HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 863
Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 188/09, Beschluss v. 24.06.2009, HRRS 2009 Nr. 863
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Landau in der Pfalz vom 21. November 2008 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten dieses Rechtsmittels zu tragen.
2. Für die Entscheidung über die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen die in dem vorgenannten Urteil zum Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit von Ermittlungsmaßnahmen getroffene Entscheidung ist nicht der Bundesgerichtshof, sondern das Pfälzische Oberlandesgericht Zweibrücken zuständig.
An dieses wird das Verfahren insofern abgegeben.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlichen Vollrauschs unter Einbeziehung mehrerer früher verhängter Strafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt und angeordnet, dass als Entschädigung für die überlange Verfahrensdauer ein Jahr dieser Strafe als vollstreckt gilt. Ferner hat es einen unter anderem auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit von Ermittlungsmaßnahmen gerichteten, insofern auf § 101 Abs. 7 StPO gestützten Antrag des Angeklagten zurückgewiesen. Gegen das Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision. Zudem beantragt er erneut, die Rechtswidrigkeit von Ermittlungsmaßnahmen festzustellen.
Die Revision des Angeklagten ist unbegründet.
Zu den vom Angeklagten als rechtswidrig beanstandeten Ermittlungsmaßnahmen ist eine (zulässige) Verfahrensrüge nicht erhoben. Der von seiner Verteidigerin gestellte, indes nicht näher begründete Antrag auf Überprüfung der Rechtmäßigkeit dieser Maßnahmen entspricht nicht den sich aus § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ergebenden Anforderungen.
Die Sachrüge ist - auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der Verteidigerin des Angeklagten im Schriftsatz vom 9. Juni 2009 - unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Dass die Strafkammer als Rauschtat hinsichtlich der Brandlegung lediglich eine fahrlässige Brandstiftung - und nicht § 306c StGB - angenommen hat, beschwert den Angeklagten nicht.
Zur Entscheidung über den als sofortige Beschwerde zu behandelnden Antrag des Angeklagten, gemäß § 101 Abs. 7 StPO die Rechtswidrigkeit von Ermittlungsmaßnahmen festzustellen, ist nicht der Bundesgerichtshof, sondern das Pfälzische Oberlandesgericht Zweibrücken berufen. Dorthin ist das Verfahren insofern abzugeben.
1. Der sofortigen Beschwerde liegt im Wesentlichen folgendes Geschehen zu Grunde:
Am 6. Dezember 2003 kam es kurz nach 4 Uhr in der Innenstadt von Kandel zu einem Großbrand, bei dem zwei Menschen starben. Nachdem der Angeklagte noch am selben Tag unter dem Verdacht, der Brandstifter gewesen zu sein, kurzzeitig festgenommen worden war, wurden gegen ihn in der Zeit von Januar 2004 bis Juni 2006 auf Grund "einer Vielzahl ermittlungsrichterlicher Beschlüsse Telekommunikationsmaßnahmen geschaltet und verdeckte Ermittlungen durchgeführt". Unter anderem wurden während dieses Zeitraums mehrere Verdeckte Ermittler auf den Beschuldigten "angesetzt" und zugleich die Überwachung und Aufzeichnung des vom Beschuldigten außerhalb seiner Wohnung nichtöffentlich gesprochenen Wortes gestattet.
Nach Einschätzung der Strafkammer erbrachten die Maßnahmen "unabhängig von der Frage ihrer Verwertbarkeit keinerlei verfahrensrelevante Erkenntnisse". "Im Ergebnis" erachtete das Landgericht insbesondere den Einsatz der Verdeckten Ermittler als zulässig und rechtmäßig und wies den Antrag, die Rechtswidrigkeit der verdeckten Ermittlungsmaßnahmen festzustellen, zurück.
2. Der hierzu von der Verteidigerin des Angeklagten mit der Revisionseinlegung (erneut) gestellte Antrag, die Rechtswidrigkeit mehrerer Beschlüsse zum Einsatz Verdeckter Ermittler und zur Überwachung und Aufzeichnung des nichtöffentlich gesprochenen Wortes festzustellen, ist gemäß § 300 StPO als sofortige Beschwerde gegen die entsprechende Entscheidung der Strafkammer zu behandeln. Als solche ist sie nach § 101 Abs. 7 Satz 3 StPO statthaft.
a) § 101 Abs. 7 StPO findet Anwendung.
Eine Änderung des Verfahrensrechts erfasst grundsätzlich auch bereits anhängige Verfahren (Meyer-Goßner StPO 52. Aufl. § 101 Rdn. 1, Einl. Rdn. 203; LR-Kühne StPO 26. Aufl. Einl. Abschn. E Rdn. 17, 22 m.w.N.).
Dies gilt - jedenfalls unter den hier gegebenen Umständen - auch für den am 1. Januar 2008 in Kraft getretenen § 101 Abs. 7 StPO (im Ergebnis ebenso: BGH [3. Strafsenat] Beschlüsse vom 8. Oktober 2008 - StB 12-15/08 und vom 22. Januar 2009 - StB 24/08). Es kann dahingestellt bleiben, ob neues Verfahrensrecht auch dann anzuwenden ist, wenn innerhalb eines noch anhängigen Verfahrens für ein schon beendetes prozessuales Geschehen ein (neuer) Rechtsbehelf eingeführt wird (vgl. OLG Frankfurt NStZ-RR 2007, 180; zustimmend Meyer-Goßner aaO § 310 Rdn. 9, § 354a Rdn. 4); denn ein solcher Fall ist vorliegend nicht gegeben. Bereits die im Zeitpunkt der Anordnungen der verdeckten Ermittlungen und ihres Vollzugs (2004 bis 2006) geltenden Gesetzesfassungen sahen in § 101 Abs. 1 StPO Benachrichtigungspflichten unter anderem für die hier zur Überprüfung gestellten Maßnahmen nach § 100c Abs. 1 Nr. 2 StPO a.F. bzw. § 100f Abs. 2 StPO a.F. vor; auch über den Einsatz Verdeckter Ermittler war nach § 110d Abs. 1 StPO a.F. zu benachrichtigen, wenn diese eine nicht allgemein zugängliche Wohnung betreten haben. Solche Benachrichtigungen sind bislang jedoch nicht erfolgt. Daher waren auch die prozessualen Geschehen, die hier im Rahmen von § 101 Abs. 7 StPO von Bedeutung sind, noch nicht abgeschlossen (vgl. zur Anordnung und Durchführung von Ermittlungsmaßnahmen vor dem 1. Januar 2008, aber einer erst danach erfolgten Benachrichtigung auch BGH, Beschluss vom 22. Januar 2009 - StB 24/08).
b) Der Statthaftigkeit der sofortigen Beschwerde nach § 101 Abs. 7 Satz 3 StPO steht nicht entgegen, dass die Verwertung von Erkenntnissen, die durch die in dessen Absatz 1 genannten Maßnahmen gewonnen wurden, mit der Revision angegriffen werden kann, sofern das Urteil hierauf beruht und deren Voraussetzungen im Übrigen gegeben sind.
Zur Frage, ob einem Angeklagten oder Drittbetroffenen die sofortige Beschwerde nach § 101 Abs. 7 Satz 3 StPO auch dann zusteht, wenn die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Maßnahme gemäß § 101 Abs. 7 Satz 4 StPO von dem nach der Anklageerhebung mit der Sache befassten Gericht getroffen wurde, verhalten sich der Gesetzeswortlaut und die Gesetzesmaterialien nicht eindeutig. Zwar ging der Gesetzgeber für § 100d Abs. 10 StPO, dem § 101 Abs. 7 StPO (im Gesetzesentwurf noch dessen Absatz 9) "regelungstechnisch" nachgebildet wurde (BTDrucks. 16/5846 S. 62) und der diesen ersetzte, davon aus, dass im Fall einer Entscheidung des nach der Anklageerhebung mit der Sache befassten Gerichts "nicht das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde statthaft [sei], sondern die Rechtsmittel der Berufung bzw. Revision gegen die Entscheidung in der Hauptsache", weil hierdurch divergierende Entscheidungen der Rechtsmittelgerichte in der Hauptsache und im nachträglichen Rechtsschutzverfahren vermieden werden würden (BTDrucks. 15/4533 S. 19; ebenso für den jetzigen § 101 StPO: Meyer-Goßner aaO § 101 Rdn. 25; Böse in Amelung-FS 2009 S. 565, 576). Im Gesetz hat dies aber keinen Niederschlag gefunden.
Nach seinem Wortlaut regelt § 101 Abs. 7 Satz 4 StPO nur die einen bestimmten Verfahrensabschnitt betreffende erstinstanzliche Zuständigkeit für die Entscheidung über einen nach dieser Vorschrift gestellten Antrag (vgl. auch BTDrucks. 16/5846 S. 63: "Sonderregelung zur gerichtlichen Zuständigkeit").
Ein Ausschluss der nach Satz 3 statthaften sofortigen Beschwerde gegen eine solche Entscheidung des nach der Anklageerhebung mit der Sache befassten Gerichts oder eine Beschränkung dieses Rechtsmittels auf eine Entscheidung des nach Satz 1 zuständigen Gerichts lässt sich dem Wortlaut der Vorschrift jedoch nicht entnehmen.
Vielmehr spricht für die Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde auch in solchen Fällen, dass ein Drittbetroffener gegen die Entscheidung nach § 101 Abs. 7 StPO - von Ausnahmefällen (etwa einer Nebenklage) abgesehen - nicht mit der Revision vorgehen kann (a.A. Böse aaO S. 576; zur Anwendbarkeit von § 101 Abs. 7 Satz 4 StPO bei Anträgen des Drittbetroffenen: BTDrucks. 16/5846 S. 63; BGH, Beschluss vom 8. Oktober 2008 - StB 15/08; KK-Nack StPO 6. Aufl. § 101 Rdn. 37). Eine Überprüfung der Ermittlungsmaßnahme in der Revision kann aber auch der Angeklagte nicht erreichen, wenn durch sie keine weiter führenden Beweismittel erlangt oder die gewonnenen Erkenntnisse im Urteil nicht verwertet wurden und dieses deshalb auf der etwaigen Rechtswidrigkeit der Maßnahme nicht beruht. In diesen Konstellationen einem nach den allgemein geltenden Vorschriften hierzu nicht befugten Drittbetroffenen oder einem durch die Gesetzesverletzung nicht im Sinne des § 337 Abs. 1 StPO beschwerten Angeklagten die Möglichkeit der Revisionseinlegung oder einer Revisionsrüge zu eröffnen, wäre mit der Systematik des Revisionsrechts unvereinbar.
Dass der Gesetzgeber dem Drittbetroffenen oder dem Angeklagten in solchen Fällen indes gar kein Rechtsmittel gegen die erstinstanzliche Entscheidung nach § 101 Abs. 7 StPO zur Verfügung stellen wollte, lässt sich weder dem Gesetzeswortlaut noch den Gesetzesmaterialien entnehmen. Dies würde vielmehr zu einer aus sachlichen Gründen nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung der von einem Grundrechtseingriff Betroffenen führen und widerspräche - wie auch die Überprüfung derselben Maßnahme in unterschiedlichen Rechtsmitteln - dem vorrangigen Anliegen des Gesetzes, mit § 101 Abs. 7 StPO die einheitliche und effektive Möglichkeit eines nachträglichen gerichtlichen Rechtsschutzes für die von den verdeckten Ermittlungsmaßnahmen betroffenen Personen zu schaffen (BTDrucks. 16/5846 S. 3).
Vor diesem Hintergrund ist § 101 Abs. 7 StPO dahin auszulegen, dass Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Anordnungsoder des nach der Anklageerhebung mit der Sache befassten Gerichts stets die sofortige Beschwerde ist. Demgegenüber können mit der Revision verdeckte Ermittlungsmaßnahmen nur von zur Revisionseinlegung nach den allgemeinen Vorschriften Befugten und lediglich insofern zur Überprüfung gestellt werden, als das Urteil auf der (Nicht-)Verwertung der dabei gewonnenen Erkenntnisse beruht. Dabei schließen weder § 336 Satz 2 StPO die Überprüfung der Verwertbarkeit der durch die Ermittlungsmaßnahme gewonnenen Erkenntnisse in der Revision aus noch § 305 Satz 1 StPO die Beschwerdemöglichkeit gegen die in oder neben dem Urteil getroffene Entscheidung nach § 101 Abs. 7 StPO (vgl. BGHSt 27, 253, 254 f.; KK-Nack § 101 Rdn. 38; zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer Durchsuchung und der entsprechenden Beweisverwertungsverbote auch LR-Matt aaO 25. Aufl., § 305 Rdn. 18 sowie Rdn. 30: a.A. Böse aaO S. 577, 580 f.).
Denn die Prüfung der Rechtmäßigkeit verdeckter Ermittlungsmaßnahmen nach § 101 Abs. 7 StPO und die Prüfung der Verwertbarkeit der bei solchen Maßnahmen gewonnenen Erkenntnisse im Urteil sind nicht identisch (so ausdrücklich BTDrucks. 16/5846 S. 62; Meyer-Goßner aaO § 101 Rdn. 25a; KK-Nack aaO § 101 Rdn. 35; Schmidt NStZ 2009, 243, 246; vgl. für die Wohnraumüberwachung ferner einerseits § 100c Abs. 7 und andererseits § 101 Abs. 4 Nr. 4, Abs. 7 StPO). Dass sich hierdurch divergierende Entscheidungen über die Rechtmäßigkeit der Ermittlungsmaßnahme nicht vermeiden lassen, ist hinzunehmen, zumal ohnehin nicht auszuschließen ist, dass etwa das Anordnungsgericht über den Antrag eines Beschuldigten nach § 101 Abs. 7 StPO anders entscheidet als das nach der Anklageerhebung mit der Sache befasste Gericht über einen solchen Antrag eines Drittbetroffenen oder über das Bestehen eines Verwertungsverbots bezüglich der bei der Maßnahme gewonnenen Beweise.
3. Zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde des Angeklagten ist jedoch nicht der Senat, sondern das Pfälzische Oberlandesgericht Zweibrücken berufen. An dieses ist das Verfahren insofern abzugeben.
Die Zuständigkeit für die Entscheidung über die sofortige Beschwerde nach § 101 Abs. 7 Satz 3 StPO wurde vom Gesetzgeber nicht besonders geregelt. Insbesondere fehlt es an einer §§ 305a Abs. 2, 464 Abs. 3 Satz 3 StPO, § 8 Abs. 3 Satz 2 StrEG i.V.m. § 464 Abs. 3 Satz 3 StPO entsprechenden Regelung, die dem mit der Revision befassten Rechtsmittelgericht auch die Entscheidung über die sofortige Beschwerde überträgt. Es verbleibt daher bei dem Grundsatz, dass zur Entscheidung über (sofortige) Beschwerden gegen Entscheidungen der Strafkammern nicht der Bundesgerichtshof (§ 135 Abs. 2 GVG), sondern die Oberlandesgerichte berufen sind (§ 121 Abs. 1 Nr. 2 GVG vgl. KK-Hannich aaO § 135 GVG Rdn. 12; LR-Franke aaO § 135 GVG Rdn. 7 f.). Hiervon abzuweichen rechtfertigen weder die oben bezeichneten Ausnahmeregelungen, die schon mangels einer Gesetzeslücke einer analogen Anwendung nicht zugänglich sind, noch können der Wille des Gesetzgebers, der Gefahr divergierender Entscheidungen zu begegnen, oder verfahrensökonomische Gründe die Rechtsprechung dazu ermächtigen, den gesetzlichen Richter abweichend vom Gesetz zu bestimmen (vgl. auch Rieß NStZ 2008, 546, 548).
Der Senat gibt daher das Beschwerdeverfahren entsprechend § 348 StPO an das hierfür zuständige Pfälzische Oberlandesgericht Zweibrücken ab (zur entsprechenden Anwendung von § 348 StPO im Beschwerdeverfahren: BGHSt 39, 162, 163; BGH, Beschluss vom 29. Oktober 2008 - 2 ARs 467/08).
Die Frage, ob die Strafkammer auch ohne Benachrichtigung des bzw. der Betroffenen (zu deren Zweck: BVerfG Urteil vom 3. März 2004 - 1 BvR 2378/98 und 1084/99 [dort Rdn. 320] und BTDrucks. 16/5846 S. 62) nach § 101 Abs. 7 Satz 4 StPO zur Entscheidung berufen war, betrifft nicht die Statthaftigkeit der sofortigen Beschwerde, die indes allein Voraussetzung der Zuständigkeitsprüfung ist. Über sie ist daher vom Oberlandesgericht zu befinden.
HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 863
Externe Fundstellen: BGHSt 54, 30; NJW 2009, 3177; NStZ 2010, 50; StV 2009, 626
Bearbeiter: Karsten Gaede