HRRS-Nummer: HRRS 2010 Nr. 128
Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 390/09, Urteil v. 10.12.2009, HRRS 2010 Nr. 128
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 16. Februar 2009 wird verworfen.
2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit (vorsätzlicher) Körperverletzung in zwei Fällen sowie wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Zugleich hat es seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet.
Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel ist unbegründet.
1. Die erhobene Verfahrensrüge, mit der die Ablehnung von Beweisanträgen auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin beanstandet wird, kann aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts keinen Erfolg haben.
2. Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge hat ebenfalls keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Insbesondere ist die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht zu beanstanden (zur eingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfbarkeit tatrichterlicher Beweiswürdigung vgl. nur BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 2, 11 m.w.N.).
a) Das Landgericht hat den Angeklagten, der sich in der Hauptverhandlung zur Sache nicht eingelassen hat, im Wesentlichen durch die Angaben der Nebenklägerin als überführt angesehen. Hierbei hat es deren Glaubwürdigkeit einer sorgfältigen und eingehenden Überprüfung unterzogen und ist namentlich angesichts des Detailreichtums der Angaben, der Konstanz der Aussage zum Kerngeschehen sowie des Aussageverhaltens der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung nach der gebotenen Gesamtwürdigung (vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 1, 2 und 14) zu der Überzeugung gelangt, dass sie tatsächlich Erlebtes geschildert hat.
b) Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts hat das Landgericht bei der Bewertung der Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin auch ohne Rechtsfehler in seine Überlegungen mit eingestellt, dass die Nebenklägerin im Februar 2006, das heißt ca. zwei Jahre vor den verfahrensgegenständlichen Taten, bei der Polizei einen Vorfall zur Anzeige gebracht hat, der sich möglicherweise tatsächlich nicht ereignet hatte.
aa) Nach den Urteilsfeststellungen hatte damals die Nebenklägerin nach vorausgegangenem Drogenkonsum bei der Polizei angezeigt, von einem ihr unbekannten Mann in einen Keller verschleppt, dort mehrere Tage hindurch gefangen gehalten und mehrmals vergewaltigt worden zu sein. Die die Anzeige aufnehmende Polizeibeamtin hatte bei der Nebenklägerin keine Verletzungen feststellen können, vielmehr befand sich diese ihrer Auffassung nach in Anbetracht des geschilderten Geschehens in "einer erstaunlich guten Verfassung".
Insbesondere hätten sich ihre Kleidung, Haare und Gesichtsschminke "in einem viel zu normalen Zustand" befunden. Allerdings habe die Nebenklägerin glaubhaft von dem Vorfall berichtet und vermutlich selbst an das Geschehen geglaubt, und zwar nach Einschätzung der Polizeibeamtin deshalb, weil sie vor Anzeigeerstattung Betäubungsmittel mit halluzinogener Wirkung konsumiert hatte. Das Verfahren wurde schließlich eingestellt, weil ein Täter nicht ermittelt werden konnte.
bb) In der Hauptverhandlung hat die Nebenklägerin den Vorfall aus dem Jahre 2006 unter Angabe von Einzelheiten im Wesentlichen so geschildert, wie sie ihn damals zur Anzeige gebracht hatte. Zu ihrem, bei der Anzeigeerstattung mit dem angezeigten Tatgeschehen nicht ohne Weiteres zu vereinbarenden äußeren Erscheinungsbild hat sie angegeben, dass sie sich zuvor mit einem Kamm und mit Schminke zurechtgemacht habe.
cc) Ob die von der Nebenklägerin 2006 erstattete Anzeige der Wahrheit entsprach, hat das Landgericht nicht klären können. Diesem Umstand komme - so das Landgericht - für die Bewertung der Aussage der Nebenklägerin in diesem Verfahren aber auch keine Bedeutung zu. Denn nach dem Gesamtergebnis der Beweisaufnahme begründe die Möglichkeit, dass die Anzeige der Nebenklägerin in jenem Fall nicht wahrheitsgemäß war, keine vernünftigen Zweifel an der Glaubhaftigkeit ihrer hier der Verurteilung zu Grunde gelegten Angaben.
Im vorliegenden Fall habe sich kein Hinweis darauf ergeben, dass die Angaben der Nebenklägerin aufgrund einer Beeinträchtigung ihrer Aussagetüchtigkeit durch halluzinogene Wirkungen von Alkoholoder/und Drogenmissbrauch zustande gekommen sein könnten.
dd) Diese Erwägungen lassen einen Rechtsfehler nicht erkennen. Die Urteilsfeststellungen geben keinen konkreten Anhalt dafür, dass die Nebenklägerin sich vor der Anzeige im vorliegenden Verfahren in einem Alkohol- oder Drogenrausch befunden haben könnte, der dazu hätte führen können, dass ihre Erinnerung an die hier verfahrensgegenständlichen Tatgeschehen auf einem halluzinatorischem Erleben beruht. Dagegen spricht vielmehr, dass es sich vorliegend um einzelne, sachlich und zeitlich klar abgrenzbare und jeweils für sich gesehen nachvollziehbare Vorfälle handelt, die von der Nebenklägerin auch nicht sofort zur Anzeige gebracht worden sind, sondern erst, nachdem sie zuvor bei verschiedenen Personen, unter anderem bei einem Rechtsanwalt und einem Bewährungshelfer, um Hilfe und Rat nachgesucht hat. Allein der Umstand, dass die Nebenklägerin im relevanten Zeitraum Alkohol konsumiert hat, vermag für sich gesehen nicht bereits Zweifel an der tatsächlichen Erlebnisbezogenheit ihrer Angaben begründen. Das Landgericht war daher nicht gehalten, die lediglich gedankliche, abstrakt-theoretische Möglichkeit, die Aussage der Nebenklägerin könne auf Halluzinationen beruhen, seiner Überzeugungsbildung zu Grunde zu legen (vgl. auch Senatsurteil vom 15. Oktober 2009 - 4 StR 287/09 Rz. 9 m.w.N.).
HRRS-Nummer: HRRS 2010 Nr. 128
Bearbeiter: Karsten Gaede