche Integrität rechnete. Wörtlich erklärte der Angeklagte S. in dem Telefonat, nachdem er sich nach der Bewaffnung der nach B. gereisten Personen erkundigt und von Y. erfahren hatte, dass der Angeklagte Y. und Ad. im Besitz jeweils eines Messers waren: „Geht … rein und schlagt ihn von hinten!“ … „Du und dein Onkel A., er soll euch nicht sehen!“, woraufhin der Angeklagte Y. erwiderte: „Ist o.k., los.“. Auf die weitere Aufforderung des Angeklagten S. „Reiße/Schneide ihn gut und lass ihn nicht am Leben!“ erklärte Y. : „Ja, o.k.“. Das Telefongespräch endete mit der Aufforderung des Angeklagten S. : „Los!“.

Der Angeklagte Y. war - entgegen seiner Äußerung in dem Telefonat gegenüber dem Angeklagten S. - nicht bereit, an dem Überfall auf den Nebenkläger mitzuwirken. Er begab sich daher im Anschluss an das Telefonat zu A. F. und Ad. und erklärte ihnen, er werde sich nicht an einem Angriff auf den Nebenkläger beteiligen. A. F. beschimpfte ihn daraufhin als Feigling, spuckte vor seine Füße und forderte ihn auf, sich zu entfernen. Der Angeklagte Y. verließ sodann den Ort des Geschehens und ließ sich von seinem Bruder Al. Y. aus B. abholen. Ob er zuvor Ad. und A. F. vom Inhalt des Telefonats unterrichtete, hat das Landgericht nicht festzustellen vermocht.

Kurze Zeit später verließ der Nebenkläger das Café. Er rechnete zu diesem Zeitpunkt nicht mit einem Angriff. In etwa zwei Metern Entfernung erblickte er den F., der ein Messer mit spitz zulaufender, mindestens 15 cm langer Klinge, dessen Herkunft die Kammer nicht klären konnte, in der ausgestreckten Hand hielt und so auf den Nebenkläger zuging, dass ihm ein Fluchtweg abgeschnitten war. Ad. hatte sich dem Nebenkläger inzwischen von hinten genähert und ergriff ihn. Sodann stachen sowohl F. als auch Ad. mehrfach auf den Körper, den Nacken und den Hinterkopf des Nebenklägers ein. Als beide davon ausgingen, dass der stark blutende Nebenkläger die Verletzungen nicht überleben werde, standen sie auf und liefen fort.

Der Nebenkläger erlitt durch zahlreiche Stich- und Schnittwunden schwerste Verletzungen, die mit erheblichem Blutverlust verbunden waren. Sein Leben konnte durch eine Notoperation gerettet werden.

2. Das Landgericht hat die Äußerungen des Angeklagten S. im Rahmen des Telefonats am 8. Februar 2012 als versuchte Anstiftung zum Mord (§§ 211, 30 Abs. 1 StGB) gewertet. Den Angeklagten Y. hat es freigesprochen, da es eine Beteiligung an dem Überfall auf den Nebenkläger nicht feststellen konnte und einer Verurteilung wegen Sichbereiterklärens zum Mord gemäß § 30 Abs. 2 StGB jedenfalls ein Rücktritt vom Versuch der Beteiligung nach § 31 Abs. 1 Nr. 2 StGB durch freiwilliges Aufgeben des Vorhabens entgegenstehe.

II.

Die vom Generalbundesanwalt vertretenen Revisionen der Staatsanwaltschaft haben Erfolg.

Der Freispruch des Angeklagten Y. und die Verurteilung des Angeklagten S. (nur) wegen versuchter Anstiftung zum Mord halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Das angefochtene Urteil beruht auf einer rechtsfehlerhaften Beweiswürdigung.

1. Spricht der Tatrichter den Angeklagten frei, weil er Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist das durch das Revisionsgericht hinzunehmen, denn die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Der Beurteilung durch das Revisionsgericht unterliegt insoweit nur, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder an die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten überzogene Anforderungen stellt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 9. Juni 2005 - 3 StR 269/04, NJW 2005, 2322, 2326 und vom 16. August 2012 - 3 StR 180/12, NStZ-RR 2013, 20).

Sind mehrere einzelne Erkenntnisse angefallen, so ist eine Gesamtwürdigung vorzunehmen. In deren Rahmen darf ein auf einen feststehenden Kern gestütztes Beweisanzeichen, dessen Bedeutung für sich genommen unklar bleibt, nicht vorab isoliert nach dem Zweifelssatz beurteilt werden. Beweisanzeichen können nämlich in einer Gesamtschau wegen ihrer Häufung und gegenseitigen Durchdringung die Überzeugung von der Richtigkeit eines Vorwurfs begründen (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteile vom 6. Februar 2002 - 1 StR 513/01, NJW 2002, 2188; vom 11. April 2002 - 4 StR 585/01, NStZ-RR 2002, 243; vom 30. März 2004 - 1 StR 354/03, NStZ-RR 2004, 238; vom 24. Februar 2015 - 5 StR 621/14 jeweils mwN). Hat der Angeklagte Angaben gemacht, für deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit es keine (ausreichenden) Beweise gibt, sind diese in die Gesamtwürdigung des Beweisergebnisses einzubeziehen und nicht ohne weiteres als unwiderlegt dem Urteil zu Grunde zu legen. Ihre Zurückweisung erfordert nicht, dass sich das Gegenteil der Behauptung positiv feststellen ließe (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschluss vom 25. April 2007 - 1 StR 159/07, BGHSt 51, 324, 325; Urteil vom 28. Januar 2009 - 2 StR 531/08, NStZ 2009, 285; Ott in KK-StPO, 7. Aufl., § 261 Rn. 57 jeweils mwN). Auch im Übrigen gebietet es der Zweifelssatz nicht, zugunsten des Angeklagten Tatvarianten zu unterstellen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 23. März 1995 - 4 StR 746/94, NJW 1995, 2300; Urteil vom 12. Dezember 2001 - 3 StR 303/01, NJW 2002, 1057, 1059 mwN; Urteil vom 17. Juli 2014 - 4 StR 129/14 mwN). Der Tatrichter ist ferner gehalten, sich mit den von ihm festgestellten Tatsachen unter allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten auseinanderzusetzen, wenn sie geeignet sind, das Beweisergebnis zu beeinflussen. Eine Beweiswürdigung, die über schwerwiegende Verdachtsmomente ohne Erörterung hinweggeht, ist rechtsfehlerhaft (BGH, Urteil vom 16. Mai 2002 - 1 StR 40/02, NStZ 2002, 656, 657).

Voraussetzung für die Überzeugung des Tatrichters von einem bestimmten Sachverhalt ist nicht eine absolute, das Gegenteil oder andere Möglichkeiten denknotwendig - „zwingend“ - ausschließende Gewissheit. Vielmehr genügt ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, das vernünftige Zweifel nicht aufkommen lässt.

2. Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung des Landgerichts zur Tatbeteiligung des Angeklagten Y. in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht.

a) Die Urteilsausführungen lassen besorgen, dass das Landgericht den Zweifelsgrundsatz auf einzelne Indizien angewendet und dabei mögliche Abläufe angenommen hat, für die sich aus den festgestellten Umständen keine Anhaltspunkte ergeben.

aa) Dies gilt insbesondere für den Inhalt des Telefonats zwischen den Angeklagten Y. und S. unmittelbar vor der Tat. Die Bekundung des Angeklagten Y. in diesem Telefonat, er werde der Aufforderung zur Tötung des Nebenklägers Folge leisten, relativiert das Landgericht u.a. mit der Mutmaßung, dass der Angeklagte Y. seine Absicht, an der Vergeltungsmaßnahme nicht teilzunehmen, gegenüber seinem Vater nicht offen legen wollte, um diesen nicht zu enttäuschen bzw. aus Respekt vor dessen Autorität als Familienoberhaupt. Hierauf hat sich der Angeklagte in seiner Einlassung nicht einmal selbst berufen. Die Formulierung im Urteil, der Inhalt des Telefonats spreche „nicht zwingend“ für die Tatbeteiligung des Angeklagten Y., lässt zudem besorgen, dass das Landgericht bei der Würdigung dieses Indizes von zu hohen Anforderungen ausgegangen ist. Denn Indiztatsachen kann die Beweisbedeutung nicht damit abgesprochen werden, dass sie nur mögliche, nicht aber zwingende Schlüsse zulassen.

bb) Von demselben fehlerhaften Ansatz, es sei kein „zwingender“ Schluss möglich, geht das Landgericht auch in Bezug auf das weitere gewichtige Indiz aus, dass bei der Tat zwei Messer verwendet wurden und lediglich der Angeklagte und Ad., nicht aber A. F. zunächst ein Messer mit sich führten. Die naheliegende Möglichkeit, dass der Angeklagte Y. dem A. F. sein Messer für die Tat ausgehändigt haben könnte, relativiert die Strafkammer mit der Erwägung, A. F. könne sich anderweitig ein Messer beschafft, es etwa aus dem geparkten Kraftfahrzeug geholt oder in einem Geschäft in unmittelbarer Tatortnähe erworben haben. Für beide Varianten gibt es keine konkreten Anhaltspunkte.

cc) Das Landgericht hat ferner bei der Beweiswürdigung Teile der Einlassung des Angeklagten Y. als „unwiderlegbar“ zugrunde gelegt, obwohl sie keine Bestätigung durch sonstige Beweismittel gefunden haben. So hat es allein aus der Einlassung des Angeklagten Y., A. F. sei etwa so groß wie er selbst, nämlich ca. 1,85 m, gefolgert, der Angeklagte könne nicht der größere der beiden Täter gewesen sein. Demgegenüber hat die Zeugin L. bei einer Wahllichtbildvorlage geäußert, A. F. könnte der kleinere der beiden Täter gewesen sein, dessen Größe drei Zeugen auf 1,70 bis 1,75 m geschätzt haben, während der größere der beiden Männer 1,85 bis 1,90 m groß gewesen sei.

b) Ein möglicherweise gewichtiges Indiz, nämlich das Tatmotiv der Rache des Angeklagten Y. als Bruder des von den Söhnen des Nebenklägers getöteten I. Y., hat das Landgericht in den Urteilsgründen überhaupt nicht erwogen.

c) Vor allem aber fehlt eine Gesamtwürdigung aller Indizien. Es liegen mehrere den Angeklagten Y. erheblich belastende Beweisanzeichen vor, insbesondere objektivierbare, wie der Inhalt des Telefonats zwischen beiden Angeklagten kurz vor der Tat und der Einsatz von zwei Messern. Die Urteilsgründe lassen indessen nicht erkennen, ob und wie das Landgericht die einzeln abgehandelten Indizien in eine Gesamtschau einbezogen und gewichtet hat. Vielmehr lassen die Ausführungen des Landgerichts besorgen, dass es lediglich rechtsfehlerhaft die einzelnen Indizien isoliert bewertet und ihnen für sich gesehen keinen „zwingenden“ Beweiswert zugemessen hat. Eine Gesamtwürdigung wäre indes erforderlich gewesen. Denn einzelne Belastungsindizien, die für sich genommen zum Beweis der Täterschaft nicht ausreichen, können doch in ihrer Gesamtheit die für eine Verurteilung notwendige Überzeugung des Tatrichters begründen.

3. Auf der rechtsfehlerhaften Beweiswürdigung hinsichtlich der Tatbeteiligung des Angeklagten Y. beruht auch die Verurteilung des Angeklagten S. (nur) wegen versuchter Anstiftung zum Mord. Sollte sich der Angeklagte Y. an der Tat beteiligt haben, könnte auch die Mitwirkung des Angeklagten S. rechtlich anders zu beurteilen sein.

III.

Die Revision des Angeklagten S. hat mit der erhobenen Verfahrensrüge, das Schwurgericht sei nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen (§ 338 Nr. 1 StPO), Erfolg.

1. Ihr liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

Nach Eingang der Anklageschrift am 4. Juni 2012 bei der 10. Strafkammer des Landgerichts teilte die der Strafkammer angehörende Richterin W. der Vorsitzenden mit, dass sie ein Liebesverhältnis zu einem als Strafverteidiger tätigen Partner der Rechtsanwaltssozietät unterhalte, der auch der Verteidiger des Angeklagten S. angehört. Hiervon unterrichtete die Vorsitzende das Präsidium des Landgerichts.

Am 28. Juni 2012 erließ das Präsidium den 10. Änderungsbeschluss zur Geschäftsverteilung für das Landgericht Bielefeld, nach dem die betreffende Richterin aus der 10. Strafkammer ausschied und einer Zivilkammer zugewiesen wurde. Gleichzeitig wurden der 10. Strafkammer zwei Richter (mit 1,8 AK) zugewiesen. Zur Begründung wurde auf eine Überlastung der 10. Strafkammer „wegen unerwartet hoher Eingänge“ verwiesen.

Am 3. August 2012 wurde erstmals mit der Hauptverhandlung begonnen. Am 2. Hauptverhandlungstag rügte der Verteidiger des Angeklagten S. die Besetzung der Schwurgerichtskammer.

Daraufhin erließ am 15. August 2012 das Präsidium einen weiteren Beschluss, in dem der Beschluss vom 28. Juni 2012 klarstellend dahin ergänzt wurde, dass das Ausscheiden von Richterin W. aus der 10. Strafkammer vor dem Hintergrund ihrer engen persönlichen Beziehung zu einem Strafverteidiger aus einer Rechtsanwaltskanzlei, deren Mitglieder „sehr häufig“ vor dem Landgericht Bielefeld in Strafsachen auftreten, erfolgt sei. Durch einen Verbleib der Richterin in der 10. Strafkammer sei ein effizientes Arbeiten der Kammer nicht mehr gewährleistet, da mit Ablehnungsgesuchen zu rechnen sei. Daher halte das Präsidium einen Verbleib der Richterin im Strafbereich vor dem Hintergrund der Entscheidung des BGH vom 15. März 2012 (Az. V ZB 102/11) nicht für möglich. Bei der Umsetzung der Richterin verblieb es.

Nach Aussetzung der Hauptverhandlung wurde mit dieser am 31. August 2012 erneut begonnen. Der Verteidiger des Angeklagten S. rügte rechtzeitig wiederum die Besetzung des Schwurgerichts mit der Begründung, die Beschlüsse des Präsidiums zur Umsetzung der Richterin W. seien nicht mit § 21e Abs. 3 GVG vereinbar. Die Schwurgerichtskammer wies den Besetzungseinwand zurück.

2. Die zulässig erhobene Rüge greift durch. Das Urteil kann schon deshalb keinen Bestand haben, weil es an einer hinreichenden Dokumentation der maßgeblichen Gründe fehlt, die das Präsidium zur Änderung der Geschäftsverteilung am 28. Juni 2012 veranlasst haben. Es kann deshalb nicht beurteilt werden, ob die Auswechselung der Richterin W. während des laufenden Geschäftsjahres gesetzmäßig war, oder ob der Angeklagte dadurch unter Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG seinem gesetzlichen Richter entzogen wurde.

a) Gemäß § 21e Abs. 3 GVG kann die Geschäftsverteilung im Laufe des Geschäftsjahres u.a. wegen dauernder Verhinderung einzelner Richter geändert werden (vgl. BGH, Urteile vom 7. Juni 1977 - 5 StR 224/77, BGHSt 27, 209, 210; vom 8. April 1981 - 3 StR 88/81, NStZ 1981, 489; Löwe/Rosenberg/ Breidling, StPO, 26. Aufl., § 21e GVG, Rn. 44). Da jede Umverteilung von Geschäftsaufgaben während des laufenden Geschäftsjahres mit Gefahren für das verfassungsrechtliche Gebot der Gewährleistung des gesetzlichen Richters verbunden ist (vgl. BGH, Urteil vom 9. April 2009 - 3 StR 376/08, BGHSt 53, 268, 273), ist es geboten, die Gründe, die eine derartige Umverteilung erfordern, zu dokumentieren. Um dem Anschein einer willkürlichen Zuständigkeitsverschiebung entgegenzuwirken (vgl. BVerfG, NJW 2009, 1734, 1735), muss diese Dokumentation umfassend und nachvollziehbar sein (BGH, aaO; vgl. auch BGH, Beschluss vom 25. März 2015 - 5 StR 70/15; SK-StPO/Velten, 4. Aufl., § 21e GVG, Rn. 42).

Hinzu kommt, dass die revisionsgerichtliche Kontrolle nicht auf eine reine Willkürprüfung beschränkt ist, sondern sich auf die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Änderung des Geschäftsverteilungsplans erstreckt (BVerfG, NJW 2005, 2689, 2690; BGH, aaO, BGHSt 53, 268, 275 f.). Auch deshalb muss die Dokumentation der Gründe für die Änderung des Geschäftsverteilungsplans so detailliert ausgestaltet sein, dass dem Revisionsgericht eine Prüfung der Rechtmäßigkeit möglich ist (BVerfG, aaO). Die Dokumentation muss im erforderlichen Umfang grundsätzlich schon im Zeitpunkt der Präsidiumsentscheidung, spätestens aber in dem Zeitpunkt vorhanden sein, in dem über einen Besetzungseinwand nach § 222b Abs. 2 StPO zu entscheiden ist (BGH, aaO, BGHSt 53, 268, 276 f.).

b) Den vorgenannten Dokumentationsanforderungen genügt der Beschluss des Präsidiums des Landgerichts vom 15. August 2012 nicht. Zur Begründung der Besetzungsänderung in der 10. Strafkammer wird dort lediglich ausgeführt, dass Mitglieder der Kanzlei Dr. R. und Partner „sehr häufig“ vor dem Landgericht Bielefeld in Strafsachen auftreten und daher durch den Verbleib von Richterin am Landgericht W. in der 10. Strafkammer ein effizientes Arbeiten der Kammer nicht mehr gewährleistet sei, da mit Ablehnungsgesuchen zu rechnen sei.

Anhand dieser Begründung des Präsidiumsbeschlusses kann das Revisionsgericht nicht überprüfen, ob tatsächlich die Effizienz der Arbeitsweise in der 10. Strafkammer im laufenden Geschäftsjahr durch eine mögliche Verhinderung der Richterin infolge - nach Einschätzung des Präsidiums - begründeter Ablehnungsanträge in einer Weise in Frage gestellt sein konnte, dass eine - nur unter den engen Voraussetzungen des § 21e Abs. 3 GVG zulässige - unterjährige Änderung des Geschäftsverteilungsplans gerechtfertigt war. Es fehlt bereits an einer Darlegung der Anzahl der Verfahren, in denen aufgrund einer Beteiligung der Kanzlei Dr. R. und Partner Befangenheitsanträge drohen konnten. Darüber hinaus fehlt - was für die Einschätzung der Begründetheit möglicher Befangenheitsgesuche von Bedeutung gewesen wäre - jegliche Mitteilung dazu, ob der Rechtsanwalt, zu dem die aus der Strafkammer ausgeschiedene Richterin eine Beziehung unterhielt, im Zeitpunkt der Änderung der Geschäftsverteilung selbst in einem vor der Schwurgerichtskammer anhängigen Verfahren als Verteidiger oder Nebenklägervertreter tätig war. Die Begründung ist auch nicht durch das Präsidium des Landgerichts bis zur Entscheidung über den Besetzungseinwand nach § 222b StPO nachgeholt worden (vgl. BVerfG, NJW 2009, 1734, 1735; BGH, aaO, BGHSt 53, 268, 277 f.).

Erst in dem Beschluss der 10. Strafkammer vom 2. Oktober 2012, mit dem diese den Besetzungseinwand vom 31. August 2012 zurückgewiesen hat, wird ausgeführt, es sei der Kammer bekannt, dass Rechtsanwalt Dr. R. zum Zeitpunkt des 10. Änderungsbeschlusses zur Geschäftsverteilung für das Landgericht Bielefeld nach eigener Erklärung bereits in vier zur Hauptverhandlung anstehenden Schwurgerichtssachen mandatiert sei; nach der dienstlichen Erklärung der Vorsitzenden Richterin vom 3. September 2012 handelte es sich hingegen nur um drei Verfahren.

Der Senat kann auf der Grundlage dieser Begründungen nicht überprüfen, ob im Zeitpunkt des 10. Änderungsbeschlusses vom 28. Juni 2012 tatsächlich die Wahrscheinlichkeit bestand, dass im verbleibenden 2. Halbjahr des Geschäftsjahres 2012 in einer so großen Anzahl von Verfahren vor der 10. Strafkammer zum Vertretungsfall führende Befangenheitsanträge gestellt werden konnten, dass die Änderung der laufenden Geschäftsverteilung zur Gewährleistung der Effizienz der Arbeit der Strafkammer nicht bis zum folgenden Geschäftsjahr aufgeschoben werden konnte.

IV.

Der Senat hat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Sache an ein anderes Landgericht zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 Satz 1 StPO, letzte Alternative).

HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 629

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2015, 288; StV 2015, 746

Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel