HRRS-Nummer: HRRS 2008 Nr. 948
Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 368/08, Beschluss v. 09.09.2008, HRRS 2008 Nr. 948
1. Auf die Revisionen der Angeklagten Vincent B. und Tobias N. wird das Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 11. März 2008 - soweit es sie betrifft - mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Dessau-Roßlau zurückverwiesen.
Das Landgericht hat die Angeklagten Vincent B. und Tobias N. sowie Clemens P. und Janine K. des Landfriedensbruchs, den Angeklagten P. zudem der versuchten Brandstiftung und Sachbeschädigung, schuldig gesprochen und den Angeklagten B. unter Einbeziehung eines früheren Urteils zu einer Einheitsjugendstrafe verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Die anderen Angeklagten hat es verwarnt und gegen sie Auflagen nach dem Jugendgerichtsgesetz verhängt. Gegen dieses Urteil richten sich die Revisionen der Angeklagten B. und N., die die Verletzung formellen und materiellen Rechts (Angeklagter B.) bzw. nur des materiellen Rechts (Angeklagter N.) beanstanden. Die Rechtsmittel haben mit der Sachrüge Erfolg.
Am 24. März 2005 fand in W. auf der Festwiese an der M. Straße eine Veranstaltung ("Osterfeuer") statt. Als diese gegen 23.00 Uhr beendet werden sollte und die Feuerwehr vorfuhr, um das Feuer zu löschen, bildeten die Angeklagten und mindestens sechs weitere Personen eine Menschenkette zwischen den Mitgliedern der Feuerwehr und den Feuerwehrfahrzeugen sowie dem von diesen etwa 15 Meter entfernten Feuer. Nach Rufen, dass das Feuer weiterbrennen und die Feuerwehr abrücken soll, wuchs die Menschenkette auf ca. 20 Personen an und "einige Mitglieder der Menschenkette [begannen] in bedrohlicher Art und Weise Flaschen, Büchsen und andere Gegenstände in Richtung der ... Feuerwehrfahrzeuge und der Mitglieder" der Feuerwehr zu werfen; "ob die vier Angeklagten auch selber Gegenstände geworfen haben, kann nicht mehr festgestellt werden, sie haben sich jedoch bewusst an der Menschenkette beteiligt ... und dabei das Werfen von Gegenständen aus ihrer Gruppe heraus wahrgenommen und gebilligt" (UA 13). Um eine weitere Eskalation zu vermeiden, rückte die Feuerwehr gegen 23.30 Uhr ab, ohne das Feuer gelöscht zu haben. Daraufhin löste sich die Menschenkette auf.
Die Angeklagten B. und K. begaben sich nunmehr zur N. - straße, einer Seitenstraße der M. Straße, wo sie nach 23.45 Uhr gemeinsam zwei Papiercontainer in Brand setzten. Deswegen wurden sie gegen 00.20 Uhr zu einem Polizeirevier gebracht, wo beim Angeklagten B. um 01.35 Uhr eine Blutentnahme durchgeführt wurde. Anschließend kehrten beide zur Festwiese zurück, wo sie gegen 02.00 Uhr eintrafen.
Dort hatte der Angeklagte P. in der Zwischenzeit mit Hilfe weiterer Personen zwei Dixi-Toiletten in Brand gesetzt. Als die Feuerwehr diesen Brand löschte, "wurden aus der immer aggressiver werdenden Menschenmenge heraus gezielt Flaschen in Richtung der Feuerwehrfahrzeuge geworfen" (UA 15), wobei ein Fahrzeug getroffen und beschädigt wurde.
Nach dem Eintreffen der Angeklagten B. und K. an der Festwiese trugen "mehrere Personen" die teilweise verbrannten Dixi-Toiletten auf die M. Straße, zogen mehrere Papiercontainer dorthin und errichteten eine Barrikade. Anschließend wurden die Dixi-Toiletten unter Mitwirkung der Angeklagten K. und mehrerer unbekannt gebliebener Personen erneut in Brand gesetzt, zudem zündete der frühere Mitangeklagte M. einen CD-Rekorder und - kurze Zeit später - eine unbekannte Person den Reifen eines auf der Festwiese stehenden Bierausschankwagens an. Als die Feuerwehr und die Polizei eintrafen, "flüchteten die vier Angeklagten mit zahlreichen weiteren Beteiligten" (UA 16).
Anschließend trennte sich der Angeklagte P. von den übrigen Angeklagten und verübte an anderen Orten die Taten, die das Landgericht als versuchte Brandstiftung und Sachbeschädigung abgeurteilt hat.
1. Die vom Verteidiger des Angeklagten B. erhobene Verfahrensrüge ist nicht ausgeführt und daher unzulässig.
2. Die Revisionen haben jedoch mit der Sachrüge Erfolg. Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen tragen die Verurteilung der Angeklagten B. und N. wegen Landfriedensbruchs nicht, da sie nicht belegen, dass diese Angeklagten an Gewalttätigkeiten oder Bedrohungen im Sinn des § 125 Abs. 1 Nrn 1, 2 StGB "als Täter oder Teilnehmer beteiligt [waren] oder auf die Menschenmenge eingewirkt [haben], um ihre Bereitschaft zu solchen Handlungen zu fördern".
a) Während die Strafbarkeit wegen Landfriedensbruch früher an die Zugehörigkeit zu einer feindseligen Menschenmenge anknüpfte, ist nach der Umgestaltung des § 125 StGB durch das Dritte Strafrechtsreformgesetz - soweit hier von Bedeutung - nur strafbar, wer sich an den aus der Menschenmenge begangenen Gewalttätigkeiten beteiligt; Strafgrund ist diese Beteiligung und nicht mehr der bloße Anschluss an die unfriedliche Menge (BGHSt 32, 165, 178). Nach dem Willen des Gesetzgebers soll nicht derjenige, der sich nach "Gewalttätigkeiten nicht veranlasst sieht, sich zu entfernen", sondern nur derjenige, der sich "aktiv an Gewalttätigkeiten" beteiligt, nach dieser Vorschrift strafbar sein (BTDrucks. VI/139 S. 4, VI/502 S. 9; zur Gesetzesgeschichte: LK-von Bubnoff StGB 11. Aufl. vor § 125 Rdn. 5 ff.).
Deshalb genügt es für eine Beteiligung im Sinn des § 125 Abs. 1 StGB nicht, bloßer Teil der "Menschenmenge" gewesen zu sein, aus der heraus die Gewalttätigkeiten begangen wurden. Ob sich jemand an diesen "als Täter oder Teilnehmer beteiligt" hat und damit Täter des Landfriedensbruchs ist, bestimmt sich vielmehr nach den allgemeinen Teilnahmegrundsätzen der §§ 25 ff. StGB (Schönke/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben StGB 27. Aufl. § 125 Rdn. 14).
Danach stellt jedoch das bloß inaktive Dabeisein oder Mitmarschieren weder eine psychische Beihilfe noch ein bestimmte Gewalttätigkeiten auf andere Weise unterstützendes Verhalten dar (vgl. BGH NStZ 1984, 549; OLG Naumburg NJW 2001, 2034; Fischer StGB 55. Aufl. § 125 Rdn. 13; Schäfer in MünchKomm StGB § 125 Rdn. 31; LK-von Bubnoff aaO § 125 Rdn. 9, 12 f., 17 ff.; Schönke/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben aaO jeweils m.w.N.).
b) Eine danach strafbare Beteiligung des Angeklagten N. an den Gewalttätigkeiten hat das Landgericht nicht festgestellt, sondern vielmehr ausgeführt, dass dieser "lediglich am Anfang der Ausschreitungen bei der Menschenkette beteiligt [war]. Anschließend war er zwar weiterhin anwesend, beteiligte sich jedoch bei den immer schwerwiegender werdenden Ausschreitungen nicht mehr aktiv selber" (UA 26). Auch bezüglich der Anwesenheit in der Menschenkette vermochte das Landgericht - wie ausgeführt - nicht festzustellen, "ob die vier Angeklagten auch selber Gegenstände geworfen" oder dies bzw. sonstige Gewalttätigkeiten über das bloße Wahrnehmen und Billigen hinaus unterstützt haben (UA 13).
c) Entsprechendes gilt bezüglich des Angeklagten B. Er hat zwar (zudem) gemeinsam mit der Angeklagten K. zwei Papiercontainer in Brand gesetzt, jedoch wurde vom Landgericht insofern nicht festgestellt, dass diese Sachbeschädigungen - wie nach § 125 Abs. 1 StGB erforderlich - "aus einer Menschenmenge" begangen wurden.
3. Eine Erstreckung der Entscheidung auf die nicht Revision führenden Angeklagten K. und P. ist nicht geboten, da die sachlich-rechtlichen Erwägungen, die zur Aufhebung des Urteils zu Gunsten der Revisionsführer geführt haben, bei ihnen nicht zur gleichen Entscheidung gezwungen haben (vgl. Meyer-Goßner StPO 51. Aufl. § 357 Rdn. 14 m.w.N.). Beide haben nämlich aus der "Menschenmenge heraus" selbst "weitere Gewalttätigkeiten" gegen Sachen begangen (Anzünden der Dixi-Toiletten), die das Landgericht - über die Anwesenheit in der Menschenkette hinaus - als tatbestandliches "Fortsetzen" des Landfriedensbruch bewertet hat (UA 24 f.).
HRRS-Nummer: HRRS 2008 Nr. 948
Externe Fundstellen: NStZ 2009, 28; StV 2008, 639
Bearbeiter: Karsten Gaede