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HRRS-Nummer: HRRS 2014 Nr. 410

Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 553/13, Beschluss v. 06.03.2014, HRRS 2014 Nr. 410


BGH 4 StR 553/13 - Beschluss vom 6. März 2014 (LG Essen)

BGHR; Zustellung einer Entscheidung (erforderliche Anordnung durch den Vorsitzenden: Dokumentation in Gerichtsakten, Heilung der fehlenden Dokumentation).

§ 36 Abs. 1 Satz 1 StPO; § 37 Abs. 1 StPO i.V.m. § 189 ZPO

Leitsätze

1. Die Anordnung der Zustellung durch den Vorsitzenden ist an eine besondere Form nicht gebunden; sie kann sowohl schriftlich als auch mündlich getroffen werden. In Anbetracht ihrer Bedeutung für die Wirksamkeit der Zustellung muss sie im Zeitpunkt der Zustellung aktenkundig, im Falle einer mündlichen Anweisung in einem Vermerk der Geschäftsstelle festgehalten sein. (BGH)

2. Ein entsprechender Zustellungsmangel kann auch nicht gemäß § 37 Abs. 1 StPO i.V.m. § 189 ZPO durch den tatsächlichen Zugang geheilt worden. Dies würde voraussetzen, dass eine förmliche Zustellung von dem für das Verfahren zuständigen Organ - im Fall des § 36 Abs. 1 StPO also vom Vorsitzenden - beabsichtigt war. Ist ein solcher Zustellungswille des zuständigen Organs mangels Zustellungsanordnung nicht feststellbar, so tritt keine Heilung gemäß § 37 Abs. 1 StPO i.V.m. § 189 ZPO ein. (Bearbeiter)

Entscheidungstenor

1. Der Beschluss des Landgerichts Essen vom 10. September 2013, mit dem die Revision der Nebenklägerin als unzulässig verworfen und ihr Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen wurde, wird aufgehoben.

2. Es wird festgestellt, dass die Revision der Nebenklägerin gegen das Urteil des Landgerichts Essen vom 13. August 2013 zulässig ist.

3. Der Antrag der Nebenklägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision gegen das vorgenannte Urteil ist gegenstandslos.

4. Mit Zustellung dieses Beschlusses wird die Frist zur Begründung der Revision in Lauf gesetzt.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagte am 13. August 2013 wegen Unterschlagung sowie wegen schweren Raubes in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Nachdem der Urteilstenor der Nebenklägerin am 21. August 2013 zugestellt worden war, legte sie mit am 2. September 2013 beim Landgericht eingegangenem Schreiben gegen das Urteil Revision ein und beantragte zugleich Wiedereinsetzung in die Revisionseinlegungsfrist. Mit Beschluss vom 10. September 2013 hat das Landgericht die Revision der Nebenklägerin gemäß § 346 Abs. 1 StPO als verspätet und deshalb unzulässig verworfen und das Wiedereinsetzungsgesuch zurückgewiesen. Gegen den am 13. September 2013 zugestellten Beschluss hat die Nebenklägerin mit noch am selben Tag beim Landgericht eingegangenem Schreiben eine Entscheidung des Revisionsgerichts nach § 346 Abs. 2 StPO beantragt.

1. Der in zulässiger Weise angebrachte Antrag auf Entscheidung des Revisionsgerichts ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses vom 10. September 2013, da das Landgericht die Revision der Nebenklägerin zu Unrecht als unzulässig verworfen hat.

a) Das Landgericht war für eine Entscheidung gemäß § 346 Abs. 1 StPO über die Zulässigkeit des Rechtsmittels wegen des mit der Revisionseinlegung verbundenen Wiedereinsetzungsantrages bereits nicht zuständig (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2012 - 3 StR 461/12 [juris Rn. 2]; Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., § 346 Rn. 16).

b) Zudem lagen die Voraussetzungen für eine Verwerfung der Revision gemäß § 346 Abs. 1 StPO nicht vor. Vielmehr hat die in der Hauptverhandlung weder anwesende noch vertretene Nebenklägerin mit dem am 2. September 2013 beim Landgericht eingegangenen Schreiben form- und fristgerecht gegen das Urteil des Landgerichts Revision eingelegt. Denn die hierfür maßgebliche Wochenfrist (§ 341 Abs. 1 Satz 1 StPO) ist erst mit Zustellung des (vollständigen) Urteils an die Nebenklägerin am 3. September 2013 in Lauf gesetzt worden (vgl. KK-StPO/Gericke, 7. Aufl., § 341 Rn. 19, 20).

Dem steht nicht entgegen, dass ihr der Urteilstenor nebst Rechtsmittelbelehrung bereits am 21. August 2013 förmlich zugestellt worden ist (§ 401 Abs. 2 Satz 2 StPO). Diese Zustellung ist unwirksam.

Die Wirksamkeit einer förmlichen Zustellung setzt voraus, dass sie auf einer (wirksamen) Zustellungsanordnung des Vorsitzenden beruht, § 36 Abs. 1 Satz 1 StPO (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Mai 1955 - 1 StR 45/55, bei Holtz, MDR 1976, 814; Urteil vom 18. Dezember 1985 - 2 StR 619/85, NStZ 1986, 230 jeweils mwN; Beschluss vom 14. Dezember 2010 - 1 StR 420/10, NStZ 2011, 591, 592). Die Anordnung ist zwar nicht an eine besondere Form gebunden und kann folglich sowohl schriftlich als auch mündlich getroffen werden. In Anbetracht ihrer Bedeutung für die Wirksamkeit der Zustellung muss sie aber im Zeitpunkt der Zustellung aktenkundig, im Falle einer mündlichen Anweisung daher jedenfalls in einem Vermerk der Geschäftsstelle festgehalten sein. Denn die Rechtssicherheit gebietet es, dass von vornherein auch für Dritte erkennbar ist, ob im Zeitpunkt der Zustellung eine dem § 36 Abs. 1 StPO entsprechende Anordnung vorlag. Anderenfalls ließe sich - wenn überhaupt - unter Umständen erst nach längeren Nachforschungen klären, ob der Zustellung eine wirksame Anordnung zugrunde lag, die Rechtsmittelfrist demnach in Lauf gesetzt worden ist. Die hiermit verbundene Rechtsunsicherheit kann aber nicht hingenommen werden (OLG Zweibrücken, MDR 1986, 1047; LG Zweibrücken, NStZ-RR 2013, 49; vgl. LR-StPO/Graalmann-Scheerer, 26. Aufl., § 36 Rn. 7; SK-StPO/Weßlau, § 36 Rn. 4; KK-StPO/Maul, aaO, § 36 Rn. 2; Pollähne in HK-StPO, 5. Aufl., § 36 Rn. 5; Pfeiffer, StPO, 5. Aufl., § 36 Rn. 1; KMR-StPO/ Ziegler, 69. EL (Stand: Okt. 2013), § 36 Rn. 4; vgl. auch Meyer-Goßner, aaO, § 36 Rn. 3: stets schriftlich; aA SSW-StPO/Mosbacher, § 36 Rn. 5, wonach die Dokumentation im Zeitpunkt der Zustellung keine Wirksamkeitsvoraussetzung darstellt).

Hieran fehlt es vorliegend. Den Verfahrensakten ist eine den Urteilstenor betreffende Zustellungsanordnung des Vorsitzenden nicht zu entnehmen. Der Zustellungsmangel ist auch nicht gemäß § 37 Abs. 1 StPO i.V.m. § 189 ZPO durch den tatsächlichen Zugang geheilt worden. Dies würde voraussetzen, dass eine förmliche Zustellung von dem für das Verfahren zuständigen Organ - im Fall des § 36 Abs. 1 StPO also vom Vorsitzenden - beabsichtigt war (MüKo-ZPO/Häublein, 4. Aufl., § 189 Rn. 3; LR-StPO/Graalmann-Scheerer, aaO, § 37 Rn. 95). Ist ein solcher Zustellungswille des zuständigen Organs - wie hier - mangels Zustellungsanordnung nicht feststellbar, so tritt keine Heilung gemäß § 37 Abs. 1 StPO i.V.m. § 189 ZPO ein (OLG Celle, Beschluss vom 15. September 2010 - 1 Ws 398/10, NStZ-RR 2011, 45 [Leitsatz]).

c) Einer Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung in die Revisionseinlegungsfrist bedarf es folglich nicht. Dieser ist vielmehr gegenstandslos.

2. Nachdem der Nebenklägerin das vollständige Urteil am 3. September 2013 wirksam zugestellt worden ist, wird die Frist zur Begründung der Revision (§ 345 Abs. 1 Satz 1 StPO) mit Zustellung des Beschlusses nach § 346 Abs. 2 StPO an sie in Lauf gesetzt (BayObLG, bei Bär, DAR 1987, 316; StraFo 1997, 248 f.; LR-StPO/Franke, aaO, § 345 Rn. 11; KK-StPO/Gericke, aaO, § 345 Rn. 3).

HRRS-Nummer: HRRS 2014 Nr. 410

Externe Fundstellen: NJW 2014, 1686; StV 2015, 738

Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel