HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 244
Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 512/14, Beschluss v. 03.12.2014, HRRS 2015 Nr. 244
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kaiserslautern vom 11. August 2014
a) im Schuldspruch dahin berichtigt, dass im Fall II. 1 der Urteilsgründe die Kennzeichnung als minder schwerer Fall entfällt,
b) im gesamten Straf- und Maßregelausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bewaffneten unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge "in einem minder schweren Fall" sowie wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Es hat ferner die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet und bestimmt, dass acht Monate der Freiheitsstrafe vorweg zu vollziehen sind.
Die Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Die Revision des Angeklagten ist zulässig.
1. Allerdings bestehen bei einem lediglich am Wortlaut orientierten Verständnis des Inhalts der Revisionsrechtfertigung Zweifel an der Zulässigkeit des Rechtsmittels.
Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 29. Oktober 2014 zutreffend ausgeführt hat, genügt die vom Beschwerdeführer ausgeführte Verfahrensrüge den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht und ist daher unzulässig. Der im zweiten Teil der Revisionsbegründung ohne nähere Begründung erhobenen "allgemeinen Verfahrensrüge" ist für sich genommen ebenfalls kein zulässiges, auf eine Verfahrensrüge gerichtetes Revisionsvorbringen zu entnehmen.
2. Als Prozesserklärung ist die Revisionsbegründung indes auslegungsfähig. Die Ausführungen zur Rechtfertigung der Revision sind in ihrer Gesamtheit zu würdigen, wobei das Revisionsgericht nicht am Wortlaut haften darf, sondern den Sinn des Vorbringens zu erforschen hat, wie er der Begründungsschrift verständigerweise entnommen werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 24. März 1964 - 3 StR 60/63, BGHSt 19, 273, 275; LR-StPO/Franke, 26. Aufl., § 344 Rn. 70). Ergibt sich aus dem Inhalt der Begründungsschrift deutlich, welche Rüge inhaltlich gemeint ist, ist eine Falschbezeichnung des Revisionsvorbringens als Sach- oder Verfahrensrüge unschädlich (BGH aaO; Franke aaO, Rn. 72; ebenso KK-StPO/Gericke, 7. Aufl., § 344 Rn. 20).
Danach entnimmt der Senat dem Gesamtzusammenhang des Beschwerdevorbringens im vorliegenden Fall den Willen, dem Revisionsgericht das angefochtene Urteil insgesamt auch zur sachlich-rechtlichen Nachprüfung zu unterbreiten. Die Erhebung einer "allgemeinen Verfahrensrüge" im Anschluss an eine unmittelbar zuvor eigens ausgeführte (wenn auch unzulässige) Verfahrensrüge ist schon für sich genommen wenig naheliegend. Hier kommt hinzu, dass beide Beanstandungen in der Revisionsrechtfertigung hintereinander unter gleichgeordneten Gliederungspunkten aufgeführt sind. Daher ist von einer irrtümlichen Falschbezeichnung der (allgemeinen) Sachrüge als Verfahrensrüge auszugehen.
1. Die danach gebotene umfassende Überprüfung des angefochtenen Urteils auf sachlich-rechtliche Rechtsfehler bleibt hinsichtlich des Schuldspruchs ohne Erfolg. Im Fall II. 1 der Urteilsgründe ist der Schuldspruch indes dahin zu berichtigen, dass die Kennzeichnung der Straftat als "minder schwerer Fall" des bewaffneten unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge entfällt. Diese Kennzeichnung gehört nicht zur rechtlichen Bezeichnung der Tat im Sinne von § 260 Abs. 4 Satz 2 StPO (st. Rspr.; vgl. nur Senatsbeschluss vom 7. Januar 1997 - 4 StR 603/96, NStZ 1998, 25, 27; SSW-StPO/Franke, § 260, Rn. 10 mwN).
2. Der Strafausspruch kann nicht bestehen bleiben.
a) Im Fall II. 1 der Urteilsgründe begegnet die Festsetzung der Einzelstrafe durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Der Generalbundesanwalt hat dazu ausgeführt:
"Die Kammer hat den Fall 1 rechtsfehlerfrei als minder schweren Fall nach § 30a Abs. 3 BtMG gewertet, der einen Strafrahmen von sechs Monaten bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe vorsieht. Sie hat sodann hinsichtlich der Mindeststrafe die Sperrwirkung eines verdrängten Tatbestandes berücksichtigt und einen Strafrahmen von zwei Jahren bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe bestimmt (UA S. 14).
Dies ist in mehrfacher Hinsicht rechtsfehlerhaft:
a) Zum einen ist nicht nachvollziehbar, wieso die Kammer die Sperrwirkung der Mindeststrafe des § 30 BtMG angenommen hat, denn die Feststellungen belegen eine Qualifikation nach § 30 BtMG nicht. Weder handelte der Angeklagte als Mitglied einer Bande noch gewerbsmäßig, auch eine Einfuhrtat ist nicht gegeben. Die Kammer hätte somit die Sperrwirkung der Mindeststrafe des § 29a BtMG - ein Jahr Freiheitsstrafe - anwenden müssen.
b) Weiterhin hat die Kammer nicht berücksichtigt, dass auch die Mindeststrafe des verdrängten Tatbestandes in Höhe von einem Jahr (§ 29a BtMG) oder - wie von der Kammer fehlerhaft angenommen - zwei Jahren (§ 30 BtMG) nur dann zur Anwendung kommt, wenn nicht auch hinsichtlich des verdrängten Tatbestandes ein minder schwerer Fall gegeben ist (BGHR BtMG § 30a Abs. 3, Strafzumessung 1).
Die Kammer hätte daher prüfen müssen, ob aufgrund der berücksichtigten Milderungsgründe nicht auch bezüglich des § 29a BtMG ein minder schwerer Fall nach § 29a Abs. 2 BtMG (Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren) hätte angenommen werden können. Hiermit wäre die Sperrwirkung entfallen, da die Mindeststrafe des minder schweren Falles nach § 29a Abs. 2 StGB geringer ist als die Mindeststrafe des § 30a Abs. 3 BtMG.
Es ist nicht auszuschließen, dass die Kammer hinsichtlich des Falls 1 bei zutreffender Annahme einer Mindeststrafe von nur einem Jahr - die Annahme eines minder schweren Falles des § 29a BtMG liegt bereits aufgrund der Vorbelastungen eher fern - eine geringere Strafe verhängt hätte." Dem schließt sich der Senat an.
b) Um dem neuen Tatrichter eine aufeinander abgestimmte Festsetzung der Einzelstrafen zu ermöglichen, hebt der Senat auch die im Fall II. 2 der Urteilsgründe festgesetzte Einzelstrafe auf. Daher ist auch die Gesamtstrafe - unter Beachtung des Verschlechterungsverbots (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO) - neu festzusetzen.
3. Auch der Maßregelausspruch hat keinen Bestand.
Da das Landgericht bei der Zumessung der Einzelstrafen und der Bildung der Gesamtstrafe die Therapiewilligkeit des Angeklagten ausdrücklich berücksichtigt hat, kann ein Zusammenhang zwischen der Strafe und der Anordnung über die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt hier ausnahmsweise nicht ausgeschlossen werden. Abgesehen davon ist die Anordnung über den Vorwegvollzug eines Teils der Freiheitsstrafe wegen Nichtbeachtung des Halbstrafenzeitpunkts auch für sich genommen durchgreifend rechtsfehlerhaft.
Die danach erforderliche neue Entscheidung über eine Unterbringung gemäß § 64 StGB gibt dem dazu berufenen Tatrichter ferner die Gelegenheit, sich mit denjenigen Umständen noch eingehender auseinanderzusetzen, die der Annahme einer hinreichend konkreten Erfolgsaussicht entgegenstehen können.
Wegen der Beurteilung der Gefährlichkeit von Amphetamin (vgl. UA 15) verweist der Senat auf die dazu ergangene neuere Rechtsprechung (vgl. u.a. Senatsbeschlüsse vom 24. Oktober 2012 - 4 StR 392/12, NStZ-RR 2013, 81, 82, und vom 13. März 2013 - 4 StR 547/12, Rn. 15).
HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 244
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2015, 144 ; StV 2015, 637
Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel