HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 485
Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 544/12, Beschluss v. 27.02.2013, HRRS 2013 Nr. 485
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 27. Juli 2012 mit den Feststellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung und Bedrohung verurteilt worden ist (Fall II. 2 der Urteilsgründe),
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
Jedoch bleiben die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung und Bedrohung, wegen gefährlicher Körperverletzung und wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen.
Die gegen dieses Urteil gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Die Rüge der Verletzung des Beweisantragsrechts durch Ablehnung des Antrags auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Aussage der Geschädigten Ö. -D. hat aus den zutreffenden Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 19. Dezember 2012 keinen Erfolg.
1. Soweit das Landgericht den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung (Fall II. 1 der Urteilsgründe) sowie wegen gefährlicher Körperverletzung (Fall II. 3 der Urteilsgründe) verurteilt hat, hat die Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf Grund der Sachrüge keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
2. Die Verurteilung wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung und Bedrohung (Fall II. 2 der Urteilsgründe) kann indes nicht bestehen bleiben.
a) Insoweit hat die Strafkammer im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
Am 25. Juni 2011 gegen 14.30 Uhr wollte die Ehefrau des Angeklagten, die Geschädigte Ö. -D., die Familienwohnung verlassen, um sich mit ihrem neuen Lebensgefährten zu treffen, weshalb es zum wiederholten Male zu einem heftigen Streit mit dem Angeklagten kam, der sie zu einer Wiederaufnahme der ehelichen Beziehung überreden wollte. Nachdem die Geschädigte sich geweigert hatte, die Beziehung zu ihrem neuen Lebensgefährten aufzugeben, schloss der Angeklagte die Wohnungstür ab und nahm der Geschädigten ihren Wohnungsschlüssel sowie ihr Mobiltelefon ab, um sie so am Verlassen der Wohnung zu hindern. Er drohte ihr an, sie nunmehr umzubringen, was die verängstigte Zeugin in dieser Situation auch glaubte, schleifte sie ins Wohnzimmer und warf sie auf die Couch, auf der bereits ihr stark verängstigter, sechs Jahre alter Sohn saß. Wegen des unter II. 1 der Urteilsgründe festgestellten Vorfalls, bei dem der Angeklagte die Geschädigte mit Faustschlägen und Tritten gegen Oberkörper und Kopf derart misshandelt hatte, dass sie sich in stationäre Behandlung hatte begeben müssen, hatte sie nach wie vor große Angst vor ihm. Deshalb kam sie seiner Aufforderung nach, gegenüber ihrem Sohn die Schuld für die Beziehungsprobleme zwischen ihr und dem Angeklagten zu übernehmen und ihrem neuen Lebensgefährten mitzuteilen, dass man sich nicht mehr sehen werde; für das erforderliche Telefonat erhielt die Geschädigte vom Angeklagten kurzfristig ihr Mobiltelefon zurück. Möglichkeiten, Hilfe zu holen, bestanden während dieses Vorfalles nicht. Das im Schlafzimmer befindliche Festnetztelefon war für die Geschädigte nicht erreichbar, Hilfeschreie unterließ sie, weil sie unter anderem Angst vor weiteren Schlägen des Angeklagten hatte.
Nunmehr zog der Angeklagte die Geschädigte ins Schlafzimmer und forderte sie auf, sich zu entkleiden, während der Sohn verängstigt im Wohnzimmer zurückblieb. Dem folgte die Geschädigte aus Angst vor dem Angeklagten; sie ging davon aus, dass dieser an ihrem Körper nach Spuren sexueller Handlungen suchen wollte und möglicherweise vorhatte, sie zu verprügeln. Erst auf die Aufforderung hin, sich aufs Bett zu legen, erkannte die Geschädigte, dass der Angeklagte beabsichtigte, nun gegen ihren Willen den Geschlechtsverkehr zu vollziehen, woraufhin sie äußerte: "Bitte nicht!" und zu weinen begann. Sie fügte sich jedoch dem Wunsch des Angeklagten aus Angst vor Schlägen. Dieser vollzog daraufhin mit ihr den vaginalen Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss.
b) Die Annahme des Landgerichts, das Verhalten des Angeklagten erfülle die Voraussetzungen einer Vergewaltigung im Sinne von § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
aa) Das Landgericht ist zwar mit tragfähiger Begründung zu der Überzeugung gelangt, dass sich die Geschädigte bei Beginn und während der Durchführung des Geschlechtsverkehrs mit dem Angeklagten objektiv in einer schutzlosen Lage im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB befunden hat. Auch die Annahme der Strafkammer, sie habe nur unter dem Eindruck ihres schutzlosen Ausgeliefertseins aus Furcht vor möglichen Einwirkungen des Angeklagten auf den ihr grundsätzlich möglichen Widerstand verzichtet, ist vor dem Hintergrund der dazu getroffenen Feststellungen aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Jedoch werden im angefochtenen Urteil die Voraussetzungen eines dahingehenden Vorsatzes des Angeklagten nicht hinreichend belegt.
bb) Der subjektive Tatbestand im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB setzt zumindest bedingten Vorsatz dahingehend voraus, dass das Tatopfer in die sexuellen Handlungen nicht eingewilligt hat und dass es gerade im Hinblick auf seine Schutzlosigkeit auf möglichen Widerstand verzichtet (Senatsbeschluss vom 8. November 2011 - 4 StR 445/11, NStZ 2012, 268; BGH, Beschluss vom 12. November 2008 - 2 StR 474/08).
Feststellungen dazu, ob der Angeklagte diese Umstände in seinen zumindest bedingten Vorsatz aufgenommen hat, hat das Landgericht indes nicht getroffen. Den Urteilsgründen ist auch nicht zu entnehmen, zu welchem Zeitpunkt innerhalb des sich länger hinziehenden Tatgeschehens der Angeklagte den Vorsatz fasste, mit der Geschädigten notfalls auch gegen deren Willen den Geschlechtsverkehr auszuüben. Vielmehr beschränkt sich das Urteil insoweit auf die Mitteilung, dass die Geschädigte dieses Vorhaben realisierte, als der Angeklagte sie aufforderte sich auf das Bett zu legen.
3. Da die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen von dem Rechtsfehler nicht betroffen sind, kann der Senat sie aufrechterhalten. Ergänzende Feststellungen, die den getroffenen nicht widersprechen, sind möglich.
Für die neue Verhandlung und Entscheidung merkt der Senat an:
Auch frühere Drohungen können wie frühere Misshandlungen eine in die Tatgegenwart fortwirkende Drohwirkung entfalten, sodass im Einzelfall auch das Ausnutzen eines "Klimas der Gewalt" ausreichen kann, wenn durch eine ausdrückliche oder konkludente Erklärung des Täters eine finale Verknüpfung mit dem sexuellen Übergriff hergestellt, dies vom Opfer als Drohung empfunden wird und der Täter dies zumindest billigt (vgl. Senatsbeschluss vom 20. März 2012 - 4 StR 561/11, StV 2012, 534, Tz. 14; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 177 Rn. 20 mN zur Rspr.; vgl. auch SSW-StGB/Wolters, § 177 Rn. 12). Sollte die neue Verhandlung daher ergeben, dass der Angeklagte seinen Tatvorsatz spätestens zu dem Zeitpunkt fasste, als er die Zeugin ins Schlafzimmer zog, wird vor dem Hintergrund einer möglicherweise hierin liegenden Gewaltanwendung bzw. des vorangegangenen Geschehens zu erwägen sein, ob der Angeklagte bereits die Voraussetzungen von § 177 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 StGB erfüllt hat.
HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 485
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2013, 207
Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel