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HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 612

Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 109/13, Urteil v. 23.05.2013, HRRS 2013 Nr. 612


BGH 4 StR 109/13 - Urteil vom 23. Mai 2013 (LG Dortmund)

Täter-Opfer-Ausgleich (Voraussetzungen).

§ 46a Nr. 1 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Die Bestimmung des § 46a Nr. 1 StGB verlangt, dass der Täter in dem Bemühen, einen Ausgleich mit dem Opfer zu erreichen, die Tat ganz oder zum überwiegenden Teil wiedergutgemacht hat, wobei es aber auch ausreichend sein kann, dass der Täter dieses Ziel ernsthaft erstrebt. Das Bemühen des Täters setzt grundsätzlich einen kommunikativen Prozess zwischen Täter und Opfer voraus, der auf einen umfassenden, friedensstiftenden Ausgleich der durch die Straftat verursachten Folgen angelegt und "Ausdruck der Übernahme von Verantwortung" sein muss (vgl. BGHSt 48, 134, 139, 141).

Entscheidungstenor

1. Die Revisionen der Angeklagten T. G. und F. G. gegen das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 5. Juli 2012 werden verworfen.

2. Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels, die insoweit durch den Adhäsionsantrag entstandenen besonderen Kosten sowie die den jeweiligen Neben- und Adhäsionsklägern im Rechtsmittelverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten T. G. wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten und den Angeklagten F. G. wegen Körperverletzung und gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt. Das Gericht hat ferner Adhäsionsentscheidungen getroffen; unter anderem hat es die beiden Angeklagten und die nicht revidierende Mitangeklagte Y. als Gesamtschuldner verurteilt, an den Nebenkläger A. B. ein Schmerzensgeld in Höhe von 12.000 € zu zahlen.

Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten haben keinen Erfolg.

I.

Nach den Feststellungen des Landgerichts entschlossen sich die Angeklagten und die Mitangeklagte Y., den Nebenkläger A. B. tätlich anzugreifen. Er sollte für seine "ursprüngliche Absicht", dem Angeklagten F. G., der kurz zuvor einen Verwandten B. s (Nebenkläger Y. K.) durch Schläge erheblich verletzt hatte, "etwas zu tun", im Nachhinein bestraft werden. Die Angreifer liefen hinter dem Nebenkläger her, der sich auf dem Heimweg befand und einen Holzstock zu Verteidigungszwecken bei sich trug, und stellten ihn vor der Front eines Hauses. Die beiden Angeklagten entrissen ihm zunächst trotz Gegenwehr den Schlagstock, wobei der Angeklagte F. G. bei dem Gerangel einen Stockschlag auf den Hinterkopf erhielt. Der Nebenkläger wurde sodann gegen die Hauswand gedrückt und der Angeklagte T. G. versetzte ihm nunmehr mindestens zwei wuchtige Messerstiche in den Oberkörper, wobei ihm bewusst oder mindestens gleichgültig war, dass das Opfer zu Tode kommen könnte. Dabei fügte sich der Angeklagte - entweder auf Grund einer Abwehrbewegung des Geschädigten oder infolge zu großen Schwungs beim Zustechen - selbst eine etwa 2 cm tiefe Stichwunde am rechten Oberschenkel zu. Der Nebenkläger, der schwere innere Verletzungen erlitt, ging zu Boden. Die drei Angreifer versetzten ihm daraufhin Tritte gegen den Oberkörper und den Kopf. Schließlich ließen sie von ihrem Opfer ab und entfernten sich.

In der Hauptverhandlung vor dem Landgericht hat sich der Angeklagte F. G. dahin eingelassen, der Nebenkläger und drei oder vier weitere Personen seien auf ihn zugekommen. Ihm sei mit einem Knüppel auf den Kopf geschlagen worden. Auf Grund von Schlägen und Tritten habe er schließlich das Bewusstsein verloren.

Der Angeklagte T. G. hat angegeben, er sei angegriffen und mit einem Messer am Bein verletzt worden. Er habe das auf den Boden gefallene Messer aufgehoben und, "als der andere auf ihn zugekommen sei, ein bis zweimal in seine Richtung geschwungen" (UA S. 35). Er habe den Mann nicht verletzen wollen.

Im Verlauf der Beweisaufnahme haben die Angeklagten F. und T. G. den im Adhäsionsverfahren geltend gemachten Schmerzensgeldanspruch des Nebenklägers A. B. dem Grunde nach anerkannt. Beide Angeklagten haben sich bei dem Geschädigten entschuldigt.

Das Landgericht hat im Rahmen der Beweiswürdigung ausgeführt, dass zwischen den Familien der Angeklagten und des Nebenklägers weiterhin ein wechselseitiges Vergeltungsbedürfnis bestehe und es "vor dem Gericht" zu verbalen Auseinandersetzungen und dem Ansatz von Handgreiflichkeiten gekommen sei (UA S. 43).

II.

Die Revisionen der Angeklagten sind unbegründet.

1. Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigungen hat zum Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben. Insbesondere begegnet die Nichterörterung des § 46a Nr. 1 StGB keinen rechtlichen Bedenken.

a) Das Landgericht hat bei der Bemessung der Strafe zu Gunsten der Angeklagten berücksichtigt, dass sie sich ausdrücklich bei dem Nebenkläger entschuldigt, den geltend gemachten Schmerzensgeldanspruch dem Grunde nach anerkannt und in ihrem letzten Wort ihr Bedauern über die Tat zum Ausdruck gebracht haben. Dass das Landgericht von der weiter gehenden Prüfung abgesehen hat, ob aus diesen Gründen der anzuwendende Strafrahmen nach § 46a Nr. 1 StGB zu mildern ist, stellt keinen Rechtsfehler dar, denn die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen ersichtlich nicht vor.

b) Die Bestimmung des § 46a Nr. 1 StGB verlangt, dass der Täter in dem Bemühen, einen Ausgleich mit dem Opfer zu erreichen, die Tat "ganz oder zum überwiegenden Teil" wiedergutgemacht hat, wobei es aber auch ausreichend sein kann, dass der Täter dieses Ziel ernsthaft erstrebt. Das Bemühen des Täters setzt grundsätzlich einen kommunikativen Prozess zwischen Täter und Opfer voraus, der auf einen umfassenden, friedensstiftenden Ausgleich der durch die Straftat verursachten Folgen angelegt und "Ausdruck der Übernahme von Verantwortung" sein muss (BGH, Urteile vom 19. Dezember 2002 - 1 StR 405/02, BGHSt 48, 134, 139, 141; vom 12. Januar 2012 - 4 StR 290/11, NStZ 2012, 439; vom 8. August 2012 - 2 StR 526/11, NStZ 2013, 33, 34). Daran fehlt es hier. Denn die Angeklagten haben die ihnen zur Last gelegte gravierende Gewalttat als Verteidigungshandlung gegen einen rechtswidrigen Angriff des Tatopfers hingestellt und somit schon die Opfer-Rolle des Geschädigten bestritten. Eine Übernahme von Verantwortung kann hierin nicht gesehen werden (BGH, Beschluss vom 25. Juni 2008 - 2 StR 217/08, NStZ-RR 2008, 304; Urteil vom 10. Februar 2010 - 2 StR 391/09, NStZ-RR 2010, 175; Urteil vom 25. Februar 2010 - 4 StR 575/09, NStZ-RR 2010, 176).

Die Urteilsgründe belegen darüber hinaus, dass ein kommunikativer "friedensstiftender" Prozess zwischen den Angeklagten und dem Nebenkläger nicht einmal ansatzweise stattgefunden hat. Die Angeklagten haben hinsichtlich des geltend gemachten Schmerzensgeldanspruchs lediglich ein prozessuales Anerkenntnis "dem Grunde nach" gegenüber dem Gericht erklärt. Vom Nebenkläger als friedensstiftenden Ausgleich akzeptierte Leistungen haben sie nicht erbracht (vgl. Senatsbeschluss vom 12. Januar 2012 - 4 StR 290/11, NStZ 2012, 439, 440). Angesichts der Schwere der begangenen Tat und der erheblichen Verletzungsfolgen bei dem Nebenkläger war eine bloße Entschuldigung völlig unzureichend, zumal weiterhin erhebliche Spannungen zwischen den Familien der Angeklagten und dem Tatopfer bestehen (vgl. BGH, Urteile vom 28. Februar 2013 - 4 StR 430/12, Rn. 14, und vom 27. März 2013 - 2 StR 384/12, Rn. 10).

2. Ob die Adhäsionsentscheidung des Landgerichts im Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit (§ 406 Abs. 3 Satz 2 StPO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO) einen Rechtsfehler aufweist, kann dahinstehen. Da die Rechtsmittel der Angeklagten keinen Erfolg haben, ist das Urteil des Landgerichts rechtskräftig 12 13 und damit endgültig vollstreckbar (vgl. Zöller/Herget, ZPO, 29. Aufl., § 708 Rn. 1).

HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 612

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2013, 240

Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel