HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 381
Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 328/14, Beschluss v. 26.02.2015, HRRS 2015 Nr. 381
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 11. November 2013 wird
a) das Verfahren eingestellt, soweit der Angeklagte in den Fällen II. 258, 419, 516, 608, 794, 948, 961, 1117, 1160, 1252, 1275 und 1445 der Urteilsgründe verurteilt worden ist; insoweit trägt die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten;
b) die Verfolgung im Fall II. 1471 der Urteilsgründe auf den Vorwurf des unerlaubten Besitzes von Schusswaffen in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Munition beschränkt;
c) das vorgenannte Urteil im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen in 1455 Fällen, des sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses in Tateinheit mit Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen in drei Fällen sowie des unerlaubten Besitzes von Schusswaffen in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Munition schuldig ist.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
3. Der Angeklagte trägt die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels, die insoweit durch das Adhäsionsverfahren entstandenen besonderen Kosten und die den Adhäsionsklägerinnen sowie den Nebenklägerinnen - mit Ausnahme der Nebenklägerinnen M. und L. - erwachsenen notwendigen Auslagen.
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen in 1467 Fällen, wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- und Betreuungsverhältnisses in drei Fällen jeweils tateinheitlich zusammentreffend mit einer Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen und wegen unerlaubten Besitzes einer Schusswaffe in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Munition und unerlaubtem Besitz eines verbotenen Gegenstandes zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt und ihm für die Dauer von vier Jahren verboten, gynäkologische Behandlungen auszuüben. Darüber hinaus hat es eine Einziehungs- sowie eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Hiergegen richtet sich die auf Verfahrensbeanstandungen und die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten.
1. Soweit der Angeklagte in den Fällen II. 258, 419, 516, 608, 794, 948, 961, 1117, 1160, 1252, 1275 und 1445 der Urteilsgründe wegen Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen zum Nachteil minderjähriger Patientinnen verurteilt worden ist, stellt der Senat das Verfahren auf Antrag des Generalbundesanwalts nach § 154 Abs. 2 StPO aus verfahrensökonomischen Gründen ein, weil nach Aktenlage ohne ergänzende, im Freibeweisverfahren durchzuführende (vgl. BGH, Urteil vom 25. Januar 1994 - 1 StR 770/93, NJW 194, 1165) Ermittlungen nicht abschließend beurteilt werden kann, ob in diesen Fällen wirksame Strafanträge der Erziehungsberechtigten gemäß § 77 Abs. 3 StGB vorliegen. Im Fall II. 1471 der Urteilsgründe nimmt der Senat mit Zustimmung des Generalbundesanwalts den Vorwurf des unerlaubten Besitzes eines verbotenen Gegenstandes gemäß § 154a Abs. 2 StPO von der Verfolgung aus.
Die Teileinstellung des Verfahrens und die Verfahrensbeschränkung hat eine Änderung des Schuldspruchs zur Folge. Die Einzelgeldstrafe im Fall II. 1471 der Urteilsgründe kann bestehen bleiben, da die Strafkammer in ihren Erwägungen zur Bemessung der Einzelstrafe allein auf den Besitz der Schusswaffen abgestellt hat. Schließlich wird der Gesamtstrafenausspruch durch den Wegfall der für die eingestellten Taten verhängten Einzelstrafen nicht berührt. Angesichts der Vielzahl der verbleibenden Einzelfreiheitsstrafen kann der Senat ausschließen, dass das Landgericht ohne die entfallenden Einzelstrafen auf eine niedrigere Gesamtstrafe erkannt hätte.
2. In dem nach der Teileinstellung des Verfahrens und der Verfahrensbeschränkung verbleibenden Umfang ist die Revision unbegründet, da die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung insoweit keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).
Hinsichtlich der Verurteilungen wegen Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen gemäß § 201a Abs. 1 StGB aF bemerkt der Senat ergänzend zum Verwerfungsantrag des Generalbundesanwalts:
Nach der Strafnorm des § 201a Abs. 1 StGB aF (§ 201a Abs. 1 Nr. 1 StGB in der Fassung des 49. Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs - Umsetzung europäischer Vorgaben zum Sexualstrafrecht vom 21. Januar 2015, BGBl I, S. 10), welche dem Schutz des durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht sowie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gewährleisteten höchstpersönlichen Lebensbereichs des Einzelnen vor Eingriffen durch Bildaufnahmen dient (vgl. BT-Drucks. 15/2466, S. 1; Lenckner/Eisele in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 201a Rn. 2; Fischer, StGB, 62. Aufl., § 201a Rn. 3; Kühl in Lackner/Kühl, StGB, 28. Aufl., § 201a Rn. 1), macht sich in der Tatbestandsvariante des Herstellens strafbar, wer von einer anderen Person, die sich in einer Wohnung oder einem gegen Einblick besonders geschützten Raum befindet, Bildaufnahmen herstellt und dadurch den höchstpersönlichen Lebensbereich der Person verletzt. Ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen dieser Vorschrift auch Bildaufnahmen unterfallen, die allein aus sich heraus eine Individualisierung der abgebildeten Person nicht ermöglichen (vgl. Bosch in Satzger/Schluckebier/Widmaier, StGB, 2. Aufl., § 201a Rn. 5; Altenhain in Matt/Renzikowski, StGB, § 201a Rn. 2; Koch, GA 2005, 589, 595; Kargl, ZStW 2005, 324, 340; Ernst, NJW 2004, 1277, 1278; aA Hoyer in SK-StGB [Stand: Oktober 2005], § 201a Rn. 12; Kühl in Lackner/Kühl aaO, Rn. 4), braucht der Senat nicht zu entscheiden. Tatbestandlich erfasst werden jedenfalls solche Bildaufnahmen, die - wie hier vom Landgericht in den der Verurteilung zugrunde liegenden Fällen festgestellt - aufgrund hinreichend vorhandener Identifizierungsmerkmale von den jeweiligen Tatopfern der eigenen Person zugeordnet werden können (vgl. Valerius in LK, 12. Aufl., § 201a Rn. 11; Kargl in NK-StGB, 4. Aufl., § 201a Rn. 6; Fischer aaO, Rn. 5; auf grundsätzliche Identifizierbarkeit abstellend vgl. Lenckner/Eisele aaO, Rn. 4; Heuchemer in Heintschel/Heinegg, StGB, § 201a Rn. 16.2). Weiter gehende Anforderungen an die Erkennbarkeit der abgebildeten Personen lassen sich bei einer am geschützten Rechtsgut orientierten Auslegung weder aus dem Tatbestandsmerkmal der Bildaufnahme einer anderen Person noch aus dem tatbestandlich vorausgesetzten Erfolg einer Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs ableiten. Da der Rechtsgutsangriff bereits in der Fertigung der Bildaufnahme durch den Täter liegt, ohne dass es auf eine mögliche spätere Weitergabe oder Verbreitung der Aufnahme ankommt, besteht insbesondere kein Grund, den Eintritt des Taterfolgs davon abhängig zu machen, dass die Identifizierung der abgebildeten Person von Dritten anhand auch anderen bekannter Merkmale oder Besonderheiten vorgenommen werden kann (so aber Graf in MK-StGB, 2. Aufl., § 201a Rn. 20).
Dass der Angeklagte durch das Anfertigen von Bildaufnahmen während der gynäkologischen Behandlung seiner Tatopfer jeweils deren höchstpersönlichen Lebensbereich verletzte, hat die Strafkammer auf der Grundlage der von ihr zu den Inhalten der Bilder und Videosequenzen getroffenen Feststellungen rechtsfehlerfrei bejaht.
3. Hinsichtlich der Nebenklägerinnen M. und L. findet eine Überbürdung der durch die Revision des Angeklagten entstandenen Nebenklageauslagen nicht statt, da auch deren Rechtsmittel ohne Erfolg geblieben ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 4. Juli 2013 - 4 StR 92/13; vom 14. Januar 1992 - 4 StR 629/91, BGHR StPO § 473 Abs. 1 Satz 3 Auslagenerstattung 1).
HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 381
Externe Fundstellen: NStZ 2015, 391; NStZ-RR 2015, 141
Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel