HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 376
Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 540/10, Beschluss v. 21.12.2010, HRRS 2011 Nr. 376
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 26. Mai 2010 mit den Feststellungen, ausgenommen derjenigen zum äußeren Tatgeschehen, aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Totschlags und gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt und ihre Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die Revision der Angeklagten, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat im wesentlichen Erfolg.
Die Strafkammer hat das Vorliegen der Voraussetzungen des § 20 StGB mit in sich widersprüchlicher und deshalb nicht tragfähiger Begründung verneint.
Die Strafkammer folgt eingangs der Beweiswürdigung zur Schuldfähigkeit der Angeklagten der Einschätzung des Sachverständigen, "dass die Steuerungsfähigkeit der Angeklagten, also die Fähigkeit im Sinne des § 21 StGB nach einer noch gegebenen Einsicht in das Unrecht der Tat zu handeln, zum Zeitpunkt sowohl des Körperverletzungsdelikts vom 31.01.2009 als auch des Tötungsdelikts vom 13.10.2009 aufgrund eines der in § 20 StGB bezeichneten Gründe erheblich vermindert war" (UA S. 35). Dass die Angeklagte Einsicht in das Unrecht der Tat hatte, wird nicht näher begründet. Im Widerspruch hierzu heißt es in den von der Strafkammer wiedergegebenen Ausführungen des Sachverständigen an anderer Stelle, dass die mittlerweile eingetretene Persönlichkeitsdepravation die Voraussetzung dafür geschaffen habe, dass die langjährig drogen- und alkoholabhängige Angeklagte bei akuten Intoxikationen in psychomotorische Erregungszustände verfalle, "in denen sie zwar noch möglicherweise Unrechtseinsicht gemäß §§ 20, 21 StGB habe, aber jedenfalls nicht mehr in vollem Umfang fähig sei, danach zu handeln" (UA S. 36).
Danach ist nicht ausgeschlossen, dass der Angeklagten die Unrechtseinsicht ganz gefehlt hat. War in diesem Fall der Angeklagten das Fehlen der Unrechtseinsicht nicht vorzuwerfen, wofür ihre krankhafte Alkoholabhängigkeit sprechen könnte (UA S. 41), handelte sie ohne Schuld. Zwar ist eine fehlende Unrechtseinsicht angesichts der Tatbilder hier nicht nahe liegend. Sie lässt sich aber auch nicht mit hinreichender Sicherheit ausschließen. Der Sachverständige hat neben der Polytoxikomanie (ICD 10: F19.21 und F10.21) einen medizinisch so genannten Restzustand und verzögert auftretende psychotische Störungen (mit residualer Persönlichkeitsund Verhaltensstörung, ICD 10: F10.71) diagnostiziert, ohne dass die Auswirkungen auf die Einsichtsfähigkeit näher dargelegt werden. Die Strafkammer selbst geht davon aus, dass die Angeklagte "nicht bewusst sich gegen die Rechtsordnung entscheidet" (UA S. 40).
Ob die Angeklagte bei Begehung der Taten Einsicht in das Unrecht ihres Tuns hatte oder ob diese Einsicht fehlte, ist deshalb für den Senat anhand der Urteilsgründe nicht nachzuvollziehen. Mithin kann auch nicht überprüft werden, ob die Strafkammer die Voraussetzungen des § 20 StGB im Ergebnis zu Recht verneint hat.
Über die Sache ist deshalb erneut zu verhandeln und zu entscheiden. Einer Aufhebung der Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen bedarf es nicht, da diese rechtsfehlerfrei getroffen worden sind. Der neue Tatrichter sollte erwägen, einen weiteren Sachverständigen heranzuziehen.
HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 376
Bearbeiter: Karsten Gaede