HRRS-Nummer: HRRS 2008 Nr. 419
Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 511/07, Urteil v. 13.03.2008, HRRS 2008 Nr. 419
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Halle vom 2. April 2007 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Magdeburg zurückverwiesen.
Das Landgericht hatte den Angeklagten B. am 1. Juli 2002 wegen Untreue zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt, die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt und ihn wegen weiterer Vorwürfe der Untreue freigesprochen. Den Angeklagten S. hatte es vom Vorwurf der Beihilfe zur Untreue des Angeklagten B. freigesprochen. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft hob der Senat mit Urteil vom 8. Mai 2003 diese Entscheidung bezüglich beider Angeklagten insgesamt auf und verwies die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurück. Die Revision des Angeklagten B. wurde verworfen (Senatsurteil vom 8. Mai 2003 - 4 StR 550/02 = BGH NJW 2003, 3498). Das Landgericht hat nunmehr beide Angeklagten vollumfänglich freigesprochen. Hiergegen richten sich die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revisionen der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt vertreten werden.
Die Rechtsmittel haben Erfolg.
1. Nach den Feststellungen war die damalige Saalkreisgemeinde nach der politischen Wende bestrebt, alsbald ein Gewerbegebiet zu errichten. Im Sommer 1990 kam der Angeklagte B., damals Bürgermeister der Gemeinde, mit dem Angeklagten S. in Kontakt, der bei dem Vorhaben seine Zusammenarbeit anbot und sich sogleich in die Planungen des Gewerbegebiets einschaltete. Der Angeklagte S. gründete im September 1990 mit mehreren Geschäftspartnern die S. und Partner GmbH (im Folgenden: S. GmbH) und die T. GmbH, deren Gesellschaftszwecke darauf gerichtet waren, in Gemeinden des Saalkreises Grundstücke zu erwerben, darauf Wohn- und Gewerbegebiete zu planen und zu erschließen und diese sodann gewinnbringend an Investoren zu veräußern. Die Gemeinden sollten die erforderlichen planungsrechtlichen Voraussetzungen schaffen.
Entsprechend wollte der Angeklagte S. mit den im vorgesehenen Gewerbegebiet in belegenen Grundstücken verfahren. Er beabsichtigte, die im Privateigentum stehenden Grundstücke für 5 DM/m² zu erwerben. Für die Pläne und die Preisvorstellungen des Angeklagten S. machte sich der Angeklagte B. gegenüber dem Gemeinderat und gegenüber den Grundstückseigentümern stark. Anhand einer vom Angeklagten B. erhaltenen Liste trat der Angeklagte S. zunächst an sieben Grundstückseigentümer heran und gewann diese für den Verkauf ihrer Grundstücke. Am 28. März 1991 und am 11. April 1991 gaben diese Eigentümer notariell beglaubigte, auf zwei Jahre befristete, unwiderrufliche Angebote zum Verkauf ihrer Grundstücke für 5 DM/m² zu Gunsten der S. GmbH oder einen von der GmbH zu benennenden Dritten ab.
Nachdem es der T. GmbH in der Folgezeit nur sehr eingeschränkt gelungen war, Investoren für das Gewerbegebiet zu finden, entschloss sich der Angeklagte B., beraten durch den Kreditvermittler und als Berater des Saalkreises tätigen Josef Mo., die vom Angeklagten S. durch die Optionsverträge gesicherten Grundstücke für die Gemeinde zu erwerben. Er hoffte, auf diese Weise Fördermittel zu Gunsten der Gemeinde erhalten und die Grundstücke deshalb billiger als ein privater Investor weiterveräußern zu können. Er kam mit S. überein, die gesicherten Grundstücke zu einem Preis von 10 DM/m² für die Gemeinde zu erwerben, nachdem die S. GmbH von ihrem Optionsrecht, worauf der Angeklagte S. bestand, Gebrauch gemacht hatte.
Im August 1991 schloss die Gemeinde, vertreten durch den Angeklagten B., mit der damaligen bank ( ) zum Zwecke des Ankaufs der Grundstücke einen Kreditvertrag über 13,8 Millionen DM. Der Kreditvertrag war angelehnt an ein von der Bank entwickeltes Modell für die Vergabe von Kommunalkrediten (sogen. "Kredite außerhalb des Haushalts"). Durch dieses Finanzierungsmodell sollte den Kommunen erlaubt werden, Kredite für den Erwerb und die Erschließung von Grundstücken aufzunehmen, ohne dass der Haushalt sogleich mit Krediten belastet wird. Der Kreditvertrag sah deshalb vor, dass die Rückzahlung des Darlehens frühestens nach fünf Jahren erfolgen sollte und enthielt die Option, die Laufzeit des Kredites noch zu verlängern. Am 17. Oktober 1991 und am 2. April 1992 erwarb die Gemeinde - wiederum vertreten durch den Angeklagten B. - die sieben vom Angeklagten S. gesicherten Grundstücke für 10 DM/m², nachdem zuvor die jeweiligen Kaufoptionen für 5 DM/m² zu Gunsten einer der Gesellschaften des Angeklagten S. ausgeübt worden waren. Ein weiteres im Gewerbegebiet belegenes Grundstück wurde vom Angeklagten S. in gleicher Weise durch einen Optionsvertrag vom 28. Oktober 1991 gesichert und später ebenfalls nach einem Zwischenerwerb durch eine der beiden GmbH's für 10 DM/m² an die Gemeinde weiterverkauft. Den Grundstückskäufen stimmte der Gemeinderat am 10. März 1993 nachträglich zu. Weiterveräußert wurden bisher lediglich 40 % der Fläche.
2. Das Landgericht hat den Angeklagten B. vom Vorwurf der Untreue (in 8 Fällen), den Angeklagten S. von dem Vorwurf, hierzu Beihilfe geleistet zu haben, aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Es hat sich nicht davon zu überzeugen vermocht, dass die Angeklagten bereits von Anfang an einen Grundstückserwerb durch die Gemeinde geplant hatten und durch den Zwischenerwerb der Grundstücke durch die S. bzw. T. GmbH bewusst einen vorteilhafteren Vertragsabschluss zu Gunsten der Gemeinde vereitelten.
Die Wirtschaftsstrafkammer ist dabei im Wesentlichen den übereinstimmenden Einlassungen der Angeklagten in der neuen Hauptverhandlung gefolgt und hat diese durch die Angaben des Zeugen Mo. und zweier Gesellschafter der S. bzw. T. GmbH bestätigt gesehen. Ausreichende Anhaltspunkte für ein kollusives Zusammenwirken der Angeklagten im Hinblick auf den erfolgten Zwischenerwerb hat das Landgericht demgegenüber nicht daraus herzuleiten vermocht, dass
- sich ein Gesellschafter der T. GmbH bereits Anfang 1991 bei der ... über Möglichkeiten der Kreditvergabe an Kommunen erkundigt und
- entsprechendes Informationsmaterial über das Finanzierungsmodell "Kredite außerhalb des Haushalts" erhalten und im Februar 1991 dem Angeklagten B. hatte zukommen lassen,
- dieser bereits einen Tag später gegenüber dem Angeklagten S. Interesse an dem Finanzierungsmodell bekundet und um Vermittlung eines Gesprächstermins bei der Bank gebeten hatte,
- Gesellschafter der T. GmbH daraufhin am 25. Februar 1991 bei der für Kommunalinvestitionen zuständigen Abteilung der die Planungen für das Gewerbegebiet in vorstellten und
- der Gemeinderat am 5. März 1991 dem Angeklagten B. gestattete, Kredite nach dem von der angebotenen Finanzierungsmodell "zum Kauf von Grund und Boden und für Erschließungszwecke" aufzunehmen und für die Gemeinde "Grund und Boden" zu erwerben.
Die Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft haben mit der Sachrüge Erfolg. Auf die Formalrügen kommt es daher nicht an.
Die Beweiswürdigung weist in mehrfacher Hinsicht durchgreifende Mängel auf. Die Erwägungen, mit denen die Wirtschaftsstrafkammer ein kollusives Zusammenwirken der Angeklagten im Hinblick auf einen der Gemeinde nachteiligen Zwischenerwerb der Grundstücke durch die S. bzw. T. GmbH ausgeschlossen hat, entbehren in weiten Teilen einer nachvollziehbaren Tatsachengrundlage und enthalten Widersprüche. Sie lassen zudem besorgen, dass das Landgericht zu hohe Anforderungen an die Überzeugungsbildung von der Schuld der Angeklagten gestellt und den Zweifelssatz fehlerhaft auf einzelne Indizien angewandt hat, statt ihn bei der abschließenden Gewinnung der Überzeugung auf Grund der gesamten Beweissituation zu berücksichtigen (vgl. BGH NStZ 1999, 205, 206).
1. Dies gilt zunächst für die Begründung, mit welcher die Strafkammer dem Gespräch vom 25. Februar 1991 zwischen dem Angeklagten S., zwei weiteren Gesellschaftern der T. GmbH und zwei Mitarbeitern der Abteilung Kommunalinvestitionen der eine indizielle Bedeutung für einen bereits zu diesem Zeitpunkt von den Angeklagten geplanten Erwerb der Grundstücke durch die Gemeinde abgesprochen hat.
Die Strafkammer hat unter Anwendung des Zweifelssatzes nicht auszuschließen vermocht, dass die Gesellschafter der T. GmbH das Gespräch mit Mitarbeitern der Bank suchten, um sich über Kreditaufnahmen für die Gesellschaft zu informieren und nur versehentlich an die an sich falsche, nämlich an die für die Vergabe von Kommunalkrediten zuständige Abteilung weitergeleitet wurden. Die Annahme eines solchen Versehens ist schon deshalb eine fern liegende Unterstellung zu Gunsten der Angeklagten, weil sich nach den getroffenen Feststellungen der bei dem Gespräch anwesende Gesellschafter H. bereits zu Beginn des Jahres 1991 bei der über die Vergabe von Kommunalkrediten informiert, entsprechendes Informationsmaterial erhalten und dem Angeklagten B. zugeleitet hatte. Dieser hatte zudem nur einen Tag vor dem Gespräch gegenüber dem Angeklagten S. sein Interesse an dem angebotenen Finanzierungsmodell bekundet und um Abklärung eines diesbezüglichen Gesprächstermins mit der Bank gebeten. Hingegen enthält das Urteil keine tragfähigen Anhaltspunkte dafür, dass, was nach den Urteilsfeststellungen zu erwarten gewesen wäre, vor Abschluss der Optionsverträge seitens der Gesellschaften eine eigene Kreditaufnahme für den Grundstückserwerb angestrebt war.
2. Aber auch die in diesem Zusammenhang zu Gunsten der Angeklagten angestellte Überlegung, der Angeklagte B. habe sich zu diesem früheren Zeitpunkt möglicherweise nicht wegen des Projekts "Gewerbegebiet", sondern im Hinblick auf "spätere oder andere Vorhaben" der Gemeinde für das Finanzierungsmodell der interessiert, entbehrt einer tragfähigen Tatsachengrundlage.
Abgesehen davon, dass sich entsprechende konkrete Anhaltspunkte bereits nicht aus der Einlassung des Angeklagten B. ergeben haben, hat die Strafkammer keine Feststellungen zu anderen Planungsvorhaben der Gemeinde im damaligen Zeitraum zu treffen vermocht. Die Erwägung ist aber insbesondere nicht damit in Einklang zu bringen, dass nach den getroffenen Feststellungen die bei der geführten Gespräche nur die Finanzierung des Gewerbegebiets betrafen, der Angeklagte am 21. März 1991 gemeinsam mit zwei Gesellschaftern der S. bzw. T. GmbH dem Landrat Pläne über die Errichtung des Gewerbegebiets vorstellte und ihn mit Schreiben vom 27. März 1991 in Bezug auf dieses Vorhaben um Stellungnahme zu einer beabsichtigten Kreditfinanzierung über die bat.
3. Auch die Annahme, der Gemeinderatsbeschluss vom 5. März 1991, in welchem der Angeklagte B. zur Aufnahme von Krediten bei der und zum Erwerb von Grundstücken für die Gemeinde ermächtigt wurde, sei möglicherweise nachträglich, nämlich erst nach dem Erwerb der Grundstücke für die Gemeinde, in der vorliegenden Fassung erstellt und gegen einen ursprünglich allgemeiner gefassten Beschluss ausgetauscht worden, ist nicht nachvollziehbar begründet. Es wird bereits nicht deutlich, weshalb das Landgericht einerseits der Einlassung des Angeklagten B., der fragliche Beschluss sei insgesamt erstmals nach Beantragung des Kommunalkredits im August 1991 erstellt und auf den 5. März 1991 rückdatiert und erst dann als Anlage zum Gemeinderatsprotokoll genommen worden, nicht folgt, andererseits aber einen Austausch des Beschlusses für möglich hält. Unklar bleibt vor allem, welchen Inhalt der ursprüngliche Beschluss gehabt haben soll, und ob diesem gegebenenfalls indizielle Bedeutung für die erhobenen Tatvorwürfe beizumessen gewesen wäre.
4. Schließlich begegnen die Formulierungen, es sei "nicht zwingend", dass das Gespräch am 25. Februar 1991 in den Räumen der der Vorbereitung eines Kommunalkredits gedient habe bzw. der Gemeinderatsbeschluss vom 5. März 1991 sei kein "zwingendes Indiz" für die Vorwürfe in der Anklageschrift, rechtlichen Bedenken. Sie wecken Zweifel, ob sich die Strafkammer bewusst war, dass aus einer Indiztatsache auch dann zu Ungunsten des Angeklagten Schlüsse gezogen werden können, wenn diese nicht zwingend, sondern nur möglich sind (vgl. BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 25).
Die dargelegten Mängel in der Beweiswürdigung ziehen die erneute Aufhebung des Urteils nach sich. Der insoweit angeordneten Zurückverweisung zu neuer Verhandlung und Entscheidung steht kein aus Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK herzuleitendes Verfahrenshindernis entgegen. Ein solches ist in der Rechtsprechung nur in außergewöhnlichen Einzelfällen anerkannt, in denen ein durch rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung bewirkter Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK im Rahmen einer neuen Sachentscheidung nicht mehr kompensiert werden kann (vgl. BGHSt 46, 159, 171; BVerfG NJW 2006, 2684). Ein solcher Fall liegt hier noch nicht vor.
Hier kann die Feststellung einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung angesichts der Komplexität des Sachverhalts und der Erforderlichkeit zweier umfangreicher Hauptverhandlungen nicht allein auf die seit Bekanntgabe des Tatvorwurfs am 22. März 2000 nunmehr insgesamt achtjährige Verfahrensdauer gestützt werden (BVerfG NJW 1993, 3254, 3255; BGHR MRK Art. 6 Abs. 1 Verfahrensverzögerung 6, 8, 9). Allerdings ist angesichts des Umstandes, dass die Grenze der absoluten Verjährung um mittlerweile mehr als fünf Jahre überschritten wäre und das Verfahren jedenfalls in der Zeit zwischen Zurückverweisung der Sache durch den Senat und Beginn der zweiten Hauptverhandlung über einen Zeitraum von etwa drei Jahren aus allein im Bereich der Justiz liegenden Gründen nicht gefördert wurde, ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK gegeben. Gleichwohl stellt sich das Ausmaß der bisher eingetretenen Verfahrensverzögerung in Anbetracht der den Angeklagten zur Last liegenden Tatvorwürfe der Untreue bzw. der Beihilfe zur Untreue mit einem Schadensumfang von insgesamt 6,9 Millionen DM noch nicht als so gewichtig dar, dass im Falle eines zeitnahen Schuldspruchs eine Kompensation im Rahmen der Sachentscheidung schlechterdings nicht mehr in Betracht käme und die Weiterführung des Verfahrens deshalb unverhältnismäßig wäre (vgl. BGH wistra 2006, 262 f.).
Über eine im Hinblick auf die eingetretene Verfahrensverzögerung denkbare Verfahrenseinstellung nach § 153 oder § 153 a StPO wird gegebenenfalls der neue Tatrichter mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und der Angeklagten zu entscheiden haben.
Der Senat macht von der Möglichkeit des § 354 Abs. 2 StPO Gebrauch und verweist die Sache an ein anderes Landgericht zurück.
HRRS-Nummer: HRRS 2008 Nr. 419
Externe Fundstellen: StV 2008, 299
Bearbeiter: Karsten Gaede