HRRS-Nummer: HRRS 2008 Nr. 44
Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 297/07, Beschluss v. 20.09.2007, HRRS 2008 Nr. 44
Der Antrag des Angeklagten auf Entscheidung des Revisionsgerichts gegen den Beschluss des Landgerichts Bochum vom 9. März 2007 wird als unbegründet verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten durch Urteil vom 23. Januar 2007 wegen zahlreicher Sexualstraftaten zum Nachteil von Kindern und Jugendlichen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt.
Gegen dieses Urteil hat der Verteidiger des Angeklagten am 24. Januar 2007 Revision eingelegt. Der Angeklagte hat mit Schreiben vom 26. Januar 2007, wenn auch in recht unvollkommenem Deutsch, die Revision zurückgenommen. Mit Schreiben vom 28. Februar 2007 hat er dem Landgericht sodann mitgeteilt, dass er "nun doch sein Recht auf Revision wahrnehmen möchte".
Das Landgericht hat mit Beschluss vom 9. März 2007 festgestellt, dass die Revision des Angeklagten durch Rücknahme erledigt ist, und ihm die Kosten des zurückgenommenen Rechtsmittels auferlegt. Die Entscheidung enthält eine Rechtsmittelbelehrung, wonach gegen den Beschluss innerhalb einer Woche nach Zustellung schriftlich die Entscheidung des Revisionsgerichts beantragt werden kann. Der Verteidiger hat darauf mit Schreiben vom 19. März 2007 fristgerecht die Entscheidung des Revisionsgerichts beantragt.
Der Antrag hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Wird die Wirksamkeit einer Revisionsrücknahme von einem Verfahrensbeteiligten in Zweifel gezogen, so ist es nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Sache des Revisionsgerichts, hierüber eine feststellende Erklärung zu treffen (vgl. nur BGH StPO § 302 Abs. 1 Satz 1 Rechtsmittelverzicht 8 m.w.N.; BGH NStZ 2001, 104; vgl. hierzu auch Kuckein in KK 5. Aufl. § 346 Rdn. 3). Zwar wird die Auffassung vertreten, dass bis zum Eingang der Akten beim Rechtsmittelgericht insoweit die Zuständigkeit des judex a quo gegeben ist (vgl. Hanack in Löwe/Rosenberg StPO 25. Aufl. § 302 Rdn. 76; Meyer-Goßner StPO 50. Aufl. § 302 Rdn. 11 a). Ob dies auch dann gelten kann, wenn von einem Verfahrensbeteiligten die Wirksamkeit der Rücknahme bereits in Zweifel gezogen worden war, mag dahinstehen. Jedenfalls ist das Revisionsgericht nach einer Entscheidung durch den judex a quo und bei Fortbestehen des Streits zur abschließenden Entscheidung über die Wirksamkeit der Rechtsmittelrücknahme berufen (vgl. BGH NStZ 2005, 113; NStZ-RR 2005, 211).
2. Die Revision ist wirksam zurückgenommen.
Die Rücknahme konnte durch eigenes Schreiben des Angeklagten erfolgen, da für die Rücknahme eines Rechtsmittels dieselben Formerfordernisse gelten wie für dessen Einlegung. Der Angeklagte hat in seinem Schreiben vom 26. Januar 2007 - ungeachtet aller sprachlichen Mängel - deutlich zum Ausdruck gebracht, dass sein Rechtsmittel nicht weitergeführt werden soll. Darüber hinaus ergibt sich aus seinem weiteren an den Strafkammervorsitzenden gerichteten Schreiben vom 28. Januar 2007 eindeutig, dass er mit dem vorangegangenen Schreiben die Rücknahme des Rechtsmittels erklären wollte und dies auch getan hat ("ich habe sogar auf das Recht der Revision verzichtet ...").
Die Rücknahme ist auch wirksam erfolgt. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass sich der Angeklagte bei Abgabe der Rücknahmeerklärung in einem seine Verhandlungsfähigkeit beseitigenden Angstzustand befunden haben könnte. Zwar hat der Angeklagte in dem Schreiben vom 26. Januar 2007 ausgeführt, er könne die Revision deswegen nicht durchführen, weil er "sein Leib und Leben" gefährdet sehe durch die "seelische Grausamkeit" seitens der Mitgefangenen und in eine andere Haftanstalt verlegt werden wolle. Das Verhalten der Mitgefangenen war aber keinesfalls geeignet, den Angeklagten in einen seine Verhandlungsfähigkeit beseitigenden Angstzustand zu versetzen, denn es erschöpfte sich nach seinem eigenen Vortrag darin, dass diese ihm "schlimme Worte" zurufen und an Wände und Heizungsrohre klopfen würden.
Zudem war der Angeklagte bereits während der Hauptverhandlung in eine andere Haftanstalt verlegt worden, weil er nach Bekanntwerden der gegen ihn erhobenen Anklagevorwürfe Repressalien seitens seiner Mitgefangenen befürchtet hatte. Ihm war daher bekannt, dass er die erstrebte Verlegung in eine andere Haftanstalt auf andere Weise als durch die Rücknahme seines Rechtsmittels erreichen konnte.
3. Die demnach wirksame Rücknahmeerklärung des Angeklagten hat zum Verlust des Rechtsmittels geführt. Sie kann als Prozesshandlung weder widerrufen noch wegen Irrtums angefochten oder sonst zurückgenommen werden (BGHSt 10, 245, 247; BGHR StPO § 302 Abs. 1 Rücknahme 2 und § 302 8 Abs. 2 Rücknahme 6); die späteren Erklärungen des Angeklagten, insbesondere in seinem Schreiben vom 28. Februar 2007, vermögen somit an ihrer Rechtswirksamkeit nichts mehr zu ändern.
HRRS-Nummer: HRRS 2008 Nr. 44
Externe Fundstellen: NStZ 2009, 51
Bearbeiter: Karsten Gaede