HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 307
Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 384/12, Beschluss v. 19.12.2012, HRRS 2013 Nr. 307
1. Auf die Revision des Angeklagten T. wird das Urteil des Landgerichts Bochum vom 22. Februar 2012, soweit es ihn betrifft,
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit bewaffnetem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, der gefährlichen Körperverletzung, des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in zwei Fällen schuldig ist; die Einzelstrafe im Fall II.5 der Urteilsgründe entfällt,
b) mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit von der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen worden ist.
2. Auf die Revision des Angeklagten C. Te. wird das vorgenannte Urteil, soweit es ihn betrifft, im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit Beihilfe zum bewaffneten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und der Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig ist; die Einzelstrafe im Fall II.5 der Urteilsgründe entfällt.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels des Angeklagten T., an eine andere Strafkammer des Landgerichts Bochum zurückverwiesen.
4. Die weiter gehenden Revisionen der Angeklagten T. und C. Te. sowie die Revisionen der Angeklagten O. Te. und E. Te. werden verworfen.
5. Die Angeklagten O. Te., C. Te. und E. Te. haben die Kosten ihrer Rechtsmittel zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten T. wegen "Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unter Mitführung eines gefährlichen Gegenstandes, gefährlicher Körperverletzung, Handeltreibens mit Betäubungsmitteln und Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in jeweils zwei Fällen" zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Von einer Unterbringung dieses Angeklagten in einer Entziehungsanstalt hat es abgesehen.
Den Angeklagten O. Te. hat es wegen "gefährlicher Körperverletzung, Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in drei Fällen und wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in einem Fall" zu einer Gesamtstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt.
Den Angeklagten C. Te. hat es wegen "Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unter Mitführung eines gefährlichen Gegenstandes und wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen" zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt.
Den Angeklagten E. Te. hat es wegen "Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in zwei Fällen" zu einer Gesamtgeldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 100 Euro verurteilt.
Gegen dieses Urteil wenden sich die Angeklagten mit ihren Revisionen, die sie auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts stützen. Die Rechtsmittel der Angeklagten T. und C. Te. haben mit der Sachrüge in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen sind sie, wie die Rechtsmittel der Angeklagten O. Te. und E. Te. insgesamt, unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Verurteilung der Angeklagten T. und C. Te. wegen zweier selbständiger, real konkurrierender Taten in den Fällen II.5 und II.6 der Urteilsgründe begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
a) Nach den Feststellungen übergab in dem beim Angeklagten T. als unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, beim Angeklagten C. Te. als Beihilfe hierzu abgeurteilten Fall II.5 der Urteilsgründe der Angeklagte T. mit Unterstützung des Angeklagten C. Te. dem Zeugen B. am 3. Juni 2010 15 g Heroin, das dieser für den Angeklagten O. Te. gewinnbringend veräußern sollte. Nachdem der Zeuge den Angeklagten T. und C. Te. tags darauf mitgeteilt hatte, dass er aus den Drogengeschäften mit den Angeklagten aussteigen wolle, und dem Angeklagten T. die 15 g Heroin zurückgegeben hatte, verbrachten die beiden Angeklagten, die u.a. mit einem Teleskopschlagstock bewaffnet waren, den Zeugen B. in einen Wald und veranlassten ihn unter Todesdrohungen, sich zu weiteren Drogenverkäufen bereitzuerklären. Hierauf übergab der Angeklagte T. dem Zeugen das zuvor zurückerhaltene Heroin erneut mit der Aufforderung, dieses nunmehr zu veräußern (Fall II.6 der Urteilsgründe, beim Angeklagten T. abgeurteilt als bewaffnetes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, beim Angeklagten C. Te. als Beihilfe hierzu, jeweils in Tateinheit mit Geiselnahme und mit gefährlicher Körperverletzung).
b) Danach stellt die zweifache Übergabe derselben Heroinmenge an den Zeugen B. durch den Angeklagten T. ein einheitliches Handeltreiben im Sinne der § 29a Abs. 1 Nr. 2, § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG dar. Sämtliche Betätigungen, die sich auf den Verbleib derselben, in einem Akt erworbenen Betäubungsmittelmenge beziehen, sind als eine Tat des unerlaubten Handeltreibens anzusehen, weil bereits der Erwerb und der Besitz von Betäubungsmitteln, die zum Zweck gewinnbringender Weiterveräußerung bereit gehalten werden, den Tatbestand des Handeltreibens in Bezug auf die Gesamtmenge erfüllen. Zu dieser Tat gehören als unselbständige Teilakte im Sinne einer Bewertungseinheit auch die späteren Veräußerungsgeschäfte, soweit sie - wie hier - dasselbe Rauschgift betreffen (st. Rspr., vgl. nur Senatsbeschluss vom 7. Oktober 1997 - 4 StR 415/97, StV 1998, 594 mwN). Dass der Angeklagte T. zunächst davon ausging, dem Zeugen B. die 15 g Heroin endgültig überlassen zu haben und nur noch die Auskehrung des Verkaufserlöses abwarten zu müssen, rechtfertigt keine andere Bewertung; beide Aushändigungen des Heroins an den Zeugen B. waren auf die Abwicklung ein- und desselben Rauschgiftgeschäftes gerichtet (vgl. Senatsurteil vom 13. Dezember 2012 - 4 StR 99/12; vgl. auch Senatsbeschluss vom 25. Januar 2011 - 4 StR 689/10 mwN).
c) Wegen der Akzessorietät der Beihilfe werden auch die verschiedenen Beihilfehandlungen des C. Te. zu einer Tat im Rechtssinne zusammengefasst (vgl. Senatsurteil vom 13. Dezember 2012 - 4 StR 99/12 mwN).
2. Im Übrigen weist die Beurteilung der Konkurrenzen durch das Landgericht keinen die Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler auf. Zwar liegt nach den Feststellungen wegen der vergleichbaren chemischen Zusammensetzung des beim Angeklagten T. einerseits und des beim Zeugen B. andererseits sichergestellten Heroins nahe, dass alle Einzellieferungen aus derselben Gesamtmenge stammten; es ergeben sich jedoch auch aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe keine Anhaltspunkte dafür, dass gerade einer der Angeklagten diese Gesamtmenge auch nur vorübergehend in seinem Besitz hatte. Festgestellte Einzelveräußerungen nur deshalb zu einer Bewertungseinheit zusammenzufassen, weil die nicht näher konkretisierte Möglichkeit besteht, dass sie ganz oder teilweise aus einem Verkaufsvorrat der Angeklagten stammen, ist nicht geboten (vgl. Senatsurteil vom 23. März 1995 - 4 StR 746/94, BGHR StGB § 52 Abs. 1 in dubio pro reo 6).
3. Der Senat kann die erforderlichen Schuldspruchänderungen selbst vornehmen. § 265 StPO steht dem nicht entgegen, weil sich die Angeklagten T. und C. Te. nicht wirksamer als geschehen hätten verteidigen können.
Danach entfallen die im Fall II.5 der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen von zehn Monaten Freiheitsstrafe gegen den Angeklagten T. bzw. sechs Monaten Freiheitsstrafe gegen den Angeklagten C. Te. Angesichts der im Fall II.6 der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen von drei Jahren Freiheitsstrafe gegen den Angeklagten T. bzw. von fünf Jahren und drei Monaten gegen den Angeklagten C. Te. sowie der übrigen Einzelstrafen kann der Senat ausschließen, dass die Gesamtfreiheitsstrafen bei zutreffender Beurteilung des Konkurrenzverhältnisses niedriger ausgefallen wären.
Dass das Landgericht davon abgesehen hat, den Angeklagten T. in einer Entziehungsanstalt unterzubringen, hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
Das Landgericht hat die Anordnung der Maßregel mit der Erwägung abgelehnt, dass der Angeklagte zwar einen Hang im Sinne des § 64 StGB habe, Cannabis zu sich zu nehmen, die Begehung der verfahrensgegenständlichen Taten aber nicht auf diesen Hang zurückgehe. Für diese habe der tägliche Konsum von Kokain "die ausschlaggebende Rolle gespielt", den der Angeklagte jedoch so weit reduziert habe, dass er es nur noch "äußerst selten" zu sich nehme, weshalb das Landgericht einen Hang des Angeklagten T., Kokain im Übermaß zu sich zu nehmen, nicht angenommen hat.
Diese Einschätzung wird von den - teilweise widersprüchlichen und unklaren - Feststellungen nicht getragen. Bereits der Umfang des aktuellen Cannabis- und Kokainkonsums des Angeklagten T. kann den Feststellungen nicht klar entnommen werden. So heißt es im Rahmen der Darstellung der persönlichen Verhältnisse, der Angeklagte T. konsumiere seit dem Jahre 2003 täglich Cannabis, wobei die tägliche Menge im Laufe der Jahre größer geworden sei und Anfang 2010 bei zwei bis drei Gramm gelegen habe (UA 12 f.). An anderer Stelle führt das Landgericht demgegenüber aus, er habe nach Entlassung aus der Untersuchungshaft im September 2010 seinen Cannabiskonsum reduziert und es an Wochenenden regelmäßig, während der Woche nur noch gelegentlich konsumiert. Zum Kokainkonsum hat das Landgericht lediglich festgestellt, dass der Angeklagte T., der im Tatzeitraum etwa zwei bis drei Gramm täglich verbraucht habe, auch diesen nach der Haftentlassung reduziert habe und nur noch "sehr selten" Kokain zu sich nehme (UA 31). Auch die Annahme des Landgerichts, die Taten stünden mit dem Hang des Angeklagten T., Cannabis im Übermaß zu sich zu nehmen, in keinem Zusammenhang, widerspricht den Feststellungen. Danach beging der Angeklagte die Taten weil er "Geld für den Erwerb von Drogen, insbesondere" - also nicht ausschließlich - "für Kokain" benötigte (UA 16). Es ist schließlich nicht ersichtlich, dass der Angeklagte T., der im Tatzeitraum wie heute seinen Lebensunterhalt von Arbeitslosengeld II bestritt, seinen umfangreichen Cannabisverbrauch aus legalen Mitteln hätte finanzieren können.
Über die Frage der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt ist daher erneut zu befinden.
Der geringfügige Teilerfolg des Rechtsmittels des Angeklagten C. Te. rechtfertigt es nicht, ihn von den Kosten des Revisionsverfahrens teilweise freizustellen (§ 473 Abs. 4 StPO; vgl. Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 473 Rn. 25 f.).
HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 307
Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel