HRRS-Nummer: HRRS 2008 Nr. 198
Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 468/07, Beschluss v. 08.01.2008, HRRS 2008 Nr. 198
1. Das Verfahren wird eingestellt, soweit der Angeklagte in den Fällen II 6, 10, 11, 140, 142, 143, 148, 149, 152, 154, 155, 161, 170, 171, 606, 634, 655, 672, 1091, 1362 verurteilt worden ist. Insoweit trägt die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten.
2. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Halle vom 11. Mai 2007
a) im Schuldspruch dahin abgeändert, dass der Angeklagte der Gebührenüberhebung in 854 Fällen schuldig ist,
b) im Gesamtstrafenausspruch und im Ausspruch über die Anordnung der Nebenfolge aufgehoben.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die übrigen Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
4. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Gebührenüberhebung in 874 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Es hat ihm ferner für die Dauer von zwei Jahren die Fähigkeit aberkannt, öffentliche Ämter zu bekleiden. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision.
1. In den in der Ziff. 1 der Beschlussformel bezeichneten 20 Fällen stellt der Senat auf Antrag des Generalbundesanwalts das Verfahren gemäß § 154 Abs. 2 StPO ein. Die auf Grund der Teileinstellung erfolgte Schuldspruchänderung führt zum Wegfall der insoweit verhängten Einzelstrafen.
2. Im Übrigen hat die Überprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung zum Schuldspruch und zu den Einzelstrafaussprüchen keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Hingegen halten der Gesamtstrafenausspruch und die gemäß § 358 i.V.m. § 45 Abs. 2 StGB verhängte Nebenfolge, unbeschadet der infolge der Teileinstellung entfallenen Einzelstrafen, sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.
Nach den Feststellungen brachte der seit 1996 als Gerichtsvollzieher tätige Angeklagte in der Zeit vom 9. Januar 2003 bis 2. Juni 2004 bei Durchführung von Vollstreckungsaufträgen in 874 Fällen ihm zustehende Wegegelder gegenüber den jeweiligen Kostenschuldnern in Höhe von jeweils 2,50 Euro zu hoch in Ansatz. Das Landgericht hat für Taten, die der Angeklagte bis einschließlich April 2003 beging, Geldstrafen in Höhe von jeweils 20 Tagessätzen á 40 Euro und für die übrigen Taten Freiheitsstrafen von jeweils zwei Monaten festgesetzt und aus diesen Einzelstrafen die Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten gebildet. Der Angeklagte war wegen 328 gleich gelagerter Taten bereits durch rechtskräftigen Strafbefehl vom 13. April 2005 zu einer Gesamtgeldstrafe von 180 Tagessätzen zu je 70 Euro verurteilt worden. Diese Strafe ist vollständig bezahlt. Im Rahmen der Bemessung der Gesamtfreiheitsstrafe hat das Landgericht Folgendes ausgeführt: "Als Härteausgleich für die bereits vollständig beglichene Gesamtstrafe ... aus dem ansonsten ... gesamtstrafenfähigen Strafbefehl vom 13.4.2005 ... hat die Kammer davon abgesehen, neben der Gesamtfreiheitsstrafe gemäß § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB eine gesonderte Gesamtgeldstrafe zu bilden. Dies wäre für die Kammer ... ansonsten geboten gewesen, um den Angeklagten auch am Vermögen zu treffen ...".
a) Durch diese Erwägung werden Nachteile, die dem Angeklagten durch die getrennte Aburteilung der Taten entstanden sind, nicht ausgeglichen (vgl. hierzu BGHSt 31, 102; 33, 131, 132). Sie lässt im Gegenteil besorgen, dass der Angeklagte im Vergleich zu der früher möglichen gemeinsamen Aburteilung schlechter gestellt ist.
Im Falle einer gemeinsamen Aburteilung wären nämlich Einzelgeldstrafen, die für Taten im vorliegenden Verfahren verhängt worden wären, möglicherweise nicht, wie nunmehr geschehen, bei Bildung der Gesamtfreiheitsstrafe berücksichtigt worden. Vielmehr hätte aus diesen Einzelgeldstrafen und den Einzelgeldstrafen für die 328 weiteren Taten neben einer Gesamtfreiheitsstrafe eine gesonderte Gesamtgeldstrafe gemäß § 53 Abs. 2 Satz 2 2. Halbs. StGB gebildet werden können. Im Hinblick auf eine schuldangemessene Ahndung der Taten ist deshalb nicht auszuschließen, dass bei gemeinsamer Aburteilung eine neben einer Gesamtgeldstrafe verhängte Gesamtfreiheitsstrafe die für die Anordnung einer Nebenfolge nach § 358 StGB erforderliche Mindesthöhe (vgl. dazu unten 2. b) aa) nicht erreicht hätte. Die Anordnung des Verlustes der Amtsfähigkeit wäre dann nicht in Betracht gekommen.
b) Durch die rechtsfehlerhaften Erwägungen zum Härteausgleich hat sich das Landgericht den Blick dafür verstellt, dass die Prüfung der Verhängung einer gesonderten Gesamtgeldstrafe nach § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB hier deshalb geboten war, weil die Festsetzung einer (Gesamt-)Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten zum Verlust des Amtsfähigkeit nach § 358 i.V.m. § 45 Abs. 2 StGB führen konnte.
aa) Der Verlust der Amtsfähigkeit nach § 358 StGB kann - davon ist das Landgericht zu Recht ausgegangen - in einem Fall wie dem vorliegenden auch dann angeordnet werden, wenn lediglich die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe mindestens sechs Monate beträgt. Diese Frage ist, soweit ersichtlich, bislang noch nicht höchstrichterlich entschieden. Der Senat schließt sich der in der Literatur vorherrschenden Meinung an, wonach jedenfalls in Fällen, in denen - wie hier - wegen mehrerer gleichartiger in § 358 StGB bezeichneter Delikte auf eine mindestens sechsmonatige Gesamtfreiheitsstrafe erkannt wurde, eine Nebenfolge nach § 358 i.Vm. § 45 Abs. 2 StGB angeordnet werden kann. In solchen Fällen ist es unerheblich, wenn die Einzelstrafen das in § 358 StGB geforderte Mindestmaß von sechs Monaten Freiheitsstrafe nicht erreichen (Jescheck in LK 11. Aufl. § 358 Rdn. 5; Voßen in MünchKomm § 358 Rdn. 6; Rudolphi/Rogall in SK-StGB § 358 Rdn. 2; Cramer/Heine in Schönke/Schröder 27. Aufl. § 358 Rdn. 2; a.A. Fischer StGB 55. Aufl. § 358 i.V.m. § 45 Rdn. 6 und 7). Nach dem Gesetzeszweck kommt es nicht darauf an, ob der Täter lediglich eine Tat nach § 358 StGB begangen hat, die mit der vorausgesetzten Mindeststrafe geahndet wird, oder ob er seine Ungeeignetheit zur Amtsführung dadurch gezeigt hat, dass er mehrere Amtsdelikte aus dem Katalog des § 358 StGB begangen hat, deren Gesamtstrafe die erforderliche Höhe erreicht (Jescheck in LK aaO; Voßen in MünchKomm aaO).
Diese Auffassung deckt sich mit der Auslegung des § 48 BBG und den entsprechenden Vorschriften der Landesbeamtengesetze, wonach das Beamtenverhältnis zwingend endet, wenn ein Beamter wegen einer vorsätzlichen Tat zu Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist. Diese Vorschriften werden ebenfalls dahin verstanden, dass sie auch den Fall der Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von mindestens einem Jahr wegen mehrerer Vorsatztaten umfassen, selbst wenn die zu Grunde liegenden Einzelstrafen jeweils weniger als ein Jahr betragen (vgl. zum LBGRh.Pf. BGH NStZ 1981, 342; zum BbgLBG BGH wistra 2004, 264; Jescheck in LK aaO; Battis BBG 3. Aufl. § 48 Rdn. 8).
bb) Im Hinblick darauf, dass danach die Verhängung einer Gesamtfreiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten für das Landgericht die Möglichkeit eröffnete, den Verlust der Amtsfähigkeit nach § 358 StGB zu prüfen, durfte es hier nicht darauf verzichten zu erörtern, ob für die im vorliegenden Verfahren abgeurteilten Taten neben einer Gesamtfreiheitsstrafe die Verhängung einer gesonderten Gesamtgeldstrafe nach § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB in Betracht kommt.
Eine solche Prüfung ist stets erforderlich, wenn sich nach den besonderen Umständen des Falles eine aus Geld- und Freiheitsstrafen gebildete Gesamtfreiheitsstrafe (§ 53 Abs. 2 Satz 1 StGB) als das schwerere Übel erweist (vgl. BGHR StGB § 53 Abs. 2 Einbeziehung, nachteilige 2; bei zwingenden beamtenrechtlichen Folgen etwa BGH wistra 2004, 264). So liegt der Fall hier.
Das Landgericht hat ausdrücklich hervorgehoben, den Angeklagten mit der Strafe "auch am Vermögen" treffen zu wollen. Von der Verhängung einer gesonderten Gesamtgeldstrafe neben der Gesamtfreiheitsstrafe hat es jedoch, wie dargelegt, mit einer nicht tragfähigen Begründung zum Härteausgleich abgesehen.
Der Senat kann deshalb nicht ausschließen, dass die Strafkammer bei rechtsfehlerfreier Prüfung auf eine gesonderte Gesamtgeldstrafe und im Rahmen einer insgesamt schuldangemessenen Ahndung daneben lediglich auf eine Gesamtfreiheitsstrafe erkannt hätte, die die in § 358 StGB geforderte Mindesthöhe nicht erreicht.
3. Die Aufhebung der Gesamtstrafe zieht die Aufhebung der Nebenfolge nach sich. Die insoweit getroffenen Feststellungen können jedoch bestehen bleiben, da sie von den Rechtsfehlern nicht betroffen sind.
Der neue Tatrichter wird bei Bemessung der zu verhängenden Gesamtstrafe auch zu berücksichtigen haben, dass es sich bei der Anordnung des Verlusts der Amtsfähigkeit nach §§ 358, 45 Abs. 2 StGB ihrem Sinngehalt nach um eine Nebenstrafe (BGH MDR 1956, 9; Radke in MünchKomm § 45 Rdn. 23 13 m.w.N.) handelt. Eine entsprechende Anordnung wird deshalb bei der Zumessung der Hauptstrafe gegebenenfalls strafmildernd in Betracht zu ziehen sein.
HRRS-Nummer: HRRS 2008 Nr. 198
Externe Fundstellen: NJW 2008, 929; NStZ 2008, 283
Bearbeiter: Karsten Gaede