HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 452
Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 516/08, Urteil v. 19.03.2009, HRRS 2009 Nr. 452
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger wird das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 24. April 2008 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten von dem Vorwurf, den zur Tatzeit 75 Jahre alten Edmund P. in der Nacht vom 30. zum 31. Oktober 1993 heimtückisch und aus Habgier getötet zu haben, aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Hiergegen wenden sich die Staatsanwaltschaft, deren Rechtsmittel vom Generalbundesanwalt vertreten wird, und die Nebenkläger mit ihren jeweils auf die Sachrüge gestützten Revisionen. Die Rechtsmittel haben Erfolg.
Die Beweiswürdigung hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Spricht der Tatrichter einen Angeklagten frei, weil er Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Der Beurteilung durch das Revisionsgericht unterliegt insoweit nur, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16 m.w.N.). Insbesondere sind die Beweise auch erschöpfend zu würdigen (BGHSt 29, 18, 20). Das Urteil muss erkennen lassen, dass der Tatrichter solche Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 11). Rechtsfehlerhaft ist die Beweiswürdigung auch dann, wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt sind (BGHR § 261 Beweiswürdigung 16 m.w.N.; BGH NStZ 2004, 35, 36). Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (vgl. BGH NStZ 2004, 35, 36; NStZ-RR 2005, 209; BGH, Urteil vom 21. Oktober 2008 -1 StR 292/08, jew. m.w.N.).
Dem wird die Beweiswürdigung nicht gerecht:
Sie ist lückenhaft, weil das Urteil nicht erkennen lässt, dass das Landgericht alle Umstände, die nach den mitgeteilten Beweisergebnissen geeignet sind, die Entscheidung zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, in seine Überlegungen einbezogen hat. Dies gilt insbesondere, soweit das Landgericht davon ausgegangen ist, der Angeklagte habe für den angenommenen Tatzeitraum ein Alibi, weil er nach der verlesenen Aussage des Zeugen Bi. am 1. November 1993 für zwei Nächte ein Zimmer im "G. - " in H. angemietet gehabt habe. Worauf das Landgericht seine Annahme stützt, der Angeklagte habe deshalb keine ausreichende Gelegenheit zur Begehung der Tat gehabt, lässt sich den Urteilsausführungen nicht entnehmen, zumal sie sich nicht dazu verhalten, ob der Zeuge Bi. den Angeklagten in der Zeit vom 1. bis zum 3. November 1993 in dem Hotel gesehen hat, gegebenenfalls, an welchen Tagen und in welchen Zeiträumen. Das hätte schon deshalb der Erörterung bedurft, weil der Angeklagte, obwohl er sich am 31. Oktober 1993 in dem Hotel "G. - " aufgehalten und seine Rechnung bezahlt hatte, bereits in den frühen Morgenstunden desselben Tages auf dem Bahnhof Dreileben-Drackenstedt gesehen wurde, als er in den Zug nach Magdeburg einstieg. Die Anmietung des Hotelzimmers für die Zeit vom 1. bis zum 3. November 1993 hinderte ihn auch nicht, in Magdeburg die Zeugin S. am 2. November 1993 bereits gegen 10:00 Uhr morgens und nochmals am nächsten Tag aufzusuchen und der Zeugin an einem dieser Tage einen Koffer mit den Gegenständen des Tatopfers zu übergeben.
Zudem hat das Landgericht den Zweifelsgrundsatz rechtsfehlerhaft angewendet, indem es zugunsten des Angeklagten unterstellt hat, dieser habe den Videorecorder und die Taschenuhr des Tatopfers bereits vor dem 1. November 1993 entwendet, weil nicht auszuschließen sei, dass sich die Gegenstände in einem der Koffer befunden hätten, mit denen der Angeklagte am 31. Oktober 1993 in den Zug nach Magdeburg eingestiegen sei. Zureichende tatsächliche Anhaltspunkte, die die Annahme dieser für den Angeklagten günstigen Tatvariante gebieten könnten (vgl. BGH NStZ-RR 2005, 209 m.w.N.), liegen nach dem bisherigen Beweisergebnis nicht vor.
Im Übrigen hat sich das Landgericht vorschnell von der Richtigkeit der Aussagen der Zeugen L. und Sch. überzeugt, ohne sich mit Indizien auseinanderzusetzen, die für einen Irrtum der Zeugen sprechen könnten. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts Bezug genommen.
Es ist nicht auszuschließen, dass das Urteil auf den aufgezeigten Rechtsfehlern beruht. Die Sache muss daher neu verhandelt und entschieden werden.
HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 452
Bearbeiter: Karsten Gaede