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HRRS-Nummer: HRRS 2012 Nr. 439

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 498/11, Urteil v. 08.03.2012, HRRS 2012 Nr. 439


BGH 4 StR 498/11 - Urteil vom 8. März 2012 (LG Saarbrücken)

Verurteilung wegen Mordes auf wahldeutiger Grundlage (Verdeckungsabsicht; Heimtücke; niedrige Beweggründe).

Vor § 1 StGB; § 211 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Eine Verurteilung auf wahldeutiger Tatsachengrundlage ist auch im Hinblick auf die alternative Verwirklichung verschiedener Mordmerkmale rechtlich möglich (BGHSt 22, 12 f.). Sie setzt voraus, dass bei sämtlichen Sachverhaltsvarianten, welche der Tatrichter nach Ausschöpfung aller Beweismittel unter Ausschluss anderweitiger Geschehensabläufe für möglich erachtet, eines der Mordmerkmale erfüllt ist. Die Urteilsgründe müssen in einem solchen Fall anstelle der für erwiesen erachteten Tatsachen, in denen die Merkmale der strafbaren Handlung gefunden werden, den äußeren und inneren Sachverhalt der Verhaltensweisen schildern, die nach Überzeugung des Gerichts allein in Betracht kommen; andere Möglichkeiten müssen sicher ausgeschlossen sein.

2. Die Tötung und die andere Straftat müssen für einen Verdeckungsmord nicht im Verhältnis der Tatmehrheit stehen; verdeckt oder ermöglicht werden kann auch eine in Tateinheit stehende Tat.

3. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt es für die Beurteilung der Frage, ob das Tatopfer arglos war, auf die Lage bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs an (stRspr). Auf die Arglosigkeit während der Ausführung des Geschlechtsverkehrs kann hierfür nicht abgestellt werden, wenn ein Tötungsvorsatz des Angeklagten während dieser Handlung nicht festgestellt wurde.

Entscheidungstenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 17. Mai 2011 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat im Ergebnis keinen Erfolg.

I.

Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

1. Der Angeklagte, Zeitsoldat der Bundeswehr, lernte das spätere Opfer M. R. im Januar 2010 kennen. Während sich das Tatopfer in den Angeklagten verliebte und eine ernsthafte, langfristige Beziehung erhoffte, legte der Angeklagte, der nur an kurzfristigen, vorwiegend auf sexuelle Aktivitäten beschränkten Beziehungen mit Frauen interessiert war, darauf keinen Wert. Er beendete die Beziehung bereits im März 2010; M. R. zeigte sich hiervon enttäuscht und verletzt. Nachdem die Verbindung zwischen beiden im Mai 2010 endgültig abgerissen war, kam es im Juli 2010 am Rande eines Dorffestes zu einem erneuten Zusammentreffen und anschließend zu einvernehmlichem Geschlechtsverkehr. Da sich auch daraus die vom Tatopfer gewünschte längere Beziehung nicht ergab, entschloss sich M. R. nunmehr, die Verbindung zum Angeklagten endgültig abzubrechen.

Am Abend des 21. August 2010, als sich M. R. mit Bekannten in einem Lokal in W. aufhielt, erreichte sie eine SMS des Angeklagten mit dem Vorschlag, sich noch in der Nacht zu treffen; sie willigte ein und wurde vom Angeklagten zwischen 0.00 Uhr und 0.30 Uhr in der Gaststätte mit seinem Pkw abgeholt. Nachdem er an einer in der Nähe gelegenen Tankstelle Bier und - vom Tatopfer unbemerkt - eine Packung Kondome gekauft hatte, fuhr der Angeklagte mit M. R. in ein Waldgebiet nahe der Ortschaft E. und dort auf einen Feldwirtschaftsweg. Dort führte er, wie von ihm geplant, mit dem Tatopfer den Geschlechtsverkehr durch, wobei das Landgericht nicht festzustellen vermochte, ob dies einvernehmlich oder gegen den Willen von M. R. geschah. Kurz darauf stach der Angeklagte dem Opfer mindestens dreimal mit seinem Bundeswehrkampfmesser mit einer Klingenlänge von 17 cm in den Hals, wodurch es innerhalb weniger Minuten infolge Verblutens verstarb. Den Leichnam von M. R. zog der Angeklagte noch einige Meter weiter in den Wald hinein und deckte ihn mit Zweigen ab, begoss ihn mit Benzin und zündete ihn an. Der größtenteils verbrannte und skelettierte Leichnam wurde eine Woche später entdeckt.

Am Morgen nach der Tat fuhr der Angeklagte gegen 6.00 Uhr mit seinem Auto auf einer Landstraße bei N. auf einen vor ihm fahrenden Bekannten zu, betätigte dabei die Lichthupe, überholte ihn und grüßte ihn mit einem Lachen sowie einem angedeuteten Handkuss. Mit Hilfe des Wohnungsschlüssels der M. R., der sich in der im Auto zurückgebliebenen Handtasche des Tatopfers befand, drang der Angeklagte am folgenden Abend in ihre Wohnung ein und nahm ihr Mobiltelefon, ihre EC-Karte und den in der Wohnung vorhandenen Flachbildfernseher an sich, den er am Folgetag für 300 Euro an eine ehemalige Freundin verkaufte.

2. Das Landgericht hat sich, insbesondere auf der Grundlage des Tatortbefundes sowie der Bekundungen der gerichtsmedizinischen Sachverständigen, davon überzeugt, dass der Angeklagte mit dem Tatopfer zunächst Geschlechtsverkehr hatte und dieses unmittelbar im Anschluss daran am Auffindeort der Leiche durch mehrere Stiche mit seinem Bundeswehrmesser in den Hals tötete. Es hat die Einlassung des Angeklagten, der (einvernehmliche) Geschlechtsverkehr habe auf dem Gelände einer nahegelegenen Burg stattgefunden und der Tod der M. R. sei auf einen Sturz zurückzuführen, der sich im Zuge eines Streites ereignet habe, in dessen Verlauf er M. R. habe deutlich machen wollen, dass er keine ernsthafte Beziehung wünsche, als widerlegt angesehen. Sollte der Geschlechtsverkehr vor der Tat vom Angeklagten erzwungen worden sein, habe der Angeklagte sein Opfer unmittelbar danach getötet, um diese Straftat zu verdecken. Für den Fall eines einvernehmlichen Geschlechtsverkehrs hat das Landgericht in Ermangelung objektiver Beweisanzeichen für ein länger andauerndes, eskalierendes Kampfgeschehen angenommen, der Angeklagte habe M. R. im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Durchführung des Geschlechtsverkehrs heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen getötet, da er sich des Tatopfers habe entledigen wollen, das für ihn lediglich als Sexualobjekt von Interesse gewesen und dessen Insistieren auf einer längerfristigen Liebesbeziehung ihm zunehmend lästig gefallen sei.

II.

Den Verfahrensrügen bleibt der Erfolg aus den zutreffenden Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 14. Oktober 2011 versagt.

III.

Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf Grund der Sachrüge hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Die Verurteilung wegen Mordes auf wahldeutiger Tatsachengrundlage hält im Ergebnis rechtlicher Nachprüfung stand.

1. Eine Verurteilung auf wahldeutiger Tatsachengrundlage ist auch im Hinblick auf die alternative Verwirklichung verschiedener Mordmerkmale rechtlich möglich (BGH, Urteil vom 1. Dezember 1967 - 4 StR 523/67, BGHSt 22, 12 f.; Urteil vom 16. Dezember 1998 - 2 StR 340/98, NStZ-RR 1999, 106; Urteil vom 24. Februar 1999 - 3 StR 520/98, NStZ-RR 1999, 234). Sie setzt voraus, dass bei sämtlichen Sachverhaltsvarianten, welche der Tatrichter nach Ausschöpfung aller Beweismittel unter Ausschluss anderweitiger Geschehensabläufe für möglich erachtet, eines der Mordmerkmale erfüllt ist (BGH, Urteil vom 16. Dezember 1998 aaO). Die Urteilsgründe müssen in einem solchen Fall anstelle der für erwiesen erachteten Tatsachen, in denen die Merkmale der strafbaren Handlung gefunden werden, den äußeren und inneren Sachverhalt der Verhaltensweisen schildern, die nach Überzeugung des Gerichts allein in Betracht kommen; andere Möglichkeiten müssen sicher ausgeschlossen sein (BGH, Urteil vom 22. Januar 1986 - 3 StR 474/85, StV 1987, 378 m.w.N.).

2. Danach ist die vom Landgericht vorgenommene rechtliche Bewertung jedenfalls insoweit aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, als ihr die Annahme zu Grunde liegt, der Angeklagte habe sein Tatopfer entweder zur Verdeckung einer Straftat oder - im Fall eines einvernehmlichen vorausgegangenen Geschlechtsverkehrs - aus niedrigen Beweggründen getötet. Ob der Angeklagte im Fall eines einvernehmlichen Geschlechtsverkehrs das Tatopfer auch heimtückisch getötet hat, kann deshalb offen bleiben.

a) Rechtsfehlerfrei ist die Auffassung des Landgerichts, für den Fall eines Geschlechtsverkehrs gegen den Willen des Tatopfers sei dessen anschließende Tötung als Verdeckungsmord zu beurteilen. Bei Annahme einer vorausgegangenen Vergewaltigung kommt auf der Grundlage der vom Landgericht getroffenen Feststellungen nur in Betracht, dass der Angeklagte M. R. tötete, weil er sonst die Entdeckung der Vergewaltigung befürchtete. Dass die Tötung in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit der Durchführung des Geschlechtsverkehrs stand, hindert die Annahme eines Verdeckungsmordes nicht. Die Tötung und die andere Straftat müssen nicht im Verhältnis der Tatmehrheit stehen; verdeckt oder ermöglicht werden kann auch eine in Tateinheit stehende Tat (BGH, Urteil vom 2. Dezember 1987 - 2 StR 559/87, BGHSt 35, 116, 120 f.; vgl. SSW-StGB/Momsen, § 211 Rn. 69; Fischer StGB, 59. Aufl., § 211 Rn. 70 m.w.N.).

b) Die Annahme einer Tötung des Opfers aus niedrigen Beweggründen im Fall des einvernehmlichen Geschlechtsverkehrs wird von den insoweit rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts ebenfalls getragen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind die Voraussetzungen des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe dann gegeben, wenn die Motive einer Tötung nach allgemeiner sittlicher Anschauung verachtenswert sind und auf tiefster Stufe stehen, wenn die tatmotivierende Gefühlsregung jeglichen nachvollziehbaren Grundes entbehrt oder wenn die Motive in deutlich weiterreichendem Maße als bei einem Totschlag verachtenswert erscheinen (BGH, Beschluss vom 20. August 1996 - 4 StR 361/96, BGHSt 42, 226, 228; Fischer, aaO Rn. 14). Die Beurteilung von Beweggründen als niedrig im Sinne des § 211 StGB setzt eine Gesamtwürdigung voraus, bei der dem Tatrichter ein Beurteilungsspielraum zukommt, den das Revisionsgericht nicht durch eigene Erwägungen ausfüllen kann (BGH, Urteil vom 2. Dezember 1987 - 2 StR 559/87, BGHSt 35, 116, 121 f.; Senatsurteil vom 19. Juni 2008 - 4 StR 105/08, NStZ-RR 2008, 308).

Das Landgericht hat die grundlegend unterschiedlichen Erwartungen des Angeklagten einerseits und des Tatopfers M. R. andererseits an die von ihnen geführte Beziehung unter Berücksichtigung der Entwicklung vor der Tat sowie des Nachtatverhaltens des Angeklagten anlässlich seiner Begegnung mit einem Bekannten in den frühen Morgenstunden einer umfassenden Würdigung unterzogen. Dass sich der Angeklagte unmittelbar nach der Tat Gegenstände aus der Wohnung des Opfers zueignete, konnte es dabei ebenfalls in den Blick nehmen. Nach den zum Vortatgeschehen getroffenen Feststellungen war dem Angeklagten nach mehreren Gesprächen mit dem Tatopfer bewusst, dass dieses nicht dazu bereit war, rein körperlich-sexuellen Bedürfnissen losgelöst von tiefer emotionaler Verbundenheit nachzugeben. Von dieser Einstellung der in ihn verliebten M. R. fühlte er sich zunehmend "genervt". Die Bewertung des Motivs des Angeklagten für die Tötung als nach allgemeiner sittlicher Anschauung verachtenswert, da er sich von dem Ansinnen des Opfers nach Aufnahme einer ernsthaften, längerfristigen Liebesbeziehung belästigt fühlte und das Verhältnis für ihn vorwiegend der sexuellen Befriedigung diente, ist danach nicht zu beanstanden. Auch zu den subjektiven Erfordernissen dieses Mordmerkmals reichen die Feststellungen aus. Der Täter muss die Umstände, welche die Niedrigkeit der Beweggründe ausmachen, ins Bewusstsein aufgenommen haben und in der Lage gewesen sein, sie gedanklich zu beherrschen und willensmäßig zu steuern (BGH, Urteil vom 17. November 1987 - 1 StR 550/87, BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 6 m.w.N.).

c) Bedenken begegnet indes die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe M. R. - einvernehmlichen Geschlechtsverkehr vorausgesetzt - auch heimtückisch getötet.

Fraglich ist zum einen, ob die Strafkammer mit der Erwägung, es sei kaum ein argloserer Zustand vorstellbar als der einer jungen Frau, die mit einem Mann, für den sie Gefühle hege, den Geschlechtsverkehr ausübe, für die Beurteilung der Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers auf den rechtlich zutreffenden Zeitpunkt abgestellt hat. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt es für die Beurteilung der Frage, ob das Tatopfer arglos war, auf die Lage bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs an (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 4. Juli 1984 - 3 StR 199/84, BGHSt 32, 382, 384 f.). Das Landgericht hat jedoch gerade nicht festgestellt, dass der Angeklagte bereits zu Beginn der Ausführung des Geschlechtsverkehrs einen Tötungsvorsatz gefasst hatte. Zum anderen ist auch zweifelhaft, ob die Urteilsgründe das Ausnutzungsbewusstsein des Angeklagten hinreichend belegen.

Dies bedarf indes keiner abschließenden Entscheidung durch den Senat.

Der Schuldspruch wahlweise wegen Mordes in Verdeckungsabsicht bzw. aus einem sonstigen niedrigen Beweggrund ist rechtsfehlerfrei. Auf einem möglichen Rechtsfehler bei der Beurteilung der Voraussetzungen der Heimtücke kann das Urteil daher nicht beruhen (§ 337 StPO). Auch die Auffassung der Strafkammer, die Tötung habe sich im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit dem Geschlechtsverkehr ereignet, weshalb Geschehensvarianten, die das Vorliegen von Mordmerkmalen schlechthin in Frage stellen könnten, auszuschließen seien, beruht auf möglichen und damit vom Revisionsgericht hinzunehmenden Schlussfolgerungen. In diesem Zusammenhang konnte das Landgericht insbesondere den Umstand heranziehen, dass das Tatopfer zu einem Zeitpunkt getötet wurde, als es seine Hose noch nicht wieder angezogen hatte.

HRRS-Nummer: HRRS 2012 Nr. 439

Externe Fundstellen: NStZ 2012, 441

Bearbeiter: Karsten Gaede