HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 794
Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 124/09, Beschluss v. 09.07.2009, HRRS 2009 Nr. 794
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 23. Oktober 2008 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und verschiedene Gegenstände eingezogen. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen und formellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg; auf die erhobenen Verfahrensrügen kommt es deshalb nicht an.
Die Verurteilung des Angeklagten hat keinen Bestand, weil sie auf einer rechtsfehlerhaften Beweiswürdigung beruht.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts bestellte der Angeklagte in zwei Fällen bei einer unbekannten Person flüssiges Amfetamin, das zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmt war und per Post geliefert werden sollte.
Vor der ersten Lieferung fragte er seinen langjährigen Bekannten, den Zeugen S., ob dieser ein Paket, über dessen Inhalt er ihn nicht informierte, für ihn in Empfang nehmen könne. Der Zeuge S. erklärte, das Paket könne an seine Mutter, die Zeugin Sch., geschickt werden, die tagsüber zu Hause sei und daher regelmäßig Postsendungen für ihn entgegennehme.
Das erste Paket, in dem sich zwei Kilogramm flüssiges Amfetamin befanden, wurde am 29. Juni 2007 an die Adresse der Zeugin Sch. zugestellt. Dort wurde es von dem vom Angeklagten über den Zeitpunkt der geplanten Expresszustellung informierten Zeugen S. entgegengenommen und mit dem Namen "Sch." quittiert. Der Angeklagte wurde vom Zeugen S. benachrichtigt und holte das Paket ab.
Aufgrund einer weiteren Bestellung des Angeklagten wurde am 5. Juli 2007 ein zweites Expresspaket bei derselben Postfiliale aufgegeben, das an "H. Se." unter der Anschrift der ehemaligen Lebensgefährtin des Angeklagten, der Zeugin Nicole Se., adressiert war. Diese hatte seit seinem Auszug im Dezember 2006 regelmäßig Brief- und Paketsendungen für ihn entgegengenommen und ihm bei seinen mindestens wöchentlichen Besuchen ausgehändigt. Dieses Paket, das zwei Kanister mit jeweils 4,6 Kilogramm flüssigem Amfetamin enthielt, wurde von den Ermittlungsbehörden angehalten und geöffnet. Bei der fingierten Zustellung eines Ersatzpakets am folgenden Tag erklärte die Mutter der Zeugin Nicole Se. spontan, dass es für den Angeklagten bestimmt sei.
2. In der Hauptverhandlung hat der Angeklagte die Tatvorwürfe bestritten: Er habe weder die beiden Lieferungen bestellt noch den Zeugen S. gebeten, ein Paket für ihn entgegenzunehmen. Vielmehr habe dieser ihn Ende Juni 2007 gefragt, ob er für diesen ein Paket in Empfang nehmen könne. Dies habe er abgelehnt, weil er noch keinen Briefkasten habe. Er habe dem Zeugen S. erklärt, dass er seine eigene Post an die Adresse der Zeugin Nicole Se. schicken lasse, zu der er spätestens am nächsten Wochenende fahren werde (UA 7).
3. Das Landgericht hat diese Einlassung als widerlegt angesehen.
a) Es stützt die Feststellung, das an die Zeugin Sch. adressierte Paket sei für den Angeklagten bestimmt gewesen, allein auf die Aussage des Zeugen S. Sonstige, den bisher nicht einschlägig in Erscheinung getretenen Angeklagten belastende Indizien sind den Urteilsfeststellungen nicht zu entnehmen, so dass sich die bestreitende Einlassung des Angeklagten und die belastende Aussage des Zeugen S. gegenüberstehen. In einem solchen Falle, in dem Aussage gegen Aussage steht, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass der Tatrichter alle Umstände, welche die Entscheidung zugunsten oder zulasten des Angeklagten zu beeinflussen geeignet sind, erkannt, in seine Überlegungen einbezogen und rechtsfehlerfrei gewürdigt hat (vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 23; Beweiswürdigung, unzureichende 19; BGH, Beschluss vom 8. Oktober 2002 - 4 StR 166/02). Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht.
Das Landgericht hält die den Angeklagten belastende Aussage des Zeugen S. schon deshalb für glaubhaft, weil sie sich mit seinen Angaben bei seiner polizeilichen Beschuldigtenvernehmung deckt (UA 13). Damit ist jedoch die Glaubhaftigkeit der Angaben des einzigen Belastungszeugen nicht hinreichend dargetan. Dies gilt schon deswegen, weil das Landgericht die Bekundungen dieses Zeugen in der Hauptverhandlung zum Gewicht und zum Aggregatzustand des Inhalts der Paketsendung, die von derjenigen in der polizeilichen Vernehmung ganz wesentlich abweichen, sowie zu den Umständen dieser Vernehmung für nicht glaubhaft hält (UA 13, 14). Darüber hinaus kommt der Zeuge S. aufgrund der Entgegennahme des an seine Mutter adressierten Pakets konkret als Alternativtäter in Betracht. Das Urteil setzt sich in diesem Zusammenhang nicht damit auseinander, dass der Zeuge S. den Angeklagten zu Unrecht belasten könnte, um den Verdacht von sich selbst abzulenken.
Dies lässt besorgen, dass die erforderliche Gesamtwürdigung unterblieben ist.
b) Die Erwägungen, mit denen das Landgericht den Zeugen S. als Besteller und Empfänger der zweiten Sendung ausschließt, begegnen ebenfalls durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Zwar gibt es in diesem Fall Anzeichen, die darauf hindeuten, dass der Angeklagte der Empfänger der Sendung war: das Paket wurde an die vom Angeklagten seit einigen Monaten ständig genutzte Postanschrift geschickt; der dem Empfängernamen "Se." vorangestellte Buchstabe ist der erste Buchstabe des Vornamens des Angeklagten; der Angeklagte hatte 2006 - wenn auch nur als Konsument - Kontakte zu Drogen. Das Landgericht hat aber die auf eine Täterschaft des Zeugen S. abzielende Einlassung des Angeklagten nicht rechtsfehlerfrei widerlegt. Nach den Urteilsfeststellungen war dem Zeugen S. die Nutzung der Deckadresse keinesfalls verschlossen. Nach der eigenen Einlassung des Angeklagten hatte dieser die Entgegennahme eines Pakets für den Zeugen nur im Hinblick auf das Fehlen eines eigenen Briefkastens und nicht etwa aus grundsätzlichen Erwägungen abgelehnt. Zugleich hatte er dem Zeugen erklärt, wie er den eigenen Postempfang geregelt hatte.
Dass es für den Zeugen als langjährigem Bekannten des Angeklagten nach dem - wegen der besonderen Versandform zeitlich eng bestimmten - Eintreffen der Sendung problematisch sein könnte, zeitnah an das Paket zu gelangen, ist nicht mehr als eine Vermutung.
4. Die Sache bedarf nach alledem insgesamt neuer tatrichterlicher Prüfung und Entscheidung. Dabei werden auch nähere Feststellungen zu dem Verhältnis des Angeklagten zu den Zeugen S. und Nicole Se. sowie zu deren möglichen Kontakten zu Drogen und zum Drogenmilieu zu treffen sein.
HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 794
Bearbeiter: Karsten Gaede