hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 803

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 461/08, Beschluss v. 09.06.2009, HRRS 2009 Nr. 803


BGH 4 StR 461/08 - Beschluss vom 9. Juni 2009 (LG Berlin)

Folgen des Ausfalls des Konfrontationsrechts (Fragerecht; Konflikt mit der Selbstbelastungsfreiheit; Gesamtwürdigung; Verfahrensfairness; Zurechenbarkeit; besonders vorsichtige Beweiswürdigung); willkürliche Entziehung des gesetzlichen Richters (Darlegungsvoraussetzungen; Verwerfung eines Ablehnungsgesuchs als unzulässig; Besorgnis der Befangenheit; Prüfung in der Revision nach Beschwerdegrundsätzen; Verletzung rechtlichen Gehörs); redaktioneller Hinweis.

Art. 6 Abs. 3 lit. d, Abs. 1 Satz 1 EMRK; Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 GG; Art. 103 Abs. 1 GG; § 338 Nr. 3 StPO; § 27 StPO; § 26a StPO; § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Bei der Prüfung, ob insgesamt ein faires Verfahren vorlag, kommt es insbesondere darauf an, ob der Umstand, dass der Angeklagte keine Gelegenheit zur konfrontativen Befragung hatte, der Justiz zuzurechnen ist.

2. Zwar muss die Justiz auch aktive Schritte unternehmen, um einen Angeklagten in die Lage zu versetzen, einen Mitangeklagten durch seinen Verteidiger (§ 240 Abs. 2 Satz 2 StPO) befragen zu lassen. Es gibt aber keine Verpflichtung, Unmögliches zu leisten. Den Bemühungen um eine Sicherstellung des Konfrontationsrechts sind vielmehr von vornherein Grenzen gesetzt, wenn das Konfrontationsrecht scheitert, weil der Belastungszeuge i.S. des Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK von seinem Recht auf Selbstbelastungsfreiheit Gebrauch macht (vgl. BGHSt 52, 11, 17 m. N.). Das Tatgericht ist nicht gehalten, "unter Hinweis auf die besondere Bedeutung des Befragungsrechts der anderen Angeklagten über deren Verteidiger" an den Mitangeklagten zu "appellieren", deren Fragen zu beantworten, nachdem dieser durch seinen Verteidiger hatte erklären lassen, Fragen der anderen Verteidiger nicht beantworten zu wollen.

3. Eine Prüfung des Revisionsvorbringens unter dem rechtlichen Gesichtspunkt, ob dem Beschwerdeführer im Ablehnungsverfahren der gesetzliche Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) durch eine willkürliche Anwendung der Zuständigkeitsregelungen der §§ 26a, 27 StPO entzogen worden ist (vgl. BVerfG NJW 2005, 3410; NJW 2006, 3129; BGH NStZ 2006, 50; Senatsbeschluss vom 10. April 2008 - 4 StR 443/07), kann dem Revisionsgericht verwehrt sein. Kommen mehrere Verfahrensmängel in Betracht, muss vom Beschwerdeführer die Angriffsrichtung der Rüge deutlich gemacht und dargetan werden, welcher Verfahrensmangel geltend gemacht wird (vgl. BGH NStZ 1998, 636; 1999, 94). Dass mit der Verfahrensrüge (auch) eine Verletzung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG im Ablehnungsverfahren geltend gemacht werden soll, lässt sich dem Revisionsvorbringen jedoch nicht entnehmen. Eine so verstandene Rüge hätte zudem nur dann den Anforderungen des § 344 Abs. 2 StPO genügt, wenn vorgetragen worden wäre, dass die Strafkammer über das Ablehnungsgesuch unter Mitwirkung des abgelehnten Richters (§ 26a Abs. 2 Satz 1 StPO) entschieden hat.

4. Unmutsäußerungen eines abgelehnten Richters dürfen nicht isoliert, sondern müssen in dem Zusammenhang, in dem sie gefallen sind, betrachtet werden (vgl. BGH NStZ 2000, 325). Sie sind nur Grund, die Befangenheit eines Richters zu besorgen, wenn sie auch aus der Sicht eines verständigen Angeklagten (vgl. BGHSt 21, 334, 341) geeignet sind, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des abgelehnten Richters zu rechtfertigen. Erst im Verfahren entstandene Spannungen zwischen Gericht und Verteidigern begründen in aller Regel nicht die Besorgnis der Befangenheit (vgl. BGH NStZ 2005, 218 m. N.). Diese kann sich allerdings aus Reaktionen des Richters ergeben, die in keinem vertretbaren Verhältnis zu dem sie auslösenden Anlass stehen (vgl. BGHR StPO § 24 Abs. 2 Befangenheit 8).

Entscheidungstenor

1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 24. Januar 2008 wird verworfen.

2. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren räuberischen Diebstahls, Diebstahls, räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer in Tateinheit mit versuchtem schweren Raub sowie unerlaubtem Führen einer Schusswaffe und unerlaubtem Munitionsbesitz, wegen schweren Raubes und wegen Verabredung zu einem schweren Raub in Tateinheit mit unerlaubtem Führen einer Schusswaffe und unerlaubtem Munitionsbesitz zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt. Ferner hat es den Angeklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung von 1.718,89 Euro nebst Zinsen an den Adhäsionskläger F. verurteilt. Mit seiner Revision beanstandet der Angeklagte die Verletzung materiellen und formellen Rechts.

Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg. Die Überprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Die Verfahrensrügen sind, wie der Generalbundesanwalt im Einzelnen dargelegt hat, ungeachtet der gegen ihre Zulässigkeit bestehenden Bedenken jedenfalls unbegründet. Der ergänzenden Erörterung bedürfen nur folgende Verfahrensrügen:

1. Entgegen der Auffassung der Revision war es dem Landgericht im Hinblick auf Art. 6 Abs. 3 Buchst. d) MRK und auf den Anspruch auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG) nicht verwehrt, die den Beschwerdeführer belastenden Angaben des Mitangeklagten K. im Rahmen der Beweiswürdigung zu berücksichtigen. Zwar konnte der Beschwerdeführer sein Recht auf konfrontative Befragung des Mitangeklagten K., der Belastungszeuge i. S. des Art. 6 Abs. 3 Buchst. d) MRK war (vgl. EGMR NStZ 2007, 103, 104; BGH JR 2005, 247, 248), nicht wahrnehmen, weil dieser Fragen des Verteidigers des Beschwerdeführers - ebenso wie Fragen des Verteidigers des Mitangeklagten G. - nicht beantworten wollte. Dies steht aber der Verwertung der Angaben des Mitangeklagten K. nicht entgegen, weil das Verfahren in seiner Gesamtheit einschließlich der Art und Weise der Beweiserhebung und -würdigung fair war (vgl. EGMR NStZ 2007, 103, 104; BGHSt 51, 150, 154 jew. m. w. N.).

a) Bei der Prüfung, ob insgesamt ein faires Verfahren vorlag, kommt es insbesondere darauf an, ob der Umstand, dass der Angeklagte keine Gelegenheit zur konfrontativen Befragung hatte, der Justiz zuzurechnen ist (vgl. BGHSt aaO S. 155 m. N.). Das ist hier aber auch nach dem Vorbringen der Revision nicht der Fall.

aa) Zwar muss die Justiz auch aktive Schritte unternehmen, um einen Angeklagten in die Lage zu versetzen, einen Mitangeklagten durch seinen Verteidiger (§ 240 Abs. 2 Satz 2 StPO) befragen zu lassen. Es gibt aber keine Verpflichtung, Unmögliches zu leisten (vgl. EGMR aaO; BGHSt aaO). Hier waren den Bemühungen des Landgerichts um eine Sicherstellung des Konfrontationsrechts vielmehr von vornherein Grenzen gesetzt, weil der Mitangeklagte K. insoweit von seinem Recht auf Selbstbelastungsfreiheit (vgl. BGHSt 52, 11, 17 m. N.) Gebrauch gemacht hatte, das verfassungsrechtlich durch die gemäß Art. 1, 2 Abs. 1 GG garantierten Grundrechte auf Achtung der Menschenwürde sowie der freien Entfaltung der Persönlichkeit abgesichert ist (BVerfGE 56, 37, 43 ff.) und zum Kernbereich des von Art. 6 MRK garantierten Rechts auf ein faires Strafverfahren gehört (EGMR StV 2003, 257, 259). Das Landgericht war deshalb entgegen der Auffassung der Revision nicht gehalten, "unter Hinweis auf die besondere Bedeutung des Befragungsrechts der anderen Angeklagten über deren Verteidiger" an den Mitangeklagten K. zu "appellieren", deren Fragen zu beantworten, nachdem dieser durch seinen Verteidiger hatte erklären lassen, Fragen der anderen Verteidiger nicht beantworten zu wollen. Vielmehr hatte es diese Entscheidung des Mitangeklagten K. zu respektieren und sich insbesondere auch einer Einflussnahme auf sein Aussageverhalten zu enthalten. Mit der Selbstbelastungsfreiheit wäre es unvereinbar, dem Staat die Pflicht aufzuerlegen, die Aussagebereitschaft einer verweigerungsberechtigten Auskunftsperson fortlaufend zu prüfen und schon auf diese Weise auf deren Willensentschließung einzuwirken (vgl. BVerfG NJW 2007, 204, 206).

bb) Dass die Willensentschließung des Mitangeklagten K., Fragen der Verteidiger der anderen Angeklagten nicht zu beantworten, von dem Vorsitzenden der Strafkammer zu Lasten des Beschwerdeführers beeinflusst worden ist, hat die Revision nicht dargetan.

Die Revision behauptet, im Hauptverhandlungstermin am 1. Februar 2007 habe der Vorsitzende vor der Erteilung des Fragerechts an den Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft gegenüber dem Mitangeklagten K. geäußert: "Wir wissen ja noch nicht, ob Sie Fragen der Verteidiger der anderen Angeklagten überhaupt beantworten wollen." Das Landgericht hat in seinem Beschluss vom 12. November 2007, mit dem es die von den Verteidigern der Angeklagten M. und G. am 5. bzw. 8. November 2007 gestellten Anträge auf Protokollierung abgelehnt hat, offen gelassen, ob es am 1. Februar 2007 eine entsprechende Äußerung gegeben hat. Die Richtigkeit des Revisionsvorbringens unterstellt, ist jedenfalls nicht davon auszugehen, dass die Entscheidung des Mitangeklagten K., von seinem Schweigerecht Gebrauch zu machen, durch die von der Revision behauptete Äußerung des Vorsitzenden beeinflusst worden ist. Dagegen spricht insbesondere die Erklärung des Verteidigers des Mitangeklagten K. im Hauptverhandlungstermin am 5. November 2007, sein Mandant habe "von vornherein" nicht vorgehabt, sich durch die Verteidiger der anderen Angeklagten befragen zu lassen.

b) Die Nichtgewährung des Konfrontationsrechts, die aus den vorgenannten Gründen auf einem relevanten Grund (vgl. BVerfG NJW 2007, 204) beruht, hat das Landgericht im Übrigen, wie der Generalbundesanwalt im Einzelnen zutreffend dargelegt hat, im Rahmen der Beweiswürdigung ausreichend kompensiert.

2. Von den auf die Verletzung des § 338 Nr. 3 StPO gestützten Verfahrensrügen, mit denen sich die Revision gegen die "Zurückweisung" von neun Befangenheitsanträgen des Beschwerdeführers wendet, bedarf der näheren Erörterung nur die Rüge, mit der die Verwerfung des gegen den Vorsitzenden der Strafkammer gerichteten Ablehnungsgesuchs des Beschwerdeführers vom 18. Oktober 2007 beanstandet wird.

a) Zur Begründung dieses Ablehnungsgesuchs führte die Verteidigerin des Beschwerdeführers u. a. aus: Der Verteidiger des Mitangeklagten G., Rechtsanwalt R., habe im Zusammenhang mit der Vernehmung des Zeugen Gü. einen schriftlichen Antrag auf Wortlautprotokollierung angekündigt.

Dabei sei es zu einer Auseinandersetzung zwischen Rechtsanwalt R. und dem Vorsitzenden gekommen, in deren Verlauf sich der Verteidiger gegen den Ton des Vorsitzenden verwahrt und die Verhandlungsführung beanstandet habe. Nach einer kurzen Unterbrechung der Sitzung habe der Vorsitzende "völlig überraschend" den nicht gestellten, sondern nur angekündigten Antrag auf Protokollierung zurückgewiesen. Daraufhin habe sie die Verletzung rechtlichen Gehörs gerügt, weil sie keine Gelegenheit gehabt habe, für den Beschwerdeführer zu "diesem Antrag" Stellung zu nehmen. Dies habe der Vorsitzende mit der Bemerkung kommentiert: "Dies ist ja lachhaft". Diese Bemerkung könne nur so verstanden werden, dass der Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör nicht ernst genommen werde, weil das Gericht sich sein Urteil zu dessen Nachteil bereits gebildet habe.

Das Landgericht hat das Ablehnungsgesuch durch Beschluss vom 25. Oktober 2007 gemäß § 26a Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 und Nr. 3 StPO als unzulässig verworfen. Die beanstandete Äußerung des abgelehnten Richters habe sich nicht gegen eine bestimmte Person gerichtet. Gründe, die geeignet seien, die Besorgnis der Befangenheit gegenüber dem Beschwerdeführer zu begründen, seien "ersichtlich" nicht vorgetragen worden. Zudem verfolge das "mit einer völlig ungeeigneten Begründung" versehene Ablehnungsgesuch "offensichtlich verfahrensfremde Zwecke, nämlich rein demonstrative".

Die Revision macht geltend, dieser Beschluss sei "aus den Gründen des Ablehnungsgesuchs" rechtsfehlerhaft, weil die Voraussetzungen des § 26a StPO nicht vorgelegen hätten.

b) Die Verfahrensrüge greift nicht durch.

Eine Prüfung des Revisionsvorbringens unter dem rechtlichen Gesichtspunkt, ob dem Beschwerdeführer im Ablehnungsverfahren der gesetzliche Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) durch eine willkürliche Anwendung der Zuständigkeitsregelungen der §§ 26a, 27 StPO entzogen worden ist (vgl. BVerfG NJW 2005, 3410; NJW 2006, 3129; BGH NStZ 2006, 50; Senatsbeschluss vom 10. April 2008 - 4 StR 443/07), ist dem Senat verwehrt. Kommen - wie hier - mehrere Verfahrensmängel in Betracht, muss vom Beschwerdeführer die Angriffsrichtung der Rüge deutlich gemacht und dargetan werden, welcher Verfahrensmangel geltend gemacht wird (vgl. BGH NStZ 1998, 636; 1999, 94). Dass mit der Verfahrensrüge (auch) eine Verletzung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG im Ablehnungsverfahren geltend gemacht werden soll, lässt sich dem Revisionsvorbringen jedoch nicht entnehmen. Eine so verstandene Rüge hätte zudem nur dann den Anforderungen des § 344 Abs. 2 StPO genügt, wenn vorgetragen worden wäre, dass die Strafkammer über das Ablehnungsgesuch unter Mitwirkung des abgelehnten Richters (§ 26a Abs. 2 Satz 1 StPO) entschieden hat.

Dass dies der Fall war, ergibt sich nicht schon aus der Verwerfung des Gesuchs als unzulässig gemäß § 26a Abs. 1 Nr. 2 und 3 StPO. Vielmehr kann ein Ablehnungsgesuch auch noch von dem nach § 27 StPO beschließenden Gericht als unzulässig verworfen werden (BGHSt 21, 334, 337). Es liegt sogar nahe, das Regelverfahren nach § 27 StPO zu wählen, wenn die Frage der Unzulässigkeit nicht klar und eindeutig zu beantworten ist (vgl. BVerfG NJW 2005, 3410, 3412; BGH NStZ 2006, 50, 51).

Die danach verbleibende Prüfung der Rüge der "Zurückweisung" des Ablehnungsgesuchs nach Beschwerdegrundsätzen ergibt folgendes:

Das Gesuch war zwar zulässig, insbesondere war seine Begründung nicht aus zwingenden rechtlichen Gründen zur Rechtfertigung eines Ablehnungsgesuchs völlig ungeeignet. Das Gesuch war aber, die Richtigkeit der behaupteten Ablehnungsgründe unterstellt, sachlich nicht begründet. Die Reaktion des Vorsitzenden auf die Rüge der Verteidiger des Beschwerdeführers, ihnen sei vor der Entscheidung über die vom Verteidiger des Mitangeklagten G. gestellten Antrages keine Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden, war zwar in der Form unangemessen. Die Unmutsäußerung des Vorsitzenden war aber unter den gegebenen Umständen aus der Sicht eines verständigen Angeklagten (vgl. BGHSt 21, 334, 341) nicht geeignet, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des abgelehnten Richters zu rechtfertigen.

Unmutsäußerungen eines abgelehnten Richters dürfen nicht isoliert, sondern müssen in dem Zusammenhang, in dem sie gefallen sind, betrachtet werden (vgl. BGH NStZ 2000, 325). Das Protokoll über die Hauptverhandlung und das Vorbringen der Revision belegen, dass die Atmosphäre zwischen dem Gericht und den Verteidigern sowohl des Beschwerdeführers als auch des Mitangeklagten G. während der gesamten Hauptverhandlung erheblich gespannt war. Erst im Verfahren entstandene Spannungen zwischen Gericht und Verteidigern begründen jedoch in aller Regel nicht die Besorgnis der Befangenheit (vgl. BGH NStZ 2005, 218 m. N.). Diese kann sich allerdings aus Reaktionen des Richters ergeben, die in keinem vertretbaren Verhältnis zu dem sie auslösenden Anlass stehen (vgl. BGHR StPO § 24 Abs. 2 Befangenheit 8). So liegt es hier jedoch nicht. Auch am 27. Hauptverhandlungstag war es während der Vernehmung des Polizeibeamten Gü., die zwischen 10:08 Uhr und 11:00 Uhr fünfmal, davon zweimal auf Antrag des Beschwerdeführers, unterbrochen wurde, zu Spannungen zwischen dem Vorsitzenden und den Verteidigern, insbesondere dem Verteidiger des Mitangeklagten G. gekommen. Entgegen dem Vorbringen der Revision hatte dieser im Verlauf der Vernehmung des Zeugen Gü. nicht "lediglich" angekündigt, schriftlich einen Antrag auf Protokollierung zu stellen. Vielmehr beantragte der Verteidiger des Mitangeklagten G. ausweislich des Protokolls, dem insoweit gemäß § 274 StPO Beweiskraft zukommt, mündlich "die wörtliche Protokollierung einer Äußerung des Zeugen." Nach zwei kurzen Unterbrechungen der Hauptverhandlung und einem Wortwechsel zwischen dem Vorsitzenden und dem Verteidiger des Mitangeklagten G. lehnte der Vorsitzende diesen Antrag mit der Begründung ab, dass es auf den Wortlaut der Äußerung des Zeugen unter keinem, wie auch immer gearteten rechtlichen Gesichtspunkt ankomme. Von der Möglichkeit, gemäß § 274 Abs. 3 Satz 2 StPO die Entscheidung des Gerichts zu beantragen, machte keine der an der Verhandlung beteiligten Personen Gebrauch. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Reaktion des Vorsitzenden auf die Rüge der Verteidiger des Angeklagten, sie hätten keine Gelegenheit zur Stellungnahme zu dem Antrag gehabt, als eine spontane, noch verständliche Unmutsäußerung dar.

[Redaktioneller Hinweis: Zur Sichtweise des Art. 6 III lit. d EMRK und zur Gesamtbetrachtung des EGMR durch den BGH vgl. etwa Gaede JR 2006, 292 ff.]

HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 803

Bearbeiter: Karsten Gaede