HRRS-Nummer: HRRS 2012 Nr. 845
Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 139/12, Beschluss v. 19.06.2012, HRRS 2012 Nr. 845
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Siegen vom 1. Dezember 2011
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der Freiheitsberaubung in Tateinheit mit versuchter Nötigung schuldig ist;
b) im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Freiheitsberaubung in Tateinheit mit Nötigung zu der Jugendstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel führt zu einer Änderung des Schuldspruchs und zur Aufhebung im Strafausspruch; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Verurteilung wegen tateinheitlich begangener vollendeter Nötigung nach § 240 Abs. 1 StGB kann nicht bestehen bleiben.
Nach den Feststellungen fuhr der Angeklagte am Tattag gegen 22.30 Uhr mit der Geschädigten, seiner ehemaligen Freundin, die er zuvor unter einem Vorwand zum Mitfahren veranlasst hatte, in einen Wald. Dort hielt er an und bedrohte die Geschädigte über einen Zeitraum von ca. einer halben Stunde mit einer ihr gegenüber als echte Waffe bezeichneten Softair-Pistole, wobei er mit der Pistole hektisch herumhantierte und sie der Geschädigten auch für wenige Sekunden an die linke Seite ihres Kopfes hielt. Mit seinem Verhalten wollte der Angeklagte der Geschädigten Angst einjagen. Er hatte die Vorstellung, dass dies für ihn das letzte Mittel sei, ihr zu zeigen, dass er es ernst meine und er sich gegenüber seinem vorherigen Verhalten geändert habe. Er wollte sie dadurch bewegen, die Beziehung zu ihm wieder aufzunehmen.
Die Geschädigte, die die Pistole für echt hielt und in Todesangst geriet, erzählte dem Angeklagten in ihrer Panik, dass sie ihn noch liebe, ihn zurückhaben wolle und sie es noch einmal miteinander versuchen sollten. Sie schlug ihm auch vor, gemeinsam aus dem Siegerland wegzugehen. Daraufhin ließ der Angeklagte von ihr ab und legte die Softair-Pistole wieder in das Handschuhfach seines Autos. Das Ansinnen der Geschädigten, die Pistole wegzuwerfen, lehnte er mit der Bemerkung ab, dass es sein könne, dass sie ihn anlüge und er die Waffe noch brauchen würde.
Diese Sachverhaltsfeststellungen ergeben nicht, dass der Angeklagte eine vollendete Nötigung begangen hat. § 240 StGB ist als Erfolgsdelikt ausgestaltet. Die tatbestandsmäßige Nötigungshandlung des Täters muss in kausalem Sinne zu dem vom Täter geforderten Verhalten des Opfers führen. Vollendet ist die Nötigung erst dann, wenn der Genötigte die verlangte Handlung vorgenommen oder zumindest mit ihrer Ausführung begonnen hat. Ein Teilerfolg, der mit Blick auf ein weitergehendes Ziel jedenfalls vorbereitend wirkt, kann für die Annahme einer vollendeten Nötigung ausreichen, wenn die abgenötigte Handlung des Opfers nach den Vorstellungen des Täters eine eigenständig bedeutsame Vorstufe des gewollten Enderfolgs darstellt (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Dezember 2003 - 3 StR 421/03, NStZ 2004, 442; Urteile vom 14. Januar 1997 - 1 StR 507/96, NJW 1997, 1082; vom 20. Juni 2007 - 1 StR 157/07, StV 2008, 249). Entgegen der Auffassung des Landgerichts liegt in der Erklärung der Geschädigten, zu dem Angeklagten zurückzukehren, kein die Annahme einer vollendeten Nötigung rechtfertigender Teilerfolg. Das drohende Verhalten des Angeklagten zielte darauf ab, die Geschädigte zur Wiederaufnahme und Fortsetzung der Beziehung mit ihm zu bewegen.
Die Tat war damit auf ein Verhalten der Geschädigten in der Zukunft gerichtet. Eine von der Geschädigten abzugebende Erklärung über ihr künftiges Verhalten war dagegen nach den Feststellungen vom Angeklagten nicht gewollt.
Die Äußerungen der Geschädigten sind auch nicht als eigenständig bedeutsame Vorstufe des vom Angeklagten erstrebten künftigen Verhaltens der Geschädigten anzusehen. Zum einen entnimmt der Senat den Urteilsgründen, dass die entsprechende Ankündigung von der Geschädigten ersichtlich nicht ernst gemeint war (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Dezember 2003 - 3 StR 421/03, aaO). Zum anderen zeigt die Bemerkung des Angeklagten im Zusammenhang mit seiner Weigerung, die Softair-Pistole wegzuwerfen, dass der Angeklagte selbst die Erklärung der Geschädigten nicht als verbindlich ansah.
Da weitere Feststellungen zum Tatgeschehen in einer neuerlichen Hauptverhandlung nicht zu erwarten sind, ändert der Senat den Schuldspruch entsprechend. § 265 StPO steht nicht entgegen, weil der geständige Angeklagte sich nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.
2. Der Strafausspruch hält unabhängig von der Schuldspruchänderung einer rechtlichen Prüfung nicht stand, weil es die Jugendkammer versäumt hat, nach § 105 Abs. 2 JGG i.V.m. § 31 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 JGG über die Einbeziehung des noch nicht erledigten Urteils des Amtsgerichts Siegen vom 22. Dezember 2010 zu entscheiden. Durch dieses seit 30. Dezember 2010 rechtskräftige Urteil wurde der Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung und Sachbeschädigung in acht Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt, deren Vollstreckung für die Dauer von zwei Jahren zur Bewährung ausgesetzt wurde. Von der Einbeziehung der früheren Verurteilung darf nur ausnahmsweise abgesehen werden, wenn dies aus erzieherischen Gründen zweckmäßig ist (§ 105 Abs. 2 JGG i.V.m. § 31 Abs. 3 Satz 1 JGG). Dabei erfordert ein Absehen von der Einbeziehung Gründe, die unter dem Gesichtspunkt der Erziehung von ganz besonderem Gewicht sind und zur Verfolgung dieses Zwecks über die üblichen Strafzumessungsgesichtspunkte hinaus das Nebeneinander zweier Strafen notwendig erscheinen lassen (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Juni 2010 - 4 StR 208/10, StV 2011, 590 m.w.N.).
3. Mit Blick auf das Vorbringen in der Revisionsbegründung weist der Senat darauf hin, dass die Anklageerhebung gegen den Angeklagten in einem anderen Verfahren keinen in die Gesamtabwägung nach § 21 Abs. 1 und 2 JGG einzustellenden Gesichtspunkt darstellt, weil diesem Umstand für sich genommen kein prognoserelevanter Aussagegehalt zukommt. Berücksichtigung finden können dagegen noch nicht rechtskräftig abgeurteilte Straftaten, sofern der Tatrichter hierzu prozessordnungsgemäß eigene Feststellungen trifft (vgl. zu § 56 StGB BGH, Beschluss vom 23. Mai 1995 - 4 StR 184/95, StV 1995, 521 m.w.N.; Mosbacher in Satzger/Schmitt/Widmaier, StGB, § 56 Rn. 16; Stree/ Kinzig in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., § 56 Rn. 21).
HRRS-Nummer: HRRS 2012 Nr. 845
Externe Fundstellen: NStZ 2013, 36; StV 2013, 215
Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel